5. Juni 2013

„Auf Heimatsuche – 60 Jahre Kohleaktion“

1953 siedelten tausende Siebenbürger Sachsen aus Österreich in die Bergbaugebiete Nordrhein-Westfalens um, wo sie sich als Bergleute eine neue Existenz aufbauten. An diese sogenannte „Kohleaktion“ vor 60 Jahren erinnerte beim Heimattag in Dinkelsbühl die Ausstellung der Landesgruppe NRW „Auf Heimatsuche – 60 Jahre Kohleaktion“.
Die im Konzertsaal im Spitalhof präsentierten Fotos, Dokumente und Exponate informierten über die Durchführung der Kohleaktion. Die in der Folge entstandenen Siedlungen in Herten-Langenbochum, Oberhausen-Osterfeld und Setterich wurden ebenso vorgestellt wie die später errichtete Siebenbürger-Sachsen-Siedlung in Drabenderhöhe. Im Fokus der Ausstellung stand auch die 1957 begründete Patenschaft des Landes NRW über die damalige Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. In die Ausstellung führte am Samstag, den 18. Mai, die Vorsitzende der Kreisgruppe Drabenderhöhe, Enni Janesch, im voll besetzten Saal mit dem nachfolgenden Vortrag ein.

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Das Plakat zu dieser Ausstellung „Auf Heimatsuche- 60 Jahre Kohleaktion“ zeigt einen bestickten Wandbehang der Mädchen aus der Settericher Schwesternschaft, mit dem sie 1958 bei einem Jugendwettbewerb den ersten Preis gewonnen haben. Die dreigeteilte Darstellung symbolisiert den Schicksalsweg der Siebenbürger Sachsen, die ihre Heimat, „Siebenbürgen, Land des Segens“, 1944 verlassen, mit Gottvertrauen im Treck auf einen langen Weg ins Ungewisse aufbrechen, nur mit der Gewissheit „Gottes Wege sind nicht unsere Wege“, um nach mehreren Jahren voller Entbehrungen im nordrhein-westfälischen Kohlerevier, im „Land der Väter“, anzukommen.
Enni Janesch, Vorsitzende der Kreisgruppe ...
Enni Janesch, Vorsitzende der Kreisgruppe Drabenderhöhe, führte in die Ausstellung „Auf Heimatsuche – 60 Jahre Kohleaktion“ der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen ein. Foto: Christian Schoger
Bis 1940 leben die Siebenbürger Sachsen in dem Land, das sie im 12. Jahrhundert besiedelt haben und wo sich ein blühendes Gemeinschaftsleben entwickelt hat. Durch den Zweiten Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940 wird ihr Siedlungsgebiet erstmals auseinandergerissen. Nordsiebenbürgen wird Ungarn zugeschlagen, der Rest bleibt bei Rumänien. Anfang Herbst 1944 ordnet der kommandierende General des deutschen Heeres die Evakuierung Nordsiebenbürgens und einiger Teile Südsiebenbürgens an. Rund 35 000 Siebenbürger Sachsen verlassenen vor der anrückenden Roten Armee etwa 40 sächsische Gemeinden. Unter den Klängen der Heimatglocken setzen sich vom 6. bis 19. September lange, nach Dörfern geordnete Trecks westwärts in Bewegung. Zurück bleiben die überreichen Vorräte und Geräte in Haus, Hof und auf dem Feld, die intakten Einrichtungen der Handwerks- und Industriebetriebe und alle Gemeinschaftseinrichtungen. Nach entbehrungsreichen acht bis zehn Wochen erreichen die Trecks Ende November die Grenze zu Österreich, damals auch Grenze zum Deutschen Reich. Die Flüchtlinge werden meistens nach dörflichen Gemeinschaften auf verschiedene österreichische Regionen und ins Sudetenland verteilt. Zu den Flüchtlingen aus Nordsiebenbürgen kommen nach dem Zweiten Weltkrieg die Männer, die im deutschen Heer gekämpft haben und in Österreich in amerikanische Gefangenschaft geraten sind. Die 1945 aus Siebenbürgern nach Russland deportierten Männer und Frauen, die aus Krankheitsgründen nach Ostdeutschland entlassen werden, kommen als dritte Gruppe dazu. Staaten- und rechtlos leben sie alle in Barackenlagern, Arbeitsplätze gibt es nur als Tagelöhner bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben.

