Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen


2.3 Zünfte kontra Manufakturen und Fabriken

Autor: Dr. Michael Kroner
Quelle: "Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen".

2.3 Zünfte kontra Manufakturen und Fabriken

Das Gewerbe wurde auch im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den Zünften beherrscht. Auf den Dörfern gab es allerdings viele Bauernhandwerker, die den geringen Bedarf der Landbevölkerung zum Teil deckten; das vor allem in den Komitaten. Die Zünfte widersetzten sich am hartnäckigsten der merkantilistischen Wirtschaftspolitik Wiens, die bestrebt war, das Produktionsmonopol der Innungen einzuschränken und durch Gewährung von Gewerbe­freiheit das Manufakturwesen zu fördern. Allerdings war die Wirtschaftspolitik Wiens nicht uneigennützig, da sie darauf ausgerichtet war, in Randprovinzen wie Siebenbürgen bloß solche Produktionszweige zu fördern, die der Industrie und dem Gewerbe der habsburgischen Erbländer keine Konkurrenz machten, sondern vielmehr deren Produkte abnehmen sollten. Das siebenbürgische Gewerbe selbst präsentierte sich zu wenig innovativ, und seine Erzeugnisse erwiesen sich gegenüber den Waren aus den entwickelteren Provinzen Österreichs als nicht konkurrenzfähig. Qualitätsmäßig war das siebenbürgische Gewerbe nicht mehr wie im Mittelalter auf der Höhe der Zeit.
War beispielsweise die Goldschmiedekunst bis Anfang des 18. Jahrhunderts bis weit über die Grenzen Siebenbürgens bekannt, so bestellten nun der Adel und sächsische Patrizier vermehrt ihren Schmuck in Wien, ja sogar in Paris. Sogar die Schneider und Schuster waren nicht in der Lage, einem Großauftrag des Heeres nachzukommen, da ihre Lieferungen der geforderten Qualität für Uniformen und Schuhwerk nicht entsprachen. Modekleidung importierte man sowieso aus Wien. Die Zinngießer sahen ihre Erzeugnisse zunehmend durch Porzellan und Steingutprodukte verdrängt. In dieser Situation verblieben den Gewerbetreibenden außer dem inneren Absatzmarkt fast ausschließlich die noch rückständigeren Donaufürstentümer. Auch dort erschienen aber nach der Gründung der Donaudampfschiffahrtgesellschaft (1830) per Seeweg billigere Waren aus Westeuropa. Im Jahre 1834 landete das erste englische Warenschiff in Galatz. 1834 waren es bereits 30 Schiffe. Deren Importgut war nicht nur besser, sondern auch viel billiger als die Waren der siebenbürgischen Handwerker. Die sächsischen Zünfte suchten sich angesichts der begrenzten Absatz­möglichkeiten dadurch über Wasser zu halten, daß sie gegenüber der Konkurrenz Schranken aufbauten, sei es, daß sie die Zulassung neuer Meister erschwerten oder sie von Märkten zu verdrängen versuchten. Viele betrieben sodann im Nebenberuf Landwirtschaft. Vom völkischen Standpunkt waren die Zünfte natürlich für den Erhalt des Sachsentums wichtig, da sie die Aufnahme von nichtdeutschen Lehrjungen, Gesellen und Meistern weiterhin ablehnten. Die Regierung von Wien versuchte diese Abwehrmaß­nahmen aufzuheben. So erließ sie 1774 eine umfassende Regulierung für die Zünfte, durch welche diese der staatlichen Aufsicht unterstellt wurden. Fürs Sachsenland sah sie unter anderem vor, die Zulassung von nichtdeutschen Handwerksmeistern zu erleichtern. Es folgten unter Joseph II. weitere Instruktionen zur Entmachtung der Zünfte und zur Einführung der "natürlichen" Gewerbefreiheit. Der direkte, vor allem aber der passive Widerstand der Zünfte war so stark, daß ihr Gewerbemonopol zwar eingeschränkt wurde, sie aber noch fast 80 Jahre weiterbestehen konnten. In den sächsischen Städten und Märkten blieben sie sächsisch. Erst 1848 wurden den Rumänen, zugleich mit ihrer Anerkennung als gleichberechtigte Bürger des Königsbodens, auch die Zünfte geöffnet. Es hing nun vom Meister ab, wen er als Lehrjungen aufnahm.

