21. Oktober 2014

Gedenken an Evakuierung und Flucht in Drabenderhöhe

Mit einer Kranzniederlegung an den Gräbern von Generaldechant Dr. Carl Molitoris und von Robert Gassner, dem „Vater der Siebenbürger-Sachsen-Siedlung“, wurde am 30. September in Drabenderhöhe jener Männer gedacht, die vor 70 Jahren die großen Trecks aus Nordsiebenbürgen organisiert und durchgeführt haben. Als Symbol der Hoffnung wurde anschließend auf dem Kreisel am Siebenbürger Platz ein Denkmal eingeweiht. Hunderte von Menschen kamen abends zur Gedenkveranstaltung im Kulturhaus. Prof. Dr. Konrad Gündisch hielt einen beeindruckenden Vortrag. Eingeladen zu diesen Veranstaltungen hatten die Stadt Wiehl, die Kreisgruppe Drabenderhöhe sowie der Freundeskreis Wiehl-Bistritz.
Der Klang der Heimatglocken vom Turm der Erinnerung begleitet die Männer und Frauen, die auf dem Friedhof von Drabenderhöhe an den Gräbern von Dr. Carl Molitoris und Robert Gassner stehen. Mit einer Kranzniederlegung wird jener beiden Männer gedacht, die Geschichte gestaltet haben: Sie waren vor 70 Jahren federführend bei der Organisation und Durchführung der Evakuierung der Sachsen aus Nordsiebenbürgen und aus sieben im Grenzgebiet befindlichen sächsischen Gemeinden Südsiebenbürgens.

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Es grenze an ein Wunder, dass es Molitoris und Gassner mit einigen Helfern gelungen sei, 1944 die Evakuierung von rund 36000 Siebenbürger Sachsen vor der Roten Armee und gegen den Willen der Reichsleitung in Berlin durchzusetzen, sagte Stadtpfarrer i.R. Kurt Franchy, der Nachfolger von Molitoris und letzte Bezirksdechant von Bistritz. Franchy erinnerte auch an die zahlreichen Männer, Frauen und Kinder, die während der Flucht gestorben sind und in fremder Erde bestattet wurden. „Auf dem langen Fluchtweg haben Molitoris und Gassner für die ihnen anvertrauten Menschen nicht nur gebetet, ihre Toten beerdigt und Kinder getauft, sie haben – oft unter Lebensgefahr – das ihnen Mögliche getan, um den Menschen Zukunft und neue Heimat zu bereiten.“

Neben Vertretern der HOG Bistritz-Nösen und der Kreisgruppe nahmen an der Feierstunde auch Wiehls Bürgermeister Werner Becker-Blonigen sowie Bürgermeister Ovidiu Crețu aus ­Bistritz sowie Rainer Lehni, Vorsitzender der Landesgruppe NRW des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, teil. Ein Bläser-Ensemble des Blasorchesters Drabenderhöhe-Siebenbürgen umrahmte das Gedenken.
Kranzniederlegung am Grab von Robert Gassner, von ...
Kranzniederlegung am Grab von Robert Gassner, von links: Kurt Franchy, Harald Janesch, Enni Janesch, Rainer Lehni, Horst Göbbel und Dr. Hans Georg Franchy. Fotos: Christian Mezer

Denkmal eingeweiht

„Endlich haben wir ein Denkmal auf diesem Kreisel“, freute sich Kreisvorsitzende Enni Janesch. Hunderte von Zuschauern applaudierten spontan, als Jürgen und Günter Bartesch die Plastikhülle entfernten und das freilegten, was sich darunter verbarg: Ein abgeschlagener Baum aus dessen Stumpf neue Blätter sprießen – ein Symbol für neues Leben.

Feierlich eingeweiht wurde die Skulptur, die an der Kunstschule in Bistritz geschaffen wurde, von Wiehls Bürgermeister Werner Becker-Blonigen und seinem Amtskollegen Ovidiu Crețu aus Bistritz. Die Skulptur wertete Becker-Blonigen als Symbol für den Lauf des Lebens; von ihr gehe Zuversicht und Hoffnung aus, sie zeige, dass zwischen den Menschen aus Wiehl und Bistritz eine Brücke geschlagen worden sei. Er sprach die Hoffnung aus, dass Europa und die Welt sicherer und friedvoller werden mögen.

