5. Mai 2010

Dem Künstler Gert Fabritius zum 70. Geburtstag

„Wenn Sisyphos auf dem Berg steht und dem Stein nachsieht, der ihm gerade wieder entglitten ist und herunterrollt, so freut er sich zuerst einmal über die schöne Aussicht.“ Das bekannte Gert Fabritius, der in Bukarest geborene Holzschneider, Maler und Grafiker Mühlbächer Herkunft, anlässlich der Jubiläumsausstellung zu seinem 70. Geburtstag im Museum im Kleihues-Bau in Kornwestheim (siehe dazu "Sehenswerte Gert-Fabritius-Ausstellung in Kornwestheim").
Es ist die Freude am Schein, so Fabritius, was ihn vor dem Widersinnigen im Leben nicht zurückschrecken lässt. „Man muss manchmal auch mit der verkehrten Logik umgehen können. Dann kann man das auch als Erfolg verbuchen. Wenn der Mensch schon so oft im Leben scheitern muss, so sollte er wenigstens immer leichter und besser scheitern.“ (Künstlergespräch „In Anlehnung an Camus“, 14. April 2010). Die Auseinandersetzung des in den Grenzen seiner Existenz gefangenen Menschen mit den Unwägbarkeiten des Lebens, mit dem scheinbar Sinnlosen, ja Widersinnigen im Alltag, das ist erklärterweise das Kunst- und Lebensmotto von Gert Fabritius und stellt seit jeher eine thematische Konstante in seinem Schaffen dar. Die Konfrontation mit dem Absurden ist folgerichtig auch das Motto der diesjährigen Jubiläumsausstellung.

Das Museum im Kleihues-Bau verfolgt und begleitet das Wirken des Künstlers aus Siebenbürgen erst seit einem guten Jahrzehnt. Die Schau konzentriert sich demnach auf Werke, die dieser Zeit entstammen und bis jetzt noch nicht gezeigt wurden. Sie bezieht neben Holzschnitten auf Leinwand, Zeichnungen, Collagen und Installationen Kunstbücher mit ein, die vom Maler als „Tagebuch-Auf-Zeichnungen“ geführt werden. Es ist eine hochgradig reflektierte Kunst, die Gert Fabritius da anbietet, wobei die anfangs zitierte Aussage des Künstlers in mancherlei Hinsicht den Schlüssel zu seinem Werk liefert. Mit der grundsätzlichen Ausrichtung auf die Befindlichkeiten des Individuums verarbeitet Gert Fabritius künstlerisch ein Stück persönlicher Erfahrung mit dem Anspruch von Welt-Erfahrung. Dabei ist sein Weltbezug zum Hier und Jetzt immer nur mittelbar greifbar. In der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Absurden des Daseins „versteckt“ sich das künstlerische Ich regelmäßig hinter Symbolen und Chiffren. Diese entleiht Fabritius vorzugsweise jenen weltanschaulichen Bereichen, in denen das abendländische kulturelle Bewusstsein verankert ist und deren Symbolik und Deutungen längst zum allgemeinen Kulturgut geronnen sind. Der Rückgriff auf ikonographische Register mythologischer, christlich-religiöser oder aber ideologisch-politischer Symbolsprachen baut auf unser aller angelerntes Wissen.
Der 70-jährige Gert Fabritius vor „Selbstbildnis“ ...
Der 70-jährige Gert Fabritius vor „Selbstbildnis“ (2010) in der ihm gewidmeten Ausstel­lung in der Galerie der Stadt Kornwestheim im Kleihues-Bau. Foto: Christian Wesser
Liebste Figuren sind dem Künstler der Minotaurus und Sisyphos. Beide sind sie hoffnungslos in den Grenzen ihrer Existenz gefangen. Minotaurus, der Stiermensch, das Zwitterwesen der griechischen Sage, muss sein Leben im Labyrinth, dem Irrgarten in Knossos auf Kreta verbringen; Sisyphos, der verschlagene König von Korinth, der den Tod zu überlisten glaubt, indem er ihn fesselt, wird zur Strafe von den Göttern verdammt, in der Unterwelt auf ewig einen Stein den Berg hinaufzurollen, der ihm jedoch immer wieder entgleiten muss. Daneben gehört die Leiter (Jakobsleiter, Himmelsleiter, Traumleiter) unverzichtbar zu Fabritius’ Bildsprache, ebenso die Barke – mal als lebensrettende Arche Noah, mal als Fähre über den Fluss Styx ins Totenreich. Und nicht zuletzt ist es der Stuhl in seiner vielschichtigen und dichten Metaphorik bzw. Symbolik, der die Bildwelten des Künstlers prägt. Der Stuhl ist Evolutions- und Zivilisationsmetapher für das vom Tier zum Menschen gewordene Wesen, aber auch Thron und Machtsymbol, letztlich Platzhalter oder gar Stellvertreter für den Menschen selbst. Fabritius bedient sich dieser kulturell etablierten Symbolsprachen wie andere schon vor ihm, indem er sie für sich selbst und den Menschen im Jetzt und Hier recycelt.

