28. Oktober 2008
Gusto Gräser: Vom Anders-Sein eines Außenseiters
Gustav Arthur Gräser kam am 16. Februar 1879 in Kronstadt zur Welt. Vor 50 Jahren, am 27. Oktober 1958, starb er arm und vereinsamt in München. Dem Dichter, Naturphilosophen und Pazifisten Gusto Gräser widmet das Haus des Deutschen Ostens (HDO) in München anlässlich seines 50. Todestages derzeit mehrere Veranstaltungen (siehe unten und separater Artikel).
Immer wieder brach Gusto Gräser ab oder aus, verließ das Gymnasium, die Kunstgewerbeschule in Wien, dann die Lebensgemeinschaft des Malers und Sozialreformers Karl Wilhelm Diefenbach. Immer wieder entwickelte er, mal aus freien Stücken, öfter gezwungenermaßen, weil verfolgt und vertrieben, Formen einer alternativen Existenzweise. Legendär ist die von ihm im Herbst 1900 bei Ascona begründete Siedlung Monte Verità. Öffentliches Aufsehen erregen seine Auftritte in deutschen Großstädten, seine Tänze, Reden und Gedichte.
Die beiden Weltkriege bringen dem unbeugsamen Kriegsdienstverweigerer Ausweisung, Verhaftung und Einweisung in Irrenanstalten. Sein Wirken stößt auch auf Anerkennung, ja Verehrung. Hermann Hesse setzt ihm ein literarisches Denkmal in „Demian“. Die nationalsozialistische Terrorherrschaft überlebt Gräser nach Schreibverbot und mehreren Verhaftungen mit schwerer Not in München, wo er nach dem Krieg an seinem unveröffentlicht gebliebenen Werk arbeitet und wo er auch seine letzte Ruhestätte findet, in einem Armengrab.
Es hat in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen immer wieder Persönlichkeiten gegeben, die „aus der Reihe tanzten“. Dieses Anders-Sein wurde ihnen nicht immer gedankt, ja sie galten als Außenseiter, denen man nicht unbedingt über den Weg traute oder sich gerne Anekdoten über sie erzählte. Selbst Stephan Ludwig Roth war mit seinen Reformvorschlägen auf verschiedenen Gebieten, sei es der Schule, der Wirtschaft allgemein und der Landwirtschaft im Besonderen, bei seinen Vorgesetzten wie auch in der sächsischen Gesellschaft auf taube Ohren gestoßen und erst sein gewaltsamer Tod wurde dann zum Anlass genommen, ihm die gebührende Stelle in der Reihe der Großen einzuräumen. Auch der Arzt Friedrich Krasser in Hermannstadt, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts seinen ältesten Sohn nach England geschickt hat, damit dieser nicht zum k.k. österreichischen Militärdienst einrücken musste. Gleichzeitig engagierte er sich bei den Freidenkern, schrieb gesellschaftskritische Gedichte, die vor allem in Deutschland weite Verbreitung als Flugblätter fanden, und dem man in Österreich den Prozess machte. Oder man denke an dessen Enkel Hermann Oberth, dessen wissenschaftlich untermauerte Idee, den Weltraum zu bereisen, selbst von Universitäten nicht akzeptiert wurde, der aber noch erleben durfte, dass seine Berechnungen doch noch von Erfolg gekrönt wurden, als 1969 die ersten Menschen den Mond betraten. Da hatte er alle Skeptiker Lügen gestraft. Und nun gilt es an einen Mann zu erinnern, der nichts von alledem war. Er hatte die Schule vorzeitig verlassen müssen, worüber er später triumphierend berichtete; seine Lehre brach er ab; erst ein preisgekröntes Gemälde auf der Ausstellung in Budapest brachte seinen Namen wieder in Erinnerung. Ab da war er, grob gesprochen, für die Gesellschaft verloren. Er verweigerte den Wehrdienst und wanderte in die Zelle. Später sollte ihm die Dienstverweigerung während des Ersten Weltkrieges sogar die Todesstrafe einbringen, die schließlich nicht vollstreckt wurde. Er lehnte den Staat und all dessen Zwang ab, lebte in „wilder“ Ehe, ging keinem geregelten Beruf oder Geldverdienst nach, sorgte allein durch sein Erscheinungsbild für Aufsehen und, wenn er dann noch das Wort ergriff, fürchteten die Behörden, es würde zu Unruhen kommen. Nirgends war er wohl gelitten, immer wieder wurde er ausgewiesen, denn nirgends hatte er Heimatrecht, als Ausländer schon gar nicht. Dabei wollte er nichts als seine Ruhe haben, um seine Gedanken aufzuschreiben, mit den Menschen darüber zu reden und sie für die Natur zu begeistern, die er zu seiner Zeit schon bedroht sah. Er beschwor die Zuhörer, für einen friedlichen Umgang miteinander einzutreten und sich nicht allzu sehr in Abhängigkeiten jeder Art zu begeben.
