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Zeitzeugenbericht

Heimkehr aus der Deportation, 1946
von Anna Martini aus Brenndorf

Am 12. September 1946 morgens um 10 Uhr durften wir die langersehnte Stunde des Abschieds vom Lager 1208 bei Parkomuna (ein Kohlenrevier im Donezbecken) erleben. Zusammen mit Invaliden und Kranken war ich auch auf der Liste und durfte nach langer schwerer Krankheit die Reise in Richtung Heimat antreten.
Die Fahrt ging nach Dibaltova, wo wir 4 Tage zwecks Zusammenstellung des Transportes auf die Ankunft von Heimkehrern aus anderen Lagern warten mussten. Hier wurde uns auch die Verpflegung für den Transport zugeteilt, welche pro Tag aus Mehl, 300 gr. Brot und 1 Esslöffel Zucker bestand. Die Zubereitung des Essens blieb uns selbst überlassen.

Am 17. September fuhren wir über Slovenka und Poltava durch eine schöne Gegend mit ausgedehnten Birkenwäldern, vorbei an vielen Heldengräbern. Am 19. September abends, nachdem wir die lange Dnjeprbrücke passiert hatten, kamen wir in dem sehr schön beleuchteten Kiew an. Es ging weiter über Korosti und Sarni, und am 21. September fuhren wir über die Bretschwa weiter durch Schadinka nach Brest. Hier hielten wir uns 6 Tage lang auf, gingen in ein deutsches Gefangenenlager, wo wir gebadet und entlaust wurden. Es herrschte hier schon eine andere Ordnung. Bemerken möchte ich noch, dass wir in Viehwaggons fuhren, tagsüber mit offenen Türen. Wir konnten auf unserer ganzen Fahrt die vielen langen schwerbeladenen, aus Deutschland kommenden Güterzüge ansehen, welche in Richtung Sowjetunion fuhren. Diese wurden in Brest von deutschen Kriegsgefangenen auf die russischen Breitspurwaggons umgeladen.

Am 29. September fuhren wir endlich weiter. 7 km nach Brest waren wir an der polnischen Grenze. Andere Landschaft, andere Menschen, andere Ordnung. Nach der Fahrt über den Bug kamen Terespol, Lukow, anschließend ging's an Warschau vorbei. Die Stadt war ganz zerstört. Nach kurzem Aufenthalt ging es weiter über Kutno und Posen. Je mehr wir nach Westen kamen, umso heimischer fühlten wir uns, eine Landschaft wie zu Hause, mit schönen Feldern und Bauern die ihre Fleder bestellten. Am 2. Oktober kamen wir müde und hungrig in Frankfurt/Oder an und wurden gleich in deutschen Kasernen untergebracht. Hier herrschte deutsche Ordnung, alles klappte, und bald waren wir mit Baden, Entlausen und Essen fassen abgefertigt. Besonders freuten wir uns immer auf Butter, Marmelade und Zucker, endlich einmal Sattessen, wir atmeten alle auf.
Nur unsere Heimfahrt nach Rumänien stand nicht fest. Was uns große Sorgen machte, war die Aussage der Kommandatur, dass unsere Angehörigen in der Heimat auch ausgesiedelt würden und deswegen könnten wir nicht nach Rumänien zurückfahren.

Aus Platzmangel mussten wir weiterziehen und kamen am 6. Oktober gegen Abend mit der Bahn in Torgau an. Vom Bahnhof marschierten wir geschlossen zu Fuß in die Zietenkaserne, wo wir in Quarantäne kamen. Müde kamen wir auf dem Kasernenhof an, da hörte ich aus der Nähe "Anni!, Anni!" rufen. Es war Paula Olesch (Ochs) die mich umarmte, und wir weinten vor Freude über unser Wiedersehen. Es stellte sich heraus, dass hier viele Heimkehrer einquartiert waren. Mit großer Freude traf ich hier nach zwei Jahren meine Schwägerin Emmi, ich betrachtete es als ein Geburtstagsgeschenk. Nach Paulas Rücksprache mit dem Lagerkommando durften wir zusammen im selben Zimmer bleiben. Die Betten waren aus Holz ohne Strohsäcke, und Decken gab es auch nicht. Wir haben lange erzählt, die Sehnsucht nach unseren Kindern, nach all unseren Lieben in der Heimat verstärkte unser Heimweh noch mehr. Mit dem Besuch von Emmis Schwester Tilli aus Berlin erhielten wir die erste glaubwürdige Nachricht von Daheim. Von ihrem Vater hatte sie im September 1946, im ersten Brief nach Ende des Krieges, über die Zustände in der Heimat nach der Enteignung erfahren.

