23. September 2006

Deutschsprachige Herkunft?

Bei den Einschreibungen für das Kindergartenjahr 2006/07 in Bayern sind auf Seiten mancher siebenbürgischer Eltern Irritationen entstanden. Ist ihr Sprössling ein „Kind, dessen Eltern beide nicht deutschsprachiger Herkunft sind“, dem folglich nach dem Bayerischen Kinderbildungs- und –betreuungsgesetz eine gesonderte Sprachförderung zusteht? Verständlicherweise widerstrebt es siebenbürgisch-sächsischen Eltern, diesen Punkt im Bildungs- und Betreuungsvertrag anzukreuzen. Dies ist freilich auch nicht erforderlich, denn der Vordruck ist an dieser Stelle bereits standardmäßig als zutreffend gekennzeichnet.
Im Freistaat Bayern gibt es derzeit für knapp über 80 Prozent aller Dreijährigen Kindergartenplätze. Erklärtes Ziel der Bayerischen Staatsregierung ist „ein bedarfsgerechtes, flächendeckendes Netz von Kinderbetreuungsangeboten“, verlautbart das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen im Programm „Politik für Frauen in Bayern“ (Fortschreibung 2002). Im Zuge der Reformierung des Kinderbetreuungswesens in Bayern ist das Bayerische Kinderbildungs- und –betreuungsgesetz (BayKiBiG) am 1. August 2005 in Kraft getreten. Das BayKiBiG soll Eltern „maßgeschneiderte Lösungen“ für die Bildung, Erziehung und Betreuung ihrer Kinder bieten. Wie der umfänglichen Medienberichterstattung zu entnehmen war, enthält es einige umstrittene Regelungen, etwa zur Umsetzung des Bildungsauftrages, zur Finanzierung und zur Betreuung von Kindern.

1990 übersiedelte der gebürtige Mediascher Alfred Schöffend nach Deutschland. In Ingolstadt fand der gelernte Werkzeugmacher, nach seiner Umschulung zum Kfz-Mechaniker, eine Beschäftigung bei Audi. Seine Frau Mirella, eine gleich ihrem Gatten in Mediasch geborene Ungarin, brachte am 9. März 2003 Töchterchen Beatrix zur Welt. Die Einschreibung für einen Platz im Katholischen Kindergarten St. Anton in Ingolstadt stand Mitte Juli diesen Jahres an. Bei dem Einschreibungstermin wurde den Eltern eine so genannte Buchungsvereinbarung als wesentlicher Bestandteil des Bildungs- und Betreuungsvertrages (Anlage 1) vorgelegt. Diese Anlage 1 enthält den oben zitierten, bereits maschinell angekreuzten Punkt. Das Ehepaar nahm den Vertrag mit nach Hause, stolperte dann beim gründlichen Durchlesen über die Formulierung: „Kind, dessen Eltern beide nicht deutschsprachiger Herkunft sind“. Verständnisloses Kopfschütteln, so schildert Herr Schöffend seine erste Reaktion gegenüber der Siebenbürgischen Zeitung: „Wir sind Deutsche! Wir sind doch in unsere Heimat zurückgekommen.“ Das Ehepaar setzt sich mit dem Kindergarten in Verbindung. Dort erklärt eine Erzieherin, dass, wenn sie in Rumänien geboren wären, dies so richtig sei. Mit Bauchgrimmen unterschreiben die Schöffends. Sie befürchten, dass Beatrix „wie ein Ausländer behandelt wird“; auch, dass diese Daten später an ihre künftige Schule weitergeleitet werden könnten.

Zu derselben Problematik erreichten die Redaktion zwischenzeitlich weitere kritische Rückmeldungen verunsicherter Landsleute, die – eingedenk ihrer deutschen Identität – eine solche Einstufung mindestens als Kränkung empfinden. Auf Anfrage der Redaktion erklärt eine Mitarbeiterin der für das BayKiBiG zuständigen Abteilung im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, dass das BayKiBiG darauf hinwirke, jedes Kind bedarfsgerecht zu fördern. Jedwede Form der Diskriminierung sei gänzlich unbeabsichtigt. Bei einer nicht deutschsprachigen Herkunft beider Elternteile werde ein bestimmter Gewichtungsfaktor für das Kleinkind angesetzt. Damit solle eine höhere Förderung des betreffenden Kindes gewährleistet werden. Sollte die Formulierung „Kind, dessen Eltern beide nicht deutschsprachiger Herkunft sind“ jedoch nicht zutreffen, so sollten die Eltern den Zusatz „deutsche Staatsbürgerschaft“ ergänzen und dies gegenüber dem Einrichtungsträger dokumentieren. Diese Regelung lässt sich nicht für die Mehrzahl unserer Landsleute anwenden. Denn die Siebenbürger Sachsen sind sowohl im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft als auch deutschsprachiger Herkunft.

