26. Januar 2014

Stimmen aus Rumänien und Brüssel zur aktuellen Zuwanderungsdebatte

Die seit Jahresanfang geltende vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren in der EU sorgt weiterhin für erregte Debatten in den Medien und für Schlagabtausch in der Politik. In westeuropäischen Zeitungen und Fernsehsendungen wird besorgt über eine mögliche „Armutsmigration“ vornehmlich aus Rumänien und Bulgarien sowie den Missbrauch von Sozialleistungen diskutiert. Der Wortwechsel der betroffenen Regierungen wird aggressiver, südosteuropäische Kommentatoren nehmen ihre Landsleute in Schutz, Brüssel versucht sich in der Mittlerrolle. Im Disput werden nun auch moderatere Töne angeschlagen, etwa von dem Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Reinhart Guib: Es sei legitim, die Sozialsysteme vor Missbrauch zu schützen, doch pauschal alle Bürger Rumäniens und Bulgariens als potenzielle Gefahr hinzustellen, sei ungerecht, so der Theologe.
Das negative Image Rumäniens und Bulgariens vor allem in britischen und deutschen Medien hat auch damit zu tun, dass die beiden südosteuropäischen Länder wenig konkrete Fortschritte in der Justizreform und in der Bekämpfung der Korruption nachweisen können und seit mehreren Jahren mit innenpolitischen Krisen kämpfen. Auf der Agenda stehen in letzter Zeit weniger die fällige Reform des Gesundheitswesens, der Ausbau der Infrastruktur oder die Verbesserung des Energienetzes, sondern vielmehr reiner Machtkampf. Hinzu kommen eine sehr niedrige Abrufungsquote der EU-Fördergelder sowie Durchschnittslöhne, die weit unter dem westeuropäischen Niveau liegen. Das alles führt dazu, dass viele rumänische und bulgarische Bürger bessere Jobs im Ausland suchen. Allerdings lässt die vom Westen befürchtete Welle der Armutszuwanderer bisher auf sich warten.

Mit der Formulierung „Wer betrügt, der fliegt“ fasste kürzlich die CSU ihren Ansatz zur Bekämpfung des „Missbrauchs der europäischen Freizügigkeit durch Armutszuwanderung“ zusammen – und stieß damit auf Kritik, nicht nur aus den Reihen der SPD und der Grünen. Forderungen nach schärferen Regeln gegen Mehrfacheinreisen und Sozialhilfebetrug stellte allerdings auch der CDU-Politiker und Europaabgeordnete Elmar Brok, indem er vorschlug, Fingerabdrücke von Zuwanderern zu registrieren. Daraufhin warf ihm der rumänische Premierminister Victor Ponta „Nazi-Denkweise“ vor.

Brüssel in der Mittlerrolle

Die Führungsebene der EU beklagt die erhitzte Diskussion, hält einen massiven Anstieg der Einwandererzahlen für unwahrscheinlich und weist Forderungen nach eingeschränkter Freizügigkeit zurück.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz rügte Pontas unangemessenen Vergleich, Sozialkommissar László Andor bezeichnete den Ton der gesamten Kontroverse als „überemotional und fehlgeleitet“. Er unterstrich, dass die Europäische Kommission weiterhin bemüht sei, sowohl Sozialmissbrauch aufzudecken, als auch sicherzustellen, dass bei der Ablehnung von Anträgen auf Sozialleistungen nicht diskriminiert wird. Dieser Haltung schloss sich auch der stellvertretende Außenminister Griechenlands, Dimitris Kourkoulas, an: Schließlich sei das Recht der EU-Bürger, in einem anderen Mitgliedsstaat zu arbeiten, ein „Grundpfeiler“ der Europäischen Union, so der Politiker im Namen des griechischen EU-Ratsvorsitzes.

