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Zeitzeugenbericht

Mein Lebenslauf, 1912-1994
von Johanna Bretz, geb. Herberth aus Großprobstdorf

Nun will ich, soweit es mir gelingt, meinen Lebenslauf zu Papier bringen, damit meine Nachkommen lesen können, woher sie kommen, und was wir als Eltern und Großeltern erlebt haben.

Ich bin Johanna Bretz, geb. Herberth. Am 26. Februar 1912 bin ich in Großprobstdorf/Siebenbürgen (Rumänien) geboren. Mein Vater Johann Herberth wurde am 25. November 1885 geboren und starb am 16. Mai 1951. Meinen Mutter Johanna Herberth, geb. Biegler wurde am 22. Juni 1891 geboren und starb am 20. Dezember 1975. Beide wurden in Großprobstdorf geboren. Mutter und Vater umsorgten mich. Wir hatten eine Landwirtschaft und waren Bauern. Im Jahre 1914 brach der 1. Weltkrieg aus. Mein Vater mußte auch in den Krieg und so kam eine schwere Zeit auf uns zu. Man brachte nun Gefangene, die uns in der Landwirtschaft halfen. Erst im Jahre 1918 war der Krieg zu Ende und mein Vater, den ich ja nicht mehr kannte, kam wieder gesund nach Hause zurück. Meine Schwester Maria wurde dann 1919 geboren. So waren wir nun zwei Schwestern die heranwuchsen. Meine Eltern hatten eine ansehliche Wirtschaft, und es war eine Freude zu leben. Wir hatten eine schöne Kindheit, besuchten den Kindergarten und die Volksschule. Es gab alles was man sich wünschte, und man versprach sich eine schöne Zukunft. Ich wurde 1927 konfirmiert und besuchte dann später die Haushaltsschule, wo man noch viel lernte, und auch viel Spaß hatte. Es gab noch viele Bräuche, Festlichkeiten, Tanzveranstaltungen, große Hochzeiten, die mit viel Fröhlichkeit gefeiert wurden. So verging die schöne Jugendzeit ohne Sorgen.

1931 heiratete ich meinen Mann, Johann Bretz, der am 13. September 1906 geboren war. Von den Eltern bekamen wir Grund und Weingärten. Wir kauften noch dazu und führten nun unsere eigene Wirtschaft Auch als Verheiratete hatte man noch recht viel Freuden. Im Winter ging man auf den Feuerwehrball oder Frauenball. Es gab auch die Nachbarschaft. Das war auch so ein Brauch. Zur Nachbarschaft gehörten etwa 30 Familien mit denen man Fasching feierte. Gutes Essen und reichlich zu trinken gehörte dazu. Auch wenn man einen Trauerfall im Hause hatte, war die Nachbarschaft da und half die Toten zu beerdigen. Das Leben ging weiter. Man arbeitete und man hatte seine Freude dran.

1932 bekamen wir unseren ersten Nachwuchs, eine Tochter, die wir Hanni nannten. 1935 kam unser Sohn Hans und 1941 unsere Tochter Annemarie, die Annche genannt wurde, zur Welt. Das Glück war nun vollständig. Die Kinder wuchsen heran, es gab viel Arbeit und man versprach sich eine noch recht schöne Zukunft.

Doch im Jahre 1939 kam der Krieg, der mit Hitler von Deutschland ausging. Sie eroberten in recht kurzer Zeit verschiedene Länder. So marschierten sie auch durch Siebenbürgen (Rumänien). Als Freunde der Deutschen schlossen sich nun viele Jungen und Männer an, um mitzuhelfen Rußland zu erobern. Es gab viele schwere Kämpfe. Die verlorene Schlacht von Stalingrad forderte viele Tote bis die deutschen sich schließlich zurückziehen mußten. Auch in Rumänien entstand nun ein großes Durcheinander. Der König mußte fort und es kam eine andere Regierung an die Macht. Nun zogen die Russen durch Rumänien auf Deutschland zu, wobei viel Unheil entstand. So war es nun mit der Ruhe und dem Schaffen vorbei.

Aus dem Krieg mit Rußland kamen viele nicht mehr zurück. Diejenigen die noch am Leben geblieben waren, zogen mit den Deutschen nach Deutschland, denn die damalige Regierung wollte sie nicht mehr annehmen. Viele Frauen blieben ohne Mann und viele Kinder ohne Vater. Nun forderten die Russen vom rumänischen Staat Arbeiter zum Wiederaufbau. So entschied sich die damalige Regierung für die deutschen Siedler. Das waren alle, die einen deutschen Namen hatten. Die Abmachung war auf fünf Jahre festgelegt. Betroffen waren alle Mädchen und Frauen, Jungen und Männer ab dem 17. Lebensjahr. Frauen wurden bis 34. Lebensjahr einbezogen, Männer bis zum 45. Lebensjahr. Auch wenn das kleinste Kind erst 1 Jahr alt war, mußte die Mutter fort. Nun begann auch für uns ein anderes Leben und ein anderes Schicksal.

1945 begann die Internierung. Die russische G.P.U. ging von Haus zu Haus. Man wurde registriert, in Sammelunterkünfte zusammengeführt und zu einem Transport zusammengestellt. Wenn ein Transport den Ort verließ, läuteten die Kirchenglocken, und mitten auf dem Dorfplatz hielt der Pfarrer eine Ansprache an das Volk. Er richtete seine Trostworte an alle Beteiligten und erteilte ihnen Gottes Segen. Mit viel Tränen wurde der Abschied von allen Lieben genommen, denn man wußte nicht, ob es noch ein Wiedersehen geben würde. Nur kranke alte Menschen und die Kinder blieben zurück bei den Großeltern, Tanten oder wer sich ihrer annahm, denn danach wurde nicht gefragt. Schon bevor alle weg waren, wurde das Vieh wie Ochsen, Kühe, Schweine und vieles mehr aus dem Stall und Hof geholt. Alles was man sich in so vielen Jahren aufgebaut hatte, war nun verloren. Das aber die Menschen fort mußten, war das Schwerste. Ein Koffer in der Hand und ein Rucksack auf dem Rücken waren alles was man mitnehmen durfte.

