Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen


1. Der Platz der siebenbürgisch-sächsischen Wirtschaft in der des ungarischen Königreiches und des Fürstentums Siebenbürgen

Autor: Dr. Michael Kroner
Quelle: "Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen".

1. Der Platz der siebenbürgisch-sächsischen Wirtschaft in der des ungarischen Königreiches und des Fürstentums Siebenbürgen (12. Jahrhundert bis Ende des 17. Jahrhunderts)

1.1 Ad retinendam coronam

Ein wesentlicher Bestandteil des historischen Bewußtseins der Siebenbürger Sachsen ist die Überzeugung, daß ihre Vorfahren im 12. Jahrhundert unter dem ungarischen König Geysa II. in ein unbewohntes, von Urwäldern überwuchertes Land angesiedelt wurden und es urbar gemacht haben. Wer etwas belesener ist, verweist auf die lateinischen Urkunden, in denen die nach Siebenbürgen gerufenen ("vocati") deutschen Kolonisten als "Hospites" (Gäste) bezeichnet werden, die hier ein wüstes Land ("desertum") vorfanden und zum "Schutz der Krone" ("ad retinendam coronam") angesiedelt wurden. Diese Ansicht von der Pioniertat der ersten Kolonistengeneration - heute würden wir sie Aufbauhelfer bezeichnen - trifft zwar zu, eine kritische Geschichtsschreibung wird aber dieses etwas verklärte Bild genauer zu zeichnen versuchen. Die Forschungen der Nachkriegs­zeit bieten nämlich ein etwas differenzierteres Bild, und zwar sowohl was die wirtschaftlichen als auch die demographischen Zustände Siebenbürgens vor der Kolonisation betrifft.

Die Kolonisten, die aus verschiedenen Teilen des deutschen Reiches nach Siebenbürgen kamen und hier zu einem neuen Stamm zusammenwuchsen, der die Bezeichnung "Sachsen" erhielt, besiedelten nicht ein vorher ganz unbewohntes Land, es war aber sicherlich nach der Völkerwanderung ein menschenarmes Gebiet, das sich in einem urwaldähnlichen Zustand befand und erst wirtschaftlich erschlossen werden mußte.

Die Besiedlung Siebenbürgens mit deutschen Kolonisten erfolgte im Zuge des etappenweisen Vordringens des ungarischen Königreiches in das Gebiet "jenseits des Waldes", genannt "Transsilvanien". Dessen Vorstoß nach Siebenbürgen begann am Anfang des 11. Jahrhunderts und dauerte bis Anfang des 13. Jahrhunderts an. Es können etwa fünf Eroberungsetappen identifiziert werden. Der jeweils eroberte Streifen wurde durch Verhaue ( ungarisch "gyepük", rumänisch "prisaci", lateinisch "indagines") an der vorgeschobenen Grenze abgesichert. Die Verhaue waren natürliche Hindernisse, die durch gefällte Bäume und Überflutungen die "Grenze" unpassierbar machten. Diese Schutzgürtel wurden zusätzlich an gefährdeten Stellen durch Erdwälle verstärkt. Bloß an einigen Stellen wurden bewachte Zugangstore offengelassen, durch die man hinein und hinaus gelangen konnte. Mit der Bewachung dieser Grenzverhaue wurden seitens der ungarischen Krone die in ihren Diensten stehenden Hilfsvölker - die Petschenegen und Szekler - betraut. Wurde ein neues Gebiet hinzugewonnen, verlegte man die Grenzvölker an die neue Grenze, wo sie neue Verhaue anlegten. Das von den Hilfsvölkern geräumte Gebiet wurde zur Neubesiedlung freigegeben. So gilt es heute als erwiesen, daß die deutschen "Hospites" Gebiets­streifen besiedelten, aus denen in Südsiebenbürgen vorher die Szekler und in Nordsiebenbürgen wahrscheinlich Petschenegen abgezogen waren. Die Siedler kamen also nicht in ein ödes, sondern in ein vor kurzem verlassenes Gebiet. Thomas Nägler weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß das "desertum" der lateinischen Urkunden nicht mit "wüst", "leer" und "unbewohnt", sondern mit "verlassen" zu übersetzen ist. Rumänen dürften außerhalb der von Ungarn eroberten Gebieten ansässig gewesen sein, so daß die deutschen Kolonisten in dem ihnen vergabten Land allein siedelten. Sie mußten niemanden verdrängen und konnten reindeutsche Ortschaften gründen.

