26. Juli 2009

Bewegende Gedenkfeier der Landler

Unter dem Motto „Zukunft braucht Erinnerung“ (1734-2009) haben über 600 Mitwirkende und Gäste am 3. Juli in Bad Goisern (Österreich) der Transmigration der Evagelischen nach Siebenbürgen gedacht. Eine erste Welle von Deportationen hatte vor 275 Jahren, in der Nacht vom 4./5. Juli 1734, begonnen. 47 Familien aus dem Salzkammergut, vorwiegend aus Bad Goisern, mussten die Heimat verlassen – wegen ihres unbeugsamen Willens, ihren evangelischen Glaubensgrundsätzen treu zu bleiben. Bis 1776 wurden Hunderte Familien auch aus anderen Gebieten Österreichs nach Siebenbürgen zwangsumgesiedelt, wo sie vorwiegend in den drei „Landlergemeinden“ Neppendorf, Großau und Großpold ein neues Zuhause fanden, bevor die meisten nach der Wende von 1989 Rumänien verließen und nach Deutschland und einige wenige nach Österreich rücksiedelten.
Dr. Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche in Österreich, ging in seiner eindrucksvollen Festansprache am 3. Juli in der Evangelischen Kirche in Bad Goisern auf die Geschichte der Landler und die erste Deportation aus Bad Goisern ein. Im August 1734 erreichten die betroffenen 47 Familien Siebenbürgen. Drei Personen starben während der Fahrt, eine beachtliche Zahl weiterer starb schon im ersten Jahr. Die Deportierten waren keine Bauern, sondern Beschäftigte im Salzbergbau und Handwerker. Ihre Schwierigkeiten, Beschäftigung zu finden und in der neuen Heimat Fuß zu fassen, seien daher nicht gerade so groß gewesen wie bei den Deportierten des ersten Kärntner Transports, betonte der Bischof. Das Schicksal dieser Bauern, den angeblichen „Rädelsführern“, sei unvergleichlich härter gewesen, weil sie keine Beschäftigung fanden. Daher starben schon im ersten Jahr 67 Prozent von ihnen: an Hunger und Verzehrung nach ihren Frauen und Kindern, die sie in Kärnten zurücklassen mussten.
Zum 275-jährigen Gedenken an die Transmigration ...
Zum 275-jährigen Gedenken an die Transmigration der Landler wurden 610 Styropor-Köpfe mit kurzen Biografieangaben versehen und an öffentlichen Plätzen aufgestellt, hier vor dem Landler-Museum in Bad Goisern. Foto: Hans-Samuel Rieger
„Diese Deportationen waren ein grandioser Misserfolg mit tragischen Folgen für Generationen von Menschen“, verurteilte der Bischof die damalige Obrigkeit in Wien, die „immer brutaler“ vorgegangen sei. „Die Betroffenen hingegen wurden immer offener in ihrem Bekenntnis zum unerwünschten Glauben und in der Solidarisierung untereinander.“ Selbst die Massendeportationen unter Maria Theresia konnten den Protestantismus nicht ausrotten. 1781 seien Gemeinden in Goisern und an anderen, von den Deportationen betroffenen Orten entstanden.

„Die Deportationen der Landler sind ein Teil der Gewaltgeschichte Europas.“ Besonders schmerzhaft sei auch, dass die Landler – ebenso wie die Siebenbürger Sachsen – Opfer einer weiteren Deportation wurden, nämlich am Ende des Zweiten Weltkrieges, als die Rote Armee Hunderte zum Wiederaufbau in die Ukraine verschleppte.