Mein Man wurde schon mit dem ersten Transport am 17. Januar 1945 fortgebracht. Das Unfaßbare konnte und wollte man noch immer nicht glauben. Hanni war 12, Hans war 10 und Annche 3 1/2 Jahre alt. Sie konnten Zuhause bei den Großeltern bleiben. So kam nun die Reihe auch an mich, mit vielen meiner Schicksalsgenossen fort zu müssen. Man konnte nicht einmal mehr richtig denken, so fertig war man mit den Nerven. Es wurden viele Tränen geweint, doch es half nichts, man mußte fort. Ob es ein Wiedersehen geben würde war ungewiß. So mußte auch ich von den weinenden Kindern, den Eltern, allen die zurück blieben und von Heim und Heimat Abschied nehmen. Die schönste Zeit unseres Lebens war vorbei und wieder läuteten die Kirchenglocken zu unserem traurigen Abschied.

So verließ am 23. Januar 1945, mitten im Winter, der letzte Transport den Ort. Es wurden Männer, Frauen, Mädel und Jungen ohne Altersunterschied, so viele wie möglich, in Viehwaggons hieneingeschoben. Wir standen immer unter russischer Bewachung und mußten uns so unserem Schicksal ergeben. Der Zug hatte viele Waggons. Zu beiden Seiten des Waggons befanden sich doppelte Liegen aus Holz zum schlafen oder sitzen. In der Mitte des Waggons konnte man stehen. Nur ein schwaches Licht leuchtete. Die Türen waren verschlossen und an dem kleinen Fenster war Gitterdraht angebracht. Es gab kein WC, sondern in einer Ecke des Waggons hatte man ein Loch durchgeschlagen. Mit den Decken von Zuhause wurde das Loch abgehängt, damit jeder seine Notdurft verrichten konnte. Essen bekamen wir keines. Wir hatten nur zum essen was wir uns von Zuhause mitgenommen hatten. Wir hatten Speck und gebratenes Schweinefleisch. Wasser erhielten wir bei einem kurzen Halt am Bahnhof von unseren Bewachern. In Rimniciel Sarat auf der rumänischen Grenze mußten wir in russische Züge umsteigen. Auch unser Zug rollte wie so viele andere über die russische Grenze. Nun wußten wird, das es kein zurück mehr gab. Die Reise ging immer tiefer nach Rußland hinein. Nach 14-tägiger Fahrt hielt der Zug. Immer wieder wurden Waggons abgekoppelt. Wohin sie gingen erfuhren wir nicht.

In einem heruntergekommenen Bahnhof mußten wir aussteigen. Der Ort hieß Inguletz. Von hier mußten wir etwa zwei Kilometer querfeldein in das Lager laufen. Das Gepäck hatte man auf einen Lastwagen geladen und in das Lager gefahren. Als wir im Lager ankamen war es Nacht. Das Gepäck fanden viele nicht mehr, da es gestohlen worden war. Wir waren in der Ukraine gelandet. Müde von der Fahrt und hungrig, da wir die ganze Zeit nur trockenes Essen gegessen hatten und dieses auch noch mit denen geteilt hatten, die nichts mehr zum Essen hatten. Unsere Enttäuschung war sehr groß, als wir feststellten, daß das Lager verlassene Pferdeställe der Deutschen waren. Der Stall hatte keine Türen, Fenster ohne Glas und kein Licht. Zum Glück hatten einige Leute Lampen mitgebracht, so das ab und zu ein heller Schimmer den Raum erleuchtete. Hier gab es wieder übereinandergestapelte Liegen aus Dielen. Damit wir nicht erfroren, legten wir uns angezogen und mit einer Decke zum Zudecken schlafen. In den nächsten Tagen wurden Türen, Fenster und Öfen eingemauert. Es gab kein Holz, sondern nur dicke Stengel von getrocknetem Unkraut, das wir verbrennen konnten. Es machte nur Rauch aber keine Wärme. Wir hatten nur kaltes Wasser, und das Essen wurde von russischen Frauen gekocht. Da der Hunger sehr groß war, schmeckte uns die Kraut- und Gurkensuppe sehr gut. So ließ man uns acht Tage in Ruhe. Inzwischen hatten wir auf dem Kolchos Strohsäcke gefüllt und mußten somit nicht mehr auf den Brettern schlafen. Ganz ausziehen konnten wir uns weiterhin nicht, weil es zu kalt war. Nur die Schuhe wurden ausgezogen, daß die Socken an den Füßen trocknen konnten. Wenn es regnete oder schneite wurde alles naß, da das Dach Lücken hatte.

Mit der Zeit bekamen wir auch Läuse. Einige hatten wir schon auf dem Transport erhalten. Zu Entlausung wurden wir in ein Bad am anderen Flußufer gebracht. Da alle Brücken durch den Krieg zerstört worden waren, wurden wir mit einem Kahn hin und her gefahren. Am schlimmsten war jedoch die Kälte die uns umgab.

Am 28. Februar 1945 mußten wir zum ersten mal arbeiten. Es war mitten im Winter, und da wir keine richtige Kleidung hatten, ums uns gegen die Kälte zu schützten, frohren wir sehr. Wir arbeiteten auf einem großem Feld mit Sonnenblumen, die im Herbst nicht geerntet worden waren. Es war nicht mehr viel an den Sonnenblumen, sondern nur das was die Vögel übriggelassen hatten. Die Sonnenblumen wurden auf einen großen Wagen geladen und in eine Scheune gefahren, wo wir sie ausklopfen mußten. Dies war nicht unsere einzige Arbeit, sondern noch vieles andere mehr, wurde von uns gemacht.

Bald darauf wurde mit dem Aufbau begonnen. Für uns mußte ein Lager aufgebaut werden, denn die Zustände waren erbarmungslos. Die zerbombten Häuser wurden abgetragen, und ein Lager mit Unterkünften für etwa 1000 Leute sollte darauf entstehen. Es wurden Schlafräume für die Männer und Frauen, Räume für die Offiziere und unsere Bewachung, ein großer Speisesaal mit Küche, Baderäume und eine Zentralheizung gebaut. Auch eine Krankenstation wurde errichtet, in der ein russischer und ein deutscher Arzt die Kranken behandeln konnten. Das Lager wurde mit zwei Reihen aus Gitterdraht, vier Wachtürmen und einem Tor abgeschlossen. Nun waren wir Gefangene und wußten, daß wir so schnell nicht mehr nach Hause kommen würden.

