11. Februar 2015

Zum Tod von Altbundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker

Berlin - Altbundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker ist am 31. Januar im Alter von 94 Jahren in Berlin gestorben. Der am 15. April 1920 in Stuttgart geborene studierte Jurist war Regierender Bürgermeister von Berlin (1981-84) und in den Jahren 1984 bis 1994 Präsident der Bundesrepublik Deutschland. In seiner Amtszeit ereigneten sich die friedliche Revolution, Mauerfall und Wiedervereinigung. In seiner historischen Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 gedachte er der Millionen Opfer von Krieg und Holocaust, mahnte zu einer verantwortungsvollen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und warb für ein friedliches Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarländern (Auszüge der Rede siehe unten). Als Soldat hatte Richard von Weizsäcker am Zweiten Weltkrieg in Polen und der Sowjetunion teilgenommen und war mehrfach verwundet worden. Der CDU-Politiker wurde freilich auch durch sein Engagement in der evangelischen Kirche bekannt, als Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, als langjähriges Mitglied der Synode und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Bundestagspräsident Norbert Lammert hat Richard von Weizsäcker als „herausragende Persönlichkeit“ der deutschen Nachkriegsgeschichte gewürdigt. Deutschland habe „ein großes Staatsoberhaupt, für viele Menschen eine Identifikationsfigur“ verloren. Bundespräsident Joachim Gauck hat für die Trauerfeier am 11. Februar in Berlin einen Staatsakt angeordnet, an dem neben der Familie des Verstorbenen hohe Repräsentanten aus Staat, Diplomatie, Politik, Kirche, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft teilnahmen.

Bundesvorsitzender Dr. Bernd Fabritius: „Rede vom 8. Mai 1985 hat historische Bedeutung“


Zum Tod des Altbundespräsidenten erklärte der Bundesvorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und Präsident des Bundes der Vertriebenen, Dr. Bernd Fabritius, MdB, gegenüber der Siebenbürgischen Zeitung: „Mit dem Tod Richard von Weizsäckers verliert unser Land eine bedeutende Persönlichkeit. Er war ein leidenschaftlicher Politiker, der unser Land geprägt hat. Seine Rede vom 8. Mai 1985 hat historische Bedeutung und bleibt unvergessen. Er hat die Bedeutung der Befreiung Deutschlands vom Naziterror herausgestellt und gleichzeitig betont, dass Schuld wie auch Unschuld nie kollektiv, sondern individuell ist. Mit Richard von Weizäcker ist ein großer Staatsmann und Mitstreiter für die Deutsche Einheit von uns gegangen. Er ist der Bundespräsident der deutschen Wiedervereinigung. Wir werden sein Gedenken in Ehren halten.“

In der Tat haben wir Siebenbürger Sachsen Anlass, Richard von Weizsäcker ein dankbares Andenken zu bewahren. Erinnert sei nur an den freundschaftlichen Besuch des deutschen Staatsoberhauptes in der Siebenbürger-Sachsen-Siedlung Drabenderhöhe am 10. Juli 1986. „Die Siebenbürger Sachsen“, würdigte Weizsäcker dabei, „sind ein vorbildliches Beispiel dafür, wie sich Menschen gegenseitig helfen, wenn ihnen politische Zeitläufte unschuldig ein schweres Schicksal aufbürden“. In Tischgesprächen im siebenbürgischen Altenheim Adele Zay informierte der seinerzeitige Bundesvorsitzende Dr. Wolfgang Bonfert den Bundespräsidenten über aktuelle Fragen. In dem Bericht der Siebenbürgischen Zeitung (Folge 12 vom 31. Juli 1986, Seite 1) lesen wir: „Dabei wurde von Weizsäckers tiefe Sorge um die Lage der Sachsen in Siebenbürgen deutlich und sein Blick für die Gefahr der dortigen Assimilationsvorgänge. Von Weizsäcker versicherte Dr. Bonfert, daß er alles in der Macht seines Amtes Stehende tun werde, um, den Realitäten Rechnung tragend, für Hilfe zu sorgen.“ Richard von Weizäcker erwähnte in Drabenderhöhe übrigens auch seinen Siebenbürgen-Besuch zu Beginn der 1930er Jahre, der ihm, dem damals Halbwüchsigen, als er zu Fuß von Hermannstadt nach Kronstadt gewandert sei, einen unvergessenen Eindruck von der „Kraft des Zusammenlebens“ der Deutschen in jener Landschaft vermittelt habe.

