18. April 2008
Ein Buch für Besserwisser
Mit dem im Schiller-Verlag in Hermannstadt erschienenen „Eine Welt im Aufbruch – Die Siebenbürger Sachsen im Spätmittelalter“ legt Wilhelm Andreas Baumgärtner bereits sein zweites Buch zu der Geschichte der Siedler Siebenbürgens in kurzer Zeit vor. Erst im März vorigen Jahres kam „Der vergessene Weg“ in die Büchereien, in dem Baumgärtner die umstrittene These verteidigt, die deutschen Siedler von Rhein und Mosel hätten sich als Teil des ersten Bauernkreuzzugs gerade auf dem Weg ins Heilige Land befunden, als sie der Ruf König Geisas II erreichte, im heutigen Siebenbürgen zu siedeln.
Diesmal bewegt sich der gebürtige Hermannstädter Baumgärtner auf weniger konfliktträchtigem Terrain. Seine Grundfrage lautet: Wieso waren es unter allen Siedlergruppen gerade die Sachsen, die sich in Siebenbürgen durchsetzten konnten und bis heute Bestand haben? Zu beantworten sucht er diese Frage in drei Teilen. Zunächst, in der ersten Hälfte des Buches, mit einem diagnostischen Blick auf die Lebensweise und Verwaltungsstruktur der Siedlerschaft. Sodann mit ausführlichen Erläuterung zweier prägender Ereignisse der Zeit: zum einen des sogenannten Goldenen Freibriefs, ausgestellt von Andreas II. im Jahr 1224, in dem den deutschen Siedlern von Broos bis Draas Sonderrechte zugestanden wurden, die dazu beitrugen, die bis dahin disparaten Siedlergruppen zusammenzuschweißen, zum anderen des Einfalls der Mongolen von 1240/41.
An den Daten kann man schon erkennen, dass im Untertitel wohl nur aus ästhetischen Gründen auf das kleine Wörtchen „früh“ vor Spätmittelalter“ verzichtet wurde. Die Schilderung endet mit dem Jahr 1317.
Im ersten der drei Teile gibt Baumgärtner also eine detailreiche Beschreibung der Lebensumstände der Siedler, in der er oft eine gewisse Ehrfurcht vor ihrer Leistung angesichts der furchtbar widrigen Gegebenheiten nicht verbergen kann. Weder ihre Kleidung und Essgewohnheiten, noch die genaue Position der Heizöfen im Stubenraum lässt er dabei aus. Außerdem gibt es hier eine breit angelegte Verwaltungsgeschichte des Sachsenlandes für Leute, die es schon immer ganz genau wissen wollten. Zwar führt Baumgärtners Begeisterung für administrative Strukturen zu Absätzen wie: „Die Basis [der Flächenverwaltung, d. Verf.] war die Burggespanschaft. Deren Grenzen waren auch die Komitatsgrenzen, der Burgbesitzer (der König) bildete die Burggespanschaft. Ein Komitat konnte ohne Burggespannschaft nicht existieren, aber umgekehrt schon. Nur der Burggespan verfügte über ein Offizierskorps (Gespan, Hofgespan, Kastellan, Befehlshaber der Mannschaft), das auch für das Komitat zuständig war.“ Aber auch wenn sich diese Passagen manchmal etwas ziehen, so stecken Baumgärtners Beschreibungen doch voller wissenswerter Details. Oder wussten Sie zum Beispiel, dass der heute so urstämmig scheinende Mais erst im 17. Jahrhundert aus der Türkei importiert wurde?
Die zweite Hälfte des Buches dann hat zwei große Themen. Erst befasst sich Baumgärtner ausführlich mit der Bedeutung des Goldenen Freibriefs. Im mit Abstand längsten Kapitel geht er auf eine stellenweise faszinierende Spurensuche rund um das „Andreanum“, nach den wahren Gründen für seinen Erlass, der Identität der Antragsteller und der Tragweite der Konsequenzen. Hier jongliert er schwungvoll mit einer Vielzahl von historischen Quellen, die sich zu einem umfassenden Bild dessen zusammenfügen, was er „das geistige Rückgrat der sächsischen Nation“ nennt.
Im Anschluss geht Baumgärtner dann zur Diskussion des Mongoleneinfalls von 1240/1241 über. Die lange Schilderung von Vorgeschichte, Ablauf und Folgen desselben hat zwar nur noch stellenweise etwas mit Siebenbürgen zu tun und dreht sich vor allem um die Geschichte des ungarischen Königs Geisa IV. Dafür liest sie sich aber für den Interessierten fast so spannend wie ein Winnetou-Roman, und das trotz Baumgärtners weiterhin genauso ausschweifender wie knochentrockener historischer Quellenanalyse. Auffällig ist Baumgärtners Tendenz, immer wieder auf die Unsicherheit der Faktenlage hinzuweisen. Durch das ganze Buch ziehen sich die Hinweise, dass man zu dieser oder jener Frage „nur Mutmaßungen“ anstellen könne. Das ist selbstverständlich, da die Quellenlage im Mittelalter eben notorisch dünn ist.
