17. Februar 2008

Katharina Zipser: Blicke in eine fremde Wirklichkeit

Das Siebenbürgische Museum Gundelsheim zeigt bis zum 30. März 2008 Arbeiten der bekannten siebenbürgische Malerin Katharina Zipser. Jenseits aller Stil-Schubladen und Moden hat sich die seit 1970 in München lebende Malerin Katharina Zipser konsequent einen Weg außerhalb der Diskussion um gegenständliche oder ungegenständliche Malerei erarbeitet. Die Ausstellung zeigt Bilder aus den 1980er und 90er Jahren, in denen die Bindung an den Gegenstand als Inhalt meist wegfällt, während sich Gestalten und Formen, aber auch Sinngebungen unterschiedlicher Herkunft und Aussage zu vieldeutig anmutenden, mit großer suggestiver Kraft befrachteten Bildern zusammenfügen.
Als die junge Katharina Zipser im parteitotalitären Rumänien der späten 1950er Jahre zu malen beginnt, gibt es für die Künstler ihrer Ge­neration kaum reale Möglichkeiten, eigene Wege zu gehen. Sämtliche Ziele der Kunst sind dem identitätszerstörenden Dogma des sogenannten „sozialistischen Realismus“ unterstellt, die staat­lich verordnete Ideologie sorgt dafür, dass die Geistesneigungen aller Kunstschaffenden möglichst früh gleichgeschaltet werden.

Weil Nicht-Mitmarschieren in einem System der allgemeinen Regulierung kaum denkbar ist, entscheidet sich die frischgebackene Absolventin zweier Kunstakademien für die einzige Möglich­keit, ihrem Beruf in einer bestimmten Öffentlich­keit anders als im Schatten der offiziellen Pro­paganda nachzugehen. Als Kirchen- und Iko­nenmalerin in Dorfkirchen der südrumänischen Bărăgan-Ebene lässt sich die protestantische Deutsche aus angesehenem bürgerlichem Hause mit der vollkommen neuen Formenwelt der or­thodoxen, dem byzantinischen Vorbild nachemp­fundenen, Heiligendarstellung konfrontieren. Mit der grauen Banalität des Alltags hat die Gedankenwelt dieser sakralen Bilder jedenfalls nichts gemein. Zwar geht es auch hier um Vor­gegebenes, doch paradoxerweise ist diese nach altverwurzelten ikonographischen Regeln zu gestaltende Realität trotz alledem eine Art „Über-Realität“, in der sogar manche figurative Position sich bei genauerer Betrachtung als kon­zeptueller Auftakt entpuppen dürfte. In dieser weltentrückten Kunst keimen womöglich Ansät­ze einiger der späteren Determinanten der Bil­der von Katharina Zipser, wie der Hang zur Monumentalität – auch im Kleinformat – oder die Abneigung gegen das konventionelle Instru­mentarium der Perspektive.
Katharina Zipser: Kappadochia, 1989, Eitempera ...
Katharina Zipser: Kappadochia, 1989, Eitempera auf Karton, 120x150 cm. Foto: Frank Stürmer
Es mag aus der Sicht der aktuellen Etappen ihrer Kunst vielleicht zweitrangig sein, zu erkun­den, ob und inwieweit die frühe Erfahrung der Kirchenmalerei eine besondere Rolle für die weitere Entwicklung Katharina Zipsers gespielt hat. Jedenfalls geben ihr diese Jahre die Mög­lichkeit, die sicherlich traurigste Phase der mo­dernen Kunstentwicklung in Rumänien ziemlich unbeschädigt zu überbrücken.