Im Frühjahr mußten wir auch am Sonntag arbeiten. Ohne Ausnahme mußte das ganze Lager zur Arbeit. Für die Arbeit (Straßenbau) hatten wir Schaufeln und Pickel. Es war eine lange Kolonne, die das Lager verließ. Neben uns gingen die Offiziere und die Soldaten die uns bewachen sollten. Auf dem Weg mußten wir alle deutschen Soldatenlieder singen. Zur Arbeit wurden wir auch von zwei Dolmetschern begleitet. So verging die Zeit. Wir gewöhnten uns langsam daran und wußten, daß wir arbeiteten mußten, damit wir auch etwas zum Essen erhielten. Jeden Tag wurden wir an verschiedenen Stellen eingesetzt und in verschiedene Gruppen eingeteilt. Jedes mal wurden wir abgezählt, Wir mußten schwer arbeiten. Einige von uns im Bergwerk beim Steinbruch und andere beim Aufbau. Jeden Morgen wurden wir mit einer Trompete geweckt. Mit den Sternen am Himmel standen wir auf, mit den Sternen legten wir uns schlafen. Das Essen wurde von uns gekocht. Es gab immer das gleiche zu essen :

Krautsuppe mit kleingeschnittenem Viehmagen als Fleisch und Kartoffelsuppe mit ein paar Kartoffelscheiben, denn unsere Bewacher machten sich in der Nacht Bratkartoffeln. Die Gurkensuppe, die sie uns brachten war manchmal nicht viel mehr als heißes Wasser. An jedem Morgen erhielten wir 1kg Brot. Es war schwer an Gewicht, aber klebrig und nicht ausgebacken. Das Essen war nicht sehr nahrhaft, die Arbeit dagegen sehr schwer.

Wir mußten uns jedoch unserem Schicksal fügen.

Im Frühjahr wurden alle Mädchen und Frauen auf dem Kolchos zum Anbau von Kartoffeln, Rüben und anderem Gemüse eingesetzt. Es waren zwar unendlich große Flächen, aber es ging uns besser obwohl wir morgens und abends 5 km laufen mußten.

Am Sonntag wurde die Kleidung gewaschen und die Schlafräume sauber gemacht. Es war gut, daß wir nicht viel Zeit zum nachdenken hatten. Am 9. Mai 1945 erhielten wir einen Feiertag, da der Krieg zu Ende war. Erst glaubten wir nicht, daß die Russen den Krieg gewonnen hatten und bis nach Berlin gelangt waren. Wir mußten alle Decken und Strohsäcke ausräumen und alle Schlafräume sauber machen. Bis zum Mittag waren wir wieder fertig. Gebadet, frisch angezogen freuten wir uns auf ein paar freie Stunden. Beim Aufstellen zum Mittagessen waren sogar die Offiziere anwesend. Im Speisesaal wurde von unseren Leuten Heimatlieder gespielt. Mehr brauchten wir eigentlich nicht. Auf einmal rollten Tränen über unsere Wangen. Die Offiziere waren so aufgebracht darüber, daß wir wieder alles aus den Schlafräumen entfernen und die Wände mit Kalk streichen mußten. Am Abend war wieder alles sauber.

So ist mir das Kriegsende und die Eroberung der Russen in Erinnerung geblieben. Wir freuten uns über das Kriegsende konnten aber immer noch nicht glauben, daß die Russen bis nach Berlin gelangt waren und tatsächlich den Krieg gewonnen hatten. Wir hofften nun bald wieder frei zu sein und nach Hause fahren zu können. Aber leider ging unser Wunsch nicht in Erfüllung, da die Abmachung auf 5 Jahre festgesetzt war.

Viel Vieh wurde nun ins Land gebracht und so bekam jeder Russe eine Kuh. Bis dahin hatten sie nur Ziegen. Bald kamen auch die russischen Mädchen aus Deutschland zurück, mit denen wir auch etwas sprechen konnten. So lernten wir etwas Russisch und konnten uns nun etwas verständlich machen. Wir arbeiteten auf dem Feld zusammen und verstanden uns gut. Die Offiziere wollten, daß sich die Leute im Lager wohlfühlten, wenn sie freihätten. Es wurde getanzt und von jungen Leuten Theater aufgeführt. Wer Lust hatte, sollte Zerstreuung und Freude haben.

Die Zeit verging und es wurde wieder Winter. Warme Kleidung hatten wir immer noch nicht. Nur die wir von Zuhause mitgebracht hatten. Obwohl wir immer wieder Briefe nach Hause schrieben, erhielten wir keine Nachricht. Es wurden viele Tränen vergossen und irgendwann hörten wir auf zu schreiben, denn man verbrannte unsere Briefe. Wir sollten mit unseren Lieben nicht in Verbindung kommen. Sogar der Kontakt zu anderen Lagern war uns nicht erlaubt. Den kalten Winter 1945/46 hatten wir gut überstanden. Es folgte das Frühjahr, der Sommer und damit auch zugleich eine Mißernte. Hungersnöte beherrschten das Land. Das Essen wurde immer schwächer. Die Kartoffeln waren so groß wie Nüsse und Kraut gab es auch nicht viel. Anstatt Kraut bekamen wir nun Zuckerrübenblätter in die Suppe. Typhus und Unterernährung waren die Folge. Die Männer brachen auf den Straßen zusammen und gelangten oft nicht mehr ins Lager. In dieser Zeit starben viele von uns. Wir erfuhren nicht wie viele es waren, oder wo sie begraben wurden.

Auch ich erkrankte an Typhus und wurde wie alle anderen auch in das Krankenhaus gebracht, Ich hatte sehr hohes Fieber und erhielt als Medizin Chininpulver. Täglich brachte man uns Essen und Tee zum trinken aus dem Lager. Ein jeder hatte mit sich zu kämpfen. Endlich nach Tagen des Kampfes um mein Leben und dem Tode entronnen, konnte ich wieder aufstehen. Ich war so geschwächt, daß ich nicht einmal gehen konnte. Im Lager verkaufte ich einige meiner Sachen, die ich von Zuhause hatte. Von dem Geld kauften mir die Männer auf dem Basar Milch und Eier, damit ich wieder zu Kräften kam. Bald mußte ich wieder auf das Feld zum arbeiten, obwohl ich kaum richtig gehen konnte. Der Winter nahte wieder. Immer wieder wurden Krankentransporte zusammengestellt, denn wer nicht mehr arbeiten konnte wurde nach Hause geschickt.

