Hans Stamm über die Deportation vor 60 Jahren

26. März 2005

Allgemeiner Bericht

Am 13. Januar 1945 wurden aus Brenndorf und allen sächsischen Gemeinden Siebenbürgens alle arbeitsfähigen Frauen zwischen 18 und 30 Jahren sowie Männer zwischen 17 und 45 Jahren zur Wiederaufbauarbeit nach Russland verschleppt. Oft wurde diese Altersgrenze, die Stalin in seinem Deportationsbefehl vom 16. Dezember 1944 festgelegt hatte, nicht respektiert. Rund 70 000 Deutsche aus Rumänien wurden deportiert. Hans Stamm (Hausnummer 76, heute Bietigheim-Bissingen) berichtet über die Ereignisse vor 60 Jahren.
Es war an einem Samstagmorgen, als die Sachsen in Brenndorf von rumänischen Soldaten, begleitet von je einem russischen Soldaten, abgeholt und auf einem Pferdewagen in den Schulhof gebracht und in der Turnhalle gesammelt wurden. Am Nachmittag wurden wir auf den Kronstädter Güterbahnhof gebracht, wo die Viehwaggons mit Pritschen und Bänken schon bereitstanden. Bei unserer Abfahrt aus Brenndorf läuteten zum Abschied die Glocken. Nachdem wir einwaggoniert waren, wurden die Türen von außen verriegelt. Die erste Nacht verbrachten wir auf dem Kronstädter Bahnhof. Sicher war das von den Russen beabsichtigt, denn am nächsten Tag brachten sie noch welche, die nicht auf den Listen standen oder sich versteckt hatten, unter ihnen Kurt Stephani und Hans Stamm (83).

Am Sonntagabend gegen 23 Uhr fuhr der Zug ab. In den Waggons herrschte eine bedrückte Stimmung vor allem bei den Müttern, die ihre kleinen Kinder bei den Großeltern oder bei der Verwandtschaft zurücklassen mussten. Während der Fahrt wurde der Zug öfters auf die Abstellgleise gebracht, denn die Züge, die an die Front fuhren, hatten Vorrang. So dauerte die Fahrt bei eisiger Kälte zwei Wochen lang.

Nach unserer Ankunft wurden wir mit Lastwagen in das Lager Makeewka 1001 und in das dazu gehörende Muschketowa gebracht. Am 1. Februar wurden uns die Arbeitsplätze zugewiesen. Die meisten Frauen mussten auf den Baustellen schwere Arbeiten verrichten oder die Gleise der Bahnlinie vom Schnee freischaufeln, also Arbeiten, für die unqualifizierte Arbeitskräfte eingesetzt werden konnten.
Deportierte aus Brenndorf in der Sowjetunion, ...
Deportierte aus Brenndorf in der Sowjetunion, erste Reihe von links nach rechts: Emmi Klein (274), Hanni Promer (219), Erna Fiddes geb. Kloos (246), Hans Stamm (83), Ottilie Klöss geb. Schuster (22), Hilde Rhein geb. Brenndörfer (268); zweite Reihe v.l.n.r.: Rosi Birk geb. Tontsch (199), Martin Schuster (74), Rosi Olesch geb. Stütz (7), Georg Teutsch (265), Emmi Töttels geb. Tontsch (166), Fritz Reiss (13), Hilda Borbas geb. Schuster (275); dritte Reihe v.l.n.r.: Hans Darabas jun. (269), Hans Graef (32), Olga Knopf geb. Daniel (27), Emmi Rhein (680), Emil Kuzi (269), Klara Miess (243), Hans Stamm (76), Klara Olesch geb. Zerbes (249), Ernst Rothenbächer (160).
Die Männer aus dem Stadtlager, die eine berufliche Ausbildung, z.B. Schlosser, Elektriker oder Automechaniker besaßen, konnten in ihrem Beruf arbeiten. Alle anderen, die meisten von uns, waren ja Bauern, kamen zum Abladen der Waggons, in denen Eisenerz, Steinkohle, Koks oder Kalkstein angefahren wurde. Das Eisenerz wurde feucht aus dem Bergwerk verladen und gefror bei den Temperaturen von –35° bis – 40° C zu einem einzigen Brocken. Mit großen Keilen und Vorschlaghämmern schlugen wir große Stücke davon ab, wälzten sie in einen tiefen Schacht, von wo ein Kran sie zu den Hochöfen brachte.