Daß sich die deutschen "Gäste" Südsiebenbürgens auf von Szeklern geräumten Territorien niederließen, geht aus urkundlichen Hinweisen, Ortsbezeichnungen und archäologischen Ausgrabungen hervor. So weisen die Ortsnamen Kleinkopisch (ungarisch Kiskapus) und Großkopisch (Nagykapus) auf Grenzverhaue ("Kapu" heißt Tor), die ursprünglichen ungarischen Ortsnamen Sebus (Mühlbach), Orbi (Urwegen), Kézd (Keisd) hingegen auf vorangegangene szeklerische Siedlungen hin. Die aus den zwei letztgenannten Ortschaften abgezogenen Szekler gründeten - so nimmt man an - in ihrem neuen Siedlungsgebiet gleichnamige Ortschaften, nämlich Orbai und Kézdi. Gräberfunde um und unter den evangelischen Kirchen von Deutsch-Weißkirch, Mediasch und andernorts belegen eine szeklerische Präsenz vor den Sachsen.

Es stellt sich nun die Frage, in welchem Zustand das von den deutschen Kolonisten in Besitz genommene Land sich befand? Da die Szekler ein Reiter- und Nomadenvolk waren, dürften sie für ihren Selbsterhalt eine primitive Grasfeldwirtschaft mit Viehzucht betrieben haben, so daß die deutschen Siedler sicherlich Hand anlegen mußten, um den Boden für einen fort­geschritteneren Landbau urbar zu machen. Man kann davon ausgehen, daß die Neuan­kömmlinge die vorgefundenen Behausungen und Kirchen vorerst nutzten.

Es versteht sich von selbst, daß die deutschen Ostsiedler in den ihnen zugeteilten Landstrichen westeuropäische Lebensformen einführten. Und da sie auch später die Verbindung zu ihrem Mutterland aufrechterhielten, wurden sie die Träger abendländischer Kultur in slawischem, ungarischem und rumänischem Umfeld. Siebenbürgen ist erst durch die deutschen Kolonisten das geworden, was es von den umliegenden Gebieten unterscheidet. Das Sachsenland war durch seine ländlichen und späteren städtischen Ortschaften dem benachbarten rumänischen, ungarischen und szeklerischen Siedlungsgebiet wirtschaftlich und kulturell in der Entwicklung voraus. Es konnte die wirtschaftliche Vormachtstellung zum Teil bis zum Beginn der sozialistischen Ära beibehalten. Erst durch die brutalen Verfolgungs- und Enteignungsmaßnahmen der kommunistischen Machthaber wurde das wirtschaftliche Rückgrat der Sachsen gebrochen und damit die von ihnen ausgehenden Impulse erstickt.

Wir werden in den folgenden Ausführungen darzustellen versuchen, in welchem Maße die Sachsen jeweils westliches Know how nach Siebenbürgen verpflanzt haben und welches ihre wichtigsten wirtschaftlichen Leistungen in über 800 Jahrhunderten waren.

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Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen

"Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen" von Dr. Michael Kroner.
Heft 5 aus der Schriftenreihe Geschichte der Siebenbürger Sachsen und ihrer wirtschaftlich-kulturellen Leistungen.

Herausgeben vom Bundesreferat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und von der Kreisgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V.

Bezugsquelle: Dr. Michael Kroner, Tel. +49 (0)911 69 19 09



Stand 18.01.2000      top