In Torgau war für uns Hungrige die Verpflegung etwas knapp. Arbeit hatten wir keine, und unser Tagesprogramm bestand nur aus Schlafen, Baden, Entlausen und Essen. Ausgang gab es nur mit besonderer Genehmigung der Lagerverwaltung. Paula hatte sich eines Tages durch einen Bombentrichter unter dem Stacheldraht aus dem Lager geschlichen und einen Bauern mit einem mit Kartoffeln beladenen Pferdewagen um ein paar Kartoffeln gebeten, leider ohne Erfolg. Der trieb seine Pferde an und Paula geduckt hinterher und hob hinten den Schuber an. So fielen genügend Kartoffeln herunter, ohne dass dies vom Bauern bemerkt wurde. Nachdem der Bauer außer Sicht war, sammelte Paula die Kartoffeln auf und versteckte sie. So konnten wir manchmal die in einer Dose gekochten Kartoffeln essen.
Nach 14-tägiger Quarantäne erhielten wir schließlich unseren Flüchtlingspass und Gesundheitsschein. Man teilte uns mit, dass wir im Kreis Delitzsch, Liebenwerda oder Wittenberg auf die Dörfer verteilt werden. Wir wurden nach Delitzsch zugeteilt. Am 19. Oktober erreichten wir nach zweistündiger Fahrt unser Ziel, erhielten hier ein wenig Essen und nach langer Zeit unser erstes Bier in der Freiheit.Wir wurden in zwei Gruppen geteilt. Unsere Gruppe kam in einen Saal eines von Russen ausgeplünderten Betriebes, wo ich diese Zeilen schreibe. Es war geheizt und mit frischem Stroh für uns hergerichtet. So gut habe ich schon lange nicht mehr geschlafen.

Am nächsten Morgen, es ist ein Sonntag, sind unsere Gedanken daheim bei unseren Lieben... Nach langer Zeit hörten wir wieder Glocken läuten, auch wenn es nicht die aus der Heimat waren... Wir haben gute Menschen getroffen, die uns gerne halfen, soweit es ihnen möglich war. Als Verpflegung hatten wir Brot, Butter und Marmelade erhalten, und wir fühlten uns nun als freie Menschen. Nach langer Zeit durften wir uns frei bewegen und nützten diese Gelegenheit zu einem Spaziergang in Delitzsch. Wegen der Wahlen war die Betriebsamkeit in den geschmückten Straßen mit schönen Schaufenstern ein Ereignis, und wir gönnten uns mit Emmi und Paula ein Bier.

Am 27. Oktober wurden wir aus dem Lager abgeholt. Mit der Bahn fuhren wir bis Eilenburg, weiter ging es mit dem Buldog bis Pehritzsch, wo wir am späten Abend eintrafen. Hier empfing uns der Bürgermeister und verteilte uns gleich auf Bauernhöfe. Ich kam zu Familie Sahr, Emmi wurde der Familie Albrecht zugeteilt, und Paula kam zu einer Familie Bernhard, eine Frau mit drei kleinen Kindern und deren Oma. Der Mann war in englischer Gefangenschaft. Hier herrschte Not am Manne. Mit Einsatz und Fleiß half Paula beim Einbringen der Ernte, welche zum Teil noch auf dem Feld war. Das Holz für den Winter musste aus dem Wald heim gebracht werden. Die Oma bedankte sich immer wieder bei Paula, da sie ihnen viele Arbeiten auch im Haus abnahm. Am 11. November fuhr Emmi nach Berlin zu ihrer Schwester Tilli auf Besuch. Die Zeit vergeht. Wir warteten schweren Herzens auf unsere Heimfahrt zu unseren Lieben. Es kamen die ersten Karten aus der Heimat, für mich war nichts dabei.

