23. September 2014

"Vertreibung ist und bleibt Unrecht"

Wiesbaden – Der Festakt zum ersten Hessischen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation fand am 14. September im Hessischen Landtag in Wiesbaden mit starker Präsenz der Vertriebenen- und Aussiedlerverbände aus ganz Hessen statt. Die musikalisch umrahmte Festveranstaltung wurde von der Hessischen Landesregierung und dem Bund der Vertriebenen (BdV) gemeinsam ausgerichtet. Hessens Staatsminister für Soziales und Integration Stefan Grüttner würdigte in seiner Ansprache die „außergewöhnliche Leistung“ der deutschen Heimatvertriebenen bei ihrer Integration sowie beim Wiederaufbau in Hessen nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der Präsident des Hessischen Landtags, Norbert Kartmann, begrüßte unter den Festgästen u. a. Hessens Kultusminister Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz, den Hessischen Minister für Soziales und Integration Stefan Grüttner, den Hessischen Minister für Bundesangelegenheiten und Bevollmächtigten des Landes beim Bund Michael Boddenberg, den Staatssekretär im Hessischen Innenministerium Werner Koch, BdV-Präsidentin Erika Steinbach, die Hessische Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler Margarete Ziegler-Raschdorf, den Landesvorsitzenden des BdV Hessen, Siegbert Ortmann, und hieß den Festredner Milan Horáček herzlich willkommen. Die Landesgruppe Hessen des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland vertraten die Landesvorsitzende Ingwelde Juchum und ihr Stellvertreter Reinhold-Johann Sauer. Norbert Kartmann, der bekanntlich siebenbürgisch-sächsische Wurzeln hat (Sohn des Hetzeldorfer Lehrers Samuel Kartmann), stellte fest, dass von jenen, die dem Schicksal von Flucht, Vertreibung und Deportation nicht entrinnen konnten, heute nicht mehr viele lebten: „Wir als Politiker haben diesen und der Geschichte gegenüber die Verpflichtung, andere daran zu erinnern, warum es geschah, wie es geschah und was es für die Menschen bedeutet hat“, sagte Kartmann. Um gehört zu werden, bedürfe es solcher Veranstaltungen wie dieser. Eine besondere Verantwortung käme auch den Medien zu, betonte der Hessische Landtagspräsident.

Hessens Staatsminister für Soziales und Integration Stefan Grüttner wies in seiner Ansprache darauf hin, dass der neue Gedenktag auf einen Beschluss der Landesregierungen in Hessen, Bayern und Sachsen im Jahr 2013 zurückgehe, jeweils am zweiten Sonntag im September die Erinnerung an Flucht und Vertreibung wach zu halten. Das Datum schließe den traditionellen „Tag der Heimat“ ein. Der Minister unterstrich erneut die Bedeutung der Vertriebenen für die Hessische Landesregierung. Etwa ein Viertel der Bevölkerung Hessens habe das Schicksal der Flucht mindestens mittelbar in ihren Familien erlebt. Mit der Integration der Heimatsuchenden und ihrer Mitwirkung am Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg sei eine außergewöhnliche Leistung vollbracht worden. Die schon in den Anfangsjahren der Bundesrepublik erhobene Forderung nach einem Recht auf Heimat sei richtig: „Vertreibung ist und bleibt Unrecht“, bekräftigte der Minister. Der CDU-Politiker bestärkte den Bund der Vertriebenen darin, bei der eigenen Erinnerungsarbeit auch für die weltweit über 50 Millionen Flüchtlinge einzutreten. Die größte Gruppe komme bekanntlich aus Syrien nach Deutschland. „Für mich gehört die Teilnahme am heutigen Schicksal der Flüchtlinge dazu“, äußerte sich Sozialminister Grüttner überzeugt.
Ehrengäste beim Festakt in Wiesbaden, von rechts ...
Ehrengäste beim Festakt in Wiesbaden, von rechts nach links: Margarete Ziegler-Raschdorf, Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, BdV-Präsidentin Erika Steinbach, Festredner Milan Horáček, Minister für Soziales und Integration Stefan Grüttner, Georg Stolle, Ehrenbürgermeister der Stadt Bensheim, Landesvorsitzender des BdV Hessen Siegbert Ortmann, Landtagspräsident Norbert Kartmann. Foto: Erika Quaiser
Der Landesvorsitzende des BdV Hessen, Siegbert Ortmann, bekundete seine „große Freude und Genugtuung“ über das Zustandekommen des Festaktes zum ersten Hessischen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation. Er sei der Landesregierung dankbar, dass sie mit der Einführung dieses eigenen Gedenktages ihre Solidarität und Wertschätzung gegenüber denjenigen, die unter den Folgen von Flucht, Vertreibung und Deportation litten oder zu leiden hatten, zum Ausdruck bringe. Das bedauerlicherweise vielfach noch bestehende Image des BdV als „Verband der ewig Gestrigen“ müsse durch überzeugende Wege zu einer Aussöhnung und Verständigung der Völker unter Einbindung der jeweiligen deutschen Minderheiten vor Ort widerlegt werden. Der Einsatz für Vertriebene, Flüchtlinge und Deportierte bleibe auch im Jahr 2014 eine verantwortungsvolle Aufgabe, der sich der Bund der Vertriebenen aus tiefer Überzeugung stellen müsse.

Recht auf Heimat für die Vertriebenen


Die Festrede hielt der aus dem nordmährischen Groß Ullersdorf stammende diesjährige Europäische Karlspreisträger der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Milan Horáček. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings emigrierte er in die Bundesrepublik, war Gründungsmitglied der Grünen und lange Jahre Bundestags- sowie Europaabgeordneter der Partei. In einer sehr persönlichen Rede erinnerte Horáček an die Zeit, als die Tschechische Republik noch hinter Stacheldraht eingesperrt war. Aus der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ vom 5. August 1950 werde oft zitiert, dass die Heimatvertriebenen auf Rache und Vergeltung verzichteten. Es sei aber kaum noch bekannt, dass ein Tag vorher, am 4. August 1950, das Wiesbadener Abkommen geschlossen wurde, eine unterzeichnete Willenserklärung des Tschechischen Nationalausschusses und der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen. Im Abkommen werde der Wunsch beider Seiten bekundet, in der Tschechoslowakei demokratische Verhältnisse herzustellen und den Sudetendeutschen die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen. Ähnlich wie in der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ werde eine Kollektivschuld für das gegenseitig zugefügte Unrecht abgelehnt. Die Ablehnung der Kollektivschuld und das Recht auf Heimat für die Vertriebenen würden auch heute noch gelten. Entschieden forderte Horáček, dass die Beneš-Dekrete, denen zufolge in den ersten Jahren nach dem Krieg die Deutschen in der Tschechoslowakei enteignet und vertrieben wurden, eines Tages „auf dem Misthaufen der Geschichte landen“ müssten.

Mit der deutschen Nationalhymne gingen der Festakt zum ersten Hessischen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation sowie der zentrale Tag der Heimat 2014 in Wiesbaden würdig zu Ende.

Norbert Quaiser

Schlagwörter: Hessen, Flucht und Vertreibung, Gedenktag

Bewerten:

17 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.