17. Oktober 2007

Erich Bergel posthum in Rumänien geehrt

Die 41. Internationalen Festspiele des Klausenburger Musikalischen Herbstes, deren Beginn auf die erste Hälfte des Monates September fiel, standen im Zeichen der Erinnerung an den 1998 verstorbenen Dirigenten und Musikwissenschaftler Erich Bergel. Der 1930 in Rosenau bei Kronstadt in Siebenbürgen geborene, bis 1997 weltweit tätige Dirigent großer Orchester, ehemals langjähriger Leiter des Bayreuther Internationalen Jugendfestivals und Inhaber des Lehrstuhls für Orchestererziehung und -leitung an der Berliner Hochschule der Künste erwarb sich vor allem um die Bach-Forschung bleibende Verdienste.
Erich Bergels Analyse der „Kunst der Fuge“ – Johann Sebastian Bachs die europäische Musik krönendes Alterswerk – und die Entdeckung der Bipolarität als deren Grundlage, in zwei Büchern niedergelegt, sichern ihm in der Musikwissenschaft einen herausragenden Platz.

Für die Konzertpraxis von außerordentlichem Wert sind jedoch die von Erich Bergel vorgenommene Orchestrierung der Bach’schen Komposition und deren als unerreicht geltende Fertigstellung, die Herbert von Karajan „eine epochale Leistung“ nannte. Sie waren es denn auch, mit denen der Direktor und Chefdirigent der Bukarester Philharmonie, der aus Kronstadt stammende Cristian Mandeal, die Klausenburger Festspiele am 3. September. d.J. eröffnete und damit, wie die gesamte Fachpresse Rumäniens feststellte, einen Höhepunkt markierte.

Erich Bergel (1930-1998), nach Jahren der Haft ...
Erich Bergel (1930-1998), nach Jahren der Haft und der beruflichen Zurücksetzung beginnend mit dem Jahr 1966 dank eines spektakulären Vorfalls wieder Chefdirigent der Staatlichen Philharmonie von Klausenburg; das Bild wurde kurz nach seiner Wiedereinsetzung in seine Stellung an der Spitze des Orchesters gemacht.
In einem ausführlichen, über vier ganze Zeitungsseiten ausgebreiteten Interview spricht Mandeal in der im Auftrag der „Academia Cațavencu“, Bukarest, von Horia-Roman Patapievici herausgegebenen Zeitschrift „Idei in dialog“ über Erich Bergel und dessen Lebensleistung („Arta fugii, ‚un prilej unic de a ne regăsi’. Maestrul Cristian Mandeal despre Bach și Erich Bergel“./ „Die Kunst der Fuge, ‚eine einzigartige Gelegenheit der Selbstfindung’. Meister Cristian Mandeal über Bach und Erich Bergel“, Nr.9/36, September 2007, Seite 11-14).

Rechtzeitig zum Beginn der Festspiele war auch die zweite Auflage des im Klausenburger Risoprint-Verlag veröffentlichten Buches „Meine Erinnerungen an Erich Bergel“ des ehemaligen Konservatoriumprofessors und Solotrompeters der Klausenburger Philharmonie Gheorghe Mușat erschienen, für das der Bruder, der Schriftsteller Hans Bergel, das Vorwort schrieb (Gheorghe Mușat: „Amintirile mele despre Erich Bergel“, Risoprint, Cluj, ediția a II-a, 2007). In seinen Interviewantworten erläutert Mandeal, der seine Aussagen mit der Anmerkung beginnt „Für mich war Erich Bergel das Vorbild“, die Umstände, unter denen er in den Besitz des handschriftlichen Notenmaterials der „Kunst der Fuge“-Orchestrierung kam. Er bezieht sich dabei auf eine Stelle im Buch „Erich Bergel. Ein Musikerleben. Persönliche Notizen zur Biographie“ von Hans Bergel, das 2006 im Gehann-Musik-Verlag erschien (ISBN 3-927293-29-6), an der Hans Bergel den bereits todkranken Bruder zitiert: „Würde ich all dies (Notenmaterial) einem Orchester, einem Dirigenten oder Musikwissenschaftler in dem Land überlassen, aus dem Bach stammte, es würde bei der mediokren und besserwisserischen Rezeptionsfähigkeit hierzulande in einer Schublade vergammeln (...) Bring die Noten zu Cristian Mandeal.“ (Seite 98.)

