3. Mai 2008

Hermann Oberth: "Der wirkliche Vater der Weltraumfahrt"

„Hermann Oberth. Der wirkliche Vater der Weltraumfahrt“, soeben im renommierten Ingenieur­verlag VDI (Verein Deutscher Ingenieure) erschienen, ist die mittlerweile vierte Hermann-Oberth-Biografie von Dr. Hans Barth. „Noch eine? Was gibt es denn Neues?“, mag man sich fragen.
Die bislang letzte Oberth-Biografie von Hans Barth war 1991, also etwa zwei Jahre nach Oberths Tod, erschienen. Es hätte die letzte, künftighin maßgebliche sein sollen, jedenfalls nach Einschätzung der damaligen Rezensenten Heinz-Hermann Koelle und Harry O. Ruppe, beide ausgewiesene Raumfahrtwissenschafter und ehemalige Mitarbeiter Wernher von Brauns. Ein besseres Gütesiegel hätte die Biografie von 1991, die noch von Oberth persönlich durchgesehen und autorisiert worden war, kaum erhalten können. Auf diesem Standardwerk der Oberth-Literatur baut die neue Biografie auf und geht darüber hinaus.

Denn es konnten wichtige Quellen zur Rezeption von Oberths Arbeit in der Sowjetunion erstmals ausgewertet werden. Die Sowjets haben nicht nur Oberths Schriften gelesen, sondern, wie wir jetzt von Hans Barth erfahren, ihn bei seiner Tätigkeit in Berlin systematisch durch einen Agenten ausspioniert, der in der Zeit von 1929 bis 1931 insgesamt 32 Berichte an den militärischen Geheimdienst der Roten Armee schickte. Das trug in der Sowjet­union maßgeblich zu einer regen Entwicklungs­tätigkeit in Richtung der für die Raumfahrt geeigneten Flüssigkeitsraketen bei. Dieser unbeabsichtigte und bislang unbekannte Ein­fluss Oberths auf das sowjetische Raumfahrt­programm – und damit indirekt möglicherweise auch auf den ersten Raumflug eines Menschen – konnte erst nach dem Ende der Sowjetunion erforscht werden. Die Ergebnisse sind in dem neuen Band zusammengefasst.

Die Herkunft des Untertitels

Am Anfang der Raumfahrt stehen drei „Raketenpioniere“: Ziolkowski (Russland), Goddard (USA) und Oberth. Sie arbeiteten unabhängig voneinander, und es stellt sich die Frage, welchen Einfluss jeder Einzelne von ihnen auf die Entwicklung der Raumfahrt hatte. In einer vergleichenden Untersuchung der Arbeiten dieser drei Forscher und insbesondere von deren Wirkungsgeschichte weist Barth nach, dass bereits die wissenschaftliche Diskussion über die Möglichkeit des Raumflugs und dann die weitere Entwicklung der Raketentechnik, insbesondere auch in der Raumfahrt, vollständig auf der Wirkungslinie der Oberthschen Arbeiten erfolgte. In diesem Sinne der „Effektivität der Leistung“, wie Barth es formuliert, gebührt also Oberth die Priorität in der Entwicklung der Raumfahrttechnik.

Dies ist der Grund für die Wahl des Unter­titels, „Der wirkliche Vater der Weltraumfahrt“, ein Ausdruck, der bereits von dem Raumfahrt­historiker Willy Ley geprägt worden war. Ley hatte 1929/30 Oberths Versuchsarbeiten in Berlin publizistisch begleitet, musste aber als Jude Deutschland 1935 verlassen. Aber auch für Frank Winkler und Marsha Freeman, beide US-Bürger jüdischer Abstammung und Autori­täten auf dem Gebiet der Raumfahrtgeschichte, ist und bleibt Hermann Oberth der „wirkliche Vater der Raumfahrt“.

Von den Planetenräumen nach Peenemünde

Es ist schier unglaublich: 1923, also nur elf Jahre, nachdem mit der Titanic auch ein guter Teil der Technik- und Fortschrittsgläubigkeit des frühen 20. Jahrhunderts in den eisigen Fluten des Nordatlantiks versunken war, legte Hermann Oberth sein bahnbrechendes Werk „Die Rakete zu den Planetenräumen“ vor. „Zu den Planetenräumen“! Der Anspruch des Werks war also nicht gerade bescheiden: Es behauptete – und begründete – die Möglichkeit der Raumfahrt und zog auch deren praktische, insbesondere auch wirtschaftliche Nutzbarkeit in Betracht.