Ehrenvorsitzender Dr. Wolfgang Bonfert empfindet „größte Hochachtung vor diesem außergewöhnlichen Menschen und Politiker“


Als zugewandt, engagiert und mit offenem Ohr für die Belange seiner deutschen Landsleute in Rumänien, mithin auch der Siebenbürger Sachsen, erlebte den Staatsmann Dr. Wolfgang Bonfert (1930 in Bukarest geboren), Ehrenvorsitzender und von 1983 bis 1989 Bundesvorsitzender unseres Verbandes. Seine persönlichen Erinnerungen schildert er so: „Die Amtszeit des am 23. Mai 1984 gewählten Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker lief parallel zu meiner (April 1983 bis 11. November 1989), nur war er länger im Amt (bis 1994). Zu seiner Wahl habe ich ihm im Namen der Landsmannschaft telegraphisch gratuliert. Persönlich begegnet bin ich ihm das erste Mal bei den Vorbesprechungen zum Staatsbesuch von Ceaușescu am 11. Oktober 1984 im Bundespräsidialamt in Bonn, wo ich ihm im Beisein von Hans Hartl, Dankwart Reißenberger, Sepp Schmidt (Banater Schwabe) und Franz Einfeld (Sathmarer Schwabe) die Situation in Siebenbürgen und unsere Anliegen vortragen konnte. Er hat damals schon erwähnt, dass er Siebenbürgen von einer Wanderung her kennengelernt habe und mit großer Aufmerksamkeit unsere Vorträge anhöre. Die zweite Begegnung fand wenige Tage später am 15. Oktober 1984 beim Empfang des Bundespräsidenten zu Ehren des Staatsgastes und seiner Frau Elena im Schloss Augustusburg bei Brühl statt, wo Richard von Weizsäcker in seiner Tischrede sehr ausführlich die Situation der Deutschen in Rumänien ansprach und Verbesserungen anregte, ganz im Sinne des Vorgesprächs. Ceaușescu ist damals nicht darauf eingegangen und hat sich auch nach dem Abendessen vor der vorgesehenen Gesprächsbegegnung verabschiedet, auf der ich dann Gelegenheit hatte, dem Bundespräsidenten für seine Ausführungen zu danken. Wie sehr Ceaușescu damals ablehnend reagierte, ist auch daran zu messen, dass ein Schlusskommuniqué nicht zustande kam.
Herzlicher Empfang in der Siebenbürger-Sachsen ...
Herzlicher Empfang in der Siebenbürger-Sachsen-Siedlung Drabenderhöhe am 10. Juli 1986: Bundesvorsitzender Dr. Wolfgang Bonfert begrüßt Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker (mit Blumenstrauß); außerdem auf dem Bild, von links: Robert Gassner, Christa Brandsch-Böhm und Hagen Jobi (im Trachtenhemd).
Ein drittes Mal bin ich dem Altbundespräsidenten in Drabenderhöhe nach dem 20-jährigen Jubiläum am 10. Juli 1986 begegnet, wo ich auch kurz mit ihm sprechen konnte. Allerdings hatten damals die ‚Lokalmatadoren‘ das Sagen. Mein Eindruck von ihm: aufmerksamer Zuhörer, präzise Fragen, konzentrierte Erwiderungen, warmherzig und Anteil nehmend, über den Dingen stehend. Seine Rede zum 8. Mai habe ich als eindrucksvoll und überraschend in ihrer Klarheit und als zukunftsweisend empfunden, wie ich überhaupt immer wieder größte Hochachtung vor diesem außergewöhnlichen Menschen und Politiker empfunden habe, der, ohne großes Aufsehen, vieles auf den Punkt gebracht hat.“

Christian Schoger




"Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“


Aus der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985


In seiner historischen Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 vor dem Deutschen Bundestag erklärte Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der 8. Mai sei ein Tag der Befreiung. Das Kriegsende sei nicht mehr nur als Niederlage zu verstehen, sondern als Befreiung „von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Flucht und Vertreibung dürften nicht losgelöst gesehen werden von der „Gewaltherrschaft, die zum Kriege führte“. Die Rede fand im In- wie Ausland weithin positive Resonanz, stieß aber auch auf Kritik in konservativen Kreisen, die Weizsäckers Bewertung des 8. Mai 1945 als Tabubruch betrachteten, indes Vertriebenenverbände eine Anerkennung bestehender Grenzen monierten. Lesen Sie im Folgenden ausgewählte Passagen dieser historischen Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.


