19. August 2006

Dagmar Dusil: "Kulinarisches Heim- und Fernweh"

Nimmt man als Leser den Titel von Dagmar Dusils Buch "Kulinarisches Heim- und Fernweh" zum Ausgangspunkt der Lektüre - was ja nahe liegt -, so beginnt man diese Lesereise mit der Erwartung, hauptsächlich kulinarische Sinnvermittlung zu erfahren. Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man mit dem Ende - finis coronat opus - loslegt, und sich auf den Seiten 229 bis 232 das alphabetische Stichwortverzeichnis genauer ansieht.
Und dennoch: Das in der neuen Heimat der Autorin entstandene und in der alten Heimat gedruckte Buch von ihrem Fern- und Heimweh beinhaltet einiges mehr als eine Rezeptsammlung. Es ist ein Flechtwerk aus realen Erfahrungen und Eindrücken von 20 Reisen rund um den Globus und aus Erinnertem wie Phantastischem, eine Textmixtur, die all unsere Sinnesorgane anspricht. Im Vorwort, der so genannten Vorspeise zur kulinarischen Reise, finden sich einige beachtliche Aussagen: "Schon als kleines Mädchen träumte ich von der weiten Welt. Später, als ich die Welt bereisen konnte, begann ich an den entferntesten Orten, von Siebenbürgen und Hermannstadt zu träumen." Oder an anderer Stelle: "In jedem Land bin ich durch das Fremde dem Vertrauten ein Stück näher gekommen."

So beginnt denn die Darstellung der hauptsächlich inneren Biografie auch anlässlich einer Reise nach Italien, das durch die Brille des italienischen Urgroßvaters gesehen wird, der irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts von Italien nach Siebenbürgen eingereist war, um Brücken zu bauen. Wie die dreijährige Dagmar an der Hand ihres Urgroßvaters täglich den Rundgang durch die Hermannstädter Färber- und Burgergasse hin zum Schiffbäumel zurücklegte, und weitere Elemente der äußeren Biographie sind dann im Siebenbürgischen verankert. Auch Assoziationen haben oft diesen Hintergrund: So weckt der schiefe Turm von Pisa Erinnerungen an Mediasch mit seinem schiefen Kirchturm. Hier hat Dagmar Dusil nämlich nach ihrem Anglistik- und Germanistikstudium in Klausenburg als Englischlehrerin beruflich begonnen.
Die Rösselsprünge durch Zeit und Raum setzen sich im ganzen Buch fort. Die zahlreich eingestreuten Rezepte sind nicht immer kausal mit dem Erzählten verknüpft. Oft wird eine Duftnote zum Auslöser von Erinnerungen. Aber auch umgekehrt lässt die Erinnerung an die Tonfolgen eines Konzertes den Wunsch nach einem bestimmten Gericht Konturen annehmen.

Darüber hinaus gibt es auch Ahnungen oder vorwegnehmende Phantasie, die in Gegenwärtigem auch Künftiges erblickt: "Ich stand am Fenster und starrte unentwegt auf die von Nebel umgarnten Tannen und hatte das Gefühl, diese Landschaft noch einmal - aber nicht hier - sehen zu werden." Die auf der Hohen Rinne erstmals erlebte Tannenlandschaft wird Dagmar Dusil dann nach vielen Jahren als geheimnisvolle Atmosphäre in Norwegen erneut erleben. Diese zwingende Logik der nicht nur logisch verquickten Erzählweise führt unumgänglich zu der Erkenntnis, dass die Welt trotz der vielen Kulturen ein Ganzes ist.
So schlägt das Buch der Heilbronnerin Dagmar Dusil den Bogen von der alten Heimat Siebenbürgen zur großen weiten Welt. Indem es alle Register zieht, uns als Leser zumindest synästhetisch einbezieht und uns an der dargestellten "Reise ins Innere" teilhaben lässt, erzeugt das rundum empfehlenswerte Buch viel Lesevergnügen.

Siegfried Habicher

Hinweis: Eine musikalisch eingebettete Lesung aus ihrem Buch "Kulinarisches Heim- und Fernweh" bietet Dagmar Dusil am 2. September 2006 ab 15.15 Uhr im Hermannstädter Spiegelsaal an. Moderieren wird wie schon in Stuttgart Siegfried Habicher.

Schlagwörter: Rezension

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