Pfarrer Walter Bimmel: Das Leben im heutigen Burzenland

1. Februar 2005

Nachrichten aus dem Heimatort

Im Jahr 2004 war Pfarrer i. R. Walter Bimmel aus Siegen auf Bitte des Burzenländer Dechanten, Pfarrer Klaus Daniel, in zwei Etappen im Burzenland: vom 5. Juli bis 6. September und vom 3. November bis 15. Dezember 2004. Er übernahm dort die Vertretung für Pfarrer Lothar Schullerus, der in die Schweiz ausgewandert ist. Insgesamt war Pfarrer Bimmel nahezu drei Monate in den Gemeinden Petersberg, Honigberg und Brenndorf tätig. Im folgenden Artikel, den er eigens für die „Briefe aus Brenndorf“ verfasst hat, berichtet er über die aktuelle Lage im Burzenland.
Die Anreise aus Deutschland mit meinem PKW verlief gut. An den Grenzen gab es keine Probleme. Es ging europäisch zu, die Grenzbeamten waren sehr höflich und bemüht, die Wartezeiten zu verkürzen. Die Nationalstraßen sind vorzüglich in Ordnung gebracht worden; Schlaglöcher gibt es allerdings in den Städten und zwischen manchen Ortschaften, etwa Honigberg und Brenndorf.

In den Gottesdiensten erlebte ich Siebenbürgen so, wie ich es aus der „vorrevolutionären“ Zeit kannte. Jeder Gottesdienst wurde zum Ereignis, das das Leben der folgenden Woche mitbestimmte. Die Frömmigkeit und die Andacht (Spiritualität), mit der Gottesdienste wahrgenommen wurden, sind beeindruckend.

In Honigberg gab es ein Problem: die kaputte Orgel. Die Reparatur kostet 20.000 Euro und soll von der Fachwerkstatt, die neben dem Honigberger Pfarrhauses angesiedelt ist, durchgeführt werden. Kurator Kasper freut sich über jede kleine Spende. Eines Tages berichtete sie ganz glücklich, dass die erste größere Rate eingegangen sei und mit der Reparatur begonnen werden könne.

In Petersberg war der Gottesdienst auch gut besucht. Regelmäßig werden die Gemeindeglieder aus Brenndorf mit einem Kleinbus, Eigentum des Kronstädter Forums, zum Gottesdienst nach Petersberg gebracht. Während meines Aufenthaltes hielt ich auch zwei Gottesdienste in Brenndorf, und zwar im Pfarrhaus. Die schöne Kirche wurde vom Erdbeben im Mai 1990 so stark beschädigt, dass dort keine Gottesdienste gehalten werden können.

Der Gottesdienstbesuch in allen Gemeinden war gemessen an deutschen Verhältnissen gut. Während der Sommermonate waren, so schätze ich, 30 bis 50 Prozent der Gemeindeglieder im Gottesdienst. Viele können den Gottesdienst aus Altersgründen nicht besuchen. Für die Gottesdienste sind die Gemeindeglieder aber sehr dankbar.

Bei Kasualien kommt man nicht umhin, sich der rumänischen Sprache zu bedienen. Die meisten Zuhörer sind eben Rumänen. Die wenigen Kinder sprechen und verstehen die deutsche Sprache, sprechen aber untereinander rumänisch. Sie besuchen die deutsche Honterusschule in Kronstadt, wo am Pausenhof auch rumänisch gesprochen wird.

Erfreulich ist der Zusammenhalt der Burzenländer Gemeinden. So kam die Tanzgruppe Zeiden zum Petersberger Burgfest, alle Gemeinden waren beim Zeidner Treffen dabei. Das Bartholomäusfest in Kronstadt-Bartholomä, zu dem Leute aus allen umliegenden Gemeinden kamen, war ein Ereignis, von dem man noch Wochen danach sprach.

