Trachten in Siebenbürgen

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gogesch
schrieb am 12.02.2014, 09:36 Uhr
Nach den Diskussionen anlässlich des Heimattages 2013 bezüglich Trachten, fallen mir immer wieder Bilder aus Siebenbürgen auf, die siebenbürgisch-sächsische Trachten in Kreationen zeigen, die nichts mehr mit einer "richtigen" Tracht zu tun haben. Meine Frage: wie könnten die siebenbürgischen Tanzgruppen, die sächsische Tänze aufführen, besser ausgestattet werden?
helmut-1
schrieb am 14.02.2014, 04:55 Uhr (am 14.02.2014, 05:02 Uhr geändert).
Das ist ein Problem, mit dem sich wahrscheinlich nicht nur die Siebenbürger auseinanderzusetzen haben. Da sind auf der einen Seite die Bewahrer der Tradition, die gute Gründe dafür haben, daß sie an alten Stoffen und Schnitten festhalten. Aber auf der anderen Seite - gerade in der Jugendarbeit - will man junge Leute, die den Begriff der Heimat, die sie durch die Tracht repräsentieren, oft nur dem Hörensagen nach kennen, dafür gewinnen, sich mit Tanz und Gesang gerade den Traditionen dieser Heimat zu widmen. Dieses Klientel wiederum will (und soll) sich angenehm beim Tragen dieser Tracht fühlen und diese nicht widerwillig anziehen.

Jetzt mach mal was zur Quadratur des Kreises. Ich war fast eine Generation lang in diesem Metier tätig, aber bei der anderen Fakultät. Aber durch meine Arbeit in der DJO sowie im BdV kenne ich die Probleme bei allen Fakultäten. Am schwierigsten ists für die Donaudeutschen, wo die Mädels mit ihren steifen Röcken sich nicht mal hinsetzen können.

Es wird in den meisten Fällen immer nur mit einem Kompromiß gehen, indem man z.B. die kratzenden Tuchhosen bei den Jungs durch fast genauso aussehende Hosen aus anderem Material ersetzt. Wenn diese Hosen dann aber wie Wanderhosen aussehen, dann geht der Schuß daneben.

Letztlich muß auch die Überlegung in jeder deutschen Volksgruppe hineinfließen, was wichtiger ist, zu bewahren: Die alten Tänze und Lieder durch neu zu rekrutierende Repräsentanten, oder alte Materialien der Kleidung, die sich mit Sicherheit im Laufe der Jahrzehnte im Zuge der sog. Mode auch dann geändert hätten, wenn alle Volksgruppen in ihrer angestammten Heimat geblieben wären.

Wie ich schon vorhin sagte, nur ein Kompromiß, der gut durchdacht ist, kann hier Abhilfe schaffen. Aber diese schwierige Verantwortung liegt bei dem, der sich von Seiten der Kreisgruppe/Heimatortsgruppe der Ausstattung dieser Trachtengruppe widmet. Bei der sturen Beibehaltung der alten Schnitte und Stoffe läuft man Gefahr, daß man viel mehr verliert als nur das.
gogesch
schrieb am 14.02.2014, 09:32 Uhr
Die Kernfrage ist: haben die Tanzgruppen in Siebenbürgen überhaupt die finanziellen Möglichkeiten und das benötigte Wissen diese "richtige Trachtenentwicklung" zu durchlaufen?
Falls die Antwort "Nein" heißen sollte, stellt sich die zweite Frage nach Möglichkeiten diese Ressourcen aus Deutschland oder Österreich zu beziehen.
Slash
schrieb am 14.02.2014, 17:54 Uhr (am 14.02.2014, 17:56 Uhr geändert).
@gogesch, habe mal ins Inet geguckt u. a. auch dieses Video gefunden.
Kronenfest Malmkrog 2012

Wie dort zu erkennen ist, tanzen Frauen in quasi "Männertracht". Natürlich sind Pumps statt Stiefel zu sehen, wobei auch Männer Sneakers mit weißer Sohle tragen.

Auf einem anderen Foto (traditionen.evang.ro/assets/0000/0451/IMGP7536.jpg ) fehlen neben den Stiefeln auch die bestickten Kravatten gänzlich...
In dem Bericht über dem Foto ist allerdings zu lesen:
"Den Tanz der Jugend um den Kronen-Stamm bestreiten heute noch die sieben Tanzpaare der Jugendtanzgruppe aus Malmkrog (geleitet von Kristian Roth), zu der auch Rumänen gehören."