Gusto Gräser, von dem die ganze Zeit schon die Rede ist, stammte aus gutbürgerlichem Hause in Kronstadt, wo er als zweiter von drei Brüdern 1879 geboren wurde. Es hatte ihm an nichts gemangelt, und doch wollte er raus aus der Enge der siebenbürgischen Verhältnisse. Er ging nach Wien, um Künstler zu werden. Dort begann seine – um ein heutiges Schlagwort zu verwenden – Aussteigerkarriere. Von Wien nach München übersiedelt, kam er hier in eine Stadt, die damals im Aufbruch war. Der Jugendstil hatte Einzug gehalten, Schwabing war das Zentrum der Künstler. In den Zeitschriften Jugend und Simplizissimus wurde alles aufgespießt. Von München nun zog Gusto Gräser mit Gesinnungsgenossen und neuen Ideen aus, um im Süden als freie Menschen in und mit der Natur zu leben. Gusto und sein Bruder Karl wurden zu den Protagonisten der neuen Bewegung.
Übrig blieb aber schließlich nur der Jüngere der beiden, der sein Leben konsequent lebte, dessen Denken und Handeln deckungsgleich wurden. Das kann man sowohl aus seinen Texten wie auch in den Schilderungen, die von Dritten überliefert sind, nachvollziehen. Dass diese Lebensweise behördlicherseits mit Argusaugen verfolgt und bei kleinstem Abweichen von der Norm mit Maßnahmen gegen ihn vorgegangen wurde, war sein Schicksal, dass er beinahe stoisch hinnahm. In manchen Texten klingt zwar hin und wieder Resignation durch, aber selbst im Dritten Reich, als man ihn aus Berlin auswies oder ihm ein Schreibverbot auferlegte, blieb er mit seinen Briefen und Eingaben ruhig und gelassen und warf den Behörden Unkenntnis seiner Person vor.
Dass er den Zweiten Weltkrieg überlebt hat, grenzt an ein Wunder. Denn ein „Nichtstuer“ hatte kein Anrecht auf Zuteilungskarten für Lebensmittel oder sonstige notwendige Dinge des Alltags. Nach 1945 war er immer wieder in der Bayerischen Staatsbibliothek zu finden, wo er nicht nur die Bestände in Anspruch nahm, sondern auch einen Platz fand, sich in der kalten Jahreszeit aufzuwärmen. Auch im Restaurant „Klein Bukarest“ in der Augustenstraße war er häufig zu Gast, wenn er Landsleute treffen wollte, die die Kriegsumstände nach München verschlagen hatten, um auf diese Weise Nachrichten aus Siebenbürgen, aus Kronstadt zu bekommen.
Gräser schien vergessen zu sein, als er 1958, seiner Art entsprechend, still von uns ging. „Doch bereits zwanzig Jahre später versammelten sich mehr als tausend junge Menschen um seine Felsenhöhle bei Ascona. Sie gedachten des Mannes, der ihrem Wollen und Denken Wege vorgebahnt hatte, die vor ihm noch keiner beschritten hatte“, so Hermann Müller, der beste Kenner und Verwalter des Großteils von Gräsers Nachlass. Einige der Texte von Gusto Gräser sind erst in jüngster Zeit in Buchform erschienen („Erdsternzeit. Gedichte und Sprüche“, Umbruch Verlag, Recklinghausen 2007), und jüngst kam „TAO – Das heilende Geheimnis“ im selben Verlag heraus.
