Aufruf/Bitte an alle Friedrich-Müller-Kenner

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jmf1955
schrieb am 02.09.2011, 15:56 Uhr
In der Siebenbürgischen Zeitung vom 2.Febr. 2004 wird Friedrich Müller gewürdigt und u.a. seine schönste Sage "Der Student in der Zinne" erwähnt. (Siehe
http://www.siebenbuerger.de/zeitung/artikel/kultur/6110-150-jahren-seit-erscheinen-der.html)Ich habe diese Sage in der Original-Versform vor langer Zeit in einem Uralt-Buch gelesen und war begeistert. Leider kann ich sie nirgends wiederfinden. Das Internet (Google etc) gibt nichts her, und selbst in der Bibliothek des Siebenbürgischen Museums in Gundelsheim konnte ich sie nicht finden;da gab es lediglich 2 Prosa-Transkriptionen des Inhalts. Es wäre schade wenn sie der Nachwelt verloren ginge. Meine Bitte: wenn jemand die Originalversion hat, bitte ich um Zusendung per Mail an die Adresse
jakobi@idd.tu-darmstadt.de
oder falls sie doch im Netz ist, bitte ich um den Link.
Vielen Dank schon im voraus.
jmf1955
schrieb am 10.07.2018, 11:28 Uhr
Update zu meinem Posting von 2011: Ich habe das besagte Gedicht endlich (!!!) in einem Volksschule-Deutschbuch des Jahres 1926 gefunden. Es ist von Traugott Teutsch und wiedergibt in freier Versform die Sage vom Studenten in der Zinne, die Friedrich Müller als Prosatext niedergeschrieben hat. Es ist ein gutes Stück sächsischer Poesie, und es wäre schade gewesen, wäre es verlorengegangen.

Für die Interessierten gebe ich es hier wieder:

Der Student in der Zinne
Traugott Teutsch (nach der Sage von Friedrich Müller)

Ein Adolescent im Studentenkleid
wie die Schuler es trugen in alter Zeit
Spaziert´einst am Gehäng der Zinne
dort oben im kühlen grünen Wald.
Ein Jüngling war´s von markiger Gestalt
und augenscheinlich unternehmend mut´gem Sinne;
Keck auf dem blondumlockten Haupte saß
der Marderhut, und zierlich von den Schultern nieder
Umwallt die Toga ihm die schlanken Glieder.
Das Auge war gesenkt – er las
in einem kleinen, dickleibigen
lateinischen Buch
das er in der Linken
vor sich hielt.

So wandelt er – es war am frühen Vormittag –
ins Buch vertieft, auf ungewissem Pfad
allmählich an der Bergwand immer höher
und kam ganz unvermerkt dem Gipfel näher
In ein Gebiet, das sonst nicht leicht ein Mensch betrat.
Tief unter ihm am Fuß des Berges lag
im flachen Talgrund hingebreitet
die Stadt mit ihren Kirchen, Giebeln, Gassen,
das alte Kronstadt, fest umschirmt
von Turm und Mauer, Wall und Wassergraben,
wie´s damals war. – Indem er hier
im dicht bebuschten, felsigen Revier
fast zögernd noch ein Weilchen schreitet
sieh da – ein Vögelchen umflattert ihn
desgleichen er noch nie gesehen! Goldiggrün
am Brüstchen war´s – wie roter Feuerschein
erglänzten hell die feinen Flügelein.
Ja, auch ein Krönlein auf dem Köpfchen trug´s
wie von Demant! Und leichtbeschwingten Flugs
umkreist es zweimal, dreimal jetzt ihn wieder
fliegt vor ihm her und lässt von Busch zu Busch sich nieder
und blinzt ihn lieblich an, als lockt es ihn.
Er folgt ihm. Immer tiefer schlüpft
durch Staud´ und Strauch das Vöglein ins Geklüft.
Nun setzt es sich
ans Felsgestein zur linken Hand
und pickt und pickt mit emsigem Bemühn.
Da öffnet sich vor dem Studenten
ein Pförtchen in der Felsenwand.
Er steht und stutzt; jedoch sein Mut ist kühn,
er schreitet furchtlos in den Berg hinein.
Verschwunden
ist hinter ihm das Vögelein.

