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11. Januar 2010

Kulturspiegel

Russlanddeportation: Vom Umgang mit unserer Lebensgeschichte

Knapp siebzig interessierte Personen nahmen an der Tagung teil, zu welcher der Heiligenhof für den 13. bis 15. Dezember 2009 nach Bad Kissingen eingeladen hatte. „Die Russlanddeportation der Rumäniendeutschen – 60 Jahre seit der Rückkehr der Verschleppten“ stand diesmal auf der Tagesordnung. Erschienen waren Zeitzeugen und Betroffene, Kinder und Enkelkinder von Verschleppten und viele Interessierte, die mehr über die Hintergründe sowie das Geschehen dieser großen historischen Zäsur der Rumäniendeutschen wissen wollten. mehr...

Kommentare

Artikel wurde 5 mal kommentiert.

  • Regine ( Jini )

    1Regine ( Jini ) schrieb am 11.01.2010, 19:02 Uhr:
    Wiederum gibt die SbZ eine falsche Angabe Hertha Müllers weiter: Es ist nicht zutreffend, daß nur Männer ab 17 und Frauen ab 18 Jahren deportiert wurden. Mein Vater war bei seiner Deportation 15 Jahre alt, die Jüngsten in seinem Lager Krivoi Rog waren 13 (!) Jahre alt. Übrigens: Auch die Eheleute Weber erwähnten die falschen Angaben während ihrer Vorträge, ebenso wie anwesende Betroffene.

    Ich bin sehr froh -und tatsächlich auch dankbar- daß ich an dem Seminar teilgenommen habe; es hat mir ein Stück "Annäherung und Versöhnung" mit der Psyche meines -leider mit 61 Jahren verstorbenen- Vaters geschenkt.
  • pedimed

    2pedimed schrieb am 11.01.2010, 22:20 Uhr:
    @ Jini : HM gibt das an, was sie über die Verschleppung laut den offiziellen Angaben erfuhr. Sie war ja auch kein Kriegskind, die es hätte erfahren können. Viele der sehr jungen wurden eingeheimst, wenn die älteren sich versteckten und/oder verdrückten. Da die Liste eine bestimmte Anzahl der einzusammelnden enthielt, so wurden etliche die zufällig in der Nähe waren abgefangen, damit der Viehwagon seine Anzahl an Teilnehmern der Verschleppung vorweisen konnte. Habe ich seinerzeit von meiner Großmutter erzählt bekommen. Viele meiner Verwandtten wurden so auch abtransportiert. Habe es teilweise selber auch noch mitbekommen, war bei deren Verladung am Bahnhof. War für mich dann ein Trauma . bin als Kind oft allein zum Bahnhof ausgerissen und von zufällig dort ankommenden Nachbarn dann wieder bei meinen Großeltern abgeliefert worden.Hat einige Jahre gedauert!

    [Beitrag am 11.01.2010, 22:21 von pedimed geändert]

    [Beitrag am 11.01.2010, 22:23 von pedimed geändert]
  • Regine ( Jini )

    3Regine ( Jini ) schrieb am 13.01.2010, 15:46 Uhr:
    Lieber pedimed, alles was Du über "Lückenfüller" schreibst stimmt sicherlich: Im Seminar wurde über einen aktenkundigen Fall berichtet, in dem sogar ein junger Rumäne an der ukrainischen Grenze in den Zug gestoßen wurde, weil vorher ein Deutscher geflohen war. Der Rumäne hielt einfach nur "Maulaffen feil", war zur falschen Zeit am falschen Ort...

    Ich meinte allerdings etwas anderes: HM hat sich anscheinend lediglich auf die Aussagen ihrer Mutter und O.P.´s verlassen, bzw. auf das "offizielle Dekret" der Deportation, die Realität sah aber anders aus. Hätte sie ausreichend recherchiert, hätte sie genau das erfahren, was auch die Eheleute Weber während ihrer Recherchen erfuhren, daß nämlich das Alter der Deportierten ab 13 Jahre aufwärts angegeben wurde.