Die beiden Weltkriege bringen dem unbeugsamen Kriegsdienstverweigerer Ausweisung, Verhaftung und Einweisung in Irrenanstalten. Sein Wirken stößt auch auf Anerkennung, ja Verehrung. Hermann Hesse setzt ihm ein literarisches Denkmal in „Demian“. Die nationalsozialistische Terrorherrschaft überlebt Gräser nach Schreibverbot und mehreren Verhaftungen mit schwerer Not in München, wo er nach dem Krieg an seinem unveröffentlicht gebliebenen Werk arbeitet und wo er auch seine letzte Ruhestätte findet, in einem Armengrab.
Es hat in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen immer wieder Persönlichkeiten gegeben, die „aus der Reihe tanzten“. Dieses Anders-Sein wurde ihnen nicht immer gedankt, ja sie galten als Außenseiter, denen man nicht unbedingt über den Weg traute oder sich gerne Anekdoten über sie erzählte. Selbst Stephan Ludwig Roth war mit seinen Reformvorschlägen auf verschiedenen Gebieten, sei es der Schule, der Wirtschaft allgemein und der Landwirtschaft im Besonderen, bei seinen Vorgesetzten wie auch in der sächsischen Gesellschaft auf taube Ohren gestoßen und erst sein gewaltsamer Tod wurde dann zum Anlass genommen, ihm die gebührende Stelle in der Reihe der Großen einzuräumen. Auch der Arzt Friedrich Krasser in Hermannstadt, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts seinen ältesten Sohn nach England geschickt hat, damit dieser nicht zum k.k. österreichischen Militärdienst einrücken musste. Gleichzeitig engagierte er sich bei den Freidenkern, schrieb gesellschaftskritische Gedichte, die vor allem in Deutschland weite Verbreitung als Flugblätter fanden, und dem man in Österreich den Prozess machte. Oder man denke an dessen Enkel Hermann Oberth, dessen wissenschaftlich untermauerte Idee, den Weltraum zu bereisen, selbst von Universitäten nicht akzeptiert wurde, der aber noch erleben durfte, dass seine Berechnungen doch noch von Erfolg gekrönt wurden, als 1969 die ersten Menschen den Mond betraten. Da hatte er alle Skeptiker Lügen gestraft. Und nun gilt es an einen Mann zu erinnern, der nichts von alledem war. Er hatte die Schule vorzeitig verlassen müssen, worüber er später triumphierend berichtete; seine Lehre brach er ab; erst ein preisgekröntes Gemälde auf der Ausstellung in Budapest brachte seinen Namen wieder in Erinnerung. Ab da war er, grob gesprochen, für die Gesellschaft verloren. Er verweigerte den Wehrdienst und wanderte in die Zelle. Später sollte ihm die Dienstverweigerung während des Ersten Weltkrieges sogar die Todesstrafe einbringen, die schließlich nicht vollstreckt wurde. Er lehnte den Staat und all dessen Zwang ab, lebte in „wilder“ Ehe, ging keinem geregelten Beruf oder Geldverdienst nach, sorgte allein durch sein Erscheinungsbild für Aufsehen und, wenn er dann noch das Wort ergriff, fürchteten die Behörden, es würde zu Unruhen kommen. Nirgends war er wohl gelitten, immer wieder wurde er ausgewiesen, denn nirgends hatte er Heimatrecht, als Ausländer schon gar nicht. Dabei wollte er nichts als seine Ruhe haben, um seine Gedanken aufzuschreiben, mit den Menschen darüber zu reden und sie für die Natur zu begeistern, die er zu seiner Zeit schon bedroht sah. Er beschwor die Zuhörer, für einen friedlichen Umgang miteinander einzutreten und sich nicht allzu sehr in Abhängigkeiten jeder Art zu begeben.