Der Kontinent sei „aus Schmerz geboren“, zitierte Bünker den früheren deutschen Außenminister Joschka Fischer. Das bedeute, dass die Gewaltgeschichte nicht verschwiegen werden dürfe. „Schon um der Opfer willen braucht es ein Gedenken und eine Erinnerung an die Namen.“ Versöhnung braucht Wahrheit, wie es der anglikanische Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu immer wieder betont habe. Und Versöhnung brauche Gerechtigkeit. Wo es geht, muss der entstandene Schaden wiedergutgemacht und die schmerzhafte Erinnerung geheilt werden. „Healing of Memories“, ein Projekt der evangelischen Kirchen in Europa, zeige den Weg auf: Heilen der Erinnerung und Heilen durch Erinnerung. „Die evangelischen Kirchen stehen für dieses Europa der Zukunft als Gemeinschaft in versöhnter Verschiedenheit. Unterschiede und Vielfalt trennen uns nicht, sie sind ein Kennzeichen Europas und ein Reichtum, den Gott uns schenkt“, sagte Bischof Dr. Michael Bünker.
275-Jahrfeier der Landler: Der von Karl Heinz ...
275-Jahrfeier der Landler: Der von Karl Heinz Piringer geleitete Großpolder Chor gestaltete den Festgottesdienst in Bad Goisern mit. Foto: Anne Eder
Zu der geschichtsträchtigen Feier wurden die Gottesdienstbesucher von Magister Renate Bauinger-Liebhardt, Nachfahrin einer Transmigrantenfamilie aus Neppendorf, und Kurator Herbert Kefer herzlich begrüßt. Die Ansprachen der Ehrengäste hatten als Grundtenor das Gedenken, die Würdigung und die versöhnende Aufarbeitung der Ereignisse. Die beiden Moderatoren stellten Bücher zu diesem Thema vor: Renate Bauinger-Liebhardt ihre Publikationen über Geschichte, Stammbäume und die enge Verknüpfung der Neppendorfer mit Goisern, Herbert Kefer sein Buch „Wurzelsuche“, basierend auf einer Forschungsarbeit von Dr. Michael Kurz. In diesem Buch zeigt er anhand von Dokumenten, dass von 410 Personen, die zwischen 1734 und 1737 Bad Goisern verlassen mussten, der Herkunftsort bestimmt und 153 Deportierten das Herkunftshaus zugeordnet werden kann; davon heute noch 28 Häuser in Goisern. Den Grundstein zu dieser Spurensuche hatte, im Zuge der unermüdlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Ahnenforschung, der Neppendorfer Pfarrer Hellmut Klima (1915-1990) gelegt.

Die weiteren Ansprachen der evangelischen und katholischen Pfarrer der Gemeinden in und um Goisern griffen das Thema des Umgangs mit der Vergangenheit versöhnend, behutsam und mit ökumenischer Offenheit auf. Ebenso überbrachten Vertreter der Politik und die Bürgermeister der Gemeinden, des Heimat- und Landlermuseums sowie der Landlerhilfe Oberösterreich ihre Grüße und Wünsche für ein gutes und harmonisches Miteinander.

Zu der Frage, warum gerade Goisern ein Identifikationsort der Landler geworden ist, nahmen die Vertreter der drei Landlergemeinden, Eva Hoffmann für Neppendorf, Frank Schartner für Großau und Christa Wandschneider für Großpold, in dankbaren und bewegenden Worten Stellung. Eva Hoffmann erinnerte an die Anfänge der Spurensuche und Ahnenforschung von Herrn Pfarrer Klima. Er habe seinen Mitmenschen das Bewusstsein ihrer Herkunft vermittelt und die Auseinandersetzung mit der Geschichte ihrer Ahnen gefördert. Gerade für die Neppendorfer sei Bad Goisern aufgrund ihrer nachvollziehbaren und belegbaren Herkunft als Erinnerungsort immer präsent gewesen. Ausschlaggebend sei die Gründung des Landlermuseums durch Lore-Lotte Hassfurther, die museale Gestaltung und Umsetzung durch Dr. Irmgard Sedler, die Organisation und Unterstützung durch Siegfried Pramesberger vor Ort sowie der vielen Helfer und Spender gewesen, betonte Frank Schartner. Hier sei ein Ort geschaffen worden, der das Bewusstsein für die altösterreichischen Wurzeln, den Dialekt und die althergebrachte Tracht gefördert und bei vielen Landsleuten ein neues Selbstbewusstsein und Identitätsverständnis hervorgerufen habe, sagte Christa Wandschneider. Die Prägung im Zusammenleben mit den Siebenbürger Sachsen sei wichtig und wertvoll, doch wurde den Landlern an diesem Ort zum ersten Mal gesondert Aufmerksamkeit geschenkt. Plötzlich waren sie nicht mehr nur ein Teil der Siebenbürger Sachsen, sondern eine Sprachgruppe mit eigenem Ursprung, mit eigener Identität und Geschichte. Bad Goisern wurde in gewissem Sinn eine Herausforderung, die gerne und dankbar auch von den Großpolder Landlern, die ihren Ursprung in Kärnten haben, angenommen wurde.