Es sollten jedoch die Militärs sein, die die Möglichkeiten, die Oberths Arbeiten eröffneten, als Erste ergriffen. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelte Nazi-Deutschland mit Hochdruck Raketen für kriegerische Zwecke. Oberth war rumänischer Staatsbürger, und Rumänien war ein Verbündeter des Dritten Reichs. Doch die Deutschen trauten Rumänien nicht recht. Es erschien ihnen ratsam, einen herausragenden Raketenforscher wie Oberth unter ihrer eigenen Kontrolle zu haben. So wurde Oberth über Wien und Dresden 1941 letztlich zur Raketenversuchsanstalt nach Peenemünde geholt, was von Hans Barth ausführlich dargestellt wird. Oberth selbst hatte später einmal zu seiner Zeit in Peenemünde gesagt, er habe „nie an Angriffswaffen gearbeitet“. Und das stimmt wohl auch. Hält man sich die traurige Rolle, die Oberth in Peenemünde zugedacht war und die Barth anhand einschlägiger Quellen eindrücklich schildert, vor Augen, so wird schnell klar, dass Oberth in Peenemünde nicht etwa damit beschäftigt war, den Nazis die Wunderwaffe für den Endsieg an die Hand zu geben, sondern dass er mit eher fiktiven Bagatellaufgaben kaltgestellt worden war. Es ging den Deutschen darum, ihn unter Kontrolle zu haben und dafür zu sorgen, dass andere nicht an sein Wissen und Können herankamen. Sie selbst hatten sein Know-how in Gestalt von Oberths Meisterschüler Wernher von Braun, der zu den Leitern in Peenemünde gehörte, längst für sich gesichert und meinten, Oberth selbst nicht weiter zu brauchen.
Hermann Oberth: „Möge die Raumfahrt dazu ...
Hermann Oberth: „Möge die Raumfahrt dazu beitragen, dass sich die Völker dieser Erde untereinander besser verstehen und ihre Zukunft sinnvoller gestalten!“
Angesichts der bei seiner Ankunft in Peenemünde bereits abgeschlossenen Planungen für die militärische Rakete A4 (später V2) konnte Oberth sich nicht genug über die Absurdität dieser Entwicklung wundern. Man hatte doch tatsächlich die von ihm selbst entwickelte, extrem aufwendige Technik der Flüssig­keitsrakete, die für die Raumfahrt gedacht war, zum Einsatz gebracht, um eine vergleichsweise einfache Rakete, die nur für das Erreichen irdischer Ziele vorgesehen war, zu bauen. Der Volksmund nennt so etwas „mit Kanonen auf Spatzen schießen“, Oberth nannte es „das falsche Projekt zur falschen Zeit“. Denn er dachte nicht an eine Angriffswaffe wie die Fernrakete V2, sondern an einfache Fliegerabwehrraketen, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Wie entbehrlich Oberth in Peenemünde war, zeigt die Tatsache, dass er Peenemünde bereits im August 1943 verlassen durfte, zu einer Zeit, als die Vorbereitungen für die Serienproduktion der V2 auf Hochtouren liefen.

Raumfahrt für die Menschheit

Als Einziger unter den Pionieren der Raum­fahrt hat Oberth vorausgesagt, dass die Raumfahrt eines Tages auch wirtschaftlichen Nutzen erbringen könnte. 1922/23, als Oberth dies formulierte, ein geradezu utopisch anmutender Gedanke. Es sollte jedoch keine vier Jahrzehnte dauern, bis erste Anwendungen in der Satellitentechnik Oberths Vision als durchaus realistische Perspektive erscheinen lassen sollten. Und das war erst der Anfang einer technologischen Entwicklung, mit deren Nutz­anwendungen (z. B. beim Fernsehen, Internet, Telefon in der heutigen Form, Navigations­systeme, Meteorologie) die meisten Menschen mittlerweile so selbstverständlich umgehen, dass sie sich über die oftmals im Hintergrund wirkende Weltraumtechnologie überhaupt keine Gedanken mehr machen. Darüber hinaus geht Barth aber auch auf die völkerverbindende Wirkung der Raumfahrt ein, wie sie bereits von Oberth vorhergesagt und, so Barth, in Zukunft verstärkt zu erwarten sein dürfte, wenn es noch mehr als bisher um die Bewältigung von Herausforderungen gehen könnte, die nur noch von einer Vielzahl von Staaten gemeinsam bewältigt werden können.

