24. Juni 2007

„Siebenbürgische T-Raumstation“ in Dinkelsbühl

Die Ausstellung „Wandlungen“ des Künstlers Reinhardt Schuster, die im Rahmen des Heimattages der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl im Kunstgewölbe der Spitalanlage zu sehen war, zeigte neben einer Gesamtschau Schusters eines seiner neuesten Werke: „Die Siebenbürgische T-Raumstation“. Zur Eröffnung der Ausstellung am 26. Mai führte der Publizist Franz Heinz in das herausragende Werk Reinhardt Schusters ein und würdigte ihn als den „mit Siebenbürgen am tiefsten verwurzelten Menschen“, den er kenne. Der Vortrag wird im Folgenden in gekürzter Form wiedergegeben.
Nach einem ersten Blick auf die Bilder der Ausstellung von Reinhardt Schuster hätte die Frage fallen können, wo darin Siebenbürgen zu finden sei. Zumal der Heimattag, der vornehmlich der siebenbürgischen Tradition gewidmet ist, bestimmte Erwartungen geweckt hat. Das Bewahren der Tradition ist aber nur die eine Seite des siebenbürgisch-sächsischen Selbstverständnisses, die andere ist die Fähigkeit zur Öffnung: Wach sein für das Neue und bereit sein für die Veränderung. Das war auch das Stichwort der Kunstausstellung Reinhardt Schusters: Das Neue dort zeigen, wo wir es nicht vermuten würden. Auch das gehört nämlich zur Heimat, das was sich nicht zeigt oder anders zeigt – in die Abstraktion abwandert und dem Imaginären Vorschub leistet.

Reinhardt Schusters akademische Ausbildung – mit 17 ging er aufs Bukarester Kunstlyzeum – führte zwangsweise in die Falle des Sozialistischen Realismus, die er aber intuitiv zu umgehen wusste. In der Kunst, wie er sie verstand und immer noch versteht, war kein Raum für Pathos und Parolen. Schuster abstrahierte Blumen, setzte Klötzchen übereinander und ergab sich dem Sinn der Farbe. Damit war freilich kein Fortkommen in einem politisch diktierten Kunstbetrieb zu erreichen, es ermöglichte hingegen den späteren unbeschwerten Rückblick auf eine Zeit, an die mancher nicht gern erinnert werden möchte.
Reinhardt Schuster vor seiner „T-Raumstation“ in ...
Reinhardt Schuster vor seiner „T-Raumstation“ in Dinkelsbühl. Foto: Konrad Klein
Reinhardt Schuster musste sich mit der Wende nicht künstlerisch häuten, und er erlag im Westen keinen Augenblick lang der Versuchung, sich modisch anzupassen. Er ist erkennbar, und so finden wir in seinen Bildern immer noch die bekannten Elemente und Formen, mit denen er die Welt darzustellen vermag.

Es ist jedoch auch keineswegs so, als würde der gesellschaftliche Aspekt in Reinhardt Schusters künstlerischem Werk nicht vorkommen. Titel wie „Schwarzes Kartenspiel mit rotem Zepter“, „Babylonisch“, „Der Satrapp“ oder „Die Trompeten von B.“ erschließen sich dem Betrachter mühelos. Freilich verbinden sich mit dem aufgegriffenen Thema kein mitreißender Protest und keine aufwühlende Ereignisschilderung. Es geht Reinhardt Schuster in erster Linie immer um das Bild an sich, darum, wie alles kompositorisch zusammenwirkt, Spannung erzeugt und wieder ausgleicht. Schuster verwendet dabei mit Vorliebe neutrale Motive. Er stellt Archiktekturelemente, Scheiben, Würfel und Spiralen groß in den Vordergrund, streut Schriftzeichen in die Bildfläche und fügt Vegetatives hinzu. Er erzählt nicht, stellt nicht Ereignisse nach – er formt, was er außen und innen wahrnimmt, und gibt es als erfahrene Wahrheit weiter. Seine Bilder setzen ein Kunstverständnis voraus, das die eigene Auslegung nicht scheut oder auch ohne eine solche auskommt. So gesehen, wäre es für den Künstler Reinhardt Schuster ohne Belang, gesellschaftsbezogene Themen zu gestalten.