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Bürgermeiste Crețu hielt fest, die Flucht vor 70 Jahren sei eine Tragödie für die Menschen gewesen, die über 800 Jahre lang Städte und Dörfer aufgebaut und Traditionen gepflegt hätten: „Sie mussten alles verlassen. Es tut uns leid.“ Er betonte, in Drabenderhöhe sei neues Leben „wie Phönix aus der Asche“ entstanden. „Kommende Generationen sollen die Geschichte der Siebenbürger kennen und etwas daraus lernen. Sie sollen wissen und stolz darauf sein, dass ihre Vorfahren Siebenbürgen geschaffen und in schwierigen Zeiten Großes geleistet haben“, sagte Crețu und rief den Jugendlichen zu: „Kommt nach Bistritz, um die großartigen Dinge zu sehen, die eure Vorfahren hinterlassen haben!“

Ein besonderer Dank der Kreisvorsitzenden Enni Janesch ging an die Stadt Wiehl, die das Projekt finanziell großzügig unterstützt hat, sowie an Dr. Hans Georg Franchy, der den Vorschlag für diese Skulptur gemacht und sich sehr darum bemüht habe. Sie symbolisiere: „Hier erwächst neues Leben. Hier, wo wir seit 50 Jahren mit der Bevölkerung zusammen leben und uns als Einheit sehen.“

Gedenkfeier im Kulturhaus

Das Blasorchester Siebenbürgen Drabenderhöhe unter Leitung von Johann Salmen und der Honterus-Chor unter Leitung von Regine Melzer eröffneten im Kulturhaus die dritte Veranstaltung des Tages zum Gedenken an Evakuierung und Flucht vor 70 Jahren.

In einem kurzen Rückblick auf dieses denkwürdige Ereignis erinnerte Kreisvorsitzende Enni Janesch daran, dass rund 36 000 Landsleute aus Angst vor der Roten Armee aus der Heimat geflüchtet sind: „Sie machten sich, nur mit dem Notwendigsten ausgestattet, auf den Weg. Manche kehrten später zurück in die Heimat, die nicht mehr die ihre war.“ Ihr Dank ging an die vielen Gäste des Abends, „die dem Gedenken ein Gesicht geben“. Dazu gehörten unter anderem Wiehls Bürgermeister Werner Becker-Blonigen, Bürgermeister Ovidiu Crețu mit einer Delegation aus Bistritz, Mihai Botorog, Generalkonsul Rumäniens in Bonn, die Bundestagsabgeordnete Michaela Engelmeier-Heite, Hagen Jobi, Landrat des Oberbergischen Kreises, Volker Dürr, ehemaliger Bundesvorsitzender, Rainer Lehni, Landesvorsitzender, Harald Janesch, Ehrenvorsitzender NRW des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, Dr. Hans Georg Franchy, Vorsitzender der HOG Bistritz-Nösen und des Freundeskreises Wiehl-Bistritz, Horst Göbbel (Nürnberg).

Anschließend spannte der Historiker Dr. Konrad Gündisch vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München einen großen Bogen von „einer in sich ­ruhenden, wenngleich in der Nachkriegszeit brodelnden sächsischen Gemeinschaft in Siebenbürgen, die in ihrer 800-jährigen Tradition erstmals 1940 auseinander gerissen und zwei Staaten zugeordnet wurde, bis hin zu einer Gruppe, die fast überall in der Welt verstreut ist, aber zusammenhält“. Gündisch begann mit einer kurzen und einprägsamen Geschichte, die der Tschippendorfer Gemeinderichter über die Evakuierung zu Protokoll gegeben hat:

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„12 Uhr Mittags erklangen die drei Glocken. Sie läuteten zum Abschied. Aus allen Höfen strömten die Wagen auf die Straße. Tränen rollten, Frauen und Kinder jammerten, Hunde heulten, Schafe irrten erschreckt in den Gassen umher. Ich blickte noch einmal auf mein Haus zurück, zog vom Wagen die Axt und riss damit die Tafel des Gemeinderichters von meiner Haustür ab. Der Treck Nr. 281 mit 133 Wagen, 89 Männern, 151 Frauen und 69 Kindern, zusammen 309 Personen setzte sich in Bewegung. Wagen an Wagen mit Pferden und Rindvieh bespannt. „Die Felder waren menschenleer, die Glocken vom Turm klangen noch; mir war unheimlich zumute. Ich weinte, wie ich noch nie in meinem Leben geweint hatte.“