Da ich selbst Burzenländer bin (in Kronstadt geboren und in Neustadt aufgewachsen), beeindruckte mich täglich die Schönheit des Burzenlandes. Die große, weite Ebene, aus der die Gebirge emporschießen, setzten der Bewunderung keine Grenzen. Zu Fuß bin ich von Wolkendorf nach Neustadt und zurückgewandert, nur um das Burzenland länger zu genießen.

Die Dörfer des Burzenlandes sind, bis auf die Straßen, gut erhalten. Die Häuser haben, anders als in vielen Gemeinden des Altlandes, frisch gestrichene Fassaden. Die Vorgärten sind gepflegt und die Dörfer machen einen sauberen Eindruck. Viele Menschen bauen. Die Neubauviertel am Stadtrand von Kronstadt strahlen in bunter Farbenpracht. Eine Villa steht neben der andern. Amerikanischer Stil ist gefragt. Amerikanisch ist auch die Mauer, die diese Viertel umgibt. Ein Tor mit Wächter und hinein kommt man nur, wenn man da wohnt oder eingeladen ist. Es gibt auch das Gegenteil: Die Blockwohnungen sehen verfallen und vernachlässigt aus. Viel Schmutz in den Höfen, und auch die Treppenhäuser sind in desolatem Zustand.

Gegensätzlich wie die Bausubstanz ist auch die Lebenssituation der Menschen. Redet man mit den Gemeindegliedern, bekommt man von den vielen Nöten zu hören, unter denen die Menschen, vor allem die Rentner leiden. Sämtliche sozialen Strukturen stehen auf wackligen Beinen. Es gibt laut Gesetz kostengünstige Arzneimittel für sozial Schwache, aber die Apotheken nehmen die „Sozialrezepte“ nicht an, weil die Arzneien von den Krankenkassen nicht bezahlt werden. Es gibt Ärzte, es fehlt aber am nötigen Geld, diese zu bezahlen. Wenige haben Arbeit, verdienen dort kaum etwas. Oft werden die Arbeiter um ihren Monatslohn betrogen.

Anderseits staunt man über die vielen neuen Autos. In Kronstadt herrscht, wie in westlichen Städten auch, Parkplatzmangel. Es gibt in den Geschäften alles zu kaufen. Die großen Handelsketten des Westens eröffnen ein Geschäft nach dem andern. Das Angebot ist wie im Westen, aber auch zum gleichen Preis zu haben. Und Leute kaufen ein! Also muss Geld vorhanden sein.

Zwei Erlebnisse, so denke ich, beschreiben die Situation am besten. An einem Samstag wollte ich im neu eröffneten „Careffour“ (französische Handelskette) in Kronstadt einkaufen. Der Parkplatz, so groß wie ein Fußballfeld, war besetzt. In einer Ecke fand ich dann doch noch einen Parkplatz. Meinem Begleiter, einem Professor aus Kronstadt, sagte ich, dass es bei diesem Andrang doch Geld unter den Menschen geben müsste. Der sagte mir, dass Kronstadt 400.000 Einwohner hat. 100.000 haben Geld und sind am Einkaufen, die andern 300.000 sind eben nicht hier.

Ich fragte auch, ob man die Dacia nicht mehr fahre. Die meisten Autos, die ich sehe, seien ausländischer Produktion. Die knappe Antwort: „Doch, zwei Drittel der zugelassenen Autos sind Dacias, aber deren Besitzer haben kein Geld für Benzin.“ Die Reihe der Widersprüche ließe sich beliebig fortsetzten.

Im Weiteren will ich die Situation der drei Gemeinden, die ich betreut habe, schildern. Petersberg, Honigberg und Brenndorf sind laut Kirchenordnung selbstständige Gemeinden. Petersberg hat die meisten (knapp über 150) und Brenndorf die wenigsten (rund 60) Gemeindeglieder. Die Gemeinden haben die alten Ordnungen behalten: Presbyterien, Gemeindevertretung, Männerkirche und Frauenkreis. Nach dem Wegzug von Pfarrer Lothar Schullerus werden die drei Gemeinden von Bezirksanwalt Manfred Copony verantwortlich betreut. Im Februar 2005 wurde ein Pfarrvikar, Peter Klein, eingeführt. Es besteht die Hoffnung, dass er ab Herbst dieses Jahres als ordinierter Pfarrer in diesen drei Gemeinden bleibt.

