23. Februar 2011

Leserecho: Schluss mit dem posthumen Kreuzzug

Zur Berichterstattung über die Securitate-Mitarbeit des verstorbenen Dichters Oskar Pastior meldet sich dessen Schwester Sabine Pastior in einem Leserbrief zu Wort.
Wie ein unschöner Ölfleck breitet sich in den Medien eine imaginäre Gerichtsverhandlung über rumäniendeutsche Autoren und die Securitate aus. Und immer wieder erregen sich die Gemüter über den Dichter Oskar Pastior, über den zu urteilen sich scheinbar jeder berufen fühlt. Und wer sich hinter den großen Abwesenden stellt, dem wird Befangenheit vorgeworfen. Im Namen welcher Gerechtigkeit wird hier geurteilt? Glücklicherweise gibt es auch Stimmen, die Klarheit in unbegründete Verleumdungen bringen (Beitrag von Ingmar Brantsch: „Dichter als Zeuge der Diktatur“, in der Siebenbürgischen Zeitung vom 21. Januar 2011).

Auch wenn man mir Voreingenommenheit vorwerfen wird, breche ich eine Lanze für den preisgekrönten Lyriker Oskar Pastior, der nebenbei mein Bruder ist. Denn Pastior ist tot und kann sich nicht mehr wehren. Dabei steht sein Werk auf einem ganz anderen Blatt, als das derer, die sich jetzt zu Wort melden und die mit ihrer Feder ganz konkrete Übergriffe der Diktatur anprangern. Nicht so Pastior. Sein sogenannter Widerstandskampf spielt sich auf jenem geistigen Feld ab, auf dem unsere Gedanken- und Sprachprägungen gerne fest rosten und zu Demagogie führen, mit all ihren Konsequenzen.

Pastiors Aktionsfeld ist die Sprache an sich. Ohne Sprache kein Denken. Ohne Denken keine Sprache. Ohne beide kein Handeln. Eine Veränderung sozialer Mentalität beginnt, wie das Wort es sagt, im Geiste, und nicht, wie verschiedene Aktionsgruppen in Rumänien hofften, in der Materie. Pastior beschäftigten eher die Gefahren der Verformung und Verkrüppelung unseres Denkens durch Sprache. Er hat es auf die Diktatur in unseren Köpfen abgesehen. Auch wenn der Dichter oft als Sprachjongleur bezeichnet wird, entdeckt, wer tiefer hören kann, wie Pastiors Lautpoesie eine unmerkliche, oft rätselhaft genannte Wirkung nicht nur auf unser Zwerchfell, sondern auch auf unseren Geist hat. Sprache als Sinnstiftung – das war es auch, was ihm geholfen hat, das russische Arbeitslager zu überleben. Trotz der so unterschiedlichen Werkthematik haben Herta Müller und Oskar Pastior in der „Atemschaukel“ einen gemeinsamen Nenner und dabei eine gegenseitige Freundschaft gefunden. Anders Dieter Schlesak, der sich Pastiors Freund wähnt(e). Er empört sich darüber, dass der Dichter – wie vielleicht auch andere Informanten – auf ihn angesetzt worden ist, was nur beweist, dass Schlesak interessant genug war für die Securitate. Dass Pastior psychologische Vermutungen anstellte über eine Fixierung der Persönlichkeit Schlesaks auf Holocaust-Themen, ist ein Beispiel dafür, wie politisch unverfänglich Pastior versuchte zu informieren, ohne wirklich zu schaden, noch abgesehen davon, dass seine Vermutung durchaus stimmen könnte. Außerdem dürfte Pastiors Einschätzung der Gedichte Schlesaks als „hermetisch, kalt und unfähig“ die Securitate kaum interessiert, Schlesak jedoch umso mehr dazu gebracht haben, Pastior dieses Urteil bis heute nicht zu verzeihen. Bevor nicht klar bewiesen ist, dass Oskar Pastior jemandem nicht mehr gut zu machenden Schaden zugefügt hat, muss dieses ewige posthume Gezeter um einen toten Dichter endlich aufhören. Pastior war ein Mann der leisen Töne, mit einer klaren inneren Ausrichtung auf seine Berufung als Lyriker. Sein Reich war das der Sprache und nicht der äußeren Konfrontation. Weder war er eine Kämpfernatur noch eignete er sich zum Märtyrer. Es lag ganz in seiner Art, einer erneuten Aussicht auf Zwang, Gefängnis, möglicher Folter aus dem Weg zu gehen.

Wem nützt ein moralisches Heldentum, das man vielleicht nicht überlebt? Also hat er sich unter Druck als Informant verpflichtet und gab dem Kaiser, was des Kaisers ist, mit bewusster Schadensbegrenzung für andere, und gab Gott, was Gottes ist, indem er seine Haut und damit seiner Dichtkunst eine Zukunft rettete. Ich nenne es sogar mutig, sich vor dem eigenen Gewissen für diese Verantwortung bewusst zu entscheiden. Es passt auch zur verschlossenen Persönlichkeit des Lyrikers, dieses ganz mit sich alleine abzumachen, ohne Rücksicht auf die Meinung anderer, die sich jetzt u.a. gerade deswegen auf ihn stürzen. Pastior schweigt, wie immer schon, und jetzt auch für immer. Dass ihn jedoch diese Gewissensentscheidung ein ganzes Leben lang nicht losgelassen hat, belegt z.B. das berühmte Gedicht „Am Rande, denkst du“ (aus „Wechselbalg“), in dem Wörter wie Gegensätze, die er nicht los wird, Tatbestände, an denen er nicht vorbeikommt, der Rand von Sätzen, in denen er sich in einer fraglichen Freiheit befindet usw., für mich eine neue Ladung bekommen. Man sollte Pastiors Texte mit neuen Antennen lesen. Zu seinem niederländischen Übersetzer und Dichterfreund Wiel Kusters sagte Pastior einmal: „Sprache ist eine Heimat, aber keine absolute“. Dem hat er etwas weniger Vergängliches entgegengesetzt: den aus seinen Preisen und Tantiemen testamentarisch gestifteten Oskar-Pastior-Preis für junge experimentelle Lyriker. Wenn Richard Wagner als Moralapostel die Aufhebung dieses Preises fordert, maßt er sich an, jungen zukünftigen Dichtern eine großzügige Unterstützung zu verweigern, die ihnen zusteht. Ich bezweifle, ob Wagner selbst jemals bereit wäre, auf seine Tantiemen zugunsten seiner Schriftstellerkollegen zu verzichten. Der Oskar-Pastior-Preis muss bestehen bleiben!

Anne-Sabine Pastior, St. Peter

Schlagwörter: Leserecho, Securitate, Oskar Pastior

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