Bei Familie Sahr habe ich mich gut eingelebt. Hier habe ich die Familie Kroll, die aus Schlesien geflüchtet war, kennengelernt. Am besten verstehe ich mich mit Frau Grüttner, einer schlesischen Bäuerin, die schon über ein Jahr bei Familie Sahr die schwersten Arbeiten mit viel Geduld, Ausdauer und Humor bewältigt. Ihr Mann ist auf Gibraltar in englischer Gefangenschaft. Mit ihr haben wir, durch ein gleiches Schicksal verbunden, oft unsere schönen Heimatlieder gesungen.

Am 26. November, an unserem Verlobungstag, erhielt ich die erste Postkarte vom Schwiegervater aus der Heimat, wo er mir die glückliche Nachricht mitteilt, dass mein lieber Edmund in Gefangenschaft im Lager bei Bad Tölz noch am Leben ist. Ich bin der glücklichste Mensch auf dieser Welt. Da auf der Karte die Anschrift von Edmund dabei war, schrieb ich ihm am selben Tag einen Brief, und nach 8 Tagen kam mittels Telegramm schon die Antwort. So wurde mir ein großer Teil meiner Sorgen abgenommen. Ich schickte ihm ein Paket mit Hemden und langen Unterhosen, welche wir in Frankfurt/Oder erhalten hatten.

Die Tage vergingen schnell. Am 10. Dezember teilt uns ein Herr Gündisch, angeblich vom Landratsamt Delitzsch mit, wir sollten nach Frankfurt/Oder fahren, zwecks Abtransport in die Heimat. Er verlangte von allen Heimkehrern 10 Mark für Kosten. Paula sammelte das Geld auch im Nachbarort ein und übergab es ihm. Dabei wurde ein Treffpunkt aller Betroffenen in Cottbus festgelegt. Hier trafen wir alle Bekannten vom Transport, aber vom Herr Gündisch keine Spur. Alles stellt sich als ein Betrug heraus und es gab Probleme. Nach zwei Tagen mussten wir hungrig und durchfroren zu unseren Quartieren zurückkehren. Der Gedanke, Weihnachten zu Hause bei unseren Kindern zu sein, erfüllte sich nun doch nicht. Wir sind schließlich dankbar, die Feiertage mit lieben Menschen zu verbringen zu dürfen. Zusammen mit Frau Grüttner, Heinz und Gerhard Sahr, gingen wir in die Kirche. Es war schön, aber in Gedanken waren wir daheim bei unseren Lieben.

Über die Post stellten wir Verbindungen nach allen Richtungen her, kamen in Berührung mit vielen Landsleuten, von welchen wir so lange nichts mehr gewusst haben. Es ist ein ewiges Suchen und Fragen nach Angehörigen. Wir trafen uns jeden Sonntag bei der lieben Familie Hoffman, darunter die Brenndörferinnen Rosi Jekel, Emmi Kaufmes, Emmi Kreisel, Elsi Olesch, Paula Olesch. Emmi Reiss, Tilli Rhein, Anni Schmidts, Herta Stamm und Rosi Müller aus Marienburg, um gemeinsam die Briefe aus der Heimat zu lesen. Hier feierten wir auch Silvester. In Gedanken an unsere Lieben in der Ferne, schrieben wir einen Brief an Pfarrer Fritz Nösner. Am 1. Januar war Tanz in Pehritzsch. Aus Freude, weil unsere Männer noch am Leben waren, beschlossen wir mit Frau Grüttner zum Tanz ins Gasthaus Krimse zu gehen, wo auch Paula zur Zeit beim Bedienen mithalf. Es war dieses zugleich auch der Abschied von Frau Grüttner, da sie zu einem Onkel nach Frankfurt/Oder gehen sollte.