Es ist nun nicht etwa so, daß das Gewerbe in dem Zeitraum, den wir hier untersuchen, stagnierte. Innerhalb der Innungen erfolgte eine berufliche Differenzierung, was zur Errichtung neuer Zünfte in einigen Gewerben und zur Eröffnung von Manufakturen führte. Besonders im Textilgewerbe erfolgte eine Produktionserweiterung und die Gründung der ersten Manufakturen, durch Eröffnung von Spinnereien, Färbereien und Webereien, die zunftmäßig von Handwerkern (zum Teil im Verlagsystem, in dem sie im Auftrag eines Unternehmers arbeiteten) oder von Manufakturen bzw. "Fabriken" betrieben wurden, wobei Hanf, Flachs, Wolle und importierte Baumwolle verarbeitet wurden. Die erste "Baumwollfabrik" lief in den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts in Schäßburg an, ging aber in den 70er Jahren ein, da sie von der Weberzunft boykottiert wurde und mangels Arbeitskräften ihren Lieferungs­verträgen nicht nachkommen konnte. Das Weberhandwerk indessen behielt in Schäßburg noch etwa 80 Jahre die Spitze unter den Gewerbetreibenden.

In den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts gab es auf dem Sachsenboden je zwei Wollzeug-Manufakturen in Hermannstadt und Kronstadt, eine "Kotzen"(Bettdecken)-Fabrik im Hermann­städter Zuchthaus, eine Eisen-Draht-Manufaktur ebenfalls in Hermannstadt und eine Manufaktur für "Eisengerätschaften" (Hauen, Sensen, Küchengerät) in Kronstadt. Ein josephinisches Prestigeobjekt war die 1784 in Hermannstadt von dem Mailänder Galaratti eröffnete Seiden­fabrik, von der aus der Anbau von Maulbeerbäumen gefördert wurde. Diese Manufakturen waren die ersten bescheidenen Vorläufer von Industrieunternehmen. Auch die als "Fabriken" bezeichneten Unternehmen waren eher große Handwerksbetriebe.

Einige der genannten Manufakturen konnten sich behaupten und ihre Produktion erweitern, andere mußten aufgeben. Nicht viel tat sich jedenfalls in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf diesem Gebiet. Dadurch verlor Siebenbürgen um 1800 den Anschluß an die industrielle Entwicklung der österreichischen Erbländer und des Westens, in denen die Industrialisierung voranschritt, dabei aber auch die abschreckenden Schattenseiten des Frühkapitalismus offenbarte. Während in jenen Ländern die Dampfkraft in Wirtschaft und im Verkehr Einzug fand, das Eisenbahnnetz sich ausbreitete, Fabriken immer mehr und billigere Waren erzeugten, stritten in den siebenbürgischen Städten die versteinerten Zünfte heftig untereinander um urkundlich begründete Vorrechte und sträubten sich gegen die Zulassung von Fabriken. Im Jahre 1845 schrieb Johann Hintz in einer Arbeit über den Stand der Industrie in Siebenbürgen: "In letzter Zeit wird das Zunftwesen durch Mißbräuche zur Fessel für gewerblichen Fortschritt. Hinter den Riesenschritten der modernen europäischen Fabriks- und Gewerbsindustrie sind wir zurückgeblieben, woran aber das Zunftwesen freilich nicht allein die Schuld trägt. Im Einzelnen wird jetzt versucht, sich herauszuarbeiten, über ein gesetzgeberisches Reinigen unseres Zunftwesens von eingeschlichenen Mißbräuchen wird viel gesprochen... Der Geist für große industrielle Unternehmungen ist wach geworden."