Er sieht sich
zunächst in einem engen, dunklen Gang;
Doch über seinem Haupte wölbt und weitet
der Fels sich bald zur ausgedehnten Halle.
Zugleich erhellt ein bläulich Licht den Raum
mit sanftem Schein. Und wie er weiter schreitet
kommt er in einen Saal, da sitzt
die Stirne in die Hand gestützt
im Purpurmantel, eine goldne Krone,
auf dem ergrauten, mächt´gen Haupt
ein bärt´ger Zwerg an einem Marmortisch.
Er scheint zu schlummern. Mit vorsichtig leisem Schritt
vorüber drückt sich der Student und tritt
in eine Grotte. Dunkle Dämmerung
umfängt ihn hier, doch öffnet sich dem Blick
weithin noch eine lange Flucht von Grotten.
Die sind von rosigem Licht durchaus erfüllt,
das dort – so scheint es – aus den Wänden quillt.
Der Ausblick reizt ihn, weiter will er gehen
auf einmal bleibt er zögernd stehn:
Was glimmert hier im Dunkel um ihn her?
Der matte Schein verstärkt sich mehr und mehr;
Da liegen, wie sein Auge jetzt erkennt,
frei aufgeschüttet ganze große Haufen
gediegenen Goldes, Silbers, edler Steine,
gleich Haufen simplen Kornes, das im Speicher
von Bauernhänden aufgeschüttet ward.
Ja, Gold, zu Hauf gestapelt – welch ein Anblick!
Er steht und staunt, sein Auge brennt und starrt
zum Mammon nieder; mächtig regt
sich die Begierde; ja, er überlegt
und kalkuliert und klügelt; endlich spricht er:
Der dort im Saale, der gekrönte Zwerg,
gewiss nur darum sandte er
das Vöglein aus, das mir erschloss den Berg,
damit ich von dem Schatz mir soviel nehme
als ich nach Hause tragen kann!
Und mit bebenden Griffen schnell versenkt er
zwei-, dreimal, zehnmal
und nochmals zehnmal in das Gold die Hand
und birgt das keck genommene
sorgfältig im Gewand. –

