8. Juni 2015

Selbstmordversuch misslungen – Ausreise geglückt

Geschichten über die Ausreise hört man oft, aber eine wie die folgende ist wohl doch eher selten, überraschend, erschreckend. Dem Wunsch ihrer Großmutter Johanna Zacker entsprechend, berichtet Ingrid Hördler, geborene Szekely, wie ihrer Familie dank des beherzten Einsatzes ihrer Oma die Ausreise aus Rumänien nach Deutschland gelang.
Meine Oma Johanna Zacker (Jahrgang 1918) ist 1968 zur Zeit des Prager Frühlings zu ihrer Schwester zu Besuch gekommen, schon mit der Absicht, in Deutschland zu bleiben, um ihre Tochter mit Familie nachzuholen.

Fünf Jahre lang haben meine Eltern Ausreiseanträge in Rumänien gestellt und meine Oma viele Bettelbriefe an die rumänische Botschaft geschrieben. Vergebens!

1970 war meine Oma noch einmal zu Besuch in Siebenbürgen. Meine Eltern sahen keine Lebensgrundlage mehr für sich und ihre Kinder als Deutsche in Rumänien.

Meine Oma hatte kein Geld zum Bestechen, deshalb fasste sie einen verzweifelten Entschluss, den sie in der Nacht zu Rosenmontag 1973 in die Tat umsetzte. Sie fuhr nach Köln zur rumänischen Botschaft und verübte einen Selbstmordversuch vor dem Tor der Botschaft. Drei gleich lautende Abschiedsbriefe – einer, den sie an die Siebenbürgische Zeitung zu Händen von Herrn Bergel schrieb, einer, den sie über den Zaun der Botschaft warf, und einer, den sie bei sich trug – erläuterten ihren Wunsch der Ausreise ihrer Tochter mit Familie.

Der Versuch misslang Gott sei Dank, aber weil sie drohte, es noch einmal zu versuchen, passierte das, was mich bis heute erstaunt, wie schnell wir die Ausreisepapiere bekamen. Innerhalb einer Woche hatten wir sie. Am 7. Mai 1973 landeten wir in Frankfurt/Main und unser Leben in Deutschland begann. Meiner Oma wurde nahegelegt, Rumänien nicht mehr zu besuchen. Sie gelobte Stillschweigen.

Von ihrem Selbstmordversuch habe ich erst im Erwachsenenalter nach der Wende erfahren. Sie wollte es bis jetzt nicht an die große Glocke hängen. Nun hat sie mich, ihre Enkeltochter, gebeten, es doch zu tun. Ich finde, es ist Zeit, mit der Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.

Ingrid Hördler

Schlagwörter: Auswanderung, Rumänien, Zeitzeugin

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