So frei ist der Künstler aber nicht. Er hat seine Zwänge und seinen Eigensinn, seine Religion und seine Sprache. Er bleibt unbeeindruckt vom wechselnden Geschmack des Tages und ist doch auf den Markt angewiesen. Nicht jede Kunst findet ihren Mäzen, und wer sponsert, fragt nach dem Rücklauf seines Einsatzes. Der Künstler hat einen Anspruch auf Individualität und ist doch seiner Zeit verpflichtet oder ausgeliefert. Sein größtes Problem ist er selbst. Er will den Erfolg, aber nicht um jeden Preis; er will gefallen, aber er malt was ihm liegt, er will verstanden werden, aber nicht erklären müssen. Seine Sprache ist das Bild. Es enthält seine Zugehörigkeit, seine Entwicklung und seinen Standort. Aber eigentlich geht es darum, dass Reinhardt Schusters Bilder weder einfach nur lesbar noch verschlüsselt sein wollen, sie wollen betrachtet werden. Ist das nicht das Eigentliche im Umgang mit der Kunst? Die eingebauten gesellschaftlichen und zeitnahen Bezugspunkte erleichtern zwar den Zugang zum Bild und sind keineswegs zufällig, aber auch sie sind vorrangig Komponenten von Werken, die sich keiner Botschaft unterordnen. Wenn aber das menschliche Schicksal aus Schusters Bildern spricht, so äußert sich darin der Ausdruck der südöstlichen Schicksalsgemeinschaft.

Ein Bild wie „Die Sachen packen“ muss den siebenbürgisch-sächsischen Landsleuten des Künstlers nicht erklärt werden. Die Redensart „auf dem Koffer sitzen“ ist ihnen sehr vertraut. Auch wenn mittlerweile die Habseligkeiten längst ausgepackt und verstaut sind, ist das Wissen darum, dass man weder hier noch dort ist und meint, keine Wahl zu haben, immer noch präsent. Zwar malt Schuster keine vordergründigen Emotionen, nicht das Leid, den Verlust oder das erlittene Unrecht, sondern es kommt ihm auf das künstlerische Werk an, darauf, dass Formen, Farben, Format und Fläche stimmen, ein Ganzes ergeben. Dass es aber gerade Koffer sind, die er ins Bild bringt, findet seinen konkreten Hintergrund zweifellos im miterlebten und selbsterlebten „Koffer-Zustand“. Diese Zeit zwischen Abschied und Ankunft ist es, die er zur Gestaltung bringt. Philosophisches über Unrast, Unbeständigkeit und Unbehaustsein drängt sich auf und wird zugleich von der Realität des Banalen in der Waage gehalten, das zum „Koffer packen" gehört und das am Fuße der Karpaten nicht anders ist als irgendwo anders auf der Erde.

Reinhardt Schusters siebenbürgisch-sächsische Heimatliebe an sich ist in seiner Kunst weitgehend ausgespart. Es findet sich keine Dialektik darin, nichts das lyrisch anrührt. Was aber sagt das schon? Nicht jeder, der keine Tracht anlegt, muss sie deshalb ablehnen, und nicht jeder, der „Kletterblumen“ und keine Kirchenburgen malt, hat deshalb seine Herkunft vergessen. In der Kunst ist die Treue ohnehin kein Kriterium. „Wanderungen“ nennt Reinhardt Schuster seinen Entwurf zu einem Monumentalgemälde. Bunte Pfeilbänder, beschriftet und doch ohne konkreten Hinweis, durchziehen die Bildfläche, ändern die Richtung, kreuzen sich unterwegs, wenden, fließen zusammen, treiben, versickern, andere drängen nach. Auch hier gibt es keine Auskunft zum Start und zum Ziel, sondern nur zu dem was dazwischen liegt: Die Bewegung, die Wanderung, der Drang. Schusters Darstellung ist von Verhärtungen nicht frei, aber sie verdüstert nicht den Wanderungsdrang, der historisch selbst eine lange Tradition hat. Mit den Völkern wanderten auch immer die Kulturen und die Traditionen, und sie können auf Zeit mehr bewirken als Waffen.
Reinhardt Schuster: Siebenbürgische T ...
Reinhardt Schuster: Siebenbürgische T-Raumstation, 180 x 265 cm, Montage, Stand: Pfingsten 2007. Foto: Petra Reiner
Vor wenigen Monaten erst ist Reinhardt Schuster siebzig geworden, und das ist ein Punkt, der den ganzen Künstler zeigt, auch wenn sein Lebenswerk noch nicht als abgeschlossen gelten kann. Dies zeigt auch die „Siebenbürgische T-Raumstation“ aus seiner Ausstellung. Schuster selbst charakterisiert sein gesamtes Werk als „Gefundenes und Erfundenes“, und seine „T-Raumstation“ macht es leicht, zu verstehen, was er damit meint. Es ist zunächst ein Sammelsurium zufällig aufgelesener Teilchen und Splitter undefinierbarer Herkunft, ein Gewirr von Rädchen, Spangen, Klammern, Kanten, Scheiben und Röhren – ein Haufen Schrott, unbrauchbar gewordene Konstruktionsteile, wertloses Zeug. Jedes hat aber seine funktionale Vergangenheit – es sind Sinnteilchen einer abgelebten Existenz, Elementarreste von gestern. Gedanken über die Schnelllebigkeit unserer Zeit drängen sich beim Betrachten auf, Überlegungen zu dem allgemeinen Werteverfall und zu der Materialvergeudung. Eine gute Portion Philosophie mag dazu gehören, ein wenig Wehmut auch oder – je nachdem – ein verklemmter Fortschrittsglaube.

