3. Februar 2008

Vergessenes Talent: Cristian Popescu

Was ist poetischer Realismus, mag man sich fragen, wenn man sich den Klappentext dieses kleinen Bändchens mit der durchsichtigen Schutzfolie liest. „Familie Popescu“ (edition per procura) heißt er, und ihr Autor Cristian Popescu „erfindet zwischen den Zeilen einer eigenwillig erzählten Familiengeschichte gleichsam die Poetik dieser Familie“. Der Autor gilt als einer der bedeutendsten rumänischen Dichter seiner Generation.
Der Band ist die erste Übersetzung dieses in Rumänien weitgehend vom großen Publikum unbekannten aber von Kritikern gepriesenen Schriftstellers, oder sollte man ihn doch lieber Dichter nennen? Cristian Popescu überrascht durch seine ungewöhnlichen Assoziationen. So spricht er vom „Rost auf den Lippen“ der Mutter, die das „Mondlicht im Zimmer verteilt“, vom „weißen Flieder in Biergläsern“. Da liegt die „Faulheit im Wattepaket“ oder aber sind es die Schmetterlinge. Bilder, Gerüche und Töne werden mit einem Federstrich vereint: Die Musik „riecht nach Lindenblüten und nach Schweiß“. Durch die Poesie schimmert aber meist eine latente Tragik durch, die den Leser umso mehr berührt: die Herzen sind weiß; aus ihrem Schatten näht die Mutter ihrem Sohn ein Sommerhemd.

„Ich werde euch ein bisschen mit meinem Schreiben berühren“, soll Cristian Popescu zu Lebzeiten gesagt haben. Der Dichter, Jahrgang 1959, litt seit seinem 18. Lebensjahr an Schizophrenie und verstarb aus noch umstrittener Ursache im Alter von nur 35 Jahren. Die Krankheit wurde aber behandelt, so dass er bis 1994 weitgehend frei von psychotischen Schüben lebte. Er arbeitete in dieser Zeit unter anderem für die Zeitschriften „Luceafărul“ und „Adevărul“.

Nun ist die Psychose eine schwere aber gewissermaßen auch poetische Krankheit. So beschreibt der Hypnotherapeut Georg Milzner in seinem Buch „Poesie der Psychosen“ das außergewöhnliche Erleben, in einer psychotischen Krise, „in dem sich plötzlich unerwartete Zusammenhänge einstellen und Assoziationen auftun“. Dieses Trance-Erleben sei ein guter Stoff für Literatur. Leider schafften es die meisten Kranken nicht, das Erleben auch künstlerisch auszugestalten.

Bei Cristian Popescu war das anders, so wie sein Freund und Weggefährte Daniel Bnulescu bestätigt, der übrigens auch Anreger für die nun vorliegende Übersetzung von Ernest Wichner war. Für ihn war das Schreiben zugleich eine Therapie, um die Krankheit zu bewältigen. Seine Trancen formt er poetisch um und das erstaunliche an diesem Bändchen ist, dass die poetischen Assoziationen nicht in Gedichtform sondern in Prosa daherkommen. Popescu beschreibt auch - autobiographisch angehaucht - die Geschichte (s)einer Familie. Da ist die Rede vom Vater, Vasile Popescu, der Leutnant war und in der Nacht vom 11. zum 12. November 1975 an einem Herzinfarkt gestorben ist. Seitdem kommt er jeden Morgen zu seinem Foto, das an der Wand hängt und legt seine Stirn an den Glanz des Bildes, blickt ins Leere, bis die Familie aufwacht und er lächeln muss. Auf diese Art verwebt Popescu das Deskriptive und Familiengeschichtliche mit einer ganz bezaubernden Bildersprache.

