Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen


3. Der Standort der sächsischen Wirtschaft innerhalb der Volkswirtschaft Ungarns und Rumäniens

Autor: Dr. Michael Kroner
Quelle: "Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen".

3. Der Standort der sächsischen Wirtschaft innerhalb der Volkswirtschaft Ungarns und Rumäniens (1867 - 1944)
3.1 "Sächsischer Kapitalismus"

In wirtschaftlicher Hinsicht verbesserte sich der Standort Siebenbürgen nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867. Für den ungarischen Teil der Doppelmonarchie war Siebenbürgen nicht irgend eine Randprovinz, sondern ein Herzstück des Magyarentums, daher die ihm von Budapest zuteil werdende Aufmerksamkeit und Förderung. Davon waren die nicht­magyarischen Völkerschaften jedoch meistens ausgeschlossen. Zählte Siebenbürgen Mitte des 19. Jahrhunderts inner­halb der Gesamt­monarchie zu den zurückgebliebenen Ländern, so traf das für die neue Lage innerhalb Ungarns nicht mehr zu. Siebenbürgen erreichte einen wirtschaftlichen Stand, der über dem Landesdurchschnitt lag.

Innerhalb Rumäniens waren Siebenbürgen und das Banat die entwickeltesten Provinzen, und sie sind es bis heute geblieben.

Auch für die Sachsen ergaben sich aus den staatlichen Veränderungen von 1867 und 1918 wirtschaftliche Vorteile, als nationale Minderheit konnten sie jedoch nicht mit Unterstützung seitens des ungarischen und des rumänischen Staates rechnen, deren Politik, wie an anderer Stelle in Heft 3 und 4 gezeigt, minderheitenfeindlich und nationalistisch ausgerichtet war.

Nachdem 1876 durch die Auflösung des Königsbodens auch der letzte Rest der sächsischen Selbstverwaltung beseitigt worden war und es damit keine Privilegien mehr gab, die wie bis dahin die ethnische, kulturelle und wirtschaftliche Existenz der Sachsen gesichert hatten, mußten diese sich nach neuen Wehren umsehen. In diesem Existenzkampf fiel der Wirtschaft neben Kirche und Schule die wichtigste Rolle zu. Es galt also, dafür Sorge zu tragen, den bisherigen wirtschaftlichen Vorsprung gegenüber den mitwohnenden Völkerschaften zu halten, bzw. nicht ins Hintertreffen zu geraten. Dafür war es notwendig, sich von der traditionellen Wirtschafts­weise, wie sie seit Jahrhunderten betrieben worden war, zu trennen und der Modernisierung auf kapitalistischer Grundlage die Wege zu öffnen.

Die Weichen für diese Entwicklung stellte der zweite Sachsentag von 1890, dessen führende Persönlichkeit Dr. Carl war. In dem von ihm vorgetragenen und von den Delegierten angenommenen Wirtschaftsprogramm hieß es: "Unser landwirtschaftlicher Betrieb ist, um nur einiges zu erwähnen, um Jahrzehnte hinter der westeuropäischen Landwirtschaft zurück­geblieben, unser Bauernvolk siecht dahin, wenn es nicht gelingt, es zu einer modernen-rationellen Landwirtschaft hinzuführen. Unser Kleingewerbe in den Städten ringt mit dem Untergange. Es geht vollständig zu Grunde, wenn wir es nicht in den Stand setzen, durch eine bessere Fachausbildung in geänderten Betriebsformen den verlorengegangenen goldenen Boden des Handwerks wiederzufinden. Aber was unser Kleingewerbe hauptsächlich zu Boden wirft und unsere Städte mit der Gefahr der Verödung als Gewerbestädte bedroht, ist die mit dem Schnellverkehr der Eisenbahn in unsere Wohnungen, in unsere Komptoire und Kanzleien eindringende Konkurrenz der Großindustrie. Gegen die

Großindustrie hilft nur die gleiche Waffe: die Einbürgerung der Großindustrie in unseren Städten. Gelingt es uns, sie einzubürgern, dann gelangen wir, nicht nur für Ungarn, sondern auch für Mittel- und Westeuropa, zu einer Bedeutung, welche den Bestand unseres Volkes mehr sichert als Pergamente (er meinte damit die einstigen Privilegien)..."