    Die Aussage Deines Traumas, lieber pedimed, kann ich jetzt, nach Seminarteilnahme, sehr gut verstehen. Ehemals Deportierte und -damals- kleine Kinder Deportierter berichteten über die erschütternden Szenen die sich in den Stunden vor der Deportation und während des "Abmarsches" der Menschenkolonnen abspielten. Einfach entsetzlich! Meine Tränen flossen immer wieder...
  • Scheibi

    4Scheibi schrieb am 13.01.2010, 17:22 Uhr:
    Danke an Herta Müller, dass Sie mit dem Roman "Atemschaukel" der Sprachlosigkeit unserer deportierten Mütter und Großväter Stimme/n verliehen hat, die nach 65 Jahren endlich gehört werden und das Schicksaltraumata nicht nur durch den Nobelpreis für Herta Müllers Werk weltweit, gewürdigt werden.

    "Heute am 13. Januar 1945, vor ...50..60..63.. Jahren war es genauso kalt wie heute ...das waren jährlich die Erinnerungen meiner 2008 verstorbenen Mutter ...viel mehr konnte sie mir nicht erzählen, zum Schutz von uns beiden. In ihrem "Traumata" gefangen war es schwer mir als Tochter "Mehr" zu erzählen. Seit meiner frühen Kindheit ging es in Gesprächen mit Erwachsenen oft um die Berichte dieser Tage und folgenden Jahre. Die Tragweite dieser Lebensgeschichten habe ich/wir/- die Generation der frühen 50 Jahre- kognitiv erfasst aber emotional sicher nicht aufgearbeitet, sondern so gut wie möglich verdrängt um den Schmerz nicht zu spüren.

    Heute ist ein stilles Verneigen vor dem Schicksal der Erlebnisgeneration angebracht verbunden mit der Hoffnung dass solches Leid der Vergangenheit angehört.

    Danke Dr.August Schuller, dass Sie im Bericht intensiv auf die therapeutische Komponente der Aufarbeitung eingehen - "DENN mit den BRÜCHEN mit denen die Eltern und Großeltern im Leben zurecht kommen mussten, haben die Kinder und Enkel teil. Diese Geschichte ist Teil unserer eigenen persönlichen Lebensgeschichte."

    Die Erkenntnisse von Michael Markel "dass die Erinnerungs- und Gerlegenheitsliteratur versucht, das UNFASSBARE zu verarbeiten um damit einmal FRIEDEN zu schließen" eine wichtige Komponente im Heilungsprozess ist, sollten wir nicht unterschätzen.

    Ich hoffe, dass diese Tagung im Heiligenhof in Bad Kissingen der Anfang ist auf dem Weg zum Ablegen dieses "Rücksachs", den viele von uns mit sich tragen.

  • Karin Decker

    5 • Karin Decker schrieb am 13.01.2010, 20:02 Uhr:
    Ja, das ist alles gar nicht „selbstverständlich“, dass es auf einmal möglich ist, auch über das unverdiente Leid zu sprechen, das den Angehörigen der deutschen Minderheiten in Rumänien angetan wurde. Und es ist letztlich das große Verdienst der Schriftstellerin Herta Müller und ihres kongenialen guten Freundes Oskar Pastior, dass die Geschichte, die sie uns mit „Atemschaukel“ geschenkt hat, so zutiefst menschlich geschildert ist, dass sich dem Leser keine andere Absicht aufdrängt, als das Ringen um eine große schicksalhafte Wahrheit; – selbst wenn diese noch ungleich härter gewesen ist, als die von der Schriftstellerin festgehaltenen Erlebnisse und Fakten.

    Was jedoch die stets mitschwingende Schuld betrifft, welche die Siebenbürger Sachsen und die Banater Schwaben als Deutsche während der Hitlerei auf sich luden, verdient auch diese gerecht betrachtet zu werden. Es handelte sich um Menschen in deutschen Randgebieten, deren Informationsstand in den meisten Fällen äußerst dürftig war. Und dieses ist das andere große Verdienst Herta Müllers, dass sie die Vorstellungswelt unserer unmittelbaren Vorfahren so einfühlsam wiederzugeben vermochte.

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