Die Familie Popescu wird als zechende Gesellschaft im Bierlokal einzeln porträtiert. In Ich-Form folgen die „Ratschläge der Mutter“, die in ihrem Inneren weiß „dass [ihr Sohn] letztlich mal ein großer Dichter werden [wird]“. Tröstend sagt sie im Buch aber auch „mach dir nichts draus, mein Söhnchen. So ist’s eben. Du bist nicht für diese Welt geschaffen.“ Hier tritt die Tragik mit einer herzlichen Leichtigkeit zutage.

Weiter im Text „knirscht das Bier in den Halben“, „es knirschen die Fotos in den Handgelenken“. Hier folgt die Übersetzung von Ernest Wichner sehr schön mit den Halben dem rumänischen „halbe“ und umgeht etwa den Bierkrug.

Der tote Vater erscheint nur im Angedenken „an jenen Schlund (adâncul), der ihn verschluckt wie einen Brotkern (miez de pâine) “ und als gestalterischer Ansporn „Los, Gedicht, beeindrucken wir Vater, dass ihm die Tränen kommen“

Die Schwester hantiert surreal mit süßsauren Glasaugen (ochi de sticlă dulci-acrișori). Der Großvater füllt Kissen mit Erde und vereint somit Leichtigkeit mit Schwere, „damit er sich daran gewöhne“, er sucht nach dem „Sinn des Lebens, [nach] einem Namen und [nach] einem Haus.“ Dies gelte als Kostprobe durch diese Prosa der poetischen Gegensätze, ein ausgedehnter Streifzug durch diesen phantastisch anmutenden Realismus lohnt sich allemal.

Popescu wechselt zudem die Diskurse und baut beispielsweise ein „Sterbe-Jubiläums-Zertifikat“ in behördlich hölzerner Sprache ein. Doch wohlgemerkt: das Datum der Geburt stimmt mit dem Ausstellungsdatum überein. Und auch sonst ist die Zahlenwelt nicht vertrauenswürdig, denn der Vater, der laut Zertifikat am 15. Januar 1850 - wie Mihai Eminescu – geboren und 59 Jahre gelebt haben soll, stirbt erst 1975 und wäre somit 125 Jahre alt geworden.

Der zweisprachige Band, erschienen in Wien und Lana (Südtirol) in der Serie abrasch als Nr. 8 ist auch ein „europäisches“ Projekt. Es handelt sich um eine Sammlung für Poesie als Übersetzung, herausgegeben von Alma Vallazza. So müssen sich die Übertragungen am Original messen lassen, die vorliegende kann es.

Das Buch vereint neben der „Familie Popescu“ auch einen Text, den der Autor in der Todesnacht geschrieben und abgetippt hatte (Der Schrei), sowie einen Brief an die Herausgeberin statt eines Nachworts von Daniel Bănulescu – letzterer in der Übersetzung von Aranca Munteanu. Darin beschreibt der spätere Herausgeber eindringlich, wie er einen Ausbruch der Psychose bei seinem Freund miterlebt hat.

„Familie Popescu“ erschien in Rumänien bereits 1987, also in tiefer Ceaușescu-Zeit, als Beilage zur Zeitschrift „Convingeri comuniste“, der Text wurde nachher zensiert und nochmals 1988 herausgebracht. Nach 1989 mit dem Presseboom, so Bănulescu, wurden die Chancen, dass der Autor auch vom großen Publikum wahrgenommen würde, immer geringer. Zurzeit wird sein Nachlass in einem rumänischen Verlag durchgesehen.

Doch wenn man dem Klappentext folgt gilt Popescu „heute als der bedeutendste Dichter seiner Generation“, und so ist vielleicht doch noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Edith Ottschofski

Cristian Popescu, Familie Popescu, abrasch 8, Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner, Hrsg. und mit einem Nachwort von Daniel Bănulescu, edition per procura, Wien – Lana, 2006, 12 Euro, ISBN: 3-901118-54-3.
Cristian Popescu
Die Familie Popescu (abrasch)

Edition per procura
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Schlagwörter: Rezension, Dichter

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