Im Zusammenhang mit der Befolgung des kapitalistischen Weges gab es in führenden Kreisen, wie schon weiter oben bei St. L. Roth gezeigt, Bedenken, da man befürchtete, er könnte die Einheit des sächsischen Volkes zerstören, eine Kluft zwischen arm und reich aufreißen. Man suchte daher nach einem Sonderweg, wobei man durch die Einbeziehung und Anpassung der sächsischen Solidaritäts- und Gemeinschaftsgesinnung an die moderne Wirtschaftsentwicklung eine Art sächsischen Kapitalismus zu schaffen bemüht war. Danach sollte das Allgemeinwohl oberstes Ziel bleiben, die gesamte Wirtschaft in den Dienst der Gemeinschaft gestellt und eine Aufspaltung des sächsischen Volkes in gegensätzliche soziale Klassen, die Bildung eines besitzlosen, verarmten Proletariats auf der einen Seite und von reichen Fabriksbesitzern auf der anderen Seite, wie sie dem Kapitalismus eigen sind, vermieden werden. Es sollte zugleich vermieden werden, daß Sachsen nichtsächsischen Interessenverbänden beitraten, sie sollten alle - reich und arm - denselben völkischen Verbänden angehören.
Es ging in dieser Wirtschafts­politik also darum, ein möglichst ausgewogenes soziales und wirtschaftliches Gleichgewicht auf dem Lande und in der Stadt aufrecht zu erhalten, so wie man es aufgrund der bisherigen Agrarverfassung und Zunftordnung geerbt hatte. Zu diesem Zweck sollten im ländlichen Bereich Schutzmaßnahmen getroffen werden, um verarmten Bauern oder solchen, die in Gefahr waren, ihren Boden zu verlieren, zu helfen. In den Städten sollte durch Förderung und betriebliche Erneuerung der handwerkliche Mittelstand erhalten bleiben. Den sächsischen Fabrikanten wurde nahegelegt, bevorzugt sächsische Arbeiter anzustellen, sich um deren Lebensverhältnisse zu kümmern sowie einen Teil ihres Gewinnes gemeinnützigen, völkischen Einrichtungen zuzuführen. Letzteres galt auch für die sächsischen Banken, die zusätzlich in Not geratenen Landwirten und Gewerbetreibenden helfen bzw. der sächsischen Wirtschaft das erforderliche Betriebskapital zu günstigem Zinsfuß zur Verfügung stellen sollten.
Demselben Ziel hatte auch das Genossenschaftswesen zu dienen.

Otmar Richter sprach sich in seiner Dissertation 1934 dafür aus, die positiven Seiten der Industrialisierung bestens auszuwerten, durch Schaffung von Arbeitsplätzen und entsprechenden sozialen Bedingungen eine "nationale (sprich sächsische) Arbeiterschaft" heranzubilden, um durch sie zugleich den sächsischen Charakter der Städte zu stützen.

Ein "sächsischer Kapitalismus" konnte in der erwünschten Form zwar nicht verwirklicht werden, trotzdem ist festzustellen, daß sich bei den Sachsen die für den Kapitalismus charakteristische sozial-wirtschaftliche Differenzierung nicht so stark ausgewirkt hat. Die unterschiedlichen Besitzverhältnisse haben sich nicht zu einer innervölkischen Kluft aufgetan.

Die Bodenbesitzverhältnisse verteilten sich bei den sächsischen Bauern 1936 in Prozenten wie folgt: unter 3 Joch 24, 3 - 5 Joch 19, 5 - 10 Joch 26 , 10 - 20 Joch 21, über 20 Joch 10 Prozent. Sächsische Landbewohner ohne Grundbesitz gab es wenige. Es dominierten demnach mit 45 Prozent (d. h. mit 3 bis 10 Joch) die Klein- und Mittelbauern. Die 24 Prozent, die nur bis zu 3 Joch verfügten, waren auf Zuverdienst angewiesen. Sie und die ohne Bodenbesitz stellten einen Teil der Tagelöhner und Dienstboten, oder es wanderten aus ihren Reihen Familienmitglieder in die Städte ab, wo sie in der Industrie Arbeit fanden. Durch ihren Zuverdienst konnten die meisten von die Landarmut ausgleichen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wanderten viele Sachsen aus wirtschaftlichen Gründen in die USA, nach Rumänien und Deutschland aus.

In den Städten wuchs seit der Jahrhundertwende die Anzahl der sächsischen Arbeiter, und man begann sich in völkischen und kirchlichen Kreisen darüber Gedanken zu machen, wie sie aufgefangen werden konnten. Zahlenmäßig war die sächsische Arbeiterschaft jedoch nicht so stark, um den Arbeitskräftebedarf der sächsischen Industrie zu decken, so daß ein sächsischer Fabrikant auch beim besten Willen nicht in der Lage gewesen wäre, nur sächsische Arbeitnehmer anzustellen.

Es gilt weiterhin festzuhalten, daß es weder auf dem Land noch in der Stadt eine sächsische Massenarmut gegeben hat. Gerieten Familien in Not, griffen kirchliche und völkische Einrichtungen helfend ein. Ferner ist festzustellen, daß sächsische Arbeiter trotz ihrer Mitgliedschaft in der international organisierten Sozialdemokratischen Partei oder in Gewerkschaften doch sächsisch blieben. Und einen innersächsischen Klassenkampf hat es nicht gegeben, sächsische Arbeiter haben sich aber an den allgemeinen sozialen Auseinander­setzungen beteiligt, auch dann, wenn es sich dabei um deutsche Unternehmer handelte.

Das Arbeiterproblem konnte in der Zwischenkriegszeit nicht mehr übersehen werden. Der Schriftsteller Heinrich Zillich mahnte im Jahre 1936 in der "Kronstädter Zeitung", daß angesichts der wachsenden Zahl sächsischer Arbeiter und "kleiner Privatbeamten" deren "Bewahrung und fruchtbare Einreihung in das Volksganze" nur durch einen "wohlverstandenen Sozialismus der Gesinnung" zu lösen sei.

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Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen

"Die wirtschaftlichen Leistungen der Siebenbürger Sachsen" von Dr. Michael Kroner.
Heft 5 aus der Schriftenreihe Geschichte der Siebenbürger Sachsen und ihrer wirtschaftlich-kulturellen Leistungen.

Herausgeben vom Bundesreferat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und von der Kreisgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V.

Bezugsquelle: Dr. Michael Kroner, Tel. +49 (0)911 69 19 09



Stand 18.01.2000      top