Sachlich und lösungsorientiert agierte das deutsche Bundeskabinett mit der Schaffung eines Staatssekretärsausschusses auf Initiative der Bundeskanzlerin Angela Merkel und des Vizekanzlers und Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD). Der Ausschuss soll in den nächsten Monaten konkrete Maßnahmen vorschlagen, die von den Kommunen und der Regierung gegen einen möglichen Missbrauch der Sozialleistungen eingesetzt werden könnten. Dem Gremium gehören Vertreter mehrerer Ministerien sowie der Migrationsbeauftragte der Regierung an. Prüfergebnisse sollen bis Juni vorliegen.

Rumänien leidet unter dem Verlust qualifizierter Arbeitskräfte

In den rumänischen Medien werden die westeuropäischen Diskussionen kritisch reflektiert. Die Kommentatoren bemängeln das negative Rumänienbild im Ausland sowie den gravierenden Verlust qualifizierter rumänischer Arbeitskräfte, die bereits seit Jahren in reichere Länder auswandern. Ein gravierendes und von der Presse vielfach angeführtes Beispiel ist die rumänische Gesundheitsbranche: Nach Schätzungen des Ärzteverbands fehlen dem Land inzwischen etwa 40 000 Mediziner, außerdem sind zahlreiche Pflegekräfte, Ingenieure und IT-Spezialisten ausgewandert. Die einseitige Darstellung der Rumänen sei diskriminierend und unfair, so ein Kommentar des rumänischen Nachrichtenportals Hotnews. Schließlich gehörten immer zwei dazu, bei der Schwarzarbeit seien Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen verantwortlich.

Bischof Reinhart Guib fordert mehr Fairness

Mehr Fairness in der Zuwanderungsdebatte forderte der Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Reinhart Guib. „Wer sagt ‚Wer betrügt, der fliegt‘, der bedient sich natürlich einer verletzenden und kränkenden Sprache. Das muss jenen, die diese Worte benutzen, klar sein, auch wenn es sich vielleicht ‚nur‘ um Wahlkampf handelt“, erklärte der Bischof in einem Interview mit dem Evangelischen Pressedienst. „Es ist mit Sicherheit nicht im Sinne der deutschen Bürger und schon gar nicht im Geiste eines gemeinsamen Europa“, fügte der Theologe hinzu.

Vor Wahlkampfpopulismus warnte auch der Hermannstädter Bürgermeister und stellvertretende Vorsitzende der Nationalliberalen Partei, Klaus Johannis. In der Süddeutschen Zeitung (23. Januar 2014, Seite 3) äußerte er Verständnis für Landsleute, die aufgrund der großen Verlockung zum Arbeiten nach Deutschland gingen. Als „sehr bedrückend“ empfinde er vor allem die Abwanderung von Qualifizierten, etwa im Pflegebereich. Wenn jedoch auch Sozialhilfeschnorrer nach Deutschland kämen, dann solle man diese wieder zurückschicken, doch die CSU solle nicht so tun, „als würde Deutschland von Betrügern überrannt“. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau betonte Johannis zudem, dass qualifizierte Arbeitskräfte aus Osteuropa auch für Deutschland von Vorteil seien. Langfristig sei es wünschenswert, dass sich Rumänien noch mehr um eine Imageverbesserung und konkrete Fortschritte bemühe.

Rumäniens Präsident Traian Băsescu, durchaus ein Kritiker der Regierung Ponta und deren wiederholter Verbalangriffe auf europäische Politiker, verteidigte ebenfalls seine Landsleute gegen die Unterstellungen einiger westlicher Medien. Er unterstrich, dass das Schüren von Ängsten und Vorurteilen im Kontext der anhaltenden Wirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit lediglich den nationalistischen Parteien bei der Europawahl im Mai Stimmen bringen würde.

Christine Chiriac


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Schlagwörter: Politik, Armutszuwanderung, Migration

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  • 26.01.2014, 20:27 Uhr von BV SCHRA: Gloria. 100% Recht! Wer sich da alles zu Wort meldet.... Merken die sächsischen Vertreter dennn ... [weiter]
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  • 26.01.2014, 15:53 Uhr von SBS aus BW: @Lee Berta, ohne Ihren Unsinn durchzulesen, bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich die ... [weiter]

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