Aufnahmeverhandlungen mit westlichen Staaten wie Luxemburg und Frankreich sowie die Kontaktaufnahmen mit nord- und südamerikanischen Regierungen führen zu keinem Erfolg. Am 5. Oktober 1951 beschließt der „Hunderterausschuss“ der Landsmannschaft in Vöcklabruck einstimmig, mit westdeutschen Regierungsstellen in Verbindung zu treten mit dem Ziel einer Umsiedlung in die Bundesrepublik. Der aus Sächsisch Reen stammende Rechtsanwalt Dr. Eduard Keintzel und der ehemalige Generaldechant Dr. Carl Molitoris werden beauftragt, die Gespräche zu führen. Nach langen, zähen Verhandlungen mit der Bundesregierung und dem Land Nordrhein-Westfalen gelingt es Dr. Keintzel, mit Bergwerksgesellschaften im Ruhrgebiet in Verbindung zu treten. Im Kohlebergbau werden im Ruhrgebiet Arbeitskräfte gebraucht, denn „Deutsche Wirtschaft heißt Deutsche Kohle“. Die Errichtung dreier Siedlungen wird in Aussicht gestellt. Rund 11 000 Personen melden sich und werden in einer Umsiedlungsliste geführt. Die Einreisegenehmigung in die Bundesrepublik gibt es nicht für eine landsmannschaftliche Gruppe der Siebenbürger Sachsen aus Österreich, sondern jeder einzelne Bewerber muss einer Überprüfung durch das Bundesministerium standhalten.

Am 17. März 1953 trifft der erste Sammeltransport im Ruhrgebiet ein. Aus siebenbürgischen Bauern - 70 % der Bewerber -, Handwerkern, Kaufleuten, Lehrern und Pfarrern werden Kumpel. Sie arbeiten im „Pütt“, werden Knappen oder Hauer, einige Jüngere sogar Steiger. Das Geleucht, (die Lampe) auf der Stirn wird zum Erkennungszeichen, und Begriffe wie Schacht, Förderkorb, Gezähe (Werkzeug), Bewetterung, Flöz, Streb, Waschkaue und Abraum gehören nun zum täglichen Vokabular. Die Arbeit unter Tage ist ungewohnt und hart, aber die siebenbürgischen Bergmänner zeichnen sich durch Fleiß, Zuverlässigkeit und Ausdauer aus.

Zuerst kommen nur die Männer, die zunächst in „Junggesellenheimen“ untergebracht werden, dann ziehen die Familienangehörigen nach. Als die Familien in die von den Bergwerksgesellschaften erstellten Siedlungen in Herten-Langenbochum, in Oberhausen-Osterfeld und in Setterich bei Aachen einziehen, wohnen sie in den damals modernsten Bergarbeitersiedlungen. In ihrem unsichtbaren Gepäck haben die Neusiedler ihre Kultur und ihr Brauchtum aus Siebenbürgen in das Ruhrgebiet mitgebracht. Die Straßen erhalten Namen siebenbürgischer Städte und Persönlichkeiten, Gemeinschaftseinrichtungen wie das Haus Siebenbürgen in Herten werden gebaut. Es werden Kreisgruppen der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen und Kulturgruppen gegründet, wie Blaskapellen, Chöre, Frauenvereine, in Setterich „Frauenschaft“ genannt, Jugendgruppen und Jugendvolkstanzgruppen, in Oberhausen und Setterich nach altem Brauch als „Bruder- und Schwesternschaft“ benannt. Als ich 1958 aus Siebenbürgen nach Osterfeld kam, hatte die Bruder- und Schwesternschaft mehr als 40 Mitglieder. In allen drei Siedlungen entsteht ein aktives Gemeinschaftsleben. Das Verhalten der neuen Siedler und ihr Integrationswille bringen ihnen Achtung und Anerkennung ein. Es folgen 1955 die Übergabe der Staatsbürgerschaft und kurz danach die Erlangung der Vertriebeneneigenschaft und des Lastenausgleichs. Ausstellungen und große Veranstaltungen wie in Düsseldorf, Xanten oder Bad Oeynhausen machen die Siebenbürger Sachsen auch in anderen Teilen NRWs bekannt. Die Jugendlichen aus den drei Siedlungen besuchen sich regelmäßig und treffen sich zu Volkstanzwettbewerben und Sportfesten.

Der Bundesvorstand in München war 1951/52 der Umsiedlung aus Österreich erst kritisch gegenüber gestanden und hatte von der „Kohleaktion“ entschieden abgeraten. Bei einem klärenden Gespräch im Februar in München 1953 bahnen sich dann Verbindungen zu dem damals noch kleinen Landesverband in NRW an, von dem in den folgenden Jahren wichtige Impulse ausgehen und der eine der stärksten Stützen der Landsmannschaft in Deutschland wird.