Auf dem (übrigens sehr schönen) Buchdeckel wird zwar „eine Welt im Aufbruch“ beschworen, aber insbesondere in der zweiten Buchhälfte ist nur von einem brutalen Rückschritt nach dem nächsten die Rede. Und als wären die raue Gangart von Mutter Natur, Mongolenhorden und menschenfressenden Wölfen nicht genug, wird schon dräuend auf die nächste Katastrophe, die Türkenkriege, hingedeutet. Aber das stört natürlich bei der Lektüre dieses hochinformativen und sorgfältigen Buches nicht weiter. Wer sich an der Überfülle an Details und dem nicht immer packenden Stil nicht stört, für den ist Baumgärtners neues Buch eine Schatzkiste siebenbürgisch-sächsischer Geschichte.
An den Daten kann man schon erkennen, dass im Untertitel wohl nur aus ästhetischen Gründen auf das kleine Wörtchen „früh“ vor Spätmittelalter“ verzichtet wurde. Die Schilderung endet mit dem Jahr 1317.
Im ersten der drei Teile gibt Baumgärtner also eine detailreiche Beschreibung der Lebensumstände der Siedler, in der er oft eine gewisse Ehrfurcht vor ihrer Leistung angesichts der furchtbar widrigen Gegebenheiten nicht verbergen kann. Weder ihre Kleidung und Essgewohnheiten, noch die genaue Position der Heizöfen im Stubenraum lässt er dabei aus. Außerdem gibt es hier eine breit angelegte Verwaltungsgeschichte des Sachsenlandes für Leute, die es schon immer ganz genau wissen wollten. Zwar führt Baumgärtners Begeisterung für administrative Strukturen zu Absätzen wie: „Die Basis [der Flächenverwaltung, d. Verf.] war die Burggespanschaft. Deren Grenzen waren auch die Komitatsgrenzen, der Burgbesitzer (der König) bildete die Burggespanschaft. Ein Komitat konnte ohne Burggespannschaft nicht existieren, aber umgekehrt schon. Nur der Burggespan verfügte über ein Offizierskorps (Gespan, Hofgespan, Kastellan, Befehlshaber der Mannschaft), das auch für das Komitat zuständig war.“ Aber auch wenn sich diese Passagen manchmal etwas ziehen, so stecken Baumgärtners Beschreibungen doch voller wissenswerter Details. Oder wussten Sie zum Beispiel, dass der heute so urstämmig scheinende Mais erst im 17. Jahrhundert aus der Türkei importiert wurde?
Die zweite Hälfte des Buches dann hat zwei große Themen. Erst befasst sich Baumgärtner ausführlich mit der Bedeutung des Goldenen Freibriefs. Im mit Abstand längsten Kapitel geht er auf eine stellenweise faszinierende Spurensuche rund um das „Andreanum“, nach den wahren Gründen für seinen Erlass, der Identität der Antragsteller und der Tragweite der Konsequenzen. Hier jongliert er schwungvoll mit einer Vielzahl von historischen Quellen, die sich zu einem umfassenden Bild dessen zusammenfügen, was er „das geistige Rückgrat der sächsischen Nation“ nennt.
Im Anschluss geht Baumgärtner dann zur Diskussion des Mongoleneinfalls von 1240/1241 über. Die lange Schilderung von Vorgeschichte, Ablauf und Folgen desselben hat zwar nur noch stellenweise etwas mit Siebenbürgen zu tun und dreht sich vor allem um die Geschichte des ungarischen Königs Geisa IV. Dafür liest sie sich aber für den Interessierten fast so spannend wie ein Winnetou-Roman, und das trotz Baumgärtners weiterhin genauso ausschweifender wie knochentrockener historischer Quellenanalyse. Auffällig ist Baumgärtners Tendenz, immer wieder auf die Unsicherheit der Faktenlage hinzuweisen. Durch das ganze Buch ziehen sich die Hinweise, dass man zu dieser oder jener Frage „nur Mutmaßungen“ anstellen könne. Das ist selbstverständlich, da die Quellenlage im Mittelalter eben notorisch dünn ist.
Auf dem (übrigens sehr schönen) Buchdeckel wird zwar „eine Welt im Aufbruch“ beschworen, aber insbesondere in der zweiten Buchhälfte ist nur von einem brutalen Rückschritt nach dem nächsten die Rede. Und als wären die raue Gangart von Mutter Natur, Mongolenhorden und menschenfressenden Wölfen nicht genug, wird schon dräuend auf die nächste Katastrophe, die Türkenkriege, hingedeutet. Aber das stört natürlich bei der Lektüre dieses hochinformativen und sorgfältigen Buches nicht weiter. Wer sich an der Überfülle an Details und dem nicht immer packenden Stil nicht stört, für den ist Baumgärtners neues Buch eine Schatzkiste siebenbürgisch-sächsischer Geschichte.
Jakob Horstmann
Wilhelm Andreas Baumgärtner: „Eine Welt im Aufbruch. Die Siebenbürger Sachsen im Spätmittelalter“, Schiller Verlag, Hermannstadt, 2008, 252 Seiten, 10 Fotos, 14,00 Euro, ISBN 978-973-88536-6-9, zu bestellen in www.siebenbuerger.de/shop oder beim Verlag in Hermannstadt (Büchercafé Erasmus), Telefon: (00 40) 269-22 10 60.
Wilhelm A Baumgärtner
Eine Welt im Aufbruch: Die Siebenbürger Sachsen im Spätmittelalter
Schiller-Verlag / Editura Schiller
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Schlagwörter: Rezension, Geschichte
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