Ab Mitte der 1960er Jahre kommt es zu einer kurzen, aber spürbaren Lockerung des kulturideologischen Despotismus in Rumänien, wovon natürlich vor allem die Künste profitieren. Für wenige Jahre darf die seit Jahrzehnten kulturell abgekapselte Intelligenz des Landes durch ein halbgeöffnetes Fenster einen Blick nach „draußen“ werfen. Im Zeitraffer gilt es jetzt zum Teil längst formulierte Erkenntnisse der Klassischen Moderne wieder aufzubereiten, vor allem, natür­lich, diejenigen, die sich von der Realistik am stärksten distanzieren. Möglicherweise nimmt Katharina Zipser etwas von dieser tief poetischen, eher von der pittura metafisica als vom schlagkräftigeren Phantasieren der französischen Surrealisten beeinflussten Atmosphäre mit, als sie in der Zeit nach 1970 (das Jahr ihrer Auswanderung nach Deutschland) den nächsten Schritt zur kreativen Selbständigkeit macht. Er führt in eine Phase, für die man oft ziemlich voreilig den Begriff „surrealistisch“ in den Mund nimmt. Tatsächlich sind die Bilder dieser Jahre, die die Künstlerin selbst einmal als „gefriergetrocknete Präparate“ bezeichnete, der Versuch einer Antwort auf ein grundsätzliches Problem: Wie lässt sich das Gegenständliche im Bild darstellen, ohne in der realistischen Kunst stecken zu bleiben und ohne sich auf die informelle Mal­weise einzulassen? Die ästhetische Konzeption dieser Bilder beruht auf dem starken Kontrast zwischen den klaren Umrissen der meist penibel genau dargestellten menschlichen Figuren und einem Raum ohne Tiefe, ohne Dimensionen, außerhalb der messbaren Zeit. Dennoch: Keine „Systematisierung der Konfusion“ (Dáli), kein Automatismus des Unbewussten und auch keine weiteren, als typisch zu bezeichnenden Merkmale lassen eine Definierung dieser Bilder als surrealistisch zu.
Katharina Zipser: Vermummte (Abschied), 1984, ...
Katharina Zipser: Vermummte (Abschied), 1984, Dispersion auf Leinwand (Privatbesitz). Foto: fotostudio m42
Wir wollen hier nicht näher auf diese Schaf­fensetappe eingehen, die man angesichts der weiteren Entwicklung vielleicht besser als Zwi­schenphase bezeichnen sollte. Im Einvernehmen mit der Malerin haben wir darauf verzichtet, sie zu zeigen. Ein einziges Werk aus dem Jahr 1978 – „Der Garten der Hystrix“ – schafft die Verbin­dung zu der Zeit danach, es weist den gleichen Abstand zu den früheren und den jetzt in Gun­delsheim ausgestellten Bildern auf.

Kurz nach 1980 beginnt Katharina Zipser, sich von dem Bedeutungsballast des sachlich Defi­nierbaren zu distanzieren, beginnt, die bloße Objektexistenz der Gegenstände in Frage zu stel­len. Sie sucht und findet einen Parallelweg zur Realität, Abstand haltend sowohl von Abstrakt und Informell als auch von der Illusionistik surrealistischer Spätvarianten. Auf Werken aus den letzten zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhun­derts liegt auch das Schwergewicht der Gundels­heimer Ausstellung. Wobei hier keineswegs von einer geschlossenen Schaffensperiode im engeren Sinne die Rede sein kann, zumal in diesen Werken oft mehrere Richtungen aufeinander treffen und sich zum Teil verbinden. Dennoch lässt sich in den meisten Bildern dieser Zeit eine prägende Echowirkung eines romantischen Empfindens als eine Art bindendes Glied vernehmen. Es bewahrheitet sich an vielen Beispie­len, dass sich in der Bilderwelt Katharina Zipsers die gewählten Formulierungen zu einer eigenartigen ars combinatoria zusammenfinden, die uns unweigerlich an die Offenheit, ja Vieldeutigkeit des bildnerischen Ausdrucks der Romantiker erinnert.

Für einen Großteil der ausgestellten Werke die­ser Jahre geht der logische künstlerische Schritt nicht mehr nur in Richtung eines einzelnen Mo­tivs, dem ein Bildkern oder eine bestimmte Emo­tionslage untergeordnet wird, sondern nimmt sich die Freiheit, mehrere Parallelzentren zu schaffen. Das beste Beispiel dafür ist das großformatige „Kappadochia“, ein Bild – wie so oft – mit autobiographischem Bezügen, in dem aber eine gewaltige Fülle von Inhalten den Zuschauer die Grenze zwischen Realität und Fiktion, zwischen Welt und Gegenwelt, unbekümmert überschreiten lassen. In Werken mit mythisch-orakelhaftem Hintergrund, wie „Ana­mur-Kybele“, „Jokaste träumt von Ödipus träumt von Jokas­te“(!), „Die stillende Sphinx“, „Der steinerne Gast“, aber auch in rätselhaften Landschaften, wie „Akrotiri“ oder „Taurus“ rührt die Spannung von der Mehrdeutigkeit des Dargestellten her, von der Unmöglichkeit, das Dargestellte präzise zu definieren. Es ist nun offenbar so, dass die Wahrheit dieser Bilder sich nicht aus der thematischen Interpretation erschließen lässt. An Stelle der Realität treten Metaphern und Teil-Realitäten, die es unmöglich machen, die Inhalte der Bilder durch die Hinterfragung des Erzähle­rischen auszulegen. Der Zauber des sich dadurch herausbildenden Rätsels besteht darin, dass alles „anders“ oder „neu“ aussieht, dass das Alltägliche, das Gewöhnliche, die Würde des Unbekannten erlangt. Hier verharrt Katharina Zipser auf gegenstands- und figurenbezogenen Motiven, die im Grunde nur Bausteine, Versatz­stücke für das Erschaffen von Phantasiewelten sind, die sich ohne thematische Erläuterung aus sich selbst erklären.
Katharina Zipser: Taurus, 1991, Eitempera auf ...
Katharina Zipser: Taurus, 1991, Eitempera auf Karton (Privatbesitz). Foto: fotostudio m42
In eine anscheinend „realitätsnähere“, bei ge­nauem Hinschauen jedoch mehr oder weniger skurrile, meist ironisch betrachtete Gegenwelt führen Bilder wie die Großkomposition der drei „Borise“ oder „Ein Serval für Schwester Hilde­gard“. Menschen gewordene Bild-Erfindungen werden in perspektivlose Räume projiziert, denen sie einverleibt werden wie Teile einer erfundenen, von (lebendigen?) Figuren bevölkerten Welt. Mit Witz und Ironie wird dabei die Parodie auf das „Porträtieren“ als Schöpfung eines vermeintlichen Doubles vertieft. Vor allem die „Boris“-Triade bietet eine Form der Fiktion, die ausgerechnet durch das Entmachten des Idealschönen mittels physiognomischer Entstel­lung erreicht wird.

