14. Oktober 2007

Siebenbürgen so schön, dass es schmerzt

Der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde hat für seine Mitglieder eine Studienfahrt organisiert, die das Thema der 42. Jahrestagung „Hermannstadt – ein Zentrum in Randlage“ im Kontext der allgemeinen kirchen- und städtegeschichtlichen Entwicklungen durch Lokalau­genschein vertiefen sollte.
Die Route Köln - Frankfurt - Nürnberg - Wien - Raab/Győr - Gran/ Esztergom - Plintenburg/Visegrad - Budapest - Großwardein - Altenberg/Baia de Criș - Tannen­hof/Brad - Großschlatten/Abrud - Kleinschlatten/Zlatna - Karlsburg - Hermannstadt - Mühlbach - Diemrich/Deva - Lugosch - Temeswar - Tschanad/Cenad – Szegedin/Szeged führte neben dem Primatialsitz Gran, dem die Propstei der Sachsen direkt nachgeordnet war, durch alle drei katholischen Bischofsstädte Siebenbürgens, durch die Zentren anderer Konfessionen sowie die Bergstädte des Siebenbürgischen Westgebirges, die mit zum Wohlstand Hermannstadts beigetragen haben. Kirchen und Städte standen im Mittelpunkt der Reise, doch konnte auch die Landschaft erlebt werden, ein Gefühl für die Entfernungen entwickelt werden, die man von Hermannstadt aus bewältigen musste, um ins kaiserliche Wien oder königliche Ofen/Buda zu gelangen. Eine Teilnehmerin schildert im Folgenden ihre persönlichen Reiseeindrücke.
Die Hl.-Ladislaus-Kathedrale des römisch ...
Die Hl.-Ladislaus-Kathedrale des römisch-katholischen Bischofs von Großwardein. Foto: Konrad Gündisch
Eine Franco-Sächsin ist klarerweise eine Französin, die einen sächsischen Vater hat. Ich berichte also (subjektiv) von innen-außen über eine Reise in Raum und Zeit – und in einem schönen Autobus, unter der Reiseleitung von Konrad Gündisch. Als die Franco-Sächsin be­schloss, sich mit dem Thema Siebenbürgen wieder zu beschäftigen, las sie auf Empfehlung von Paul Philippi zuerst Gündischs „Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen“ und war sehr beeindruckt. Da wurde sie stolz auf dieses kleine Völkchen, das so viel realisiert hatte. Wenn aber auf einmal der „Meister“ mit dröhnender Bassstimme im abfahrenden Bus tönte: „Frau Roooooth, wo steckt Ihr Zimmerschlüssel?“, dann wollte man in allen Sprachen der Welt in den Boden versinken. Zum Glück ist auch der Herr Professor und mit ihm seine ganze anwesende Familie (in Heltau wurde der 100. Ge­burtstag von Gustav Gündisch in der Schule mit demselbigen Namen sehr rührend gefeiert) die Potenzierung von Fröhlichkeit.

Diese Studienfahrt hat uns allen etwas Wert­volles gebracht, worauf wir nicht gefasst waren: historische und räumliche Kontinuität. Sonst fliegt man ja nach Rumänien, und das Fliegen verzettelt, atomisiert die räumliche Wahrneh­mung. Man taucht von einer Welt sofort in die andere ein. West und Ost. Im Gegensatz dazu hat diese Busreise dank der sehr genau ausgewählten, wunderbaren Kommentare Verbinden­des hergestellt. Frankfurt – Nürnberg – Her­mannstadt. Von deutschen Symbolen des Besten und des Schlimmsten bis zur nicht nur Her­mann-, sondern auch Hauptstadt der Sachsen.

Dazwischen Wien, Budapest, Geisa und Franz-Joseph, k.u.k. in Győr und Szeged, die ungarische Puszta, das flache Banat mit den breiten Straßen und den Entwässerungskanälen, die verwelkten Farben Temeswars in ihrer vergangenen Pracht und jetzigen Poesie, das orthodoxe Gebet und die ungarischen Fahnen in Karlsburg. Die Zusammensetzung der Reise wirkte als sinn­liche und bildliche Darstellung von 800 Jahren Geschichte, mit Einführungen, die meisterhaft zwischen Anekdotischem und Historischem variierten. Die Architektur, das Kulturerbe sind schon immer als Sinnbild der politischen Iden­tität betrachtet worden. Hier war es wie ein Film durch das Fenster.