Ich half nun im Haushalt bei Familie Sahr, in der Hauptsache war dieses ausbessern von Wäsche und Kleidung. Bemerken will ich hier auch das Schlachtfest und den 50. Geburtstag von Herrn Sahr. In diesen Tagen erhielt ich zum ersten Mal Post von meinen Eltern, was für eine Freude! In diesem Brief war für uns drei auch das Nationalitätenzeugnis. Der Gedanke, die Heimfahrt auf irgendeine Weise zu wagen, wird immer größer. Am 25. Januar kam Emmi aus Berlin auch mit einem Brief aus der Heimat und nochmals je ein Nationalitätenzeugnis für uns.
Nun fassten wir den Entschluss zur Heimfahrt. Am 1. Februar besuchten mich Emmi und Paula bei Familie Sahr, um alles zu besprechen. Dabei blieb unser Entschluss auch in der Nachbarschaft kein Geheimnis. Selbst Frau Palme, eine sonderbare Frau aus dem Sudetengau ist begeistert von unserem Unternehmen, legt uns die Karten auf und prophezeit uns eine zwar mit Schwierigkeiten verlaufenden Reise, aber mit gutem Gelingen, dank hilfsbereiter Menschen unterwegs, sogar eine Hochzeit stünde uns bevor. Tags darauf trafen wir uns alle Brenndörferinnen bei Hoffmanns und teilten unsere Absicht den Kameradinnen mit, die Heimfahrt zu unternehmen. Alle, die von unserem Vorhaben erfuhren, wünschten uns Glück und Gelingen.

Am 3. Februar, nach kurzer Vorbereitung, fuhren wir am Nachmittag gegen 4 Uhr mit dem Wagen von Herrn Sahr nach Taucha zur Elektrischen. Hier holten wir uns die Fahrgenehmigung ab und fuhren nun nach Leipzig, wo wir im Wartesaal übernachteten. Am nächsten Morgen ging es weiter mit der Bahn nach Dresden, wo wir eine Frau Baumann trafen, die unser Geld in tschechische Kronen umtauschte. Von Dresden fuhren wir nachts weiter nach Bad Schandau, wo wir auf eine Kleinbahn umstiegen, die uns bis zur tschechischen Grenze brachte. Hier wurden wir von tschechischen Grenzbeamten auf die russische Kommandatur geführt. Die Russen sind freundlich, überprüften unsere Papiere und ließen uns weiter gehen zu den tschechischen Beamten. Diese verlangten von uns einen Durchreiseschein vom tschechischen Konsulat in Berlin und ließen uns nicht weiter fahren. So waren wir gezwungen, hier zu übernachten. Die Russen gaben uns feinen Tee und Weißbrot, dabei kümmerten sie sich besonders um Paula, ihre blonden Locken hatten es ihnen angetan. Am nächsten Tag fuhren wir zurück nach Dresden zum Roten Kreuz, um hier Rat zu holen. Eine Schwester gab uns eine Adresse eines Beamten, welcher uns weiter helfen könne. Wir fanden ihn nicht zu Hause und beschlossen, gleich weiter zu fahren, um Emmi Kowartz im Johannisstädter Krankenhaus zu besuchen. In der Frauenklinik trafen wir Emmi auch gleich, und wir waren überrascht, wie beliebt sie als Schwester bei ihren Kolleginnen und Ärzten ist. Emmi lud uns auf ihr schönes Zimmer ein, wo wir auch zu Mittag aßen und anschließend auch baden durften. Nach einer herzlichen Unterhaltung beim Tee verabschiedeten wir uns, fuhren zur Polizei und baten hier um Rat in unserer Angelegenheit. Die konnten uns aber auch nicht weiter helfen.