Konsequenterweise findet auch in den Tagebüchern selten die direkte seelische Entblößung statt. Auch hier müssen mythische und religiös christliche Gestalten für persönliche Befindlichkeiten und die Bewältigung von Lebensproblematik herhalten. Das seelische Ich, projiziert in die tragischen Helden der Antike, schafft so die nötige Distanz zu sich selbst. Am 21. September 2009 sinniert „Minotaurus über die Gerechtigkeit“ und „Minosisyphos“ schlussfolgert am 30. Oktober desselben Jahres: „Den Stein nimmt man nicht auf sich, der rutscht [einem] nach“.

Überhaupt die Literatur. Fabritius’ Affinität zum lesbaren Wort stammt noch aus der Zeit früherer künstlerischer Betätigung in Klausenburg und Bukarest, als er noch in der Tradition des klassischen Holzschnittes als Buchillustrator und Pressezeichner tätig war. In die sechziger Jahre fiel seine Begegnung mit der Gedankenwelt von Nietzsche und Camus, als er deren Texte für die rumänische Presse in Klausenburg illustrieren durfte. Seine Werke des letzten Jahrzehnts als auch die Tagebücher belegen die künstlerische Rezeption bedeutender Namen im Bereich des europäischen Literaturerbes: Neben Camus sind es vor allem Kafka, Rilke, Eugène Ionesco oder aber Pastior, Weissglas, Fried. Diese Lesefrüchte sind in seinen jüngsten Arbeiten alles andere als Beiwerk oder aber Erläuterung der Bildinhalte. Bei genauer Betrachtung geben sie sich unschwer als Versatzstücke zu erkennen in einem bildlichen und gedanklichen Re-Arrangement, das überraschend moderne Befindlichkeiten anspricht. Der großformatige, übermalte Holzschnitt für den Minnesänger Walther von der Vogelweide etwa reserviert den Mächtigen, der „tumbe[n] riche“ [dummen Macht] einen wackligen Thron.

Das Werk von Gert Fabritius wird ob der Technik des Holzschnittes, den der siebenbürgische Künstler noch in klassischer Perfektion beherrscht, oft in die Nähe von HAP Grieshaber gestellt. Ähnlich wie Grieshaber nutzt er indes auch moderne Techniken. Der Leinwanddruck mit Unter- und Übermalung gehört dazu, wie auch der Umgang mit Kettensäge und Winkelschleifer neben Hammer und Beitel. Fabritius selbst, der Grieshaber persönlich erlebt und dessen Wertschätzung für sein frühes Werk erfahren durfte, verwehrt sich dieser Nähe und nennt andere, die für seinen Werdegang wegweisend waren. Während seines Studiums am staatlichen Kunstinstitut in Klausenburg haben die Illustrationen des Dresdner Graphikers und Malers Josef Hegenbarth (1884-1962) sein Interesse für die „expressive Bewegung“ und die „romantische“ Anlehnung an die großen Themen der Literatur geweckt.