Die Gemeindevertretungen sind bemüht, die Gebäude und Grundstücke in Ordnung zu halten. In den Presbyterien wird verantwortlich verhandelt. Weil es an Geld fehlt, ist die Beschlussfassung schwierig. Die vielen Gebäude, die unseren Gemeinden aufgrund des Rückgabegesetzes erstattet wurden, sind reparaturbedürftig. Die Gemeindeglieder werden immer älter und scheiden als freiwillige Helfer aus. Wo nicht deutsche Vereine oder Stiftungen die Reparatur oder Umgestaltung der Gebäude übernommen haben, ist der Verfall bemerkbar.

Oft wird in diesem Zusammenhang die Frage gestellt, ob es sich noch lohnt, hier zu investieren. Sie ist aus meiner Sicht nicht eindeutig zu beantworten. Auf den ersten Blick müsste man, wie es viele tun, ein klares Nein sagen. Jedoch beim zweiten Hinsehen tun sich Potenziale auf, die ein weiteres Nachdenken lohnend machen. In unseren Burzenländer Gemeinden haben wir historisch wertvolle Gebäude, die touristisch erschlossen werden müssten. Die Honigberger Kirchenburg ist renoviert worden. So kommen im Sommer täglich mehrere Busse mit Touristen aus aller Herren Länder an, um sie zu besichtigen. Die Spenden, die dabei eingenommen werden, sind nicht riesig, aber beachtlich und steigerungsfähig. In Petersberg und Brenndorf, wo kaum Reparaturen durchgeführt wurden, blieben die Touristen bislang aus. Sollten auch Peterberg und Brenndorf die Möglichkeit haben, ihre Burg bzw. Kirche zu reparieren, hätten die Gemeinden auch Einnahmen und wären ein Stück selbstständiger. Der Saal in Petersberg wäre eine Einnahmequelle. In dem Zustand von heute ist er jedoch kaum nutzbar. Sollte er auf heutigem Niveau instand gesetzt werden, könnte er der Gemeinde ständige Einnahmen sichern. Der Saal könnte für die Ausrichtung von Feierlichkeiten vermietet werden.

Man müsste überlegen, welche Grundstücke behalten und welche veräußert werden können. Mit dem Geld der veräußerten Grundstücke könnte man neue Einnahmequellen erschließen und wertvolle Bausubstanz erhalten und z. B. dem Tourismus oder dem Gewerbe zugänglich machen. Der Tourismus um und in Kronstadt entwickelt sich von Jahr zu Jahr.

Es gibt Gemeinden, die durch vernünftige Umgestaltung ihrer nicht mehr als Pfarrwohnung gebrauchten Pfarrhäuser beachtliche Summen einnehmen (Rosenau, Neustadt). Wenn die Vorstände der Heimatortsgemeinschaften vor Ort mit den Gemeindegliedern reden würden, würden sich für beide Seiten begehbare Wege öffnen. Deshalb ist es sehr begrüßenswert, dass sich die „Dorfgemeinschaft der Brenndörfer“ (HOG Brenndorf) für die Kirchenreparatur einsetzt.

Zahlt es sich aus? Ich frage mich, wie sähe Brenndorf aus, wenn der Kirchturm eingestürzt wäre? Wie würde man sich fühlen, wenn man am Kirchtor lesen würde: „Eintritt wegen Einsturzgefahr verboten“. Fühlen wir uns der Vergangenheit auch nur ein Stück verpflichtet, so können wir nicht umhin immer wieder neu nachzudenken. Begehbare Wege gibt es viele und Potenzial ist vorhanden. Wenn wir das jetzt nicht nutzen, werden wir auf Fragen der nächsten Generation nur beschämt schweigen müssen.

Walter Bimmel

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