Am 6. Februar fuhren wir zur Russischen Kommandatur nach Dresden, mit der Hoffnung, hier Hilfe zu kriegen, aber die verwiesen uns weiter zur Hauptkommandatur in Halle. Das schien uns jedoch aussichtslos zu sein. So beschlossen wir, doch beim tschechischen Konsulat in Berlin unser Glück zu versuchen. Am 7. Februar fuhren Emmi und Paula nach Berlin, während ich zu den Leo-Werk AG (Klorodont) in Dresden ging, um auf den Rat von meinem Vater bei Herr Direktor Wagner um finanzielle Hilfe zu bitten. Ich wurde auch gleich vorgelassen. Wir unterhielten uns über unsere schöne Heimat und über Russland. Schließlich bat ich Herrn Wagner, uns 200 Mark zu geben, dafür lud ich ihn zu einem Fleckenessen im Kleinen Wald nach Brenndorf ein und verabschiedete mich mit einem herzlichen Dank. Von hier fuhr ich zu Emmi Kowartz und übernachtete bei ihr, um am nächsten Tag beim Roten Kreuz Paula und Emmi zu treffen. Nach langem Warten erschienen sie gegen Abend, ohne etwas beim Konsulat erreicht zu haben. Sie erzählten mir, dass sie beim Konsulat abgewiesen wurden, und während sie draußen in der Kälte herumgeirrt waren, in den Ruinen in einer Kneipe von einem alten Mütterchen angesprochen wurden. Sie erzählten der kleinen Frau was sie erlebt hatten, und dass sie keine Unterkunft für die kommende Nacht hätten. Da nahm das Mütterchen Emmi und Paula an der Hand und führte sie durch Schutt und Trümmer in ein völlig unbeschädigtes großes Kloster. Hier wurden sie von freundlichen Nonnen aufgenommen, erhielten warmes Essen und durften in einem warmen Zimmer mit mehreren sauberen, weißbezogenen Betten übernachten. Es kamen später noch drei Frauen dazu, eine davon war Russin, sie roch nach Schnaps, war jedoch freundlich und hilfsbereit und bezahlte am nächsten Morgen für Emmi und Paula die Fahrkarte zurück nach Dresden.

Wo immer wir in diesen Tagen hinkamen, fielen wir unserer Kleidung wegen auf und die Leute fragten wo wir herkommen. So trafen wir in Dresden am Bahnhof im Wartesaal einen Mann, der sich für unser Schicksal interessierte.Nachdem wir ihm unsere Lage schilderten, bot er uns Hilfe an und gab uns seine Anschrift in Neustadt. Am 9. Februar, einem Sonntag, fuhren wir mit der Bahn über Bad Schandau nach Neustadt und suchten Herren Promm in seiner Wohnung auf. In unserem Gespräch stellte sich heraus, dass unser getauschtes tschechisches Geld keine Gültigkeit mehr hat, und unter diesen Umständen könne er uns nicht über die Grenze bringen.
Nun standen wir da, niedergeschlagen und schweren Herzens. Wie soll es nun weiter gehen? Wir wollten auf keinen Fall zurück nach Pehritzsch. Da fiel uns Hans Klein und seine Telefonnummer ein. Mal hören, ob der uns einen Rat geben kann. Wir sagten ihm von unserem Vorhaben, er aber war entrüstet und riet uns, auf keinen Fall schwarz, dazu auch noch ohne Geld in die Tschechei hinüber zu gehen. Von ihm erhielten wir die Adresse von Dr. Kraft in Neustadt, und da wir nicht weit davon waren, beschlossen wir, ihn aufzusuchen. Hier hatten wir auch keinen Erfolg, denn sie waren nicht zu Hause.

Es ist Abend, wir sind müde und mit den Nerven am Ende. So beschlossen wir, alles dem Schicksal zu überlassen und gingen zur Polizei, um uns einen Übernachtungsschein zu holen. Ein Beamter in zivil empfängt uns, hört sich unser Vorhaben aufmerksam an und sagt uns anschließend: "Jetzt, wo Sie so nah am Ziel sind, werden Sie doch nicht aufgeben." Er erklärte sich bereit, uns zu helfen. Er nahm uns alle drei abends 10 Uhr zu sich in die Wohnung. Hier erst sahen wir die Uniform von Herren Krug und erfuhren, dass wir es mit dem Polizeichef von Neustadt zu tun haben. Nach gründlichem Besprechen für den nächsten Tag, legten wir uns gegen Mitternacht ein wenig schlafen. Frau Krug weckte uns gegen 4 Uhr, kochte uns schnell eine warme Suppe, welche wir dankend verzehrten, und los ging's. In Begleitung von Herrn Krug und seinem Hund machten wir uns auf zur Grenze über Feld und Wald durch tiefen Schnee. Nach etwa einer Stunde blieb Herr Krug stehen, zeigte uns die Richtung und sagte uns, wir sollten uns an die zum Teil sichtbaren Fußspuren zu halten, wünschte uns alles Gute und machte sich auf den Rückweg.

