Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen


1.3 Ansiedlung und Dorfgründung

Autor: Dr. Michael Kroner
Quelle: "Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen".

1.3 Ansiedlung und Dorfgründung

Der Großteil der nach Siebenbürgen eingewanderten Kolonisten waren Bauern, die den drückenden grundherrschaftlichen Lasten entflohen, unbeerbt geblieben waren, in der Heimatgemeinde infolge der Bevölkerungsvermehrung keine Existenzmöglichkeit fanden oder mit der neuen Geldwirtschaft nicht zurecht kamen. Zu den Umsiedlern gehörten auch verarmte Kleinadlige (Ritter), Handwerker und Kaufleute, die sich im Osten verbesserte Existenz­möglichkeiten erhofften.

Wie der Umzug erfolgte, können wir uns schwer vorstellen, da bei den damaligen Verkehrsverhältnissen eine Tagesleistung von 20, maximal 30 Kilometern erreicht wurde. Es ist anzunehmen, daß die Ostfahrer den Weg nicht ohne Unterbrechungen zurückgelegt haben, sondern längere Zwischen- und Raststationen einlegten. Einige Forscher glauben sogar, daß es während der Ostkolonisation eine Zwischenheimat gegeben hat, aus der erst die folgenden Generationen weiterzogen. Wir wissen auch nicht, welcher Route die Auswanderer gefolgt sind. Haben sie sich vielleicht in Süddeutschland eingeschifft und sind die Donau stromabwärts hinuntergerudert, um dann irgendwo in der Theißebene oder in der Walachei an Land zu gehen, um von dort im Mieresch-, Somesch- oder Alttal in die zugedachten Gebiete Siebenbürgens zu gelangen?

Wir können uns eher Trecks vorstellen, die mit ihren Wagen den weiten Weg von mehr als 2000 Kilometer zurücklegten, wie etwa die Teilnehmer des Bauernkreuzzuges von 1096. Über die Teilnehmer dieses Kreuzzuges heißt es in einer Chronik vom Anfang des 12. Jahrhunderts, daß die Bauern Haus und Hof veräußert und das restliche Gut samt Frauen und Kindern auf zweiräderige Karren geladen hätten, die von Ochsen gezogen wurden.

Da die nach Siebenbürgen auswandernden Kolonisten wahrscheinlich von Lokatoren ange­worben waren, ist anzunehmen, daß diese die Auswanderungszüge zu Wasser oder zu Land leiteten und daß Zwischenstationen eingerichtet waren, wo man Rastpausen einlegte und sich versorgte. Die Ritter unter den Kolonisten dürften zu Pferd den Troß begleitet und auch zum Schutz gedient haben.

In Siebenbürgen gab es Anlaufstationen. Eine Szeklernachhut dürfte in dem zugewiesenen Gebiet noch anwesend gewesen sein, um den Ankömmlingen das Territorium zu übergeben. Die Gebiete um Mühlbach und Broos sind beispielsweise den um die Mitte des 12. Jahrhunderts kolonisierten "Gästen" erst 1224 durch den Andreanischen Brief verliehen worden.

Auf ihren Wagen konnten die Siedler bloß einige Habseligkeiten mitführen, so daß sie außer ihrer Arbeitskraft und ihrem Wissen im wahrsten Sinne des Wortes mit leerer Hand ihre neuen Heimstätten in Empfang nahmen.

Am neuen Siedlungsort mußte eine provisorische Behausung bezogen oder schnellstens errichtet werden, vor allem aber die Ernährung bis zur ersten Ernte gesichert und Saatgut zur Verfügung gestellt werden. Rinder und Pferde dürften sie mitgebracht haben. Jemand mußte sodann für die Übersiedlungskosten aufkommen, denn die Kolonisten waren nicht so kapitalkräftig, um sie zu tragen. Als Kostenträger kommen in Frage der König und vielleicht einige unternehmerische Lokatoren.

Paul Niedermeier nimmt an, daß die Trecks der Einwanderer 60 bis 65 Familien umfaßten und daß mehrere solcher Züge in nicht allzugroßem zeitlichem Abstand einander folgten. Die Zuweisung des Siedlungsraumes erfolgte durch eine zentrale Stelle, die die Aufteilung der Ankömmlinge vornahm, die Gemarkungsgröße sowie die Abgrenzung der Gemeinden festlegte.

