24. Juni 2016

Streiflichter aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen, erste Folge: Magische Anziehungskraft der "Libertas"

Der Historiker Dr. Konrad Gündisch hielt zu Pfingsten 2016, während des Heimattages der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl, im übervollen Gemeindesaal der ev. Kirche „St. Paul“ einen einstündigen Vortrag über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen in den 875 Jahren seit ihrer Ansiedlung. Mehrfach wurde an den Referenten und an die Redaktion der Siebenbürgischen Zeitung der Wunsch herangetragen, diesen Vortrag zu veröffentlichen. Mit dieser Ausgabe der SbZ beginnt die Veröffentlichung einer leicht veränderten und ergänzten Fassung des Vortrags in neun Folgen (eine Folge für jedes Jahrhundert sächsischer Geschichte). Für die Illustration konnte der bekannte Fotograf und Sammler Konrad Klein gewonnen werden. Konrad Gündisch ist sich dessen bewusst, dass er in einem kurzen Überblick nicht alles berücksichtigen konnte, dass seine Auswahl der wichtigsten Ereignisse und seine Sicht der Entwicklungen subjektiv ist. Sollten sich für die Leserinnen und Leser andere Fragen in Verbindung mit der siebenbürgisch-sächsischen Kultur und Geschichte ergeben, auf die sie eine Antwort suchen, werden sie gebeten, diese an die Redaktion zu schicken. Der Autor wird versuchen, sie jeweils in einer folgenden Ausgabe der SbZ zu beantworten und in einen Dialog zu Fragen unserer Vergangenheit zu treten.
„Accedentes igitur fideles hospites nostri Theu­thonici Ultrasiluani universi ad pedes maiestatis nostrae humiliter nobis conquerentes sua questione suppliciter nobis monstraverunt, quod penitus a sua libertate qua vocati fuerant a piissimo rege Geysa avo nostro excidissent ...“ („Da nun Unsere getreuen Gäste, die Deutschen jenseits des Waldes, gemeinschaftlich Unserer Majestät zu Füßen gefallen sind und durch ihre Klagen demütig darauf hingewiesen haben, dass sie ihres Freitums, mit dem sie von Unserem Großvater, dem vielfrommen König Geysa gerufen worden waren, verlustig gegangen seien ...“)