„Viele Völker gedenken heute des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging. Seinem Schicksal gemäß hat jedes Volk dabei seine eigenen Gefühle. Sieg oder Niederlage, Befreiung von Unrecht und Fremdherrschaft oder Übergang zu neuer Abhängigkeit, Teilung, neue Bündnisse, gewaltige Machtverschiebungen - der 8. Mai 1945 ist ein Datum von entscheidender historischer Bedeutung in Europa. (…) Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewußt erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit ganz unterschiedliche Erfahrungen zurück. Der eine kehrte heim, der andere wurde heimatlos. Dieser wurde befreit, für jenen begann die Gefangenschaft. Viele waren einfach nur dafür dankbar, daß Bombennächte und Angst vorüber und sie mit dem Leben davongekommen waren. Andere empfanden Schmerz über die vollständige Niederlage des eigenen Vaterlandes. Verbittert standen Deutsche vor zerrissenen Illusionen, dankbar andere Deutsche vor dem geschenkten neuen Anfang. Es war schwer, sich alsbald klar zu orientieren. Ungewißheit erfüllte das Land. Die militärische Kapitulation war bedingungslos. Unser Schicksal lag in der Hand der Feinde. Die Vergangenheit war furchtbar gewesen, zumal auch für viele dieser Feinde. Würden sie uns nun nicht vielfach entgelten lassen, was wir ihnen angetan hatten? (…) Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen. Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.“ (…)

Wir gedenken heute in Trauer aller Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft. Wir gedenken insbesondere der sechs Millionen Juden, die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden. Wir gedenken aller Völker, die im Krieg gelitten haben, vor allem der unsäglich vielen Bürger der Sowjetunion und der Polen, die ihr Leben verloren haben. Als Deutsche gedenken wir in Trauer der eigenen Landsleute, die als Soldaten, bei den Fliegerangriffen in der Heimat, in Gefangenschaft und bei der Vertreibung ums Leben gekommen sind. Wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, der getöteten Homosexuellen, der umgebrachten Geisteskranken, der Menschen, die um ihrer religiösen oder politischen Überzeugung willen sterben mußten. Wir gedenken der erschossenen Geiseln. Wir denken an die Opfer des Widerstandes in allen von uns besetzten Staaten. Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstandes, des bürgerlichen, des militärischen und glaubensbegründeten, des Widerstandes in der Arbeiterschaft und bei Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten. Wir gedenken derer, die nicht aktiv Widerstand leisteten, aber eher den Tod hinnahmen, als ihr Gewissen zu beugen. (…)

Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Jüngere und Ältere müssen und können sich gegenseitig helfen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten. Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie läßt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.(…)

Bei uns selbst wurde das Schwerste den Heimatvertriebenen abverlangt. Ihnen ist noch lange nach dem 8. Mai bitteres Leid und schweres Unrecht widerfahren. Um ihrem schweren Schicksal mit Verständnis zu begegnen, fehlt uns Einheimischen oft die Phantasie und auch das offene Herz. Aber es gab alsbald auch große Zeichen der Hilfsbereitschaft. Viele Millionen Flüchtlinge und Vertriebene wurden aufgenommen. Im Laufe der Jahre konnten sie neue Wurzeln schlagen. Ihre Kinder und Enkel bleiben auf vielfache Weise der Kultur und der Liebe zur Heimat ihrer Vorfahren verbunden. Das ist gut so, denn das ist ein wertvoller Schatz in ihrem Leben. Sie haben aber selbst eine neue Heimat gefunden, in der sie mit den gleichaltrigen Einheimischen aufwachsen und zusammenwachsen, ihre Mundart sprechen und ihre Gewohnheiten teilen. Ihr junges Leben ist ein Beweis für die Fähigkeit zum inneren Frieden. Ihre Großeltern oder Eltern wurden einst vertrieben, sie jedoch sind jetzt zu Hause. Früh und beispielhaft haben sich die Heimatvertriebenen zum Gewaltverzicht bekannt. Das war keine vergängliche Erklärung im anfänglichen Stadium der Machtlosigkeit, sondern ein Bekenntnis, das seine Gültigkeit behält. Gewaltverzicht bedeutet, allseits das Vertrauen wachsen zu lassen, daß auch ein wieder zu Kräften gekommenes Deutschland daran gebunden bleibt. (…) Gewaltverzicht heute heißt, den Menschen dort, wo sie das Schicksal nach dem 8. Mai hingetrieben hat und wo sie nun seit Jahrzehnten leben, eine dauerhafte, politisch unangefochtene Sicherheit für ihre Zukunft zu geben. Es heißt, den widerstreitenden Rechtsansprüchen das Verständigungsgebot überzuordnen. Darin liegt der eigentliche, der menschliche Beitrag zu einer europäischen Friedensordnung, der von uns ausgehen kann.

(…) Wenn wir daran denken, was unsere östlichen Nachbarn im Kriege erleiden mußten, werden wir besser verstehen, daß der Ausgleich, die Entspannung und die friedliche Nachbarschaft mit diesen Ländern zentrale Aufgaben der deutschen Außenpolitik bleiben. Es gilt, daß beide Seiten sich erinnern und beide Seiten einander achten. Sie haben menschlich, sie haben kulturell, sie haben letzten Endes auch geschichtlich allen Grund dazu. (…)“

Schlagwörter: Nachruf, Bundespräsident, Drabenderhöhe, Verband, Fabritius, Bonfert, Weizsäcker, Rumänien, Ceausescu

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