In den neuangelegten Siedlungen erhielten alle Familien gleichgroße Hofparzellen zugeteilt. Die Größe der Urdörfer schwankte allerdings, sie erreichten nach den Berechnungen von P. Niedermaier im Kisder Kapitel durchschnittlich 20 Höfe pro Dorf, im Hermannstädter Kapitel 17, im Schenker Kapitel 16, während die Dorfgröße der anderen Kapitel 13 Höfe nicht überstieg. Bei einer Gesamtzahl von etwa 1600 ursprünglichen Kolonistengehöften in 113 Gemeinden der späteren Sieben Stühle ergab sich ein durchschnittlicher Urdorfkern von 17 Hofstellen. Es wurden aber gelegentlich auch ganz kleine Siedlungen von 3 bis 5 Höfen angelegt, die aber, wenn sie sich nicht rasch vergrößerten, keinen Bestand hatten. Es hat aber auch große Dorfgründungen mit über 50 Anwesen gegeben. Andererseits sind einige Dörfer untergegangen.

Anfangs gab es nur bäuerliche Siedlungen, in denen aber auch Handwerker, Kaufleute, Gräfen und Ritter ansässig waren.

Die sächsischen Gemeinden sind in der Regel als Straßendörfer, meistens entlang eines Baches, angelegt worden, wobei Hofstelle an Hofstelle grenzte. Sie bildeten dadurch geschlossene Häuserblocks. Die Anlage der Gebäude erfolgte nach fränkischer Art, das heißt Haus, Stall, Scheune und andere Wirtschaftsgebäude wurden, voneinander getrennt und entlang der Hofstelle angelegt. Die Kirche baute man an zentraler Stelle des Dorfes, mit Vorliebe auf einer Anhöhe, wenn sich eine solche inmitten der Gemeinde oder in unmittelbarer Nähe befand. Die sächsischen Siedlungen unterscheiden sich dadurch von den rumänischen Haufendörfern oder Streusiedlungen. Es gab innerhalb des sächsischen Siedlungsgebietes so gut wie keine Weiler, man wohnte und siedelte in größeren Gemeinschaften. Dadurch war jedes Dorf so groß, um eine eigene Kirche, einen eigenen Pfarrer und später auch eine Schule zu unterhalten. Nur Gemeinden dieser Art waren später in der Lage, durch Gemeinschaftsleistungen die für die sächsischen Dörfer charakteristischen Kirchenburgen zu errichten.

Wie das sächsische Bauernhaus zur Zeit der Ansiedlung und noch lange danach ausgesehen hat, wissen wir nicht. Man darf annehmen, daß es wie im Deutschland damaliger Zeit aus einem oder zwei Räumen bestand, deren Wände aus geflochtenen mit Lehm beworfenen Ruten, aus bohlenem Buchen- oder Eichenholz oder Blockwänden aus Tannenholz aufgerichtet und mit einem Schilf- oder Strohdach gedeckt waren.

Den Wohnraum, in dem sich der Herd befand, bezeichnet man sächsisch als "Heous" (Haus) und das zweite Zimmer als "Stuff" (Stube). Unter dem irdenen Herd des "Hauses" brannte eine offene Feuerstelle, von der der Rauch durch das Dach oder die Türe entwich. Der Hausrat war äußerst bescheiden. Man schlief auf strohbedeckten Bettstellen oder auf Decken über dem Ofen, wobei das Bett als Einzelstück bekannt war. Weitere Möbelstücke waren Tische, Bänke, Schemel und Truhen. Wandbretter an oder Nägel in den Wänden dienten zum Ablegen oder Aufhängen von Gegenständen und Kleidungsstücken. Ein besonderes Möbelstück war die Stollentruhe, die möglicherweise aus Deutschland mitgebracht wurde.

Erste Stein- und Ziegelhäuser begann man auf dem Lande erst im 16. Jahrhundert zu bauen. Bis dahin war meistens die Kirche samt ihren Wehranlagen der einzige Steinbau des Dorfes. Damals stellte Pfarrer Damasus Dürr (um 1535 - 1585) fest: "Wo ist ye solch bawenn und phlanzen gewesenn, wie yzunder, das eyner vber denn andern will vnd denckt, wie er herrlicher mög wonnen, denn sein nachbar. Die eltern, die ein zeitlang mit ehrenn ynn höltzernenn heüsernn gewont habenn, die allen zihenn kinder auf, denen sind der veter heüser zu leücht, brechen sie ab vnd bawenn steynerenn heüser."