Nun will ich, denkt er
mich ungesäumt aus diesem Labyrinth
heimwärts zurückziehn. Und schon lenkt er
den Schritt zum Rückzug. Plötzlich
ermatten ihm – das Gold ist schwer! – die Glieder,
zu Boden drückt es ihn mit Zentnerlast.
Er lässt sich, wie er meint, zu kurzer Rast
so schnell er kann, auf einem Schemel nieder,
der mitten in der Grotte steht. - Da übermannt
den Hingesunkenen ein seltsam Unvermögen;
er fühlt sich auf dem Schemel festgebannt,
und kann nicht einen Finger mehr bewegen.
Dabei versinkt er
alsbald in einen Schlaf, der doch zugleich
ein halbes Wachsein ist;
wach sind die inne, offen sind die Augen,
er sieht und hört!
Was hört er? Wie?
Ist das Musik? Bald klingt´s wie Orgelton,
wie Harfen bald und liebliche Schalmeien;
wie Waldhorn dann; - welch süße Melodie!
Wie Preisgesänge, Jubelhymnen jetzt
die fern im Berg ein holdes Echo wecken;
und wieder dann, als rauschten Quellen, Bäche,
und fielen große, schwere Wassertropfen
mit dumpfem Schlag herab auf Silberbecken.
Und all das Klingen, Singen, Tönen, Rauschen
verliert sich bald im fernen Widerhall,
bald kehrt es wieder mit verstärktem Schall.
Der Festgebannte, der im stillen Lauschen
dort in der Grotte falbem Dämmerlicht
mit off´nen Augen sitzt, er regt sich nicht.
Hat er vielleicht sich selbst und all sein Dasein
schon über dem vergessen, was er hört?
Denn wunderbarer noch ist, was er sieht!
Wie? Jener Halbkreis reizender Gestalten
der dort im ros´gen Licht der fernen Grotte
weiß schimmernd sich bewegt, ist das
der Elfenreigen? Zwerglein musizieren,
und dort in jenen andern Grotten schmausen
und zechen sie aus mächtigen Pokalen
an großen, runden Tafeln, kleine, lust´ge
langbärtige, breitschultrige Gesellen; -
dort schwingen sie in wunderlichen Spielen
Tarnkappen, Fähnlein, bunte Netzgeflechte,
und werfen Bälle, die wie Monde leuchten
einander zu…Und jetzt, vom Saale her
ein Zug von Zwergen, pomphaft, feierlich,
und mitten in dem Zug der König. – Alles neigt
und beugt sich huldigend. Und auf einmal wimmelt,
soweit der Fels sich hinwölbt, aus geheimen
Schlupfgängen kleines Volk hervor, geschäftig
sich tummelnd – hebend, schiebend, schleppend, tragend,
aufstapelnd, hämmernd, schaufelnd, schmiedend; - Männlein
mit langen spitzen Nasen kommen – schütteln
aus bronz´nen Schalen Gold zuhauf und machen
dem Festgebannten kichernd eine spött´sche
Verbeugung. Männlein in Gestalt von Pilzen
mit breiten Hüten grüßen ihn und kichern.
Zwölf Alraunmännchen, auf Maulwürfen reitend,
umsprengen ihn und kichern. Ein kleinwinz´ger
langbein´ger, laubfroschart´ger Kobold schreitet
auf Stelzen flugs heran, beguckt
den Sitzenden, und macht ihm lustig
unart´ge Reverenzen! – Alles kichert,
Erdgeisterchen, als glänzend schwarze Grillen
erscheinend, nahen scharenweis´ und glotzen
ihn an mit ihren großen, schwarzen, runden
glotzenden Augen… Wieder kommt der König
mit seinen Paladinen. – All das kleine
Gesindel huscht von dannen! Wieder schlingt sich
der Elfenreigen und bewegt und regt
sich alles nach wie vor im ew´gen Kreislauf
und immer noch
sitzt nach wie vor
mit off´nen Augen
und off´nem Ohr
der Bannbefang´ne auf dem Schemel. – Wie?
Macht auch sei Kopf Musik? Erklingt ihm auch
sein eignes Haupt wie ein metall´nes Becken?
Dumpf tönend fallen schwere Wassertropfen,
wie seltsam dröhnt der Ton ihm ins Gehör! –
herab auf seinen Scheitel – er erwacht!
Er regt sich! – er erhebt sich! Wie?
so fragt er sich,
es will schon Abend werden? Hab ich denn
den ganzen Tag hier in dem Berg verbracht?
Daheim im Schulhaus wird man mich vermissen!
Gewichen ist die Ohnmacht
von seinen Gliedern,
doch auch der kecke Mut
ist aus dem Herzen ihm entwichen.
Zaghaft tritt
er in den Saal hinaus. Dort sitzt der König
im Purpurmantel. Sachte schleicht er
vorüber. Ein halb zürnender,
halb spött´scher Blick des Zwerges trifft ihn stechend.
Eil´gen Schritts erreicht er
den Ausgang.
Ein Käuzlein
umkreist ihn und verschwindet.
Hinter ihm
schließt sich die Felswand.
Unwillkürlich tastet
jetzt seine Hand
in das Gewand wo er das Gold verbarg,
und raschelnd fällt
ein Häufchen dürres Laub zur Erde nieder.
Zur Erde nieder starrt er traurig sinnend
und endlich spricht er: übel
gedeutet habe ich des Vögleins Sendung!
Nicht darum
damit ich von dem Schatz nach Herzenslust
mir selber nähme, - nein,
nur darum sandte der gekrönte Zwerg
den Vogel aus, der mir erschloss den Berg,
um mich zu prüfen!
Ach, hätt´ ich die Begierde
bezwungen,
den Sieg errungen, -
gewiss, der Zwerg,
er würde mich, beschenkt mit reichen Gaben,
aus seinem Berg entlassen haben!