Am Abend des 2. November 1946 um 23 Uhr kam plötzlich der Befehl, daß alle Kranken und Schwachen sich aufstellen sollten. Wir glaubten es handele sich um einen Krankentransport. Die Namen von uns Schwachen wurden notiert. Wir mußten sofort unsere Habseligkeiten zusammenpacken und wurden dann mit einem großen Lastwagen abtransportiert. Die Sterne leuchteten, der Schnee knirschte und wir hofften, daß die Fahrt uns zu einem Transport nach Hause bringen würde. Wie war die Enttäuschung groß, als wir feststellten, daß wir in einem anderen Lager gelandet waren.

Nun befanden wir uns in Criwairok. Von den Offizieren wurden wir nicht freundlich begrüßt. Sie hatten bessere Arbeitskräfte erwartet. So begann wieder eine schwere Zeit. Wir wurden zum Aufbau eingeteilt. Unsere Arbeit bestand daraus, Beton, Schutt und Holzbohlen mit Hilfe einer Trage, die von zwei Leuten getragen wurde, weg zu bringen. Da das Essen sehr schwach war und die Arbeit hart nahm unsere Kraft sehr schnell ab. Auch hier wurden Krankentransporte zusammengestellt. So wurde ich auch zu einem Transport zugeteilt. Ich war unterernährt, abgemagert, hatte Wasser im Körper und wog nur noch 40 kg. Doch die Freude und Hoffnung bald wieder meine Kinder wiederzusehen sowie ein freier Mensch zu sein, gab mir Kraft.

Ein langer Zug stand auf dem Bahngleis. Es waren wieder Viehwaggons. Doch dies mal erhielt jeder einen gefüllten Strohsack, auf dem man sitzen und schlafen konnte. So war diese Reise etwas erträglicher. Im Zug gab es auch eine Küche, die für uns das Essen kochte. Da wir sehr schwach waren und in den ersten drei Tagen nur eine Mahlzeit pro Tag erhielten starben viele in den Waggons. Die Toten wurden in dem letzten Waggon gesammelt. Wenn eine gewisse Anzahl zusammen war, wurde im nächsten größeren Bahnhof halt gemacht, eine Grube gegraben, alle Toten übereinander hinein geworfen und zu geschaufelt. Dies passierte immer wieder. So weiss bis heute niemand wo der Eine oder Andere begraben liegt.

Nun bekamen wir wieder etwas mehr zu essen, denn in den ersten Tagen hatten die Leute in der Küche das Essen unterschlagen. Die Reise ging immer weiter, in der Hoffnung bald in der Heimat bei unseren Lieben zu sein. Die Enttäuschung war sehr groß, als wir bei einem Rast feststellten, daß wir uns in Warschau befanden.

So gelangten wir über Polen nach Deutschland.

Mitten in der Nacht erreichten wir den Bahnhof von Leipzig, wo wir vom Roten Kreuz empfangen und mit Tee und Erbsensuppe verpflegt wurden. Nun waren wir in Deutschland. Bald ging die Fahrt weiter. In Frankfurt an der Oder war Endstation und wir verließen den Zug. Wir wurden von den Russen an die Deutschen übergeben und kamen in ein Durchgangslager, wo wir baden konnten und untersucht wurden. Wer krank war, wurde in das Krankenhaus gebracht. Hier erfuhren wir auch, daß wir nicht zurück nach Hause konnten, sondern solange in Deutschland in der Ostzone bleiben müßten, bis wir von Rumänien die Bewilligung zur Einreise erhalten würden. Trotz allem waren wir froh wieder freie Menschen zu sein.

Nach ein paar Tagen ging die Reise weiter nach Ilmenau in ein Quarantänelager. Wegen der Möglichkeit von ansteckenden Krankheiten blieben wir drei Wochen im Lager. Danach wurden wir auf die Dörfer aufgeteilt. Ich und etwa 30 weitere Personen wurden nach Gellershausen gebracht. Wir wurden Familien zugeteilt, die uns aufnehmen mußten, ob sie wollten oder nicht. So gelangte ich in die Familie von Alma Hanff. Sie hatte ihren Mann, einen Sohn und den Verlobten ihrer Tochter im Krieg verloren. Die anderen beide Kinder, ein Junge von zehn Jahren und ihre Tochter Paula, mit der ich gleich Freundschaft schloß, waren ihr geblieben. Sie hatten kein leichtes Leben und mußten nun von dem wenigen was sie hatten auch noch etwas abgeben. Trotzdem wurde ich hier liebevoll aufgenommen. Ich war nur noch ein Skelett von einem Menschen und der Blick war auch nicht ganz normal. Sie gaben uns zu essen, aber unser Hunger war so groß, daß wir danach immer noch nicht satt waren.

Allmählich erholte ich mich wieder. Soweit es meine Kräfte zuließen half ich in der Landwirtschaft. Nun waren wir wieder freie Menschen. Da es nichts zu kaufen gab und da ich auch kein Geld hatte andere Sachen zu kaufen hatte ich immer noch die gleichen Sachen die ich aus Rußland hatte. Endlich konnte ich mit meinen Lieben durch Briefkontakt in Verbindung treten. Seit dem Januar 1945, als ich fort mußte, hatte ich nichts mehr von Zuhause gehört. Nun war es Mai 1947 und ich erhielt die erste erfreuliche Nachricht. Alle waren gesund und freuten sich, daß ich am Leben geblieben war. Sie hofften mich bald wieder zu sehen. Leider waren meine Großmutter und mein Vater inzwischen verstorben. Mit dem Brief erhielt ich eine weitere erfreuliche Nachricht. Mein Mann war auch mit einem Krankentransport aus Makiefka (Rußland) nach Deutschland gebracht worden. Wir hatten uns schon lange nicht mehr gesehen. Die Freude, daß wir beide am Leben geblieben waren und das wir beide zu unseren Kindern nach Hause konnten war sehr groß. Da wir beide noch sehr schwach waren und auch kein Geld hatten, mußten wir vorläufig bleiben wo wir waren und konnten uns nur durch Briefe verständigen. Die Entfernung war auch weit, denn er war bei Berlin. Die Zeit verging doch die Hoffnung gab uns Kraft noch ein wenig Geduld zu haben, bis wir wieder mit der Familie zusammen sein würden. Doch alles sollte ganz anders kommen.