Ich habe auch nie eine Tracht besessen, woher bitteschön sollen denn Rumänen eine haben? Es wäre die Aufgabe der Tanzgruppe diese zur Verfügung zu stellen. Doch kann ich mir durchaus vorstellen, daß das "Beziehen", wie Du das hier so nennst, wahrscheinlich kein Pappenstiel sein wird...

Vielleicht gibt es ja hier Nachkommen, die eine alte Tracht im Nachlass der/des Oma/Opas finden und nicht wissen, was sie mit dem "alten Plunder" noch anfangen sollen. Drum wäre spenden statt beziehen eventuell eine Lösung für diejenigen, denen die "entartete" Tracht ein Dorn im Auge ist.
Slash
schrieb am 14.02.2014, 18:09 Uhr (am 14.02.2014, 18:11 Uhr geändert).
helmut-1: Bei der sturen Beibehaltung der alten Schnitte und Stoffe läuft man Gefahr, daß man viel mehr verliert als nur das.
Nicht unbedingt, wer sich im Theater "Hamlet" ansehen will, erwartet wohl kaum, daß der Hautpdarsteller im schwarzen TankTop, mit tiefhängenden Baggy Pants und rotem BaseCap á la 50 Cent auf die Bühne schlürft.
Folglich kann ich einerseits @gogesch schon verstehen...
Mynona
schrieb am 14.02.2014, 18:48 Uhr
In Gundelsheim stapeln sich die Trachten......und zerfallen irgendwann.........
_grumpes
schrieb am 14.02.2014, 19:06 Uhr
Na ja,
unser Gedächtnis hat sich das Design der Trachten aus den letzten 2 bis 3 Generationen eingeprägt.
Davor hat es bestimmt auch Veränderungen im Lauf der Jahrhunderte gegeben, durch das verwenden neu erschienener Stoffe, Dekorationen und Verarbeitungsmöglichkeiten.

Einige Exemplare werden wahrscheinlich in Museen landen, den Rest werden die Motten erledigen


jodradek
schrieb am 14.02.2014, 20:49 Uhr
Na ja,
unser Gedächtnis hat sich das Design der Trachten aus den letzten 2 bis 3 Generationen eingeprägt.
Davor hat es bestimmt auch Veränderungen im Lauf der Jahrhunderte gegeben, durch das verwenden neu erschienener Stoffe, Dekorationen und Verarbeitungsmöglichkeiten.


Natürlich, z.B. die Bundschuhe (opinci) wurden durch Stiefel ersetzt.
_grumpes
schrieb am 14.02.2014, 20:54 Uhr (am 14.02.2014, 20:59 Uhr geändert).
Natürlich, z.B. die Bundschuhe (opinci) wurden durch Stiefel ersetzt.

Ein Zeichen von Fortschritt.
Manche Rumänen hingegen, sind bei der "Tradition" geblieben

P.S. Willst Du jetzt UNS, in EURE Schuhe "schieben" ?
_grumpes
schrieb am 14.02.2014, 21:21 Uhr
seberg
schrieb am 14.02.2014, 22:35 Uhr (am 14.02.2014, 22:41 Uhr geändert).
Na ja, eine etwas wirre Geschichte, finde ich, die aber versucht, interessante Dinge anzusprechen.

Wer sich für "Geist", Bewusstsein, "Ich", "Selbst" usw. interessiert, dem empfehle ich das eher populärwissenschaftlich geschriebene Buch "Der Ego-Tunnel" von Thomas Metzinger. Er ist ein Philosoph des Geistes (Uni Mainz), der sich aber sehr intensiv auch mit moderner Hirnforschung beschäftigt, u.a. eben auch, wie es zu einem Identitätsgefühl kommt.

Identitätslose Menschen gibt es wohl nicht. Aber es gibt eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Identitätsunsicherheit.
Gerade bei vielen Migranten ist das wohl oft der Fall.
Oder bei großen gesellschaftlichen Veränderungen.
Ich vermute, auch viele sb. Sachsen kennen solche innere Unsicherheiten (mit oder ohne Tracht! ).

Auch z.Z. leben wir in einer andauernden Umbruchsituation und auch noch auf unabsehbare Zeit wird sich gesellschaftlich überall viel verändern, was die Menschen voraussichtlich wohl auch überfordern wird.