Dieses Zitat aus dem so genannten Goldenen Freibrief der Siebenbürger Sachsen, den der ungarische König Andreas II. im Jahr 1224 ausgestellt hat, und der 1317 durch König Karl Robert von Anjou bestätigt wurde, enthält den Hinweis, der uns heute dazu veranlasst, einen Rückblick auf eine nunmehr etwa 875-jährige Geschichte der Siebenbürger Sachsen zu halten. König Geisa II. (1141-1162), der Großvater Andreas’ II., sei es gewesen, der unsere Vorfahren in sein Land gerufen und mit Freiheiten ausgestattet habe. Wann genau, das wissen wir nicht. Wohl nicht 1141, im ersten der einundzwanzig Regierungsjahre dieses als Elfjähriger auf den Thron gekom­menen Herrschers, vielleicht 1147, eher zwischen 1152 und 1158 – Vermutungen wurden von bedeutenden Historikern angestellt und können auch weiterhin angestellt werden, Gewissheiten haben wir leider bislang nicht, da uns die nötigen Unterlagen, die Schriftquellen, wie eben dieses „Andreanum“, fehlen, aber wer weiß, vielleicht taucht eine irgendwann und irgendwo doch noch auf. Man feiert also nicht falsch, wenn man den Regierungsantritt dieses Herrschers zum Anlass nimmt, an die Besiedlung Süd- und Nordwestsiebenbürgens um die Mitte des 12. Jahrhunderts zu erinnern, denn es ist der einzige Anhaltspunkt, und für alle anderen Datierungsvorschläge fehlt die quellenmäßige Grundlage.
Medaillon vom Standbild Georg Daniel Teutschs, ...
Medaillon vom Standbild Georg Daniel Teutschs, dem Vater der siebenbürgischen Historiographie. Adolf von Donndorf, der sich für sein 1899 enthülltes Teutsch-Denkmal zu Studienzwecken im Mai 1896 in Hermannstadt aufhielt, ließ sich für die Schwur-Szene offensichtlich von Georg Bleibtreus Historienbild „Die Einwanderung der Sachsen nach Siebenbürgen und die Gründung von Hermannstadt“ inspirieren. Darüber ein Siegel und alte Pergamente (darunter sicher auch der „Goldene Freibrief“), auf die sich der Bischof mit der Rechten stützt (lesen Sie heute die erste Folge von Konrad Gündischs kleiner geschichtlichen Reihe). Foto: Konrad Klein
Gewiss ist – das zeigt auch der parallele Vorgang der Ansiedlung der Zipser Sachsen in der heutigen Slowakei –, dass Bewohner aus dem Hei­ligen Römischen Reich unter diesem König aus dem Hause der Arpaden als Gäste ins östliche Ge­biet des damaligen Königreichs Ungarn, in das Land jenseits der Wälder, gerufen wurden, und dass schon bei der Anwerbung und Ansiedlung Freiheiten und Privilegien ausgehandelt wurden, um die nicht nur in Ungarn, sondern auch beispielsweise in Schlesien oder in Pommern, aber sogar in Serbien begehrten Fachleute und Grenz­wächter ins Land zu locken. Ein Gast (hospes) zu sein – das hat mein verehrter akademischer Lehrer Professor Harald Zimmermann in einem hoch­interessanten, quellenbasierten Aufsatz dargelegt – bedeutete im mittelalterlichen Ungarn, nicht nur willkommen zu sein, Gastfreundschaft angeboten zu bekommen (heute würden wir von „Willkommenskultur“ sprechen), Gastfreundschaft anzunehmen, zu genießen und irgendwann (zur Freude der Gastgeber?) wieder fortzuziehen! Ein Gast war der Inhaber eines Rechtstatus, jemand, der – wie der Staatsgründer Stephan der Heilige es in den Ermahnungen an seinen Sohn Emmerich formuliert hat – zum Reichtum und zum Schutz des Königtums beiträgt, da „Gä̈s­te [...] verschiedene Sprachen und Sitten, verschiedene Lehren und Waffen mit sich bringen, die alle Reiche schmü̈cken und den Wohlstand des Hofes steigern, [...] denn schwach und ver­gä̈nglich ist ein Reich, in dem nur eine Sprache gesprochen wird“, jemand, den man zum eigenen Vorteil im Lande halten soll, wie das ebenfalls in diesem politischen Testament des großen Stephan für die Nachkommen festgehalten wurde: „Darum, mein Sohn, trage ich Dir auf, begeg­ne ihnen und behandle sie anständig, damit sie bei Dir lieber weilen als anderswo.“ Kurz gesagt: Man brauchte wehrfähige und arbeitsbereite Men­schen, man lockte sie mit Versprechungen an und – man hielt sie ein! Man mag über die Jahrhunderte, in denen Siebenbürgen und damit seine Sachsen zum ungarischen, später zum österreichisch-ungarischen Reich gehört haben, urtei- ­len wie man will, die im 12. Jahrhundert und dann nochmal 1224 eingegangenen Versprechun­gen haben die Herrscher dieser Reiche weitgehend eingehalten – man stelle sich das in der heutigen, politisch so leichtlebigen Zeit mal vor!