Das wichtigste Ereignis für die Siebenbürger Sachsen in den Anfangsjahren ist die Übernahme der Patenschaft durch das Land NRW am 26. Mai 1957 im Düsseldorfer Landtag. Mit der Patenschaft gewinnen die Siebenbürger Sachsen einen politischen und auch geistigen Rückhalt. Darüber hinaus kann sich das Patenkind Jahrzehnte lang danach über großzügige Förderungen erfreuen. Die positiven Erfahrungen in den Bergwerkssiedlungen bewirken, dass weitere Siedlungsvorhaben angedacht werden. Der Landesvorstand von NRW, allen voran Robert Gassner, sucht nach geeigneten Orten für siebenbürgische Ansiedlungen im ländlichen Raum. In der Gemeinde Overath, den Ortsteilen Großhurden, Heidermühle und Immekeppel werden Anfang der 1960er Jahre 40 Nebenerwerbssiedlungen, die meisten in Eigenleistung, errichtet, die am 24. Oktober 1964 feierlich eingeweiht werden. Platz für ein großes Siedlungsvorhaben findet man nach längerem Suchen im Oberbergischen Land, in Drabenderhöhe, einem kleinen Ort der Gemeinde Bielstein. Die ersten Kontakte finden 1961 statt, am 17. Dezember 1964 zieht die erste Familie ein und am 17. Juni 1966 kann Robert Gassner, der „Vater der Siedlung“, bei der Einweihungsfeier sagen: „Wir sind daheim“.

Unter der Regierung von Ministerpräsident Dr. Franz Meyers und vor allem durch den Einsatz des damaligen Arbeits- und Sozialministers Konrad Grundmann entsteht hier eine Siedlung für 1500 Siebenbürger Sachsen mit Gemeinschaftsbauten wie dem Jugendheim, dem Kulturhaus Hermann-Oberth (wie es damals hieß) und mitten im Ort, auf der Schnittstelle zwischen Altdorf und Siedlung, dem Altenheim- und Pflegeheim „Haus Siebenbürgen Drabenderhöhe“, dessen Trägerverein, der Hilfsverein „Adele-Zay“, im Februar 1962 gegründet worden war. Für den Bau der Gemeinschaftsbauten und den Ankauf des Baugrundes wird die noch heute agierende Oberbergische Aufbau-Gesellschaft ins Leben gerufen, die in späteren Jahren unser ehemaliger Bundesvorsitzender Volker Dürr bis zu seiner Pensionierung leitet. Heute leben nach fünfmaliger Erweiterung knapp 3000 Siebenbürger Sachsen aus ca. 200 Ortschaften Siebenbürgens in der größten siebenbürgischen Ansiedlung weltweit. Die Siedlung gilt als Modell für gelungene Integration. Viele prominente Politiker, darunter alle Arbeits-und Sozialminister des Landes NRW, waren vor Ort und zeigten sich von dem Gemeinschaftssinn- und -leben beeindruckt.

Die Bundespräsidenten Prof. Dr. Carl Carstens, Dr. Richard von Weizsäcker, Roman Herzog, und Johannes Rau waren Gäste in Drabenderhöhe Diese Besuche galten uns Siebenbürger Sachsen und können als Wertschätzung der Geschichte des ganzen siebenbürgischen Volkes und dessen Leistungen angesehen werden. Seit 2004 befindet sich auf dem Gelände des Alten- und Pflegeheims das Wahrzeichen der Siedlung, der Turm der Erinnerung, gebaut als Dank für die Beheimatung der Siebenbürger Sachsen in Drabenderhöhe und als ideelle Verbindung zu deren Heimat Siebenbürgen.

Heute, 60 Jahre nach der „Kohleaktion“, kann man sagen: Die Integration der Siebenbürger Sachsen in NRW ist gelungen. Daher gilt es Dank zu sagen. Dank den Großeltern und Eltern, die den beschwerlichen Anfang nicht gescheut haben. Ein besonderer Dank gilt unserem Patenland, ohne dessen Unterstützung diese Entwicklung nicht möglich gewesen wäre. Aus dem Dank erwächst die Verpflichtung, das mitgebrachte kulturelle Erbe weiter zu bewahren und zu pflegen. Härr Hälf, dass es noch lange gelingt! (…) und ich schließe mit dem Bergmannsgruß: „Glück auf!“

Schlagwörter: Heimattag 2013, Dinkelsbühl, Ausstellung, Nordrhein-Westfalen

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Neueste Kommentare

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