22. Mai 2016

"Mehrsprachige Regionen haben Modellcharakter in Europa"

„Deutsche Anwesenheit in Rumänien ist nicht marginal, sondern konstitutiv. Wir scheinen nicht mehr zu wissen, wie wichtig diese Präsenz ist – wir sind aber verpflichtet, das deutsche Erbe zu erhalten und zu pflegen“ – dieses engagierte Plädoyer für das Deutsche in Rumänien hielt am 14. Mai im Rahmen des Heimattags Prof. Dr. Andrei Pleșu, einer der bedeutendsten Philosophen und Kunsthistoriker Rumäniens. Unter dem Titel „Deutsche Sprache und deutsche Schule in Rumänien“ diskutierten in Dinkelsbühl Persönlichkeiten aus Rumänien und Deutschland über Herausforderungen, Lösungen und Chancen im muttersprachlichen Schulwesen.
Andrei Pleșu, Vorsitzender des unlängst gegründeten Rumänisch-Deutschen Forums und ehemaliger rumänischer Außenminister ist, unterstrich die Rolle des deutschen Vorbilds für die rumänische Elite des 19. und frühen 20. Jahrhunderts: eine ganze Reihe von namhaften Repräsentanten der Kultur und Politik – unter anderen der Dichter Mihai Eminescu, der Literaturkritiker Titu Maiorescu, der Historiker Nicolae Iorga, der Maler Ștefan Luchian – haben deutsche Schulen und Universitäten besucht. „Außerdem hat die Moderne in Rumänien mit König Karl I. begonnen“, betonte Pleșu, bevor er auf den Stellenwert der deutschen Minderheit als „Modellgemeinschaft“ in Rumänien einging. Deutsche Kultur besitze großes Prestige in der rumänischen Gesellschaft, und wenn man im Volksmund seine Bewunderung für Qualität und Gründlichkeit ausdrücken wolle, sage man „das ist deutsche Arbeit“ („e lucru nemțesc“).

Nichtsdestotrotz stehe das deutsche Schulwesen vor Schwierigkeiten, ließ Ovidiu Ganț durchblicken. Der Abgeordnete der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament machte aufmerksam auf die Diskrepanz zwischen dem großen Interesse für deutsche Schulen seitens der Mehrheitsbevölkerung und dem gravierenden Lehrermangel, dem sinkenden fachlichen und sprachlichen Niveau des Unterrichts. Es sei dringend erforderlich, dass auch der rumänische Staat die Lehrer und die lehramtsbezogenen Studiengänge unterstütze, um die Attraktivität des Lehrerberufs zu steigern.
Über die deutsche Sprache und das ...
Über die deutsche Sprache und das muttersprachliche Schulwesen in Rumänien diskutierten (v.l.n.r.). Dr. Christoph Bergner, Prof. Dr. Andrei Pleșu, Dr. Bernd Fabritius, Werner Hans Lauk und Ovidiu Ganț. Foto: Christine Chiriac
Der Bundestagabgeordnete Dr. Bernd Fabritius, Verbandsvorsitzender des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V. und Präsident des Bundes der Vertriebenen, erklärte aus der Sicht bundesdeutscher Politik die Rolle des deutschen Bildungswesens im Ausland. Es sei stets ein wichtiger Teil der auswärtigen Kulturpolitik, deutsche Auslandsschulen zu unterstützen, doch müsse man zwischen „Deutsch als Fremdsprache“ und „Deutsch als Muttersprache“ differenzieren: Ersteres sei eine geschätzte Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt, Letzteres ein wesentlicher Bestandteil von Identität. Die politischen Herangehensweisen sollten diese Unterschiede widerspiegeln, so Fabritius. Außerdem sei es wichtig, gute Lehrer aus Deutschland, auch aus den Reihen der ausgewanderten Siebenbürger Sachsen, als Auslandslehrer nach Rumänien zu delegieren und Entsendungsprogramme insgesamt ansprechender zu gestalten.

Der Bundestagsabgeordnete Dr. Christoph Bergner, Vorsitzender des Deutsch-Rumänischen Forums in Berlin, unterstrich die Bedeutung der deutschen Muttersprache und Identität in Osteuropa. „Die europäische Zukunft ist vielsprachig“, argumentierte er, „Regionen mit gewachsener Mehrsprachigkeit – wie Siebenbürgen – haben deshalb Modellcharakter für Europa.“ Der ehemalige Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung hatte vor zwei Jahren ein Projekt zur Förderung deutscher muttersprachlicher Schulen in Rumänien initiiert: 2015 bewilligte der Deutsche Bundestag 750 000 Euro für die Unterstützung der Lehrer, die in deutscher Muttersprache unterrichten; in diesem Jahr stehen eine Million Euro zur Verfügung. Dies sei aber nicht nur eine Maßnahme zur Bekämpfung des Lehrermangels und zur Verbesserung der Unterrichtsqualität, sondern an erster Stelle ein Beitrag zur Stärkung der Identität der deutschen Minderheit in Rumänien.

„115 Millionen Menschen in Europa bezeichnen Deutsch als ihre Muttersprache“, betonte auch Werner Hans Lauk, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest. Damit jedoch die verbreitetste Muttersprache in Europa auch für die deutsche Minderheit in Rumänien Umgangssprache bleibe, sei ein funktionierendes Schulwesen maßgeblich. Es sei wichtig, dass alle implizierten Akteure, rumänische und bundesdeutsche Institutionen sowie Organisationen der Minderheit vor Ort ihre Kräfte bündeln und auf die Umsetzung der Qualitätsansprüche in den Schulen achten. Schließlich sei Deutsch auch eine bedeutende Wirtschafts- und Kultursprache, was sich darin widerspiegelt, dass 70 Studienfächer in Rumänien in deutscher Sprache angeboten werden und es neben dem muttersprachlichen Schulwesen auch andere Schulformen mit intensivem deutschsprachigem Unterricht gibt. „Englisch ist ein Muss, Deutsch ist ein Plus“, zitierte der Botschafter einen inzwischen bekannten Spruch. Zum Abschluss der Podiumsdiskussion meldete sich aus dem Publikum der Präsident des Hessischen Landtags, Norbert Kartmann, zu Wort: Damit Bildung funktioniert, sollten wirtschaftliche Bedingungen geschaffen und Strukturen entbürokratisiert werden, so der Landtagspräsident. „Kultur ist wunderschön, aber der wirtschaftliche

Unterbau muss stimmen“, brachte er es auf den Punkt. Christine Chiriac

Schlagwörter: Heimattag 2016, Schule, Siebenbürgen und Rumänien

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