Plötzlich kam Anfang August eine Meldung im Radio aus München. Alle mit rumänischer Staatsbürgerschaft sollten bei einer Kommission in München sich für eine Fahrt nach Hause melden. Alle aus Rumänien, die in Gellershausen lebten, waren sofort bereit nach München zu gehen. Da wir nur den russischen Entlassungsschein und kein Geld zum Fahren hatten, mußten wir Schwarz über die Zonengrenze gehen. Nachdem wir in München gut angekommen waren, erlebten wir wieder eine Enttäuschung. Die Kommission hatte bereits wieder aufgehört zu arbeiten und diejenigen, die schneller angekommen waren, wurden schon nach Hause gefahren. Nun standen wir, etwa 300 Menschen, unter freiem Himmel. Man gab uns eine Adresse für eine Unterkunft. Essen kaufen war nicht möglich, da es nichts gab. Wir landeten in einem Lager in München, wo wir wenigstens ein Dach über dem Kopf hatten. Hier konnten wir schlafen und erhielten auch Essen.

Da wir nicht zurück in die russische Zone wollten, wollten wir uns Arbeit in der amerikanischen Zone suchen. Leider hatten wir kein Glück, da die Polizei das Lager umringt hatte und niemand das Lager verlassen durfte. Wir mußten wieder in große Fahrzeuge steigen, wurden zum Bahnhof gefahren und mit dem Zug zurück in die russische Zone gebracht. In Freiburg wurden wir wieder in ein Lager gebracht. Man sagte uns, wir sollten alle zusammen bleiben, denn die Kommission würde nach Dresden kommen und dann könnten wir nach Hause. Ich sollte zu meinem Mann gebracht werden, doch da wo er sich befand, war Typhus ausgebrochen und keiner durfte hinein oder hinaus. Somit blieben wir weiter getrennt.

Es wurde Herbst und immer mehr Flüchtlinge kamen an. Wir wurden wieder auf die Dörfer verteilt, wo wir ein Zimmer von den Leuten erhielten. Wir erhielten Lebensmittelkarten für 300 gr. Brot, Kartoffeln, Kohlen und noch einige andere Lebensmittel. Wir waren nicht verwöhnt, und wenn wir Kartoffeln hatten, waren wir zufrieden. Kartoffeln hatten wir genug, da wir diese uns gesammelt hatten. Wenn nämlich ein Bauer sein Feld abgeerntet hatte warteten schon 200 Menschen am Rande des Feldes mit Hacke und laschen. Dann ging es los und es wurde gescharrt und nach jeder Kartoffel Ausschau gehalten. So hatten wir für den Winter einen ordentlichen Vorrat an Kartoffeln.

Nun suchten wir uns eine Arbeitsstelle, damit wir die Lebensmittel, die wir für die Lebensmittelkarte erhielten, auch bezahlen konnten. Ich fand eine Stelle als Putzfrau bei einem Fotografen der etwa 2 km entfernt wohnte. Ich hatte liebe Menschen gefunden und täglich meine Beschäftigung.

Es war wieder Winter (1947/48). Ich hatte immer noch nur die Jacke und Schuhe, die ich auch in Rußland getragen hatte. Eines Tages löste sich die Sohle von meinen Schuhen und ich war damit barfuß. Zum Glück gab mein lieber Arbeitgeber mir ein paar Schuhe, einen Mantel, Mütze und einige andere Kleidungstücke von sich, die er mir schenkte. Sie waren zwar getragen, doch ich war endlich wieder gut angezogen.

Die Zeit verging, es wurde Frühjahr und die Kommission war immer noch nicht angekommen es war Anfang April 1948 als mein Mann zu mir nach Brand Erbisdorf kam. Nach drei Jahren Trennung sahen wir uns zum ersten mal wieder. Wir wollten nun so schnell wie möglich versuchen nach Hause zu gelangen. Von seinem Lohn, hatte er etwas Geld gespart und noch einen Liter Zuckerrohr Sirup übrig. Auf meiner Karte hatte ich ein wenig Brot zusammengespart. Das sollte unser Essen für die Reise sein. Unser erstes Ziel war das Konsulat von Wien in Osterreich. Von dort hofften wir dann nach Hause zu gelangen.

Wir waren nicht allein, denn es hatten sich mehrere zusammengefunden, die endlich Heim wollten. Wir hatten nur den Ausweis aus der Ostzone und mußten damit über mehrere Zonengrenzen. Teilweise fuhren wir mit dem Zug. Wenn wir nahe an einer Zonengrenze waren, stiegen wir aus und gingen in kleinen Gruppen im Dunkeln über die Grenze. In der Nacht hielten wir uns in den Bahnhöfen oder den Parks auf. So haben wir viele Städte durchwandert. Deutschland war ein Trümmerhaufen.

In Bayern bei Bayerisch Gmain wollten wir die Grenze nach Osterreich überqueren. Wir gelangten an ein Gasthaus, wo wir zwei Tage Rast machen wollten. Von lieben Menschen erhielten wir Lebensmittelbons geschenkt.

Während der Nacht durften wir im Gasthaus auf den Tischen und Bänken schlafen. In der zweiten Nacht wollten wir über einen Gebirgsbach die Grenze von Osterreich überschreiten. Doch bevor wir gehen sollten bekam ich einen Schüttelfrost. Mein Mann und ich mußten zurückbleiben, während alle anderen sich auf den Weg machten. Die Strapazen und die Nerven machten sich bei mir bemerkbar. Am nächsten Morgen gingen wir zu einem Arzt, der mir Medikamente gab.