Oberth und die Siebenbürger

Der Band bietet sowohl in seinem Aufbau als auch in zahlreichen Details eine Fülle von Neuerungen und Aktualisierungen gegenüber der Biographie von 1991, so etwa auch im Kapitel XX: „Oberth und die Siebenbürger“. Hans Barth hat diesem Kapitel ein Zitat von Otto Folberth vorangestellt: „Die Genialität der Oberthschen Leistung erweist sich mir hauptsächlich daran, dass sie in Siebenbürgen zustandekam.“ Das ist nun wirklich nicht geringschätzig gegenüber Siebenbürgen, sondern ehrenvoll für Oberth gemeint. Man kann die Tragweite dieser Aussage vielleicht besser einschätzen, wenn man sich vor Augen hält, dass die beiden anderen Raketenpioniere Goddard und Ziolkowski in den USA bzw. in Russland tätig waren, also künftigen „Raum­fahrtstaaten“ angehörten. In dieser „Liga“ spielte also, so könnte das Zitat von Folberth auch gelesen werden, dank Oberths Wirken zeitweise auch Siebenbürgen mit. Barth zitiert Oberths Bekenntnis zu den Siebenbürger Sachsen und er geht darauf ein, wie Oberth in seinen letzten Tagen im Dezember 1989 noch regen Anteil an dem Umsturz in Rumänien und an dessen möglichen Auswirkungen auf die Siebenbürger Sachsen nahm.

Das Genie privat

Hans Barth und Hermann Oberth verband eine langjährige persönliche Freundschaft. Auch wenn vielleicht manch einer darin die Gefahr mangelnder kritischer Distanz des Bio­grafen (Barth) zu seinem Sujet (Oberth) sehen könnte, so handelt es sich insgesamt doch um einen Glücksfall, da wir auf diese Weise auch einiges über den Menschen Oberth – und nicht „nur“ über den genialen Raketenforscher – erfahren. Da wird der große Oberth auf einmal ganz menschlich, ja geradezu sympathisch, etwa wenn man in Kapitel XXIII erfährt, dass „das Essen in seinen letzten Lebensjahren seine Lieblingsbe­schäftigung“ war und dass er sich bei Tisch gerne an dem selbst gereimten Zweizeiler er­götzte (und ihn wohl auch in die Tat umsetzte): „Bescheidenheit, Bescheidenheit verlasse mich bei Tisch,/ Damit ich zur rechten Zeit das größte Stück erwisch!“ Es sind auch solche, wissenschaftlich eher belanglosen Details, die das Buch lesenswert machen und die dem Leser auch ein Bild von dem Menschen Oberth vermitteln.

Die neue Oberth-Biografie von Hans Barth ist 2008 in der Reihe „Technikgeschichte in Einzel­darstellungen“ des VDI-Verlags erschienen, umfasst 313 Seiten und zahlreiche Abbildungen, leider von minderer Qualität, und kostet – ob­schon Paperback-Ausstattung – astronomische 48 Euro. Trotz dieser nicht unerheblichen Hürden ist es dem Buch zu wünschen, dass es seinen Weg zu den interessierten Lesern finden möge. Es ist gut lesbar und allgemein verständlich geschrieben. Es dürfte die von Hans Barth verfasste Oberth-Biografie von 1991 als Standardwerk ablösen und künftig das Oberth-Referenzwerk schlechthin sein. In diesem Sinne kann es jedem an der Geschichte der Raumfahrt oder auch an jener der Siebenbürger Sachsen Interessierten empfohlen werden.

Dr. Klaus Weinrich

Hans Barth: „Hermann Oberth. Der wirkliche Vater der Weltraumfahrt“, VDI Verlag, Buch­reihe: Technikgeschichte in Einzeldarstellun­gen, Düsseldorf 2008, 313 Seiten, 75 Bilder, ISBN 978-3-18-150052-1, Preis: 48 Euro (für VDI-Mitglieder: 43,20 Euro).

Schlagwörter: Rezension, Oberth, Weltraumfahrt

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