Dies ist nur einer von zahllosen Zeitzeugenberichten der Nordsiebenbürger über ein einschneidendes Erlebnis, einen Prozess, der ­eigentlich das Ende ihrer Existenz als Gemeinschaft markieren sollte. „Eigentlich, denn die Gemeinschaft existiert in einer anderen Form weiter, ist lebendig, sonst wären wir alle, 70 Jahre danach, nicht hier und heute zusammen, um dessen zu gedenken, was damals geschehen ist.“ Es sei eine Geschichte, die aufzeige, dass Heimatverlust auch Heimatgewinn sein könne.

Gündisch erinnerte daran, dass man 1944 allein im zu Ungarn gehörenden Nordsiebenbürgen einigermaßen auf das Vorrücken der Roten Armee vorbereitet gewesen sei. Gebietsführer Robert Gassner hatte die Evakuierung seiner Landsleute vorbereitet, sich dabei mit Generaldechant Molitoris und der deutschen Armeeführung abgestimmt. Als der deutsche General Artur Phleps, ein Siebenbürger Sachse, die Evakuierung der sächsischen Bevölkerung anordnete, konnten die Sachsen aus Nordsiebenbürgen und einigen Gemeinden Südsiebenbürgens zwischen dem 9. und 19. September 1944 in organisierten Trecks ihre Heimat verlassen. Neben zum Überleben notwendigen Dingen nehmen einige auch wertvolle Hinterlassenschaften ihrer Vorfahren mit, etwa den „Zettelkatalog“ von Friedrich Kraus, aus dem das inzwischen erschienene, fünfbändige „Nordsiebenbürgisch-Sächsische Wörterbuch“ entstanden ist.

Die Trecks, die je nach Größe der Gemeinden 50 bis 400 Fuhrwerke umfassten, zogen ohne ernsthafte Zwischenfälle über Groß-Karol nach Nyíregyháza, überquerten Theiß und Donau, erreichten schließlich Ödenburg. Schwieriger gestaltete sich die Flucht mit der Eisenbahn. Die Evakuierten landeten weit entfernt von ihren Verwandten in Lagern in Sachsen, Oberschlesien, im Sudetenland und anderswo.
Grußwort des Bistritzer Bürgermeisters Ovidiu ...
Grußwort des Bistritzer Bürgermeisters Ovidiu Crețu an die Drabenderhöher Bevölkerung anlässlich der Einweihung des neu gestalteten Kreisverkehrs am Siebenbürger Platz.
Etwa ein Viertel der 36000 Evakuierten wurden auf Befehl der sowjetischen Behörden 1945 von Österreich nach Siebenbürgen zurückgeführt. Enteignung, Entrechtung, Deportation waren nur einige der Folgen, die im Zuge der kommunistischen Machtübernahme und Umgestaltung des Landes die deutsche Bevölkerung trafen. Den überwiegenden Teil der nach Österreich verschlagenen Siebenbürger wies man in Barackenlager ein. Sie galten, so Gündisch, als „heimatlose Ausländer“, fanden schwer Arbeit. Der wirtschaftlichen, sozialen und konfessionellen Deklassierung wirkten sie durch Aufbau einer neuen sächsischen Gemeinschaft entgegen. Schulunterricht wurde organisiert, Brauchtum gepflegt. Erst nach 1956 konnten sie österreichische Staatsbürger werden, errichteten Siedlungen im Burgenland, in Nieder- und Oberösterreich. Am bekanntesten dürfte Elixhausen bei Salzburg, das „Sachsenheim“, sein.

