19. November 2008

Mehr Tote als an der innerdeutschen Grenze

Besprechung der Neuerscheinung von Johann Steiner und Doina Magheti (Herausgeber): "Die Gräber schweigen. Berichte von der blutigsten Grenze Europas", Verlag Gilde & Köster, Troisdorf, 2008, 162 Seiten, ISBN 978-3-00-024991-4.
Seit etwa 15 Jahren beschäftige mich mit einstigen politisch Verfolgten und mit den gegen sie geführten Prozessen und Verurteilungen im kommunistischen Rumänien. Dabei stellte ich fest, dass es über die so genannten illegalen Grenzübertritte, wegen denen es die größte Zahl von politischen Prozessen gab, die wenigsten Veröffentlichungen gibt. Nun liegt ein solch vermisstes Buch in deutscher Sprache auf, welches das Geschehen statistisch und datenmäßig zwar auch nur lückenhaft erfasst, da die rumänischen Archive das Aktenmaterial nicht freigeben oder es gar vernichtet haben, dafür aber zahlreiche Erlebnisberichte von Betroffenen bietet, so dass man eine Vorstellung bekommt, von dem was sich an der blutigsten Grenze Europas von 1944 bis 1989 zugetragen hat.

Die Westgrenze Rumäniens erstreckt sich 448 Kilometer zu Ungarn und 546 Kilometer zu Serbien hin, davon 290 Kilometer Donauverlauf. Die Fluchtabenteuer haben sich aber hauptsächlich an der Grenze zu dem ehemaligen Jugoslawien und an der Donau abgespielt, da Ungarn ein ähnliches kommunistisches Regime wie Rumänien hatte, während man von Jugoslawien leichter in den freien Westen gelangen konnte, obwohl es Zeiten gegeben hat, wo die festgenommenen Flüchtlinge auch aus Jugoslawien an Rumänien ausgeliefert wurden, oder zumindest sechs Monate eingesperrt wurden. Trotzdem sind tausende Flüchtlinge über Jugoslawien mit deutschen Pässen oder sonstiger internationaler Hilfe in den Westen gelangt. Über gelungene, trickreiche und ingeniöse Fluchten kursierten seiner Zeit in Rumänien allerlei Gerüchte und wahre Mythen, die man sich schadenfroh unter vorgehaltener Hand erzählte.

Die Flucht in den Westen begann im Herbst 1944, als vor allem Banater Schwaben vor der Roten Armee flüchteten, und wurde fortgesetzt, nachdem sich in Rumänien das kommunistische Regime etablierte und die Verfolgung verschiedener sozialer und politischer Gruppen begann. Ab den 50er Jahren wurde die Grenze mit hohen Stacheldrahtzäunen, Minenstreifen, an dem Abschnitt zu Jugoslawien auch mit Sperrzonen aus Beton versehen und von Grenzsoldaten bewacht. In einem Streifen von 50 Kilometer Breite entlang der Grenze durften nur Einheimische mit Ausweisen verkehren. Trotz dieser strengen Bewachung haben unzählige Menschen in kleineren Gruppen oder auch als Einzelpersonen das Risiko einer Flucht in Kauf genommen, um der kommunistischen Freiheitsberaubung und Unterdrückung zu entgehen. Oft wurde die Flucht lange vorbereitet. Die Flüchtlinge suchten dabei „Schlupflöcher“ an der grünen Grenze, wobei ihnen Fluchthelfer beistanden; das waren Ortskundige, gelegentlich auch Grenzsoldaten, die sich ihre Dienste bezahlen ließen. Es gab aber auch „Fluchthelfer“, die sich als Verräter erwiesen.
Am Donauufer bei Orschowa wurde nach dem Sturz ...
Am Donauufer bei Orschowa wurde nach dem Sturz des kommunistischen Regimes ein Mahnmal errichtet für die Opfer, die es vor allem in den 1970er und 1980er Jahren bei Fluchtversuchen nach Serbien gegeben hat. Viele sind ertrunken, wurden erschossen, erschlagen oder mit Schnellbooten überfahren. Foto: Walther Konschitzky
Viele Flüchtlinge haben schwimmend oder mit Boten und Luftmatratzen die Donau überquert. Die Grenzbewacher, die der Geheimpolizei, der berüchtigten „Securitate“, unterstanden, hatten Befehl auf Republikflüchtlinge zu schießen, wenn diese zu entfliehen versuchten. Und sie haben vom Schießbefehl reichlich Gebrauch gemacht oder schwimmende Flüchtlinge ertränkt bzw. mit Schnellboten absichtlich überfahren. Die Toten wurden an der Grenze verscharrt, ohne die Angehörigen darüber zu brachrichtigen. Auch auf der jugoslawischen Seite reihten sich Gräber. An der rumänischen Grenze dürften, wie die Herausgeber des Buches unterstreichen, mehr Menschen als an der innerdeutschen Grenze erschossen worden sein. Darüber weiß man bis heute viel zu wenig.