Weiterführende Details dieser Regelung finden sich im Kommentar zum BayKiBiG: „Die Staatsbürgerschaft ist zwar ein Indiz für die Anwendung dieses Gewichtungsfaktors, ist allerdings nicht entscheidend. Mit erfasst werden auch die Kinder von Aussiedlern. Auch Kinder von z. B. Eltern türkischer Herkunft mit deutscher Staatsbürgerschaft erhalten diesen Gewichtungsfaktor.“ (Art. 21, Absatz 5 Nr. 1) Weiter heißt es hier: „Wenn die Familien beider Elternteile einen Migrationshintergrund aufweisen und die Familiensprache nicht deutsch ist, greift der Gewichtungsfaktor von 1,3. Dies gilt auch dann, wenn die Eltern hervorragend deutsch sprechen sollten. Der sonst notwendige Aufwand einer Feststellung des Sprachstands soll gerade vermieden werden. Dass hier der Gewichtungsfaktor in Ansatz kommt, obwohl er konkret nicht notwendig ist, wird im Interesse eines einfachen Verwaltungsvollzugs in Kauf genommen.“ Nach einer Meldung des Tagesspiegel vom 11. September 2006 strebt die CDU Sprachtests für Vierjährige an. Für Kinder, die den Test nicht bestehen, will Familienministerin Ursula von der Leyen verbindliche Sprachkurse einführen. Fraglich ist, ob diese Initiative der Christdemokraten in Bayern Anklang finden wird angesichts der Bestrebung in der CSU-Schwesterpartei, den bürokratischen Aufwand einer Bestimmung des Sprachniveaus zu vermeiden.

Wie wird im Kindergarten nun das BayKiBiG vor Ort gehandhabt? Annemarie Duschl, Leiterin des Kath. Kindergartens St. Anton in Ingolstadt, den Beatrix Schöffend besucht, gab bereitwillig die folgende Auskunft: Kämen beide Elternteile aus einem Land, dessen Landessprache nicht deutsch ist, könne man grundsätzlich von Sprachdefiziten beim Kind ausgehen. Der Kindergarten habe eine Erzieherin eingestellt, die Sprachförderung leiste. Dies geschehe in einer kleinen Gruppe mit zwei bis vier anderen Kindern in einem separaten Zimmer. Die entsprechenden Zuschüsse (nach dem BayKiBiG) kämen zu gleichen Teilen vom Bayerischen Staat sowie von der Stadt Ingolstadt. Bei der fragwürdigen Rubrik gehe es nur um die gezielte Förderung des Kindes, so Duschl. Der verwendete Vordruck käme vom Ordinariat Eichstätt. Gesetzt den Fall, dass die Formulierung nicht zutrifft, sollten die Eltern den Zusatz „Staatsangehörigkeit: deutsch“ vermerken und den entsprechenden Nachweis (Kopie des Vertriebenenausweises) beibringen. Durch den Nachweis sollen etwaige Manipulationsvorwürfe (missbräuchlich in Anspruch genommene Fördermittel) entkräftet werden. Der Gewichtungsfaktor helfe im Übrigen bürokratischen Aufwand zu vermeiden. „Wir können nicht das drei- bis vierjährige Kind einem Sprachtest unterziehen.“ Was aber, wenn sich erweist, dass die Tochter bzw. der Sohn siebenbürgisch-sächsischer Eltern altersgemäß deutsch spricht? – „Dann fällt das Kind aus der Förderung heraus.“, antwortet die Leiterin des Kindergartens. Sie versichert, dass die Daten nicht an die Schule weitergegeben würden, außer das Kind nehme im letzten Kindergartenjahr am Vorkurs Deutsch teil.

Nach Einschätzung von Rechtsanwalt Dr. Johann Schmidt „haben die betroffenen Personen einen Rechtsanspruch darauf, dass an der entsprechenden Vertragsstelle die entsprechende Rubrik nicht angekreuzt wird, da bei Siebenbürger Sachsen von einer deutschsprachigen Herkunft unstreitig ausgegangen werden kann.“ Dies werde gemäß dem Bundesvertriebenengesetz bereits im Aufnahme- bzw. Anerkennungsverfahren geprüft. Sollte es sich um Kinder aus Mischehen handeln – wie im Falle von Ehepaar Schöffend –, wäre es bei dem nichtdeutschen Elternteil zutreffend, die nicht deutschsprachige Herkunft anzukreuzen. Sind beide Elternteile Siebenbürger Sachsen, so empfiehlt der Rechtsreferent der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland "darauf zu bestehen, dass die entsprechende Rubrik nicht angekreuzt wird." Die jeweiligen Einrichtungen müssten "dann anderweitig und insbesondere aufgrund zutreffender Angaben sich bei den zuständigen Stellen bemühen, höhere Fördermittel zu erhalten."

Im Zusammenhang mit der alltagspraktischen Umsetzung des noch jungen Bayerischen Kinderbildungs- und –betreuungsgesetzes entstehen hie und da noch Unklarheiten. Eine differenzierte Betrachtungsweise tut not, bei allen Beteiligten, der Politik, den Trägern der Bildungs- und Erziehungseinrichtungen sowie den Eltern, um im Sinne einer tatsächlich bedarfsgerechten Förderung der Kinder Missverständnissen oder gar Fehlleistungen vorzubeugen.

Christian Schoger

Schlagwörter: Politik

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