Ich muss eigentlich selbst über unseren Mut staunen, so einfach durch diese uns fremde Gegend, durch tiefen Schnee im Dunkeln ins Ungewisse zu marschieren. Ich werde dieses Gefühl nie vergessen. Es fing zu dämmern an, wir kamen an dem von Herr Krug genannten Geräteschuppen vorbei, ein Zeichen, dass wir uns schon längst auf tschechischem Gebiet befanden. Die Lichter von Obersiedel waren zu sehen und nach kurzer Zeit waren wir im Dorf. Die ersten Leute begegneten uns, ohne uns zu beachten, schließlich fragten wir auf russisch nach dem Bahnhof, wo wir dann gegen 7 Uhr im Wartesaal eintrafen. Der Zug Richtung Prag war für 12.15 Uhr angesagt. Die Zeit verging langsam. Wir wussten, dass unser getauschtes Geld nicht gültig ist und sind gespannt, was auf uns zukommt. Emmi und Paula versuchten noch einmal bei einer von Herrn Krug genannten Adresse ein paar Kronen zu tauschen, aber vergeblich. Kurz vor der Abfahrt verlangte ich im letzten Augenblick drei Fahrkarten und wollte sie mit unserem Geld bezahlen aber man lachte mich aus. So stiegen wir ohne Karten ein und fuhren auch gleich los. Schon nach kurzer Zeit erschien der Schaffner. "Bilet, Pasport" verlangt er von uns, Ausweis und Fahrscheine. Unsere Antwort : "Bilet nema Penince njet haraso" und zeigten das Geld. "Kuda" fragt er, darauf wir: "Praha Consulat Romania ". Er schüttelt den Kopf und lässt uns mitfahren. So erreichten wir nach einiger Zeit Rumburg und müssen hier umsteigen. Statt auf dem Bahnsteig zur Polizei zu gehen, liefen wir quer über das Gleis und stiegen in den nächsten Zug nach Prag und ließen alles weitere auf uns zukommen. Nach kurzer Zeit erschien der Schaffner. Wir versuchten auf russisch unsere Lage zu erklären, doch er wollte uns auf der nächsten Station der Polizei übergeben. Eine junge Frau hatte das alles mitgehört, und nachdem wir ihr unser Schicksal geschildert hatten, setzte sie sich energisch für uns ein und versprach uns, bis nach Prag zu begleiten. Als Erstes besorgte sie für jeden von uns ein belegtes Brötchen und betreute uns als Dolmetscher bei der Polizei am Bahnhof in Prag. Nach der Durchsicht unserer Papiere und langem reden mit besonderer Überzeugung unserer Begleiterin, erhielten wir unsere Papiere und wurden entlassen. Mit einem herzlichen Dank verabschiedeten wir uns von der liebenswürdigen jungen Frau.

Inzwischen war es Abend und wir beschlossen im Wartesaal zu übernachten. Nachts wurde ich wach und sah Paula mit zwei Kavalieren im Gespräch. Einer der beiden zeigte besonderes Interesse an ihr. Die beiden wichen nicht von uns, kauften Kaffee und Kuchen für uns. Da wir sowieso kein Geld mehr hatten, nahmen wir dankend an. Am Morgen ging ich mit Emmi zum rumänischen Konsulat. Wir wurden hier freundlich empfangen und registriert. Anschließend mussten wir uns bei der russischen Kommandatur die Genehmigung zur Heimreise und beim Ungarischen Konsulat das Durchresevisum holen. Auf die Einreise nach Rumänien mussten wir noch warten und wurden in ein Lager am Rande von Prag verwiesen. Guten Mutes gingen wir zurück zum Bahnhof, wo Paula noch immer in Gesellschaft einer der Kavaliere mit unserem Gepäck auf uns wartete. Wir wurden von diesem für uns fremden Herrn zum Essen eingeladen und fuhren nachher mit der Straßenbahn zum internationalen Lager, immer noch in Begleitung und auf Kosten unseres Gönners. Mit herzlichem Dank verabschieden wir uns am Eingang zum Lager von unserem Begleiter.