Wie die Herausgeberin Doina Magheti ermittelte, haben von 1980 bis zum 30. September 1989 rund 16 000 rumänische Staatsbürger Fluchtversuche unternommen, wobei 4 000 die Flucht gelungen sein soll. Wie viele Fluchtversuche mit dem Tode endeten, ist nicht belegt und wird auch schwer festzustellen sein, da dafür Unterlagen fehlen. Die Festgenommenen wurden oft an Ort und Stelle verprügelt, bei den Verhören gefoltert und dann von Militärgerichten zu Kerkerstrafen oder Strafarbeit verurteilt. Das Strafmaß variierte je nach politischer Konjunktur.

Es würde zu weit führen, weitere Geschehnisse hier anzuführen. Dafür empfiehlt sich die Lektüre des Buches. Dessen Stärke liegt in der Veröffentlichung von zahlreichen Erlebnisberichten von Flüchtlingen, denen die Flucht gelungen ist oder solchen, die festgenommen und eingekerkert wurden. Die Berichte sind von den Betroffenen selbst oder von den Herausgebern aufgezeichnet worden. Sie ergeben ein buntes Mosaik, aus denen als Hauptmotiv für den Entschluss dem Kommunismus den Rücken zu kehren, die Gewaltherrschaft und Unfreihit angeben wird. Die meisten Berichte stammen von Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen, es sind aber auch Rumänen, Ungarn u. a. befragt wurden. Die meisten von ihnen leben heute in Deutschland oder anderen westlichen Ländern. Von den überlebenden Fluchtopfern, die in Rumänien verblieben sind, kann man schwer Informationen erhalten. Die Hauptursache dafür ist Überdruss, die meisten möchten die Sache einfach vergessen und in Ruhe gelassen werden.
Obelisk bei Altbeba im Dreiländereck Rumänien, ...
Obelisk bei Altbeba im Dreiländereck Rumänien, Serbien, Ungarn: Im Mai 2008 ist Alfred Sticker an die Stelle zurückgekehrt, an der er am 5. Januar 1979 zusammen mit drei weiteren Rekaschern und einem Rom aus Altbeba nach Serbien geflüchtet ist. Foto: Stefan Lehretter
Aus einigen Berichten ist auch die spezielle Situation der Deutschen in Rumänien ersichtlich – Verschleppung in die Sowjetunion, Enteignung, Deportation von Schwaben in die Bărăgansteppe, Aussiedlung.

Das Buch kann zum Preis von 22 Euro (einschließlich Versandkosten) beim Verlag Gilde & Köster, Am Wassergraben 2, 53842 Troisdorf, Telefon: (01 75) 6 09 44 31 oder (0 22 46) 21 66, E-Mail: verlaggilde [ät] web.de, erworben werden.

Michael Kroner

Link:

Vorstellung der Neuerscheinung "Die Gräber schweigen" und Diskussion in der Siebenbürgischen Zeitung Online
Die Gräber schweigen
Doina Magheti
Die Gräber schweigen

Verlag Gilde & Köster
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Schlagwörter: Rezension, Kommunismus, Vergangenheitsbewältigung

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Neueste Kommentare

  • 20.11.2008, 12:37 Uhr von Adine: Daß von der rumänischen Regierung noch keine Akten herausgegeben wurden,wundert mich nicht.Es ... [weiter]
  • 19.11.2008, 21:18 Uhr von gloria: Endlich erscheint ein Buch zu dem Thema Flucht im kommunistischen Regime.Das von der rumänischen ... [weiter]
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