In Reinhardt Schusters Bildwelt gehört der Schrott zu den bevorzugten Gestaltungselementen. Er steht für Starrsinn und Beschränktheit, nicht zuletzt für eine bedrohliche Funktionalität der Gewalt, und so findet er bei Schuster ebenso in der Versinnbildlichung eines uns nicht unbekannten Diktators Verwendung wie in den namenlosen Porträtköpfen von Zeitgenossen, die uns täglich begegnen und den Eindruck von Störungen unter der Gehirnschale hinterlassen. Schrott wird hier als sozialkritische Komponente eingesetzt, wobei der erhobene Zeigefinger vermieden wird. Der Künstler will nicht Besserwisser und Moralprediger sein – er reflektiert die Welt, in der er lebt, die er als seine annimmt ohne Veränderungsambitionen, aber auch ohne zu verharmlosen.

Die „Siebenbürgische T-Raumstation“ zeigt auch, wie der Künstler Reinhardt Schuster zu überraschen, in der Lage ist. Der Griff ins Räumliche muss, allgemein betrachtet, für den konsequent zweidimensional gestaltenden Maler und Grafiker eher als unwahrscheinlich gelten. Indessen ist es nicht erstmalig, dass Schuster gefundene Objekte körperlich einsetzt. Ähnliche Vorgänge sind in einer von ihm gestalteten Tordurchfahrt zu finden, wo vorhandene plastische Gegenstände in die Komposition eingearbeitet worden sind als akzeptierte Zufälligkeiten mit realitätsverstärkender Wirkung. Dennoch bleibt die „T-Raumstation“ ein künstlerisches Wagnis, das der heute Siebzigjährige freilich nicht sich selbst überlässt. In neue funktionale Zusammenhänge gebracht, entsteht aus dem Gefundenen das Erfundene, halb im Spiel vielleicht, aber wer wollte dem Spiel seinen Sinn aberkennen. In der „T-Raumstation“ ist die unbekümmerte äußere Heiterkeit mit dem Nachdenklichen verbunden, und sie enthält sogar ein Quäntchen regionalen Patriotismus. Wie sollten uns hier nicht der Kaiserliche Geschützmeister Conrad Haas des 16. Jahrhunderts und der von Wernher von Braun als Lehrmeister verehrte Professor Hermann Oberth in den Sinn kommen? Es will gewiss nicht ein Denkmal sein, was Schuster hier zeigt, aber den Gedanken zur „T-Raumstation“ hätte es ohne das historische und zeitnahe Vorspiel der beiden Raumfahrtpioniere aus Siebenbürgen nicht gegeben. Das vorangestellte große T im Titel der Arbeit will verdeutlichen, wie Traum und Tat miteinander verbunden sind, wie berechtigt und notwendig die Träume sind, dass wir sie brauchen und nicht vorschnell dem vordergründig Machbaren opfern sollten. Auch dieser Gedanke darf als siebenbürgisch gelten, denn das Land im Karpatenbogen ist nicht nur eine Erinnerung – es ist eine Tatsache ohne Wirklichkeit, im Raum bewahrte Geschichte. Erstmalig ausgestellt war das Werk vor wenigen Wochen in Andernach am Rhein, wo es die Kunstfreunde ohne den siebenbürgischen Hintergrund für sich zu entschlüsseln hatten.

Mit siebzig spätestens erfährt man, wie kurz das menschliche Maß ist, und dass doch in allem dein Teil dabei ist. Es ist jedermanns Sache, seines zu finden und auszugestalten. Reinhardt Schuster zeigt uns seine individuelle Synthese von Lebensweisheit und einer Standortbestimmung zwischen Brenndorf, Bukarest und dem Rheinland. Nur alles zusammen ist die Wahrheit über den Menschen und den Künstler Reinhardt Schuster. Und diese Wahrheit ist gut. Ich als Banater Schwabe, der Siebenbürgen sehr gut kennt, und mit vielen Sachsen, die ich zu schätzen weiß, befreundet bin, sage heute, dass der Brenndorfer Reinhardt Schuster zu den mit Siebenbürgen am tiefsten verwurzelten Menschen, die mir bekannt sind, gehört.

Franz Heinz

Schlagwörter: Heimattag, Oberth, Künstler, Ausstellung, Brenndorf, Reinhardt Schuster

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