In dem Streit um das Für und Wider der Zünfte sprachen sich führende Kreise der Sachsen gegen die Gewerbefreiheit aus. Dazu gehörte auch Stephan Ludwig Roth, der in zahlreichen Zeitungsartikeln und zwei umfangreichen Schriften - "Die Zünfte. Eine Schutzschrift" (1841) und "Der Geldmangel und die Verarmung in Siebenbürgen, besonders unter den Sachsen" (1843) - sich für die Aufrechterhaltung der Zünfte einsetzte. Roth sprach sich gegen die kapitalistische Entwicklung aus, weil er meinte, eine kleinbürgerliche Gesellschaft von Zunfthandwerkern sei humaner als das Fabrikswesen, wo "die Mehrheit im Dienste eines einzelnen" stehe. Armut und Reichtum stünden in jenen Ländern, wo sich das Fabrikwesen durchgesetzt habe, in "schneidenden Gegensätzen", zum Unterschied von den Ländern, wo das Zunftwesen bestehe und wo man wie in Siebenbürgen "Pauperismus und Proletariat" nicht kenne. Man dürfe das Fabrikwesen nicht nur danach beurteilen, daß es billigere Waren erzeuge, sondern auch nach dem gesellschaftlichen Schaden, den es anrichte.
"Der materielle Zeitgeist, der Handel und Fabriken um jeden Preis erkaufen will und diesen Interessen auch den Menschen opfert - dieser Geist des bloß Nützlichen kann in seiner Art klug sein - für weise halte ich ihn nicht." Man kann Roth zustimmen, daß er die Schattenseiten der im Entstehen begriffenen kapitalistischen Gesellschaft ("Manchesterkapitalsmus") richtig einschätzte, muß aber dagegenhalten, daß der Fortschritt nur durch Gewerbefreiheit und Industrialisierung zu erreichen war. Auch Roth scheint nach seiner im Jahre 1845 erfolgten Reise nach Deutschland erkannt zu haben, daß Siebenbürgen sich dem "Maschinenwesen" nicht verwehren dürfe, und er regte die Errichtung einer Flachsfabrik im Burzenland an.

Mittlerweile gab es zaghafte Anfänge einer industriellen Entwicklung. Nach Eduard Bielz´ "Handbuch der Landeskunde Siebenbürgens" (Hermannstadt, 1857) arbeiteten im Sachsenland und in seiner unmittelbaren Umgebung je eine Zucker-, Stearin- und Schwefelsäurefabrik in Hermannstadt, je zwei Flachs- und Hanf- sowie drei Tuchmanufakturen, zwei Wollspinnereien in Kronstadt, Kupferhämmer in Kronstadt, Unter-Tömsch, Hermannstadt, Mühlbach und Orlat, eine Buchschwammfabrik in Kronstadt, vier Steingutfabriken im Kronstädter Bezirk, drei Glashütten in Cartisoara, Ober-Porumbac und Ober-Arpasch, zwei Papiermühlen mit Maschinen für endloses Papier in Orlat und Ober-Kerz, weitere für Hand- und Schöpfpapier in Hermannstadt, Kronstadt, Freck, Tartlau, Fogarasch und Borgo (Nordsiebenbürgen), ferner 10 Buchdruckereien, davon fünf in Hermannstadt, je zwei in Kronstadt und Klausenburg und eine in Bistritz. Außerhalb des Sachsenlandes gab es vor allem in der metall- und holzver­arbeitenden Branche mehrere als Eisenhütten und Fabriken bezeichnete Unternehmen.

In Fabriken und Manufakturen der sächsischen Stühle waren im Jahre 1844 über 4500 Personen beschäftigt. Während in ganz Siebenbürgen auf 32 Einwohner ein Handel- und Gewerbetreibender fiel, war das Verhältnis bei den Siebenbürger Sachsen 1:16.