Wir trafen hier viele Flüchtlinge aus Bessarabien und der Bukovina, welche ein ähnliches Schicksal wie das unsere erleben mussten. Uns wurden saubere Betten und gutes Essen wie schon lange nicht mehr zugeteilt. Nach drei Tagen ging ich mit Emmi noch einmal zum rumänischen Konsulat, wo man uns zu unserer Freude mitteilte, dass unsere Papiere in Ordnung sind und uns die Fahrkarten für die Reise gab. Noch am gleichen Abend 8 Uhr traten wir die Fahrt in Richtung Heimat an. Wir fuhren mit der Bahn über die Grenze bei Curtici und mussten hier aussteigen. Man brachte uns in ein katholisches Haus nach Arad. Hier bekamen wir als erstes Bohnensuppe mit Palukes und anschließend mussten wir in einem Zimmer ohne Betten übernachten. Am nächsten Morgen wurden wir vor das Kriegsgericht zum Verhör vorgeladen und stundenlang ausgefragt. Es konnte uns aber kein Verrat oder Verbrechen zur Last gelegt werden. Schließlich war es dann soweit, wir wurden entlassen, erhielten "Bilet de drum" und durften die Reise nach Brenndorf antreten. Bevor wir in den Zug einstiegen, kamen zwei Männer mit Pumpen und puderten uns mit DDT ein, wir sahen nachher wie Schneemänner aus.

Es war spät abends, als wir losfuhren. Müde von den Strapazen und Ereignissen der letzten zwei Tage und Nächte, fanden wir auch in dieser Nacht keine Ruhe. Selbst das Schaukeln und Rattern des Zuges brachte uns keinen Schlaf. In Gedanken schon daheim... Ob uns die Kinder nach über zwei Jahren Abwesenheit erkennen würden?

Am nächsten Tag, es war der 20. Februar 1947, trafen wir gegen zwei Uhr mittags in Brenndorf am Bahnhof ein. Kein bekannter Mensch war zu sehen, trotz der Kampagne in der Zuckerfabrik. Ich sagte zu Emmi und Paula, jetzt müssten doch die Leute die Schnitzel von der Zuckerfabrik holen, vielleicht haben wir Glück mit jemandem auf dem Schnitzelwagen heimfahren zu können. Sagte dieses, und ging an die Straße, um zu sehen, ob jemand unterwegs war. Als ich mich in Richtung Brenndorf drehte, sah ich weit weg ein Pferdegespann auf uns zukommen. Ich ließ die Augen nicht von dem Wagen, je näher das Gespann kam, umso bekannter erschienen mir die Pferde. Auf einmal riss ich die Arme hoch und im selben Augenblick tat dieses auch mein Bruder Martin, denn er war es mit seinem Gespann, der da auf uns zugaloppierte. Die Freude war groß, wir umarmten uns und konnten es kaum fassen. Martin brachte uns heim zu unseren Lieben, wo wir unter Freudentränen alle begrüßen konnten. Herr Schobel, der ehemalige Prediger, damals als Lehrer berufen, hatte unsere Ankunft in der Schule am Fenster stehend bemerkt und vor Freude die Kinder vom Unterricht entlassen. Die Nachricht unserer Heimkehr hatte sich wie ein Feuer verbreitet. Haus und Hof waren in kurzer Zeit voller Menschen, Verwandte, Nachbarn, alle wollten uns begrüßen oder fragten nach Angehörigen. Auf Bitten vieler Leute war ich nachher noch zwei Wochen in den Nachbarorten unterwegs, um über das Schicksal oder Lebenszeichen von Angehörigen zu berichten.

Es war zum Schluss so wie es uns Frau Palme vor unserer Abreise in Pehritzsch vorausgesagt hatte. Wir waren 17 Tage und Nächte unterwegs und hatten trotz einiger Schwierigkeiten und Rückschlägen das Glück, Hilfe und Unterstützung von guten Menschen zu erhalten, selbst dort, wo es nicht zu erwarten war. Und wie aus den Karten von Frau Palme zu sehen war, stand uns auch eine Hochzeit bevor. Es war die goldene Hochzeit von Paulas Großeltern, welche am Samstag nach unserer Heimkehr gefeiert wurde.



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