Einige Landsleute übersiedelten nach Kanada, Irland, in die USA und Südamerika. Mit der 1953 von Carl Molitoris, Eduard Keintzel und Robert Gassner eingeleiteten „Kohleaktion“ wurde die Bundesrepublik Hauptaufnahmeland der Siebenbürger Sachsen. Rund 8000 Menschen entschlossen sich, das Leben auf dem Ackerboden mit dem Untertagebau zu tauschen. Im März 1953 fanden die ersten Siebenbürger in neu errichteten Bergarbeitersiedlungen in Herten-Langenbochum, Oberhausen-Osterfeld und Setterich-Baesweiler eine Bleibe. 1957 übernahm das Land Nordrhein-Westfalen die Patenschaft für die Siebenbürger Sachsen. 1963 wurde in Drabenderhöhe, mit Unterstützung der Landesregierung, mit dem Bau einer siebenbürgisch-sächsischen Siedlung begonnen.

Die Nordsiebenbürger wirkten 1953 als Brückenbauer nach Deutschland, heute seien sie Brückenbauer in Europa, betonte Konrad Gündisch. Dass Bürgermeister Ovidiu Crețu aus Bis­tritz, Gäste aus Rumänien, Österreich und Deutschland an der Gedenkveranstaltung teilnehmen, zeige, dass die Siebenbürger ein Netz aufgespannt haben, ein Netz, das sie zunächst auffing, ihnen Sicherheit und Geborgenheit schuf. Heute sei das Netz europaweit gespannt und trage hoffentlich dazu bei, „dass Frieden und Sicherheit auf unserem Kontinent und in aller Welt gewahrt werden“, denn „was nationaler Wahn und Krieg anrichten, das haben jene, am eigenen Leib erfahren, die Heimatverlust, Elend und Not ertragen mussten“.

Brücken bauen von West nach Südost möchte auch Wiehls Stadtdirektor Werner Becker-Blonigen, der eindringlich darum bat, ein Europa des Friedens und der Freiheit nie aus den Augen zu lassen. Er drückte seine Freude darüber aus, dass im Wiehler Rathaus schon mehrfach Delegationen mit Bürgermeister Ovidiu Crețu zu Gast waren und aus dem Oberbergischen ganze Reisegruppen nach Siebenbürgen gefahren seien, denen Wertschätzung und Gastfreundschaft entgegengebracht wurden. Sein Dank ging an Enni Janesch und Hans Franchy, die sich „rührend darum bemühen, uns zusammenzubringen“.

Nachdem der Bistritzer Bürgermeister Crețu morgens von Vertretern der Stadt Wiehl empfangen wurde und sich ins Goldene Buch eingetragen hatte, unterschrieben beide Bürgermeister eine Absichtserklärung, in der sie sich verpflichteten, freundschaftliche Beziehungen und Kontakte zu pflegen, aus denen am Ende eine partnerschaftliche Beziehung entstehen könne. Crețu betonte, dass dies der richtige Weg für ein Europa ohne Grenzen sei. Er freue sich auf einen Austausch auf kultureller, sportlicher und schulischer Ebene. Man sei den Spuren der eigenen Geschichte gefolgt, weil man zu wenig über die eigene Heimatstadt wisse, sagte Crețu. Dieses Wissen könne man nur von den Ausgewanderten erfahren. „Sie sind Vorbild für uns.“

Heimatvertriebene und Spätaussiedler haben die Verbindung zur alten Heimat nicht abreißen lassen. Sie haben die Brücke nach Rumänien am Leben erhalten und wieder neu aufgebaut. Das gemeinsame solidarische Miteinander sei beispielhaft für Europa und die ganze Welt, betonte Landrat Hagen Jobi, ein Siebenbürger Sachse, und rief seinen Landsleuten zu: „Bleibt auf diesem eurem Weg, schaut mit Crețu nach vorne!“

Als „einmalig“ bezeichnete Rainer Lehni, Vorsitzender der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen, das in Bistritz eingeweihte Denkmal über die Evakuierung. Es stelle den Treck dar, der von einem in Tracht gekleideten Paar angeführt wird. „Wie auf dem Denkmal hat sich unser Blick nach vorne gerichtet, ohne die Heimat zu vergessen.“ Aus tragischem Heimatverlust und weltweiter Zerstreuung sei neues siebenbürgisches Leben entstanden. Die Drabenderhöher hätten in würdigem Rahmen an die Ereignisse von 1944 erinnert.

Ein separater Bericht über den Vortrag der Zeitzeugin Susanne Kräutner ist in der heutigen SbZ Online zu lesen.

Ursula Schenker

Schlagwörter: Drabenderhöhe, Gedenken, Evakuierung

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