Zwecks Förderung des Gewerbewesens wurden Gewerbevereine in Hermannstadt und Kronstadt (1841), in Bistritz und Mediasch (1844) und in Schäßburg (1847) gegründet. Gewerbe­ausstellungen (die erste 1841 in Hermannstadt) und die Presse, die darüber berichtete, warben für einheimische Erzeugnisse. Im Jahre 1845 stellte der bereits zitierte Hintz bedauernd fest, daß Gewerbe und Industrie in Siebenbürgen unter ihren Möglichkeiten produzierten und daß in wirtschaftlicher Hinsicht die Provinz innerhalb der habsburgischen Monarchie zu den unterentwickelten gehöre.

Den letzten Schlag erhielt das sächsische Zunftwesen durch die Gewerbeordnung von 1859, durch die die Gewerbefreiheit eingeführt wurde (die formelle Auflösung der Zünfte erfolgte erst 1872). Friedrich Teutsch vermerkt dazu: "Es begann der letzte Akt des großen Trauerspiels, das im 18. Jahrhundert schon begonnen hatte und das den Verfall des alten sächsischen Gewerbes in sich schloß." Die Zahl der Handwerker ging stark zurück, vor allem die der Weber, die vollständig der englischen Konkurrenz erlagen. Hatte es beispelsweise in Schäßburg im Jahre1848 noch 200 Webermeister mit 300 Gesellen gegeben, so waren es 1856 nur noch 52 und 1883 bloß 32. Das sächsische Gewerbe befand sich in seiner gößten Krise. Handel und Gewerbe litten unter Mangel an Kapital für Neugründungen. Der übliche Kreditzins war sehr hoch. Die 1835 in Kronstadt und 1841 in Hermannstadt gegründeten Sparkassen konnten den großen Bedarf nicht decken. Sie waren aber die ersten Banken Siebenbürgens und die Vorläufer des modernen Kreditwesens.

Der Verkauf von Waren vollzog sich hauptsächlich auf Märkten und Jahrmärkten. Seit dem 18. Jahrhundert gab es aber auch immer mehr Gemischtwarenläden in den Städten, die auch ausländische Produkte anboten. Erwähnenswert sind sodann die Kunst- und Buchhandlungen, und zwar je zwei in Hermannstadt, Kronstadt und Klausenburg, je eine in Schäßburg, Broos, Neumarkt und Enyed (Aiud). Die sächsischen Städte entfalteten zwar noch immer die größte Handelstätigkeit, dafür überwog aber der Anteil armenischer, griechischer, jüdischer und rumänischer Kaufleute im Export und Import. Im Außenhandel nahm der Warenaustausch mit den Donaufürstentümern und den Ländern der Donaumonarchie den ersten und entscheidenden Platz ein.

Allgemein wurde über schlechte Straßen geklagt. Versuche, den Alt schiffbar zu machen, scheiterten. Im Jahre 1745 wurde eine direkte Postverbindung zwischen Hermannstadt und Wien eröffnet, die dann laufend erweitert wurde. Die Post war in der ganzen Monarchie Staatsmonopol und besorgte den Transport von Personen, Waren, Geld- und anderen Sendungen. Um 1850 gab es in Siebenbürgen 67 Postämter und 10 Postexpeditionen, die alle wichtigen Städte miteinander verbanden. Der Postwagen nach Wien verkehrte um 1850 jeden zehnten Tag. Seit 1853/54 besaßen Hermannstadt und Kronstadt ein Telegraphenamt.

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Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen

"Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen" von Dr. Michael Kroner.
Heft 5 aus der Schriftenreihe Geschichte der Siebenbürger Sachsen und ihrer wirtschaftlich-kulturellen Leistungen.

Herausgeben vom Bundesreferat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und von der Kreisgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V.

Bezugsquelle: Dr. Michael Kroner, Tel. +49 (0)911 69 19 09



Stand 18.01.2000      top