Als wir in der zweiten Nacht über die Grenze wollten, war nur noch ein Österreicher dabei, der uns begleitete. Wir mußten auch durch den rauschenden Gebirgsbach. Da das Wasser sehr kalt war trug mich mein Mann über den Bach und danach unser Gepäck mit den wenigen Habseligkeiten, die wir besaßen. Es war eine finstere Nacht. Der Österreicher kannte den Weg sehr gut und so gingen wir immer tiefer nach Osterreich hinein. Wir kamen nur an einigen Bauernhöfen vorbei. Als wir 12 km von der Grenze entfernt waren, hatten wir nur noch 6 km bis nach Salzburg zu gehen. An einer Straßenkrümmung standen auf einmal zwei Polizisten vor uns und verlangten unsere Ausweise zu sehen. Da wir immer noch die Ausweise aus der Ostzone hatten, mußten wir zur Kontrolle mit auf die Polizeiwache. Als sich der Österreicher beklagte, daß wir Hunger hätten, wurden wir in ein Gasthaus geführt, wo wir eine warme Mahlzeit erhielten. Das Essen und die Fahrkarten für den Zug nach Salzburg, wurden vom Polizisten bezahlt, der uns die Fahrt nach Salzburg begleitete. Hier übergab er uns dem Gefängniswächter. Wir wurden von einem Wachmann übernommen. Wir mußten alles abgeben und wurden dann in eine Zelle geführt. Ich kam allein in eine Zelle und mein Mann und der Österreicher in die Zelle nebenan. Die Einrichtung bestand aus einem Bett mit zwei Decken, Tisch, Stuhl, Waschbecken und einer Toilette. Da ich sehr müde war, schlief ich bald ein. Am nächsten Morgen wurden wir vor Gericht geführt. Wir wurden zu 10 Tagen Gefängnis wegen unerlaubtem Grenzübertritt verurteilt.

Mein Mann und ich wurden wieder getrennt. Er kam in die Männerabteilung und ich mit drei Frauen in eine Zelle. In der Zelle waren vier Betten, auf jeder Seite zwei übereinander, ein Tisch, vier Stühle, ein Waschbecken und eine Toilette. Vom großen vergitterten Fenster aus sah man nur einen kleinen Hof und die Gefängnismauern. Jeden Morgen wurden wir in den kleinen Hof begleitet, wo wir zu zweit im Kreis laufen mußten. Das war unsere Bewegung und frische Luft für den ganzen Tag. Über das Essen konnte man sich nicht beklagen. Inzwischen war es Ostern geworden und wir erhielten zwei Ostereier. Nachdem wir die zehn Tage abgesessen hatten erhielten mein Mann und ich die Entlassungspapiere und die Bewilligung uns in Osterreich aufzuhalten.

Wir waren wieder frei.

Wir gingen zum Bahnhof, wo wir das wenige Geld aus Deutschland in Schilling umtauschten und uns Fahrkarten für die Fahrt nach Linz kauften. In Linz fanden wir eine Unterkunft, wo wir viele von unseren Landsleuten trafen. Man sagte uns gleich, daß wir immer noch nicht nach Hause könnten. So meldeten wir uns bei der Polizei und gingen anschließend zum Arbeitsamt, um nach Arbeit zu fragen. Man schickte uns nach Parsching, 8km von Linz entfernt. Wir stellten uns der Bäuerin vor und wurden auch sofort für die Arbeit in der Landwirtschaft angenommen. Man versprach uns einen guten Lohn und Verpflegung. Wir hatten die Wanderschaft satt. Außerdem brauchten wir Kleider, denn hier konnten wir uns nicht mehr mit den Kleidern aus Rußland sehen lassen.

Hier fing nun ein anderes Leben an. Wir machten uns an die Arbeit, und lebten uns schnell ein. Essen gab es in Hülle und Fülle und es waren gute Menschen, für die wir arbeiteten. In kurzer Zeit verloren wir auch das Hungergefühl, das uns bis jetzt begleitet hatte. Wir lernten auch wieder lachen. Mit unseren Lieben standen wir noch immer nur durch Briefe in Verbindung. Wir verdienten gut und als erstes kauften wir uns Schuhe und Kleider. Auf Bezugsscheine gab es hier alles zu kaufen.

Nach ungefähr l 1/2 Jahren in Niederösterreich packten wir wieder unsere Sachen und fuhren weiter nach Wien. Dort trafen wir wieder viele von unseren Bekannten, die auch nach Hause wollten. Doch nach Hause konnten wir noch immer nicht, da es verboten war. So mußten wir uns weiter in Geduld ergeben.Wir suchten uns wieder eine Arbeitsstelle und fanden diese im Weinbau. Auch hier erhielten wir eine gute Verpflegung.

Wir unterstützten nun auch unsere Kinder in der Heimat. Wir schickten Pakete und Geld. Das beruhigte uns ein wenig, weil wir so doch ein wenig helfen konnten. In Gedanken waren wir immer bei ihnen, denn die Sorgen um sie konnte uns niemand abnehmen. So trösteten wir uns mit den anderen, die auch nicht nach Hause konnten. Schon lange war niemand mehr nach Hause gefahren. Die Grenzen waren schwer bewacht und so blieb uns nur die Möglichkeit auf legalem Weg einzureisen.

Immer wieder von Unruhe getrieben, wechselten wir die Arbeitsstelle. Wir hatten keine Ausdauer mehr. Unser nächstes Ziel war Gumpoldskirchen, wo wir eine schöne Küche und Schlafzimmer von unserem Arbeitgeber bekamen. Nun konnte ich auch für uns kochen. Wir arbeiteten auch hier im Weingarten, was eine schöne Arbeit für uns war. Sie hatten noch eine Kuh, ein Schwein, Hühner und einen Gemüsegarten. Da wir uns nebenher auch um die Tiere und den Garten kümmerten, hatten wir auch Milch, Eier und Gemüse. Und da ich für uns kochte erhielten wir auch mehr Lohn. So konnten wir zufrieden sein und unsere Kinder noch besser unterstützen. In Gumpoldskirchen waren wir nur 18 km von Wien entfernt. Wenn wir frei hatten, fuhren wir oft nach Wien, wo es viele Sehenswürdigkeiten gab, z.B. die vielen Museen, das Königsschloß Schönbrunn, den Prater und vieles andere mehr.