In den letzten Jahren hat Katharina Zipser das Risiko auf sich genommen, die gegenständlichen Formen in ihren Bildern von ihrer un­missverständlichen inhaltlichen Bestimmung zu befreien, ihnen eine Existenz zu ermöglichen, in der die Polarität Abstrakt versus Gegenständlich plötzlich irrelevant erscheint. Ganz selbstverständlich nähert sich die Malerin in ihrer vorerst letzten Phase wie nie zuvor der Abstraktion. In der Serie der „Flügelflagel“ und der „Sterne“ bringt sie eine eigene, nie dagewesene Welt hervor, sie füllt das Bild mit Formen, die einen Ge­genstandscharakter bewahren und dennoch „ge­genstandslos“ sind. Diese Gegenstandserfin­dung als nur Fliehen von der „oberen“ Realität, als reines Streben nach kunstimmanenter „Au­tonomie“ darzustellen, führt an der Aussage der Bilder vorbei. Das Daseinsgefühl, das diese späten Werke trägt und das sie hervorrufen, ist beherrscht von der Faszination eines Raums, der abseits jeglicher perspektivischen Logik nur durch die Farbe (als Materie, nicht nur als Erscheinung einer bestimmten Wellenlänge des Lichts!) anschaulich wird und an Tiefe gewinnt, und in dem, von der Welt der Tatsachen und zweckverbindlichen Dinge gelöst, sich überirdische Geschöpfe auf natürliche Weise einleben.

Auf einer etwas anderen Ebene zeigt die Gun­delsheimer Ausstellung, dass zu den vielen Ge­sichtern Katharina Zipsers auch eines gehört, das durch die Dimension der Andersartigkeit besonders hervorsticht. Katharina Zipser zeichnet – nicht etwa in der Art und Weise, wie jeder Künstler auch zeichnet, sondern so, als konzentriere sich, wenn sie den Stift in die Hand nimmt, ihre ganze Kraft auf das vor ihr liegende Blatt, als ob sie nie etwas anderes gemacht hätte, als Zeichnen. Ihre Aktdarstellungen und die Porträts, die sie aus der Erinnerung mit ganz wenigen Strichen skizziert, sind keine Abbildun­gen. Es sind Gebilde, die zweckfrei und kausalitätslos existieren. Sie wachsen aus dem Blatt hinaus wie ein Destillat der wahrhaft existieren­den und inspirierenden Formen, so, als wäre die perfekt inszenierte Anatomie des Menschli­chen nur ein Ablenkungsmanöver, um uns letztendlich Konzepte vorzuzeigen.

Katharina Zipser gehört zu den Künstlern, die uns lehren, dass die Malerei ein „langsames“ Medium ist, das unsere Welt subtiler beschreiben, analysieren und mitteilen kann als vieles von dem, was die allmächtige Diktatur der Medien uns tagtäglich aufoktroyiert. An der Schnelllebigkeit unserer Zeit gemessen, steht diese Veranlagung für Tradition. An den Argu­menten einer Ästhetik der Sichtbarkeit gemessen, ist sie aber der Garant für ungebrochenes Erneuerungspotential. Auch über unsere Zeit hinaus.

Marius J. Tataru

Die Ausstellung im Siebenbürgischen Museum auf Schloss Horneck in Gundelsheim ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet (am 24., 25. und 31. Dezember sowie am 1. Januar 2008 geschlossen). Weitere Informationen unter Telefon: (0 62 69) 4 22 30 bzw. 9 06 21, E-Mail: info [ät] siebenbuergisches-museum.de.

Schlagwörter: Zipser, Siebenbürgisches Museum, Malerin

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