Als von innen-außen Stammende hatte ich vor der Fahrt gemischte Gefühle. Würde ich wohl die einzige Nicht- oder Nicht-ganz-Sächsin sein? Würden die alten Regeln, das friedliche Neben­einander, aber nicht Miteinander von Völkern, in dieser (eingesperrten!) Mikrogesellschaft auch auftreten? Wo fängt das Anderssein an? Ich habe es sehr genossen, dass ich in dieses fast legendäre Zusammengehörigkeitsgefühl herzlich mit­einbezogen wurde, „Verbindlichkeit herstellen“ könnte das Motto der Fahrt gewesen sein, so­wohl geschichtlich und räumlich als auch zwischen den Menschen. Natürlich tauchte immer wieder die Frage auf: „Warum machen Sie mit?“ Natürlich fragt sich die Franco-Sächsin, warum sie in Siebenbürgen fast immer als Französin-Punkt vorgestellt wird, als hätte es die paar Jahrhunderte ihrer Ahnen nicht gegeben. Natür­lich war Erstaunen im Saal, als der deutsche Architekturhistoriker Timo Hagen sein (sehr interessantes) Referat hielt. Wie kann ein Nicht-Sachse über uns schreiben? In alledem war ein kleines Stück Vergangenheitsbewältigung ganz im Sinne des Arbeitskreises, dass nicht mehr jedes Volk über sich schreibt, sondern eine gemeinsame wissenschaftliche und auch breite gesellschaftliche Darstellung entsteht.

Auch in diesem Sinne haben wir viel über die „Anderen“ erfahren, seien es die Orthodoxen, die Unierten, die Katholiken, und manches erlebt, was das neue Verständnis von Zusammenleben anbelangt. Eine Taufe auf Deutsch und Rumä­nisch mit den zehn Händen auf dem Kopf des Kindes rührte uns alle, als Symbol der Einglie­derung in diese so alte und doch neue, offene Gemeinschaft. Inzwischen ist es fast selbstverständlich geworden, dass eine junge Rumänin den Heltau-Spezialisten Gündisch durch die Hel­tauer Kirchenburg führt, oder dass sechsjährige rumänische Schulkinder in sächsischer Tracht eine entzückende, wenn auch für manche schockierende Mischung von Volkstanz und Rock’n’ Roll vorführen – Weltmusik. Nicht nur die Sach­sen erleben jetzt das Multikulturelle (oder besser gesagt das Interkulturelle, da Multi immer schon da war). Es ist eine weltweite Erschei­nung, die auch in Rumänien zu beobachten ist. Also: Die Siebenbürger Sachsen und die Globa­lisierung?

Wir haben auch viele Gefühle in dieser Woche erlebt und geteilt. Die Wut hat uns manchmal vor zerstörenden Renovierungen in den Dörfern und zusammenfallenden Kirchenburgen ge­packt, die Trauer bei Erinnerungen von Knast oder Deportation, aber da auch die Bewunde­rung; die Freude zeigte sich im renovierten Her­mannstadt, im Gottesdienst haben viele von uns weinen müssen, und die Nostalgie ließen wir über uns ergehen, als all die Schatten der Ver­gangenen und Gegangenen einem auf den Stra­ßen begegneten. Wieder mussten wir weinen, diesmal vor Lachen, als Thomas Șindilariu, vielleicht unter Mitwirkung des hausgebrannten Schnapses der Schuldirektorin in Heltau, den Ernst des Archivars und Geschäftführers ablegte und im Bus eine humorvolle Show über die Bürden eines Tagungsveranstalters in Rumä­nien improvisierte. Wir haben viel gelacht in dieser Woche.

Wir wissen jetzt alles über zweitausend Kilo­meter Straßen. Von den Verbindungen zwischen dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Aden­auer, der deutschen STRABAG und dem siebenbürgischen Straßenbauingenieur Krasser Se­nior. Sein Sohn Udo, im Bus anwesend, konnte alles, aber wirklich alles über die Straßen in den befahrenen Ländern erzählen. Auch in der tiefsten Dunkelheit erkennt er jede Kurve. Herr Kasper erzählte uns auch viel über den Bergbau im Siebenbürgischen Westgebirge, noch genauer, im Erzgebirge. Die Stollen wurden dort An­fang der fünfziger Jahre nach den führenden Mitgliedern der KP neu getauft, was schnell aufgegeben wurde. Wie sollte man verantworten, dass plötzlich „Gheorghiu-Dej“ abgesoffen sei? Und über die Familienverhältnisse mancher Teilnehmer sind wir auch kundig geworden. Wer über die Sachsen schreiben und Sachsen befragen will, muss wissen, dass es sich in die Länge ziehen kann. Die Sachsen sind wie die Finnen, sie brauchen Zeit, um eine Frage zu beantworten. Die einen, weil sie langsam und wenig reden, die anderen, weil sie schnell und viel reden. Poesie hat uns auch begleitet. In religiöser Stille wurde aus der „Miorița“ oder aus der Anthologie von Georg Aescht gelesen, Über­setzungen aus dem Rumänischen in klarer, poetischer Sprache. Durch das Fenster die ersten Herbstfarben in den Westgebirgen, Siebenbürgen so schön, dass es schmerzt. Ich hatte noch nie so viele Sachsen auf einmal erlebt. Und ich bereue es nicht. Diese Woche war wie ein Monat, menschlich und intellektuell so bereichernd, dass ich nur eines sagen kann: „Merci, ech donken hiesch!“

Catherine Roth

Schlagwörter: AKSL, Reise

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