Hier lernten wir das Leben von der schönen Seite kennen. Hätte man uns erlaubt unsere Kinder nach Österreich zu bringen, wir wären nicht mehr nach Hause gefahren. Doch der rumänische Staat erlaubte dies nicht. So waren in Gumpoldskirchen sechs lange Jahre vergangen, die auch nicht ohne Folgen geblieben waren. Ich hatte einen schweren Arbeitsunfall und einen Nervenzusammenbruch, was zum Glück gut ausgegangen war. Gott gab mir Kraft und Hoffnung, daß ich meine lieben Kinder noch einmal sehen würde.

Endlich erhielten wir vom Konsulat die Genehmigung in die Heimat zurück zu kehren. Mit Freude und mit Bangen vor der bevorstehenden Zukunft, waren wir bereit nach Hause zu fahren. Für unsere Lieben kauften wir viele Geschenke ein. Wir waren sehr aufgeregt, denn nach elfjähriger Trennung sollten wir unsere Kinder, die wir 1945 verlassen mußten, wiedersehen.

So nahmen wir nun Abschied von Österreich und stiegen mit viel Gepäck in den Zug nach Wien. Die Fahrt verging schnell. 24 Stunden später erreichten wir die vorletzte Station in der Heimat.

Nun waren wir wieder in Rumänien.

Unsere Kinder erwarteten uns schon am Bahnhof. Wir waren alle sehr aufgeregt. Als wir uns in die Arme fielen rannen die Tränen. Sprechen konnten wir nicht, doch wenigstens waren es dieses mal Freudentränen. Wir waren alle froh uns wieder zu haben. Aus den kleinen Kindern waren inzwischen erwachsene Menschen geworden. Am 17. bzw. 23. Januar 1945 waren wir fortgefahren und erst elf Jahre später, am 23. Januar 1956, zurück gekommen. Voller Hoffnung und in Begleitung unserer Lieben gelangten wir nach Hause. Wir begrüßten meine Mutter und meine Schwester. Unsere Tochter Hanni hatte geheiratet und so war unsere Familie um einen Schwiegersohn und um ein kleines Enkelkind mit dem Namen Hannelore gewachsen. Wieder flossen Tränen, doch die Freude war groß. Nach so vielen Jahren waren wir endlich wieder vereint.

Für uns begann ein neuer Anfang. Es war nichts mehr so, wie wir es verlassen hatten. Alle Deutschen waren enteignet worden, die Höfe, den Grund und das Vieh hatte man genommen. Der Staat hatte Kolonisten auf die Höfe verteilt. Unsere Landsleute lebten nun zusammengedrängt auf engstem Wohnraum. Sie hatten nichts mehr zu sagen und mußten froh sein, daß sie noch ein kleines Plätzchen auf dem Hof hatten.

Nun bekamen wir auch die armseligen Zustände zu spüren. Unseren Hof hatte die Landwirtschaftsgenossenschaft besetzt. So mußten wir auf dem Hof meiner Eltern mit zwei Kolonisten und deren Familien zusammengedrängt leben. Wir mußten schauen wie wir zurecht kamen und das wir unser tägliches Brot erhielten. Das Leben ging weiter. Ich arbeitete in der Genossenschaft im Weinbau und mein Mann in der Fabrik. Langsam lebten wir uns wieder ein. Lebensmittel erhielt man nur, wenn man in einer Schlange anstand und wartete.

1957 wurden die Höfe den Eigentümern wieder zurückgegeben und die Kolonisten mußten wieder ausziehen. Da sie nichts renoviert hatten, sah alles furchtbar aus. Wir hatten wieder Hof, Garten, Hühner. Sogar ein Schwein zum Schlachten konnten wir uns halten. So wurde das Leben wieder etwas leichter. Unser Sohn Hans hatte Lehrer studiert und war Lehrer geworden. Da man die deutschen Schulen gelassen hatte, fand er auch einen Beruf als Lehrer. Annche, die jüngste, ging nach der Volksschule in die Fabrik. So gingen die Jahre weiter und harte Arbeit blieb uns nicht erspart.

Hans und Annchen heirateten und gründeten ihre eigenen Familien. Die Enkelkinder wurden geboren. In den Familien war nun wieder Freude und Glück obwohl wir keinen Grund mehr besaßen, waren wir trotz allem auch glückliche Großeltern.

Es dauerte nicht lange bis wir hörten, daß die Zusammenführung nach Deutschland möglich war. Viele die in Rußland und im Krieg waren, waren in Deutschland geblieben. Viele Familien lebten so getrennt. Unsere Tochter Hanni und unser Schwiegersohn mit ihren beiden Kindern Hannelorchen und Kätchen erhielten 1972 die Ausreisegenehmigung nach Deutschland. Wir mußten wieder Abschied nehmen. So fing die Auswanderung an. Auch unsere Tochter Annche und unser Schwiegersohn Willi mit den Kindern Harlet, Margrit und Willi wanderten 1976 nach Deutschland aus, um ihrer Familie ein besseres Leben zu bieten. Wieder flossen Tränen. Wir wünschten unseren lieben Kindern viel Glück und Erfolg. Nun blieben nur noch wir und unser Sohn Hans mit seiner Frau Inge und den Enkelkindern Astrid und Ingmar zurück.

Als wir in Rente gingen, hatten wir ein ruhigeres Leben und arbeiteten nun im Haus, Hof und Garten, wo wir noch genug Arbeit fanden. Als meine Mutter krank wurde pflegten meine Schwester und ich sie. Sie hatte in ihrem Leben sehr viel gearbeitet und die vielen Jahre, die wir nicht zu Hause waren die Kinder großgezogen. Kummer und Sorgen waren auch ihr nicht erspart geblieben. Im Alter von 84 Jahren starb meine Mutter.

Nach einiger Zeit erkrankte auch meine Schwester. Sie war unverheiratet geblieben. Ich pflegte sie, doch sie starb im Alter von 62 Jahren.

Unsere Kinder kamen immer wieder aus Deutscchland auf Besuch und brachte uns allerhand, was wir in Rumänien nicht erhielten. Der Abschied war immer wieder schwer. So lagen Freude und Leid immer wieder beieinander.