Gusto Gräser, von dem die ganze Zeit schon die Rede ist, stammte aus gutbürgerlichem Hause in Kronstadt, wo er als zweiter von drei Brüdern 1879 geboren wurde. Es hatte ihm an nichts gemangelt, und doch wollte er raus aus der Enge der siebenbürgischen Verhältnisse. Er ging nach Wien, um Künstler zu werden. Dort begann seine – um ein heutiges Schlagwort zu verwenden – Aussteigerkarriere. Von Wien nach München übersiedelt, kam er hier in eine Stadt, die damals im Aufbruch war. Der Jugendstil hatte Einzug gehalten, Schwabing war das Zentrum der Künstler. In den Zeitschriften Jugend und Simplizissimus wurde alles aufgespießt. Von München nun zog Gusto Gräser mit Gesinnungsgenossen und neuen Ideen aus, um im Süden als freie Menschen in und mit der Natur zu leben. Gusto und sein Bruder Karl wurden zu den Protagonisten der neuen Bewegung.
Übrig blieb aber schließlich nur der Jüngere der beiden, der sein Leben konsequent lebte, dessen Denken und Handeln deckungsgleich wurden. Das kann man sowohl aus seinen Texten wie auch in den Schilderungen, die von Dritten überliefert sind, nachvollziehen. Dass diese Lebensweise behördlicherseits mit Argusaugen verfolgt und bei kleinstem Abweichen von der Norm mit Maßnahmen gegen ihn vorgegangen wurde, war sein Schicksal, dass er beinahe stoisch hinnahm. In manchen Texten klingt zwar hin und wieder Resignation durch, aber selbst im Dritten Reich, als man ihn aus Berlin auswies oder ihm ein Schreibverbot auferlegte, blieb er mit seinen Briefen und Eingaben ruhig und gelassen und warf den Behörden Unkenntnis seiner Person vor.
Dass er den Zweiten Weltkrieg überlebt hat, grenzt an ein Wunder. Denn ein „Nichtstuer“ hatte kein Anrecht auf Zuteilungskarten für Lebensmittel oder sonstige notwendige Dinge des Alltags. Nach 1945 war er immer wieder in der Bayerischen Staatsbibliothek zu finden, wo er nicht nur die Bestände in Anspruch nahm, sondern auch einen Platz fand, sich in der kalten Jahreszeit aufzuwärmen. Auch im Restaurant „Klein Bukarest“ in der Augustenstraße war er häufig zu Gast, wenn er Landsleute treffen wollte, die die Kriegsumstände nach München verschlagen hatten, um auf diese Weise Nachrichten aus Siebenbürgen, aus Kronstadt zu bekommen.
Gräser schien vergessen zu sein, als er 1958, seiner Art entsprechend, still von uns ging. „Doch bereits zwanzig Jahre später versammelten sich mehr als tausend junge Menschen um seine Felsenhöhle bei Ascona. Sie gedachten des Mannes, der ihrem Wollen und Denken Wege vorgebahnt hatte, die vor ihm noch keiner beschritten hatte“, so Hermann Müller, der beste Kenner und Verwalter des Großteils von Gräsers Nachlass. Einige der Texte von Gusto Gräser sind erst in jüngster Zeit in Buchform erschienen („Erdsternzeit. Gedichte und Sprüche“, Umbruch Verlag, Recklinghausen 2007), und jüngst kam „TAO – Das heilende Geheimnis“ im selben Verlag heraus.
Gedenkveranstaltungen in München
Im Rahmen der laufenden Veranstaltungsreihe im Haus des Deutschen Ostens, Am Lilienberg 5, in München (siehe Vorbericht in dieser Zeitung, der Eintritt ist frei) versucht der Schriftsteller Hans Bergel in seinem Vortrag „Der lachende Siebenbürger“ (6. November, 19.00 Uhr), den Außenseiter in seiner Zeit zu sehen. In Christoph Kühns Filmdokumentation aus dem Jahre 2006, „Gusto Gräser – Der Eremit vom Monte Verità“ (13. November, 19.00 Uhr), kommen Freunde und Familienmitglieder von Gräser zu Wort. Ein reiches Fotomaterial und Ausschnitte aus seinem poetischen Werk runden dieses berührende Porträt des „barfüßigen Propheten“ ab. Hermann Müller, der Sammler und Erforscher des Gräser’schen Nachlasses sowie Herausgeber seines Werkes, der auch die Ausstellung gestaltete, zieht ein vorläufiges Fazit (20. November, 19.00 Uhr).Udo Acker
Schlagwörter: Philosophie, Gräser, München, Kronstadt
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