31. Mai 2015

Aus dem Gedenken an erlittenes Unrecht wächst friedvolles Miteinander

An das Leid der über 30 000 Siebenbürger Sachsen, die vor 70 Jahren zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert wurden, hat Werner Henning, CSU-Stadtrat in Nürnberg und Mitglied im Landesvorstand der Union der Vertriebenen und Aussiedler, am Pfingstsonntag, dem 24. Mai 2015, an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl erinnert. Henning forderte in seiner Rede eine öffentliche Anerkennung des an unseren Vorfahren begangenen Verbrechens und mahnte zugleich zu einem solidarischen, friedvollen Zusammenleben im 21. Jahrhundert. Seine Ansprache wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben.
Vor dem Hintergrund des 70. Jahrestages der Deportation der Siebenbürger Sachsen zeigt sich an einem Tag wie dem heutigen besonders deutlich, wie sehr Heimat ein Thema ist, das die Menschen bewegt.

Der Heimattag 2015 steht unter dem Motto „Identität lohnt sich“ und ich finde, die rund 20 000 Besucherinnen und Besucher hier in Dinkelbühl haben das ganze Wochenende über diesen Satz mit reichlich Leben gefüllt. Identität – das ist auch immer ein bestimmtes Selbstbewusstsein: es beinhaltet Werte, Traditionen, Fähigkeiten und Verhaltensmuster. Die Menschen finden also auf ganz unterschiedlichen Wegen dazu, etwa über die Familie, die Religion, die Region oder die Sprache. Für die meisten unter uns lässt sich all das sicherlich unter dem Erlebnis „Heimat“ zusammenfassen.

Heimat – so habe ich einmal gelesen – „Heimat ist, wo wir unseren Lebensfaden festgemacht haben.“ In dieser Definition schwingt auch etwas Aktives mit: Wir sind nicht nur qua Geburt oder Aufwachsen irgendwo verwurzelt, wir verwurzeln uns auch selber.
Werner Henning erinnerte in seiner Rede an der ...
Werner Henning erinnerte in seiner Rede an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl an das erlittene Unrecht der Russlanddeportierten. Foto: Hans-Werner Schuster
So bedeutungsvoll die ursprüngliche Heimat immer ist – einen Ort zum Verankern können wir auch woanders finden. Es gibt nicht nur die erste, es gibt auch eine zweite Heimat. Millionen von Menschen haben es erfahren und bewiesen. Darunter auch wir Siebenbürger Sachsen, die nach über 850-jähriger Geschichte heute in vielen Teilen der Welt zu Hause sind. In diesem Sinne bedanken wir uns an diesem Tag auch besonders bei der Stadt Dinkelsbühl, vertreten durch ihren Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer, für ihre treue 30-jährige Partnerschaft zum Verband der Siebenbürger Sachsen.

Auch der Föderation der Siebenbürger Sachsen mit ihrem Vorsitzenden, dem Bundestagsabgeordneten Dr. Bernd Fabritius, sowie den landsmannschaftlichen Verbänden in Rumänien, Deutschland, Österreich, Kanada und den USA wollen wir heute für die gute Zusammenarbeit über Jahrzehnte hinweg danken.

Vertriebenenverbände und Heimatvereine halten altes Brauchtum und die eigene Geschichte lebendig. Sie pflegen Traditionen, weil sie etwas bewahren möchten, was ihnen wichtig ist, und weil sie wissen, dass das Heute ohne das Gestern nicht verständlich ist. Auch die Enkel und Urenkel interessieren sich dafür, wo die Großeltern herkamen; und die jungen Menschen von heute möchten wissen, welche Entwicklung ihr eigenes Land genommen hat und wie Europa zu dem geworden ist, was es heute ist.

Zur Geschichte Europas gehört auch die Deportation der Deutschen aus Rumänien gegen Ende des Zweiten Weltkrieges – zweifellos das größte Trauma in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Der Tausenden, die dabei ihr Leben verloren, gedenken wir an diesem Tag. Ausgewählt aufgrund ihrer Deutschstämmigkeit, wurden über 30 000 Männer und Frauen mitten aus dem Leben gezerrt, in Viehwaggons verfrachtet und fernab der Heimat zur Schwerstarbeit gezwungen.

Die daheimverbliebenen Familien führten nach dem Zweiten Weltkrieg einen schweren Existenzkampf: ausgegrenzt, entrechtet, enteignet, diskriminiert und staatlicher Repressalien ausgesetzt. Auf diese Art und Weise wurden die Siebenbürger Sachsen nicht nur ihres Besitzes und ihres Rechts beraubt, sondern auch die Lebensgrundlage unserer Volksgruppe in Rumänien wurde nachhaltig zerstört. Wie sehr die Siebenbürger Sachsen damals zwischen die Fronten gerieten, zeigt sich beispielhaft daran, dass selbst Männer, die als Soldaten im rumänischen Militär dienten, deportiert wurden.

Vermochte die Hoffnung auf Heimkehr in manchen die letzten Lebenskräfte anstacheln und damit den Zusammenbruch des Leibes mit seelischer Kraft noch aufzuhalten, so erlosch in anderen der letzte Funke ihres Lebenswillen; sie gaben auf. Was damals als Reparation angesehen wurde, benennen wir heute als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dies anzuerkennen. ist unser gemeinsamer Auftrag. Wir kämpfen auch weiter für die öffentliche Anerkennung des an unseren Vorfahren begangenen Verbrechens, das die deutsche Minderheit im rumänischen Landesteil Siebenbürgen schwer traf und grundlegend wie nachhaltig veränderte und an dessen Ende eine starke Auswanderungskette in Gang setzte.

Wir sind es heute unseren Vorfahren und Generationen vor 70 Jahren schuldig, ihrer Schicksale zu gedenken und die Erinnerung aufrechtzuerhalten. Die Erinnerung ist unverzichtbar. Gerade die Erinnerung an die grausame Vergangenheit soll eine Mahnung sowohl für die jungen Menschen von heute als auch für künftige Generationen sein, um eine Wiederholung für immer zu verhindern. Wir wollen daher die Erinnerung an das begangene Unrecht wach halten. Wir wollen uns erinnern, besinnen und mahnen. Wir wollen aber nicht Geschehenes aufrechnen, sondern wir wollen mithelfen, weiteres Leid zu verhindern.

Durch die europäische Einigung sind wir alle ein gutes Stück zusammengerückt. Ohne Frage steht Europa heute vor großen Herausforderungen. Aber es ist ein Europa, das aus den Fehlern und Versäumnissen der Vergangenheit gelernt hat und das allen Menschen, die hier leben, Heimat sein will. Es ist ein Europa, das sich für die Menschenrechte und ein friedliches Zusammenleben einsetzt. Gerade diejenigen, die in ihrer Vergangenheit Schlimmes erleiden mussten, wissen, wie mühsam der Weg dorthin manchmal ist und, dass dafür die Mitwirkung aller gebraucht wird.

Ein gemeinsames, solidarisches Miteinander wird gebraucht im 21. Jahrhundert – einem Jahrhundert, in dem wir der Herausforderung neuer Migrationswellen gegenüber stehen und in dem immer mehr Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenleben. Nur wenn wir Verständnis füreinander aufbringen und die Menschen das Gefühl haben, verstanden zu werden, können wir eine gemeinsame Zukunft aufbauen.

Schlagwörter: Heimattag 2015, Gedenkstätte, Gedenken, Deportation

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