Zu seinen Füßen, im verklärten Schein
der hohen Sonne, liegt die Stadt. es ist
demnach nicht Abend, wie er meinte, nein,
´s ist heller Mittag, just elf Uhr:
die große Glocke läutet!
Und darum läutet sie, weil heute
Sonnabend ist und morgen Sonntag – Bußtag!
Ihm ist so wunderlich zu Mut, er kommt sich
so seltsam, fast unheimlich vor, als sei er
derselbe zwar, der er am Morgen war,
doch auch nicht mehr derselbe… Sonderbar!
Er steht und sinnt:
Ja, ja, Sonnabend ist´s, Sonnabend war´s ja,
als ich heut´ früh hinauf zum Berge stieg!...
Und hurtigen Laufes eilt er
Hinunter.
Durch das Stadttor schreitet er
bald in die Gasse. Seltsam! Diese Gasse
die heute früh noch ungepflastert war,
ist jetzt gepflastert. Neue Häuser stehn,
wo heut am Morgen noch recht alte standen.
Und auch die Menschen – sächsisch sind sie zwar
gekleidet und sie sprechen sächsisch, doch er kennt
nicht einen einz´gen, und auch ihn scheint keiner
von allen ihm Begegnenden zu kennen.
Er redet einen an, doch der erschrickt,
wie er dem Schuler in die Augen blickt,
und weicht abseits. – Jetzt kommt er auf den Kirchhof,
wo die Studenten „auf der großen Schule“
je drei bis vier in einer Stube
beisammenwohnen. Unverzüglich steigt er
im engen Treppenhaus zur Stube,
wo er daheim ist. Er tritt ein;
doch in der Stube, wo noch heute früh
sein Bett, sein Tisch mit seinen Büchern stand,
ist alles anders; nicht die lieben, trauten
Gesichter der Kommilitonen – andre, fremde
Bewohner schau´n ihn an – und sie erschrecken,
als säh´n sie ein Gespenst! Bestürzt
geht er von Stub´ zu Stube – alles fremd!
Und überall erschrickt man! Jetzt ergreift ihn
ein tiefes Bangen.
Mühsam wankt er
hinüber nach der Rektorswohnung.
Vor den Rektor
tritt ein Student mit blondumlocktem Haupt
und an Gestalt ein Jüngling; doch das Antlitz
ist leichenfahl, und leichenhaft verglast sind
die unbewegten, glanzlos blickenden,
weit off´nen Augen.
„Salve, vir perexime!“
So spricht er den gewohnten Gruß. Der Rektor
erschrickt beim Anblick des gespenstischen
Studenten – doch er fasst sich: „Gratias ago!
Wer seid Ihr, Domine?“
„Ich bin Student
und heiße Martin Brand.“
„Wo kommt Ihr her?“
„Ich war im Berg.“
„Im Berg?“
„Ja, in der Zinne,
grad´ aus der Zinne komm´ ich.“
„Aus der Zinne?
Ei, so erzählt mir denn, bevor wir
von andern Dingen reden, was Ihr dort
geseh´n, gehört, getan, und wie es Euch
erging!“
Und der Scholar erzählt,
wie ihn das Vöglein lockte in den Berg,
und er, vorüber am gekrönten Zwerg,
zum Schatz des Berges in die Grotte kam,
wie er vom Gold ein Häufchen an sich nahm,
wie ihn die Ohnmacht zwang in ihren Bann,
des Berges Wunder seinem Aug´ und Ohr
sich offenbarten; wie er endlich dann,
geweckt durch Wassertropfen, wieder frei,
doch trauernd aus dem Berg hervor
ans Sonnenlicht getreten,
und wie hier in der Stadt
nun alles – alles so verändert sei!

Der Rektor schaut gar bänglich drein. Sodann
nimmt er zur Hand ein altes Protokoll
und forscht und forscht. Drauf spricht er: „Höret an!
Heut sind grad hundert Jahre voll,
dass dein Student mit Namen Martin Brand
hinauf zur Zinne stieg und spurlos dort verschwand.
Es war am Sonnabend vorm Sonntag
Rogate, wie es hier im Protokoll
geschrieben steht; und morgen ist
Rogate…“—Der Rektor stockt
in seiner Rede plötzlich tief erschrocken;
vor seinen Augen, seinem Angesicht,
verändert sich, derweil er spricht,
der Jüngling mehr und mehr; die blonden Locken
verdünnen sich und werden silberweiß,
die bleichen Wangen fallen fleischlos ein –
vorm Rektor steht mit zitterndem Gebein
ein hundertzwanzigjähr´ger müder Greis;
er schrumpft zusammen wie verdorrtes Laub,
er sinkt zu Boden und zerfällt zu Staub.-

Erblichen
ist auch der Rektor; betend faltet er die Hände:
„Barmherziger Gott, vor Deinem Angesicht
lass dieses Menschen Seele Gnade finden!
Du bist die Liebe, mild ist Dein Gericht,
hilf, dass wir die Versuchung glücklich überwinden!“

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