Die Steinhäuser mit Ziegeldächern setzten sich allgemein erst im vorigen Jahrhundert durch, ohne jedoch überall die alte Bauweise mit Strohdächern zu ersetzen. Mit der neuen Bauweise änderte sich natürlich auch die Ausstattung der Räume mit spezifischen Bauernmöbeln.

Die sächsische Gemeinde wurde als genossenschaftlicher Verband, als Markgenossenschaft, wie sie auch in Deutschland bekannt war, gegründet, und sie hat diesen Charakter bis ins 18. Jahrhundert und teilweise auch im 19. Jahrhundert beibehalten. Oberster Besitzer des gesamten Hatterts, einschließlich der bebauten Hofstellen, war die Gemeinde. An sie fiel erbenloser oder verlassener Besitz zurück. Von Zeit zu Zeit wurde der Boden neu aufgeteilt, dabei vor allem neugegründeten Bauernfamilien gleichgroße Fluranteile zugewiesen.

Der Hattert einer Gemeinde wurde eingeteilt in Ackerland, Wiesen, Weiden und Wälder. Das Ackerland bestand, der Zwei- oder Dreifelderwirtschaft entsprechend, aus zwei oder drei Gewannen, im Sächsischen "Furleng" genannt. Jeder Hofbesitzer bzw. Landwirt erhielt in jedem Furleng ein oder mehrere gleichgroße Äcker, welche die zum Hofe gehörende Hufe bildeten. Die Hufe wurde bloß zur Nutzung überlassen, war also nicht Privatbesitz. Die Wiesen, Weiden und Wälder wurden nicht aufgeteilt, sondern gemeinsam genutzt. Sie bildeten die sogenannte Allemende. Vor der Heumahd wurden die Wiesen in Parzellen geteilt und durch Los den Berechtigten zugewiesen, während jeder auf die Weide sein Vieh treiben und in dem Wald Brenn- und Bauholz nach Bedarf abholzen konnte. Durch diese Agrarverfassung wurde allen Mitgliedern der Dorfgemeinschaft gleichgroßer Besitz zugesichert und dadurch auch wirtschaftliche Gleichheit verwirklicht.

Die Weingärten scheinen von Anfang an durch individuelle Rodung angelegt und frühzeitig in Privatbesitz übergegangen zu sein. Als der Boden knapper wurde, konnte man durch Rodung Privatbesitz erwerben, über den man frei verfügen konnte. Als die Hammersdorfer 1567 eine Dornenhecke rodeten, erhielt jeder Bauer das von ihm gerodete Stück "zu eigen und Erbe": "Sie sollen nit mehr gemein noch auf die Hof geteilt, sondern zu ewigen zeiten eines jeden erbeigen sein, der es gerottet und erbaut hat."

Da bei der Ansiedlung nicht der gesamte Boden in Besitz genommen wurde, ergaben sich zwischen den Gemarkungen der Gemeinden freie Bodenstreifen, sogenannte Freitümer, die von den Anrainern gemeinschaftlich genutzt wurden oder für weiteren Siedlerboden zur Verfügung gestellt werden konnten. Darauf sind eine Reihe von Tochtersiedlungen entstanden. Dieses Recht, nicht aufgeteilte Weiden, Waldungen und Wasser gemeinsam zu gebrauchen, wurde den sächsischen Gemeinden 1353 urkundlich zugesprochen. Einige Freitümer haben sich bis ins 19. Jahrhundert erhalten, so das Repser Freitum, das von Reps, Schweischer, Deutsch-Weißkirch, Hamruden, Katzendorf und Draas gemeinsam genutzt wurde. Das "Schmielefeld" gehörte den Gemeinden Großschenk, Mergeln und Schönberg, im Schäßburger Stuhl hatten mehrere Gemeinden Anrecht auf das bei Denndorf gelegene "Woßling", Hermannstadt hatte mit Hahnbach, Stolzenburg und Burgberg einen gemeinsamen Wald, den "Branisch". Nicht immer konnten die Freitümer oder gemeinschaftliche Flurstücke einvernehmlich geteilt oder genutzt werden. Daraus ergaben sich zahlreiche Hattertprozesse, die vom 14. bis 18. Jahrhundert zu Streit zwischen Gemeinden führten. Das markgenossenschaftliche Bodenrecht bestand nur auf dem Königsboden. Auf Komitatsboden war der adlige Grundherr der Obereigentümer des Bodens, der hörige oder leibeigene Bauer besaß bloß ein Nutzungsrecht für die ihm überlassene Session oder Ansässigkeit. Dafür mußte er dem Grundherrn Abgaben von allen Erzeugnissen liefern und Frondienste leisten. Das betraf auch die sächsischen Untertanensiedlungen.