Pfarrer Mag. Volker Petri, Bundesobmann des Bundesverbandes der Siebenbürger Sachsen in Österreich, zeigte in seiner Rede aufschlussreiche Parallelen zwischen den Siebenbürger Sachsen und den Landlern aus Österreich auf. Beide Gruppen waren mit Vertreibung und Flucht konfrontiert. Aus den einstigen österreichischen Transmigranten seien „siebenbürgische Landler“, ein besonderer, einzigartiger Teil unserer siebenbürgischen Gemeinschaft und Evangelischen Kirche geworden. Vor 65 Jahren kamen 30 000 Siebenbürger Sachsen, die im Herbst des Jahres 1944 zum Großteil aus Nordsiebenbürgen evakuiert wurden, mit ihren kilometerlangen Wagentrecks im November in Oberösterreich an. Der Großteil von ihnen, etwa 17 000, fand eine neue Heimat in Oberösterreich und Salzburg. In den vergangenen Jahrzehnten wurden aus den Flüchtlingen anerkannte und geschätzte „österreichische Siebenbürger Sachsen“. „Und so wie die Landler im 18. Jahrhundert die evangelische Kirche in Siebenbürgen durch ihre Frömmigkeit und Treue bereicherten, so haben auch wir österreichische Siebenbürger unsere Evangelische Kirche bereichert und fanden in ihr geistige Heimat“, betonte Volker Petri. Im Namen des Bundesverbandes der Siebenbürger Sachsen in Österreich überbrachte er die besten Grüße und Wünsche und bedauerte, „dass ihr 1990 nicht in die Heimat eurer Väter kommen durftet“. Er wünschte ihnen, dass es ihnen in Deutschland gelingen möge, das „Landlererbe“ zu bewahren.

Der Festumzug „Gedenken – erinnern – versöhnen“ wurde von Dr. Michael Kurz, Gerhard Schilcher und Goiserer Schülern organisiert und geleitet. Unter dem Motto „sichtbar machen“ wurde in Bad Goisern und anderen Orten der Region verdeutlicht, wie viele Familien damals entwurzelt, zerstört und zerrissen wurden. Symbolisch wurden 610 Styropor-Köpfe (Männer, Frauen und Kinder) mit kurzen Biografieangaben versehen und an öffentlichen Plätzen aufgestellt. Die bewegende Szene des letzten Abendessens und das Abschiednehmen vor dem endgültigen Verlassen der Heimat spielten Goiserer Laienschauspieler nach.

Nachdem der Tag im Haus der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr zu den heimatlichen Liedern der Großauer Blasmusik ausgeklungen war, traf man sich am nächsten Morgen aufgrund des instabilen Wetters nicht wie geplant in Steeg am Hallstätter See, sondern in der evangelischen Kirche in Bad Goisern zu einem weiteren Gottesdienst, gestaltet in traditioneller Art von Superintendent Dr. Thomas Lehner. und musikalisch umrahmt durch die Seer-Musi und den Großpolder Chor. Das Abendmahl vereinte einmal mehr die Menschen von nah und fern.

Das gemütliche Beisammensein am Samstagnachmittag wurde durch die landlerischen Lieder des Großpolder Chores eingeleitet und von der Neppendorfer Blaskapelle erfrischend und anregend fortgesetzt. Eva Hoffmann begrüßte die Teilnehmer in einer bewegenden Rede. Sie unterstrich den Wert der gelebten Traditionen, durch die die Gemeinschaft gefestigt und gebunden wird. Sie würdigte die Bereitschaft der Menschen, Mühe und Zeit zu opfern, um Traditionen wie die der Blasmusikkapellen oder der Chöre aufrecht zu erhalten. Explizit erinnerte sie an die Gründungen der Blasmusikkapelle Neppendorf im Jahr 1879, also vor 130 Jahren, der Blasmusikkapelle Großau (1842) und des Männergesangsvereins Großpold (1881): Alle drei Landlergemeinden haben ihre Bräuche auch in Deutschland und Österreich wieder aufleben lassen und pflegen die wertvolle Gemeinschaft weiterhin.

Der Auftritt der dynamischen Siebenbürgischen Jugendtanzgruppe aus Heilbronn unter der Leitung von Ines Wenzel war ein echter Augenschmaus. Als besondere Überraschung wurde der „Neppendorfer Landler“ getanzt, mit Tanzfiguren, die der österreichische Volkskundler Richard Wolfram bei seinen Recherchen in Siebenbürgen gefunden hatte. Der Begriff „Neppendorfer Landler“ ist inzwischen in die Tradition des Volkstanzes sowohl in Siebenbürgen als auch in Österreich eingegangen.

Die Angebote, dieses besondere Fest ausklingen zu lassen, waren vielfältig. So bestand am Sonntag vor der Heimreise die Möglichkeit, das Landlermuseum in Bad Goisern zu besuchen, dem Gottesdienst beizuwohnen oder auf den Spuren der Landler den „Toleranzweg“ oder den „Weg des Buches“ zu beschreiten.

Alle Teilnehmer waren sich einig, ein ganz besonderes Jubiläum erlebt und gemeinsam gestaltet zu haben. Unser aller Dank gilt den Veranstaltern, vor allem Eva Hoffmann, Renate Bauinger-Liebhardt und Herbert Kefer, sowie den vielen Mitwirkenden von nah und fern.

Christa Wandschneider


Online-Bildergalerien des Landlertreffens 2009 in Bad Goisern:
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Schlagwörter: Landler, Deportation, Gedenken, Transmigration

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