Durch die schwere Arbeit, bei schlechter Ernährung und großer Kälte, wurden viele schwach und krank, so dass im Dezember 1945 der erste Krankentransport Richtung Heimat ging.

Am Morgen bekamen wir die Tagesration Brot, die von den meisten gleich aufgegessen wurde, eine dünne Suppe und mit Sacharin gesüßten Tee. Am Abend gab es Krautsuppe und etwas Gerstel oder Mehlbrei.

Im Mai 1945 wurden im Lager Muschketowa Männer für die Gießerei gesucht und im Juni für das Walzwerk, zu denen auch ich gehörte. Durch die schwere Arbeit und die andauernd schlechte Verpflegung kam es Ende August 1946, am 25. Dezember 1946 und Anfang April 1947 zu weiteren Krankentransporten, die aber nicht nach Rumänien gingen, sondern nach Frankfurt/Oder umgeleitet wurden. Erst im Juni 1948 ging wieder ein Transport nach Rumänien.

Brenndörfer Zwangsarbeiterinnen im ukrainischen ...
Brenndörfer Zwangsarbeiterinnen im ukrainischen Donbass, untere Reihe von links: Rosi Zibracki geb. Mechel (202), Rosi Mechel geb. Tontsch (227), Rosi Zerbes (161); obere Reihe v.l.n.r.: Anni Schuster geb. Schneider (131), Ottilie Roth geb. Stamm (326), Amalie Brenndörfer geb. Martini (18), Rosi Borowski geb Jekel (160).
Am 15. Dezember 1947 wurde in Russland die Währungsreform durchgeführt und mit den neuen Geld gab es auf einmal auch genügend Grundnahrungsmittel wie Brot, Öl Margarine, Zucker usw. So konnten wir uns in kurzer Zeit erholen und kamen wieder zu Kräften. In unserem Lager wurde ein Orchester gegründet, das am Samstagabend und sonntags zum Tanz aufspielte. Im Frühjahr 1949 beschaffte der Lagerkommandant eine Garnitur Blasinstrumente, so dass auch eine Blaskapelle gegründet werden konnte.

Am 5. November 1949 wurde uns mitgeteilt, dass am nächsten Tag keiner mehr zur Arbeit gehen muss und wir in den nächsten Tagen nach Hause in die Heimat fahren würden. Alle jubelten vor Freude. In den folgenden zehn Tagen bis zur Abfahrt gab es jeden Abend Tanz und Gesang. Am 16. November war es dann soweit. Die Russen hatten den Zaun um das Lager abgerissen, alle versammelten sich vor dem Wohnblock, die Koffer wurden kontrolliert und auf Lastwagen zum Bahnhof gebracht.

Anschließend hielt der Lagerkommandant eine kurze Ansprache, bedankte sich für die Arbeit, die wir geleistet hatten, und wünschte uns alles Gute. Unter den Klängen der Blaskapelle und mit Gesang marschierten wir zum Bahnhof. Dort waren die Waggons schon bereitgestellt, und am Abend fuhren wir ab. In Sighet (Maramuresch) angekommen, kamen wir in ein Durchgangslager, wo wir nach einigen Tagen den Entlassungsschein, eine Fahrkarte und ein Schreiben an das Arbeitsamt (bratele de munca) erhielten. Am 24. November fuhren wir von Sighet ab und kamen am selben Abend gegen 18 Uhr auf dem Brenndörfer Bahnhof an, wo uns unsere Mütter erwarteten und in die Arme schlossen. Es war ein frohes Wiedersehen nach fast fünf Jahren. Wir freuten uns, wieder zu Hause und freie Menschen zu sein.

Hans Stamm, Bietigheim-Bietigheim

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