Thomas Metzinger hat kürzlich in einem Interview ausführlich z.B. über die russische Pussy Riot-Gruppe gesprochen. Sehr interessant, wie ich finde:
karandashy.org/2013/03/11/pussy-riot-und-intellektuelle-redlichkeit-thomas-metzinger-kritisiert-die-moderne-kultur/
helmut-1
schrieb am 15.02.2014, 19:36 Uhr
slash:
Der Vergleich mit Hamlet hinkt. Er paßt einfach nicht zu bestimmten Vorgaben, wie mit Jugendlichen Traditionspflege zu betreiben, wobei es um reine Freizeitbeschäftigung geht, die mit Gemeinschaftserlebnissen untermauert werden müssen.

Beim Hamlet geht man von Profis aus, die sich schwer dafür bezahlen lassen, und die sich auch, wenn es gefordert wird, eine Badehose über den Kopf ziehen. Wer bezahlt, bestimmt auch.

Aber das ist eine ganz andere Ausgangslage.
Slash
schrieb am 15.02.2014, 20:34 Uhr
helmut-1, ich habe mir rein zufällig Jugendliche als Beispiel ausgewählt, wobei @gogesch sich allgemein auf Tanzgruppen bezieht. Ob in Siebenbürgen der Auftritt stets nur aus Traditionsgefühl erfolgt, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls zahlt man hier, wenn man ein Fest organisiert, der gebuchten Tanzgruppe ein Honorar. Ist auch legitim, schließlich werden dann wiederum Eintrittsgelder für die Veranstaltung erhoben.

Mit dem hinkenden Hamlet wollte ich nur unterstreichen, daß das sture Festhalten an Stoffen und Schnitte in gewissen Fällen nachvollziehbar ist. Doch geht es letztendlich wirklich nur um das Anpassen des Materials an die heutige Zeit, oder stößt in diesem Fall eher das "păi, merge şi aşa" auf?
gogesch
schrieb am 15.02.2014, 20:36 Uhr
woher stammt die Information dass sich die Trachten in Gundelsheim stapeln?
helmut-1
schrieb am 15.02.2014, 21:23 Uhr
slash:
Mit merge si asa ists nicht gemacht. Ich will hier auch nicht den Besserwisser rauskehren, zumal ich meine aktive Tätigkeit 91 beendet habe, und das bei der anderen Fakultät. Mag sein, daß es bei den Sachsen zum einen andere Spielregeln gibt, und zum anderen die Zeiten heute anders sind als noch vor 20 Jahren.

Wir habens jedenfalls so gehalten, daß die finanziellen Zuwendungen bei Auftritten nicht so ausgehandelt wurden, daß sich da Barrieren aufbauten. Es gab genügend Gelegenheiten, da haben wir sogar zusammengelegt, - wenns um eine kleine Kreisgruppe ging, die ohnehin nichts drauf hatte. Klar war man auch bemüht, die Fahrtkosten und noch etwas dazu rauszukriegen, damit man das dadurch gesparte Geld am Jahresende für eine gemeinsame Fahrt oder ähnliches verwenden konnte.

Teilweise bekam man ja auch über den Stadtjugendring und/oder die DJO einiges rein. Das sind Dinge, die es in RO natürlich nicht gibt. Ich erinnere mich noch gut an den ersten und gleichzeitig letzten Auslandsauftritt (1990)der Tanzgruppe des Brukenthalgymnasiums aus Hermannstadt, den ich über meinen Draht zu einer politischen Partei finanzieren konnte. Nicht nur die Fahrt, sondern auch Unterkunft und Taschengeld.

Letzter Auftritt deshalb, weil über die Hälfte der Eltern der Mitglieder bereits die Papiere eingegeben hatten....
Aber da gabs schon die Diskussion dann darüber, wie man denn weitermachen könnte. Ich persönlich war der Meinung, daß es zweitrangig ist, ob das rumänische Jugendliche oder sächsische Jugendliche sind. Für mich ist das Bewahren der Tradition wichtiger.

Aber ich verstehe auch andere, die da eine andere Ansicht drüber haben. So gesehen empfinde ich z.B. die Art der Materialien für die Trachten als sekundär, solange man nicht einen augenfälligen Unfug zuläßt.

Aber natürlich respektiere ich auch hier andere Meinungen.

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