Generell zeigt die Kunst von Gert Fabritius eine unverkennbare Resonanzbereitschaft für die Lebenshaltung und Weltanschauung des Expressionismus im Thematischen wie im Formal-Ästhetischen. Zum einen ist es die programmatische Ausrichtung im Werk der letzten Jahrzehnte auf ein „Mitleiden“, auf eine intensive Teilnahme am menschlichen Schicksal. Für den „gequälten, verlorenen Menschen“ (Kurt Pinthus) stehen hier Minotaurus und Sisyphos. Diese sind dem Künstler in jüngster Zeit geradezu zur Obsession geworden. Deren Verzweiflung aber kann durch das heilende Pathos überwunden werden. Das Pathos, die Ekstase stehen bei Fabritius indes immer in Verbindung mit Ironie, hin und wieder auch mit Satire, und ergeben im Zusammenspiel das unverwechselbare Stimmungsbild, das durchaus in expressionistischer Nachfolge als Weg zur Wirklichkeitsbewältigung im Zeichen des Absurden zu werten ist. Das Rezept gegen Vereinsamung, Angst und Leid fordert „dem Absurden ins Auge sehen.“ „Nur Einsamkeit ist Vollgenuss des Lebens, weil bitter“, heißt es zu einer Tagebuchzeichnung mit Collage vom 10. Oktober 2009, die einen auf dem Kopf stehenden Fabritius unter einem gelöcherten Stuhlbrett zeigt, obendrauf zwei kraftvolle Füße, die das Requisit unter sich in unverrückbarer Stellung halten.

Zum anderen orientiert sich der zeitgenössische Künstler auch bei der Wahl der Bildmotive an den Gepflogenheiten der expressionistischen Kunst. Ähnlich des Ur-Schrei-Symbols, das im Verständnis der Expressionisten für den dynamischen Ausbruch, für die affektgeladene Enthemmung als Widrigkeitsbewältigung steht, greift Fabritius auf die Metapher des Sisyphos-Steines zurück. Dieser Ur-Stein ist in den Bildern und Tagebüchern allgegenwärtig und fügt sich vielschichtig in Fabritius’ individuelle Mythologien ein. Entgegen dem befreienden Schrei verkörpert der Stein, an dem sich Sisyphos abarbeitet, mal das Hindernis, den „Stein des Anstoßes“, an dem sich die menschliche Verzweiflung bricht, mal ist er Herausforderung für den eigenen Gestaltungswillen.

Auch ikonographisch steht „Der Sprung“ exemplarisch für Fabritius’ Bilderwelt. Im Mittelteil des Triptychons agieren drei großformatige humanoide Wesen. Eines, das gehörnte Graue (Minotaurus?), ist im kraftvollen Sprung über einen Stein begriffen, der auf einem Hocker gelagert ist. Neben ihm sind zwei menschliche Gestalten mit sich selbst beschäftigt. Die schmalen Seitenflügel füllen zwei weitere springende Gestalten aus. Ist bei der einen der Oberkörper im Sprung verkürzt und nach vorne gebeugt dargestellt, reckt sich die andere mit extrovertierter Gestik in ekstatischer Pose. Die Figuren – beide nackt - sind nur ansatzweise individualisiert, die eine zeigt ein graues, eine andere ein orangefarbenes Inkarnat. Der Körper – Fabritius gibt dem männlichen Körper den Vorzug - ist ganz im Sinne expressionistischer Kunst nie lediglich nur Form, im Zusammenspiel von Gestik und Mimik ist er vor allem Ausdrucksträger seelischer Befindlichkeiten.