In den sechzehn Zeitungsspalten des Interviews, das in Rumänien über die Fachkreise hinaus Aufsehen erregte, spricht der auch international angesehene Mandeal – Rumäniens derzeit herausragender Dirigent – mit sachlicher Eloquenz über Erich Bergels jahrzehntelange Forschungsarbeit an der „Kunst der Fuge“ und in langen Passagen über den Menschen Erich Bergel – nicht zuletzt über dessen Lage und Position im kommunistischen Land: „Erich Bergel unterschied sich von allem, was ihn umgab, um Lichtjahre. Der Unterschied zwischen ihm und jedem anderen Dirigenten in Rumänien war der Unterschied zwischen Himmel und Erde (...) Die Technik des Dirigierens eignete ich mir unter seinem Einfluss an, weniger unter dem von Karajans, danach unter dem Celibidaches.“ Über Bergels Orchestrierung der „Kunst der Fuge“: „Er hauchte ihr Leben ein! Zur Erklärung: Es glückte ihm dank der Respektierung des Bach’schen Instrumentariums eine stilistisch korrekte Leistung, andererseits weitete er das Ausdruckspotenzial durch die Umsetzung in die orchestrale Fassung aus (...) Er bediente sich der barocken Elemente, jedoch in einer Weise, die dem modernen Konzertsaal Rechnung trägt, in einem viel angemesseneren Maße, als es vorher jemals geschah. Er vertraute Bachs abstrakten Text lebendigen Instrumenten an, so dass die Komposition eine emotionale Wucht erhält, deren Reichtum vorher kaum jemand ahnte.“ Zur allgemeinen Situation der europäischen Kultur: „Grundlegend änderte sich der Mensch seit Neanderthal nicht (...) Wir bereicherten uns durch Kenntnisse, durch viele, viele Kenntnisse, doch ich weiß nicht, ob wir nicht gleichzeitig das Wesentliche verloren, so wie es sich hier bei Bach-Bergel äußert.“ Schließlich fasst Cristian Mandeal zusammen: „Bergel war zuallererst Kraft (...) Er ist nicht einmalig durch das Verfahren, sondern durch das Ergebnis (...) Mein großer Schmerz liegt darin, dass er zu früh starb (...) Es ist gut, dass wir seiner und des Erbes gedenken, das er uns, und, ich sage: auch der Menschheit hinterließ (...) Wir haben es mit dem Werk eines Deutschen aus diesem Land zu tun...“ Während die Zeitschrift „Viața Muzicală“ (Nr. 3/7, 2007) festhält: „Im Rückblick trägt Erich Bergels Existenz den Stempel des Tragischen“, listet die führende Klausenburger Tageszeitung „Făclia“ (5.09.2007) in einer längeren Ausführung von Mihaela Bocu sämtliche Einspielungen Bergels auf, die als CD dem Erinnerungsbuch von Mușat beigegeben sind. Schon im Jahr 2006 hatte der Komponist Cornel Țăranu, Akademiemitglied, in einem – 2007 neu aufgelegten – Vortrag über Erich Bergel „Ein Musiker, der durch den GULag ging“ ("Școala memoriei 2006“, S. 71 ff., Fundația Academia Civică 2006; Romulus Rusan), in einer profunden Darlegung über Erich Bergel referiert.

Die Summe dieser und einer Reihe weiterer öffentlicher Erinnerungen an Erich Bergel in dessen Geburtsland – aktualisiert durch das Klausenburger Eröffnungskonzert – belegt die große Achtung, die der bedeutende Musiker dort posthum genießt. Die Aufführung der „Kunst der Fuge“ Bachs in seiner Anordnung, Orchestrierung und Fertigstellung am 3. September in Klausenburg, vier Tage später in der Schwarzen Kirche in Kronstadt und am 9. September in Bukarest – mit landesweit in Funk und Fernsehen ausgestrahlten Kommentaren Cristian Mandeals – war zweifellos der Höhepunkt in ihrer Reihe.

A.E.

Hans Bergel: „Erich Bergel. Ein Musikerleben. Persönliche Notizen zur Biographie“, Band IX, „Musikwissenschaftliche Studien“, Gehann-Musik-Verlag, D-55481-Kludenbach, Lamperter Flur 2, 2006. Mit zahlreichen Abbildungen

Gheorghe Mușat: “Amintirile mele despre Erich Bergel" (ediția a II-a); Editura Risoprint, RO-400275 Cluj-Napoca, Str. Horea 82, 2006/07, 258 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen.
Erich Bergel : ein Musikerlebe
Hans Bergel
Erich Bergel : ein Musikerleben : perso?nliche Notizen zur Biographie

Kludenbach : Gehann-Musik-Verlag, ©2006
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Schlagwörter: Bergel, Musiker, Musikgeschichte

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