11. Oktober 2015

Abschied von Stolzenburg

Pfarrer und Schriftsteller Walther Gottfried Seidner, 78, vielen als „Voltaire“ geläufiger, verlässt seine Stolzenburger Pfarre und übersiedelt nach Hermannstadt. In Stolzenburg hatte er von 1982 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand am 3. Januar 2008 gewirkt, blieb aber nach Beendigung seines aktiven Dienstes am Pfarrhof, auch um seinen Nachfolger Klaus Untch einzuarbeiten. Während seiner Amtszeit hatte er auch Haschagen, Salzburg, Törnen, Bell, Martinsdorf, Mardisch/Rosch, Reußen und zeitweilig auch Marktschelken zu betreuen.
Stolzenburg habe er stets als „Traumgemeinde“ empfunden, bloß im Presbyterium sei es hin und wieder „wie beim Fußball“ zugegangen, „männlich“ eben, so Seidner in einem Interview mit Gerda Ziegler (Siebenbürgische Zeitung vom 10. März 2008). Als besonders schmerzhaft habe er das Jahr 1990 empfunden: „Ganze 700 Seelen musste ich mir aus dem Herzen reißen. In dieser Zeit habe ich auch 500 Ahnenpässe ausgestellt.“

Was mit dem bald leerstehenden Pfarrhaus nach seiner Sanierung geschehen wird – Pfarrer Untch wird weiterhin in Hermannstadt wohnen –, ist noch nicht entschieden, wahrscheinlich aber „etwas mit Kultur“, zumal auf dem Pfarrhof mit dem markanten Treppengiebel vor „Voltaire“ schon andere dichtende und schreibende Pfarrer gewirkt hatten: Martin Malmer, Johann Plattner und Dr. Julius Hann von Hannenheim. Anfang 1849 hatte sich hier einige Tage lang auch General Josef Bem mit seinem Adjutanten, dem großen ungarischen Dichter Petöfi, nach der verlorenen Schlacht bei Hermannstadt aufgehalten.
Erklärt gerne die siebenbürgische Geschichte ...
Erklärt gerne die siebenbürgische Geschichte anhand der Burgruinen der Stolzenburg: Pfarrer und Schriftsteller Walther Seidner im September 2015. Foto: Konrad Klein
Pfarrer Seidner wird mit seiner Frau das Häuschen in der Konrad-Haas-Straße/Poschengasse Nr. 9 beziehen. Dem Schreiben wird sich der Autor des Mundartstückes „Sherlock Honnes“ natürlich auch in Zukunft widmen, auch wenn es jetzt mehr um Vergangenes und Erinnertes gehen wird. Was freilich nicht bedeuten muss, dass die Erinnerung immer nach hinten losgeht, wie Seidner irgendwo kalauert – ganz im Gegenteil. Fast abgeschlossen sind die Arbeiten an seinem neuen Band mit dem geplanten Titel „Tante Secu und die Hirschkäfer“, eine Sammlung von ernsten, aber auch amüsanten Geschichten aus der Vorwende-Zeit. „Am heitersten sind die Securitate-Geschichten“, scherzt Voltaire und genießt die Reaktion, die er damit auslöst. Was einfach durch die Freude des kleinen Mannes zu erklären ist, wenn er das allmächtige Securitate-Monster mal wieder überlistet hatte. „In jedem von uns steckt ein Besserwisser. Darum ist die Welt so unverbesserlich“, heißt es in einem der Aphorismen des „Schimpf-Hansen“ Walther Seidner in dessen überwiegend heiteren Geschichten- und Gedichtebuch „Auf Wolke Sieben/Bürgen“ (2007). Wie wahr. Ein unbequemer Zeitgenosse war Voltaire immer schon, der in seinem siebenbürgischen Schmollwinkel sprachgewitzt herumgrantelte (gern auch in Reimen) und nicht minder wortmächtig seinen öfter mal abweichenden Standpunkt vertrat. Wir wünschen ihm weiterhin einen produktiven Unruhestand mit gesunden und inspirierenden Jahren.

Konrad Klein

Schlagwörter: Stolzenburg, Seidner, Pfarrer, Hermannstadt

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