Bei aller „Tragik des Handelns“ erwecken die Figuren durch ihre archaische Leiblichkeit und Monumentalität den Eindruck überbordender Vitalität und kommen dem Betrachter oft aufdringlich frontal entgegen. Mit hochformatigem Druckstock nebeneinander auf einen farbigen, glatten Leinwandgrund geprägt, wirken sie, so entblößt und ohne jeglichen Status und äußerliche gesellschaftliche Zuordnung, wie aus Zeit und Raum herausgehoben, eben mythisch.

Fabritius pflegt eine ausdrucksstarke, in der Lineatur präzise, auf das Wesentliche reduzierte Formensprache. Immer wieder variieren Körperhaltung und -perspektive, erstrecht in den Zeichnungen der Tagebücher, die man auf den ersten Blick als Bewegungsstudien auffasst. Die Figuren, in freier Figuration konzipiert, sind mit wenigen Umrissen schwungvoll charakterisiert. Hin und wieder sind die Konturen zugunsten eines gesteigerten Ausdruckes aufgebrochen. Vor allem die Holzschnitte evozieren über das Spezifische der Technik – das Gröbere der Holzbearbeitung - und über den Kontrast zwischen Druckfarbe und Leinwandgrund eine Härte des Ausdruckes, die wir auch schon aus der Bildtradition des Expressionismus kennen.

Die Gemälde haben, wie die anderen Werke von Fabritius auch, keinen kontinuierlichen Narrationsstrang, es findet kein großes Erzählen statt. Die Handlungsträger und die von ihnen getragenen Handlungen kommen nicht zu dem einen, alles verbindenden Handlungsstrang zusammen. Sind aber diese Figuren, wie man das aus den Tagebüchern herauszulesen glaubt, nicht doch alle Facetten der einen, eigenen Persönlichkeit des Künstlers, wie dieser des Öfteren verlauten lässt? Alter Egos? Und darüber hinaus mehr? Fragen, die letztlich offene Denkräume für den Betrachter schaffen.

Gewiss ist nur: Fabritius’ Kunst ist Ausdruck tief empfundener Leidenschaften und Visionen, die er mit Hilfe kulturell längst etablierter Chiffren und Symbolen zu eigenen Mythologien verbindet. Die augenzwinkernde Distanz zu sich selbst, „die meine Gedankengänge auf das Absurde zuführt“, bannt die Gefahr rhetorischer Leere, die bei den häufigen Anspielungen auf Literatur und Kunst, deren Meister und Mythen nicht von der Hand zu weisen ist. „Wenn schon scheitern, dann immer besser und leichter scheitern“ – das bleibt Kunst- und Lebensmotto eines Künstlers, der sich in seinem Schaffen dem Humanen in seiner Grundsätzlichkeit verschrieben hat, dem Leben zwischen Bangen, Hoffen, Zagen mit all seiner Erfüllung und seinem Scheitern. „Nehmt euch [auch mich und meine Kunst] nicht so ernst“ gibt das Tagebuch (15. März 2009), dem der es durchblättert, mit auf den Weg. Und bei der künstlerischen Selbstbetrachtung paraphrasiert er dann noch Salomo: „Der Gerechte erbarmt sich seines [mythologischen] Viehes“ (10. Juli 2009).

Irmgard Sedler


GERT FABRITIUS

1940 geboren in Bukarest

1961 - 1967 Studium an der Kunstakademie „Ion Andreescu“ in Klausenburg

1967 - 1977 Pressezeichner und Buchillustrator in Bukarest, Mitarbeiter am „Friedrich Schiller“-Kulturhaus in Bukarest

1977 Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland

1978 - 2005 Freischaffender Künstler (Holzschnitt, Zeichnung, Malerei) und Lehrauftrag am „Heinrich Heine“-Gymnasium in Ostfildern

1997 Lovis Corinth-Sonderpreis

Seit 2003 eigenes „AtelierHaus“ in Stuttgart

Ausstellungen in bedeutenden Museen im In- und Ausland, zahlreiche Werke in öffentlichen Sammlungen und im sakralen Raum

Schlagwörter: Kunst, Fabritius

Bewerten:

7 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.