1980 machten wir unseren Kindern einen Besuch und blieben sieben Wochen in Deutschland. Wie waren wir erstaunt, was aus dem Schutthaufen geworden war. Ein neues Deutschland fanden wir vor. Wir hatten in Rumänien noch unseren Sohn und seine Familie. So waren wir nicht ganz allein.

Es vergingen noch etliche Jahre bis mein Mann erkrankte. Die Ärzte taten ihr möglichstes. Ich pflegte ihn 9 Monate, bis er am 20. Januar 1986 im alter von 79 Jahren starb. Ich blieb allein ohne Lebensgefährten, mit dem ich 55 Jahre Freud und Leid geteilt hatte. Dies war ein weiterer Abschnitt meines Lebens. Ich verlor meinen Lebenswillen und wurde krank. Ich bekam Probleme mit dem Herzen und den Nerven. Ich hatte Glück mit meinem Sohn und der Familie, daß ich wieder gesund wurde.

Meine Lieben in Deutschland redeten mir immer wieder zu, nach Deutschland zu kommen, denn in der Heimat hatte ich alles verloren. So stellte ich einen Antrag auf Ausreise und erhielt auch sehr schnell die Genehmigung. Haus und Hof wurden nun aufgelöst, was nicht einfach war. Langsam wurde alles verkauft und wie vom Winde verweht nach allen Seiten verstreut. Was man durch harte Arbeit sich angeschafft hatte war wieder verloren. Nun packte ich wieder ein paar Habseligkeiten ein und nahm wieder Abschied von meinem Sohn, seiner Familie, von meinen lieben Toten, von der Heimat und von allen die zurückblieben.

Zurück ließ ich ein Land, wo die Mißwirtschaft regierte.

Meine Lieben begleiteten mich am 2. Januar 1988 um 13 Uhr zur Bahn. Ich fuhr meiner neuen Heimat Deutschland entgegen. Am gleichen Tag, 20 Uhr am Abend, erreichte ich schon den Bahnhof in Nürnberg, wo mich meine lieben Kinder begrüßten. Ich war glücklich alles gut überstanden zu haben. Bis alle Formalitäten geklärt waren blieb ich in Nürnberg.

Am 18 Januar 1988, es war schon Abend, holten mein Schwiegersohn und meine Tochter Annche mich ab. Wir fuhren über die Autobahn. Die Nacht war sternenklar und auf den Bergspitzen sah man die beleuchteten Burgen. Es war eine Fahrt wie im Märchen. In Bensheim angekommen, begrüßten mich meine drei Enkelkinder Margrit, Harlet und Willi.

Die Zeit verging sehr schnell. Anfang März wurde ich von meiner Tochter Hanni und ihrem Mann abgeholt. In Bergneustadt angekommen begrüßten mich meine Enkeltöchter mit Familie und sogar mit zwei Urenkeln. Wenn es mir gefiele, sollte nun hier meine Heimat sein. Ich lebte mich ein. Hanni und Fritz gingen jeden Tag zur Arbeit und ich blieb den ganzen Tag allein im Haus. Da ich nicht viel Arbeit hatte und auch niemand kannte, ging ich viel spazieren, lernte die Umgebung kennen und freute mich über die Natur. Meine Lieben bemühten sich sehr, mir Freude zu bereiten. Ich war oft bei den Enkelkindern und beschäftigte mich mit meinen Urenkeln. Doch ich war nicht zu Hause.

Ich glaube, ich hatte auch Heimweh, denn mein Sohn war mit seiner Familie immer noch in Rumänien. Die Zeit verging und ich machte nun auch einige Bekanntschaften. Es sollte anders kommen als geplant.

Plötzlich bekam ich eine kleine Wohnung in Bensheim. Meine Kinder richteten die Wohnung ein und machten alles bereit zum Umzug. Fritz und Hanni fuhren mich nach Bensheim, wo ich am 4. Dezember 1988 in die Wohnung einzog.

Dies sollte nun mein Heim sein. Ich freute mich. Ich fand alles darin, was ich zum Leben brauchte. Meine Kinder wollten, daß ich mich wohl fühlte. Auch in meinem neuen Heim lebte ich mich nur langsam ein. Mit der Zeit lernte ich die Umgebung kennen und machte auch einige Bekanntschaften und hatte meine Beschäftigung. In diesem Haus wohnt auch die Mutter vom Schwiegersohn und später zog auch eine Jugendfreundin hier ein.

In Rumänien kam der Zusammenbruch der Regierung. Viele wanderten aus. Auch mein Sohn Hans mit seiner Familie verließen Rumänien. Zurück blieben die alten Leute, unsere lieben Toten und verlassene Dörfer. So hat das Heimweh ein Ende. Meine Lieben sind alle um mich herum und ich kann sagen, daß ich glücklich und zufrieden bin.

Inzwischen war ich nach 45 Jahren schon zweimal in Gellershausen, wo ich die lieben Menschen besucht habe, die mich nach dem Aufenthalt in Rußland aufgenommen hatten. Nun konnte ich ihnen für all die Liebe, die sie mir erwiesen hatten noch einmal persönlich danken. Dort wo ich von Rußland als Skelett und ausgehungert ankam, wo sie damals von allem mit mir teilen mußten, wo ich wieder als freier Mensch eine Zeitlang leben durfte, ist die Freundschaft bis zum heutigen Tage erhalten geblieben.

In Bensheim habe ich nun viele Bekannte, gehe zu den Seniorenveranstaltungen und es gibt vieles mehr über das man sich freuen kann.

Nun will ich Gott danken, daß meine lieben Kinder alle gesund sind und ich sie in meinem Alter um mich haben kann, daß ich noch schöne Tage erleben darf und Deutschland meinen Kindern und mir zur neuen Heimat geworden ist.

Ich freue mich über alle meine sieben Enkelkinder und zur Zeit drei Urenkel. Sie alle sind meine lieben Kinder, über die ich mich freuen kann. Wie lange ich noch leben werde weiß ich nicht, aber bis dahin werde ich mich über jeden Tag freuen. In meinem langen Leben habe ich viel erlebt. Es gab viel Freude aber auch viel Leid.

26. Februar 1994
Johanna Bretz




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