4. November 2007

„Innenwelt. Inner World“ - der neue Fotoband von Beatrice Minda

Ein faltenfrei gemachtes Bett, darüber hängt eine Bibelszene. Davor ein runder altmodischer Tisch mit Lehnstühlen. An der Wand links davon zwei Frauen im Bild – Mutter mit Kopftuch und Tochter, darunter eine Polsterbank, ein Perserteppich – die Möbel leicht verblichen. „Tomnatic 2004“ steht anstelle eines Bildtitels.
Aber was diesem so ordentlich scheinenden Zimmer aus dem Banater Triebswetter Leben verleiht, ist fast beiläufig links oben im Bild zu erkennen: eine wahre Lichtexplosion strömt aus dem Fenster, das nicht viel größer als der Bilderrahmen darunter ist. Das Licht überstrahlt den Vorhang derartig, dass er nur in seinen Umrissen zu erkennen ist, und haucht diesem vor kurzem oder vielleicht schon vor langer Zeit verlassenen Inventar erst Leben ein.
Beatrice Minda: Tomnatic 2004 ...
Beatrice Minda: Tomnatic 2004
So funktionieren (vielleicht) einige der Bilder von Beatrice Minda, die jetzt bei Hatje Cantz im Bildband „Innenwelt. Inner World“ gedruckt wurden. In Berlin wurden kürzlich einige davon in einer Miniausstellung („Mini“ weil im Miniformat) gezeigt. Bis Mitte Oktober sind sie aber in Luxemburg in voller Größe und danach in München (Fotomuseum im Stadtmuseum, vom 8. November 2007 bis 6. Januar 2008) und Stuttgart (vhs-photogalerie, vom 29. April bis 29. Juni 2008) zu sehen.

Die 1968 in München geborene Fotografin hat in München, Münster, Paris und Berlin studiert und lebt heute in der Bundeshauptstadt. Ihre Eltern kommen aus Temeswar, wo sie selber in ihrer Kindheit einige Zeit bei den Großeltern verbracht hat. Mit diesem Projekt wollte sie etwas gegen das Vergessen tun und der Welt ihrer Kindheit nachspüren, so Minda. Deshalb fotografierte sie zwischen 2003 und 2006 in Rumänien aber auch in Deutschland und Frankreich Zimmer von Rumänen bzw. im Exil lebenden Rumänen sowie Arbeitsmigranten, befragte diese auch dazu und veröffentlichte Auszüge aus den Interviews. Mit diesen menschenleeren Interieurs wollte sie Bildräume schaffen, in die man sich hineinprojizieren kann.

Das Buch ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Der erste vereint Fotos aus Rumänien, aufgeräumte und dadurch fast museal wirkende Zimmer. Meist dominiert das helle Fenster das Bild. Es sind vor allem Wohnzimmer mit älteren Möbeln, Teppichen, Heiligenbildern, hochaufgetürmten Kissen oder von Büchern überbordenden Glasvitrinen. Diese Zimmer laden einen nicht wie ein Katalogfoto zum Sitzen ein, sondern allenfalls zum „Verlegen-sich-darinnen-aufhalten“ damit aber zum Nachspinnen der Lebensgeschichte und des Schicksals der Wohnungseigentümer.

Im zweiten Teil widmet sich Beatrice Minda fragmentarisch den Innenräumen von im Exil lebenden Rumänen und fotografiert manchmal nur eine Wand mit zwei verloren wirkenden bemalten Tellern, eine Ikone neben einem Bett oder die Nachttischlampe, ein Erinnerungsstück. Hier kommt die Erinnerung – der Bruch mit der Heimat - im exotischen Detail zum Ausdruck.

Am „lebendigsten“, weil vielleicht am unordentlichsten scheinen die Bilder aus dem dritten Teil. Es sind die improvisierten Behausungen der Arbeitsmingranten in Frankreich, in denen das ungemachte Bett, der Topf auf dem Herd hinter dem Disney-Poster auf Menschennähe schließen lassen und die aufgetürmten Wäscheberge nebst Souvenirs aus aller Welt, einem bunten Sessel mit noch bunterer Auflage nicht einer gewissen Komik entbehren. Ansonsten wirken die Fotos eher melancholisch und stimmen nachdenklich.

In seinem schönen einführenden Essay „Die Botschaft des Zimmers“ spricht der aus dem Banat stammende Wahl-Berliner Autor Richard Wagner über die Zimmer der Erinnerung als Orte, die Spiegel der Wünsche ihrer Bewohner sind, was diese überflüssig macht. Es seien Zimmer, die uns Zeichen geben und uns auffordern, ihre Geschichte zu ergründen. Es seien Orte des Festhaltens, abgezirkelte Räume der Identität. Zimmer, mit denen man die Realität korrigieren konnte, weil der Kommunismus draußen vor der Tür geblieben ist. Die Exilzimmer hingegen macht Wagner als Anker gegen die Verunsicherung aus. Der Essayist, der sich eingehend mit Mindas Bilderwelt befasst hat, untermauert diese mit dem geopolitischen und psychosozialen Kontext.

„Über das Verschwinden der Dinge“ heißt die Einführung von Ulrich Pohlmann. Er beschreibt Mindas fotografierte Wohnungen treffend als Psychogramme ihrer Bewohner, die durch das einfallende Licht atmosphärisch aufgeladen werden. Die Einführung und vor allem der Essay sowie die Auszüge aus den Interviews runden die Buchpräsentation ab. Mit diesem ihrem zweiten Band, nach dem klein angelegten „was bleibt“, ist Beatrice Minda ein wunderschönes Buch zum Durchblättern und zum Sinnieren gelungen.

Edith Ottschofski

Beatrice Minda, „Innenwelt. Inner World“. Fotografien aus Rumänien und aus dem Exil. Text von Ulrich Pohlmann, Essay von Richard Wagner, Deutsch/Englisch, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2007, 160 Seiten, 60 farbige Abbildungen, 27,4 x 25 cm, Leinen 39,80 Euro, ISBN 978-3-7757-1969-8.

Schlagwörter: Bildband, Fotografie, Banat

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