Für die in Siebenbürgen angesiedelten deutschen Bauern und Handwerker bedurfte es sicher einer gewissen Anpassungszeit, bevor sie ihr mitgebrachtes "unsichtbares Gepäck" in ihrer neuen Heimat zur Geltung bringen konnten. Große Landstriche mußten zuerst gerodet werden, bevor man die Dreifelderwirtschaft einführen konnte. Pflüge mit Eisenschar standen ihnen desgleichen nicht von Anfang an zur Verfügung. Glücklicherweise befanden sich unter den Siedlern jedoch auch Handwerker, deren Erzeugnisse sich sicher einer großen Nachfrage erfreuten. Gefragt waren anfangs insonderheit Schmiede und Zimmerleute. Archäologische Ausgrabungen in Kelling, Mühlbach, Rohrbach, Kleinscheuern und anderen Ortschaften belegen, daß eine beachtliche Zahl der Sachsen jener Zeit Maurer, Töpfer, Steinmetze, Zimmerleute und Schmiede waren. Eine aus der Zeit vor dem Mongolensturm (1241) in Schellenberg archäologisch identifizierte Schmiedewerkstätte gibt Aufschluß über vielfältig verwendete Werkzeuge und Gegenstände.

Sobald die Anfangsschwierigkeiten überwunden waren, konnten die Sachsen des Königs­bodens als freie Bauern aufgrund verbriefter Privilegien mit ausschließlichem Bürger-, Wohn- und Bodenbesitzrechtes ihr Wissen und Können in produktive Arbeit umsetzen. Man kann dem Historiker Gustav Gündisch zustimmen, der über die Bedeutung der sächsischen Siedler schreibt: "Den bei der Anwerbung in sie gesetzten Hoffnungen sind die sächsischen Siedler Siebenbürgens rasch gerecht geworden. Wie es scheint, hat auch die schwere Heimsuchung durch den Mongolensturm von 1241/42 diese Entwicklung nicht wesentlich unterbunden. Man gewinnt aus dem Geschehen der nachfolgenden Jahrzehnte vielmehr den Eindruck, daß dies Ereignis von welthistorischer Dimension bei den sächsischen Siedlern, den Früheren wie den Neuhinzu­gekommenen, nur weitere Energien freigelegt hat. Jedenfalls treten sie nun als ein durchdachter Sozialkörper von Bauern, Handwerkern, Kaufleuten, Gräfen und Geistlichen in das Licht der Geschichte. Ausgestattet mit fortschrittlichen Methoden des Ackerbaus, mit handwerklichen Fertigkeiten und organisatorischen Fähigkeiten zur Belebung von Handel und Verkehr, vermochten sie in den folgenden Jahrhunderten in entscheidendem Maße zur wirtschaftlichen Erschließung des Landes beizutragen. Sie haben den Typus des geschlossenen Straßendorfes als Ausdruck ihrer genossenschaftlich-bäuerlichen Lebensweise ebenso nach Siebenbürgen übertragen wie den Stadttypus der neuerschlossenen Ostgebiete mit dem viereckigen ´Ring´ und den von ihm ausgehenden parallelen Straßenzügen. Auch die Förderung der reichen Bodenschätze des Landes mittels neuer Arbeitsmethoden im Bergwesen konnten sie in die Wege leiten."

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Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen

"Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen" von Dr. Michael Kroner.
Heft 5 aus der Schriftenreihe Geschichte der Siebenbürger Sachsen und ihrer wirtschaftlich-kulturellen Leistungen.

Herausgeben vom Bundesreferat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und von der Kreisgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V.

Bezugsquelle: Dr. Michael Kroner, Tel. +49 (0)911 69 19 09



Stand 18.01.2000      top