Neben dem Namen des gastlichen, aber keinesfalls uneigennützigen Königs Geisa, der auch eine ungefähre Datierung der Ansiedlungszeit erlaubt, und neben dem Status eines deutschen Gastes, des hospes Theutonicus Ultrasilvanus, ist in der eingangs zitierten Urkunde die libertas das weitere, nachhaltige Stichwort, auf das ich hinweisen möchte. Es kommt in dem nur 21 Zeilen langen Urkundentext gleich elf Mal vor! Libertas, die Freiheit – nach den Erfahrungen der braunen und der roten Diktaturen, die wir und unsere Eltern erleben und, wenn’s gut ging!, überleben mussten, können wir den wunderbaren, ja magischen Klang dieses Wortes, ob Lateinisch oder Deutsch, vielleicht besser hören, einschätzen und vor allem schätzen, als andere, die ihren Verlust nie erfahren mussten. Dass man die Freiheit auch verteidigen muss, zeigt ein weiterer Hinweis aus dem Andreanum: Die Gäste wurden ad retinendam coronam, zum Schutz der Krone gerufen, als Wehrbauern also, die ihre Freiheit und die Sicherheit des Herrschers verteidigen sollten. Woher sie genau kamen, wissen wir leider auch nicht. Die unterschiedlichen Bezeichnungen in den zeitgenössischen Urkunden – mal Theutonici (Deutsche), mal Flandrenses (Flandrer), mal Latini (Wallonen), immer öfter in der ungarischen Kanzleisprache Saxones (Sachsen) – zeigen, dass es kein klar umrissenes Auswanderungsgebiet gegeben hat, sondern dass Menschen aus unterschiedlichen Regionen des Heiligen Römischen Reiches in den Südosten gezogen sind. Wobei mit Sachsen eher die Inhaber von Privilegien aus dem sächsischen (Berg-) Recht gemeint waren, denn Leute aus den heute den Sachsennamen führenden Bundesländern. Enger umreißen kann man das Herkunftsgebiet wohl mit den damaligen Gebieten der Erzbistümer Köln und Trier, also mit dem mosel-fränkisch-luxemburgisch-wallonischen Raum. Jene Vorfahren, die vor ungefähr 875 Jahren ihre damalige Heimat verlassen haben, um im fernen Karpatenbogen ihr Glück zu suchen, taten das nicht zuletzt, um ihre vom um sich greifenden Feudalwesen gefährdete Freiheit zu bewahren, um „weder Herr noch Knecht“ zu sein, wie das später formuliert wurde. Jene Vorfahren waren keine Glücksritter, keine Wirtschaftsflücht­linge und auch keine vaterlandslosen Gesellen, sie suchten die Freiheit, die Möglichkeit, sich wirtschaftlich und kulturell frei zu entfalten, sich selbst zu verwalten und zu richten, von Pfarrern aus ihrer Mitte, ihrer Sprache und ihrer Werteverbundenheit getauft, getraut, beerdigt, seelsorgerlich betreut zu werden. Und weil sie keine Glücksritter waren, sicherten sie sich durch das Geisanum, dessen Existenz wir nur annehmen können, und durch das Andreanum ab. Letzteres haben sie sich 17 Mal von ungarischen Königen, siebenbürgischen Fürsten und vom Beglaubigungsort des Weißenburger Kapitels bestätigen lassen. Selbstverwaltung, Eigenkirchlichkeit, freie Wahlen der weltlichen und kirchlichen Würdenträger, eigene Gerichtsbarkeit, werden darin ebenso festgehalten, wie Handels- Schürfrechte – das sind weitere Grundlagen für die künftige Entfaltung der Siebenbürger Sachsen.

Vor übervollem Saal hielt Dr. Konrad Gündisch ...
Vor übervollem Saal hielt Dr. Konrad Gündisch seinen Vortrag „875 Jahre Siebenbürger Sachsen?“ auf dem Heimattag in Dinkelsbühl. Foto: Konrad Klein
Eine Vorstellung vom Geschehen damals, vor ungefähr 875 Jahren, vermittelt das Bild von Georg Bleibtreu aus dem Jahr 1883, das auf der Titelseite der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 2 vom 1. Februar 2016, veröffentlicht wurde und das wohl auch dem Medaillon auf dem Teutsch-Denkmal vor der Hermannstädter Stadtpfarrkirche als Vorlage gedient hat, wie Konrad KLein vermutet (siehe weiter oben Medaillon vom Standbild Georg Daniel Teutschs).

Unus sit populus, einig sei, das heißt eine Gemeinschaft bilde dieses Volk, stand wohl im Geisanum, steht nachweislich im Andreanum, und bildet einen Grundpfeiler dessen, was diese Grup­pe auszeichnet: Gemeinschaftsgefühl und Gemeinschaftssinn. Und ad retinendam coronam, zum Schutze der Krone, auch im Freibrief des Königs Andreas dokumentiert, aber auch vom Initiator der Ansiedlung, Geisa II., eingefordert, ist mehr als nur das Versprechen, den König zu schützen. Es ist die Treue zum Staat, der hier durch die Krone repräsentiert wird, zum Staat, der die Gruppe schützt und bevorrechtet, zum Staat, den man im Gegenzug unterstützt, indem man sich aktiv mitgestaltend, zuweilen durchaus auch kritisch einbringt, von dem man notfalls auch seine Rechte einfordert. Das waren Grundlagen, auf denen sich eine Gemeinschaft, ein klei­ner Volksstamm entwickeln konnte, der jahrhun­dertelang existieren konnte und existiert, trotz der Widrigkeiten eines Daseins im Grenz- und Überlappungsgebiet verschiedener Völker, Staaten, Religionen und Kulturen, die ihren Einflussbereich oft auch gewaltsam ausdehnen wollten.

Dr. Konrad Gündisch

Schlagwörter: Streiflichter, Geschichte, Siebenbürger Sachsen

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