16. Oktober 2001

Entscheidungen zugunsten von Aussiedlern

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat kürzlich zur Frage der Benachteiligung in Anerkennungsfällen Urteile zugunsten von Spätaussiedlern aus Rumänien gefällt. Da volkstumsmäßige persönliche Vereinsamung als nicht ausreichend angesehen wird, sind aufnahmewillige Antragsteller aus Rumänien gezwungen, andere Benachteiligungskriterien vorzutragen bzw. glaubhaft zu machen. In mehreren Fällen haben solche Antragsteller Prozesse in erster Instanz vor den Verwaltungsgerichten gewonnen. Der Freistaat Bayern legte zwar Rechtsmittel dagegen ein, die aber jüngst vom höchsten bayerischen Verwaltungsgericht abgelehnt wurden.
Wie bereits mehrfach in dieser Zeitung berichtet, müssen Spätaussiedler aus Rumänien neben ihrem deutschen Volkstum gemäß § 6 BVFG auch laut § 4 Abs. 2 des gleichen Gesetzes glaubhaft machen, dass sie am 31.12.1992 oder danach Benachteiligungen im Aussiedlungsgebiet wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit unterlagen und/oder an Nachwirkungen früherer Benachteiligungen aufgrund dieser ihrer Volkszugehörigkeit zu leiden hatten. Leider wird seit den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 1998 (DVBI 1998, 727) die volkstumsmäßige persönliche Vereinsamung als nicht ausreichend zur Bejahung des Tatbestandsmerkmals der "Benachteiligung" angesehen, so dass aufnahmewillige Antragsteller gezwungen sind, andere Benachteiligungskriterien vorzutragen bzw. glaubhaft zu machen.
In mehreren Fällen (diese Zeitung berichtete) haben solche Antragsteller Prozesse in erster Instanz vor den Verwaltungsgerichten gewonnen, doch bei bestimmten Fallkonstellationen legte beispielsweise der Freistaat Bayern Rechtsmittel ein.
Noch am 6. September dieses Jahre vertrat das bayerischen Sozialministerium in einem Schreiben an den landsmannschaftlichen Landesvorsitzenden in Bayern, Bernd B. Fabritius, die Ansicht, "dass Rechtsmittel von den Behörden der Ausgleichsverwaltung unter Abwägung schützenswerter Belange der Beteiligten nur dann eingelegt wurden, wenn z. B. die Klärung einer bedeutsamen Frage auch im Interesse der Gesamtheit der Betroffenen herbeigeführt werden muss. Zweifelsohne gehört dazu die Auslegung des Begriffs 'konkrete Benachteiligung' im Sinne des § 4 Abs. 2 BVFG, wie ja auch die höchstrichterlichen Entscheidungen vom 03.03.1998 zeigen... Überdies haben dazu in einigen Fällen bereits vorliegende Berufungsentscheidungen die Notwendigkeit der Rechtsmitteleinlegung durch den Beklagten in aller Deutlichkeit bestätigt."
Dieser Standpunkt ist nun durch das höchste bayerische Verwaltungsgericht, den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, widerlegt worden. In dem Fall einer Siebenbürger Sächsin, die nach Kriegsende deportiert wurde und infolgedessen schwer erkrankte, vertrat der Freistaat Bayern die Auffassung, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Klägerin am 31.12.1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen aufgrund ihrer deutschen Volkszugehörigkeit unterlegen habe. Es sei nicht glaubhaft gemacht worden, so der Freistaat, dass ihre Erkrankung auf den Zwangsarbeitsaufenthalt in der UdSSR zurückzuführen sei. Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach, wo der Fall zugunsten der Antragstellerin entschieden worden war, hätte als erstinstanzliches Gericht ein medizinisches Sachverständigengutachten einholen müssen.
Hierzu hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München in seinem Beschluss vom 10.09.2001, mit dem der Antrag des Freistaates Bayern auf Zulassung der Berufung kostenpflichtig abgelehnt wurde, Folgendes ausgeführt:
„An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel.... Das Verwaltungsgericht ist aufgrund der Einlassung der Klägerin und der Vorlage der ärztlichen Stellungnahme .... zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin zum Stichtag 1992 und auch danach Nachwirkungen früherer Benachteiligungen aufgrund ihrer deutschen Volkszugehörigkeit unterlag. Ein Sachverständigengutachten zum Gesundheitszustand der Klägerin und der Frage der Kausalität zwischen der harten und entbehrungsreichen Zeit während ihrer 4-jährigen Zwangsverschleppung in die frühere Sowjetunion und der bestehenden Krankheitsbilder drängte sich im vorliegenden Verfahren dem Gericht nicht auf. Das Gericht muss Sachverständige zuziehen, wenn die Beurteilung eines konkreten Sachverhalts eine besondere Sachkunde erfordert, die kein Mitglied des Gerichts besitzt. Glaubt das Gericht, selbst die erforderliche Sachkunde zu besitzen - was nach richterlichem Ermessen zu beurteilen ist -, so muss dies im Urteil näher begründet werden. Das Verwaltungsgericht hat bezüglich des Schicksals der Klägerin die herangezogenen Erkenntnisquellen im Urteil benannt und ist aufgrund der Schwere dieses Schicksals, des Erscheinungsbildes der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und der Angaben der Klägerin zu der vertretbaren Erkenntnis gelangt, dass die von ihr vorgetragenen gesundheitlichen Schäden - epileptische Anfälle, Gicht, Rheuma, Angstzustände, Schlafstörungen - glaubhaft und auf die Verschleppung zur Zwangsarbeit zurückzuführen sind. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens hat sich mithin nicht aufgedrängt. .... Im Übrigen lassen sich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nicht mit einer Aufklärungsrüge darlegen, die im Rahmen von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend zu machen ist.
Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten auf, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Die Frage der Verschleppung, der Leistung von schwerster Zwangsarbeit, die die Klägerin sehr anschaulich geschildert hat, und die Kausalität für die aufgetretenen Krankheiten ist gerade im vorliegenden Fall nachvollziehbar und glaubhaft....
Die Rechtssache hat auch nicht grundsätzliche Bedeutung, weil gerade in Fällen dieser Art das Einzelfallschicksal im Vordergrund steht. Die als grundsätzlich bedeutsam und als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob die Feststellung eines medizinischen Sachverhalts durch das Gericht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens möglich ist, stellt sich in dieser Form nicht" .... (so BayVGH, Beschluss vom 10.09.2001, Aktenzeichen: 24 ZB 00.665).
Auch die Fälle der Kinder der vorerwähnten Klägerin wurden zu deren Gunsten auch von der II. Instanz positiv entschieden. Diese hatten von der l. Instanz Spätaussiedlerbescheinigungen als Abkömmlinge gemäß § 15 Abs. 2 BVFG zugesprochen erhalten. Zu den Anträgen des Freistaates Bayern auf Zulassung der Berufung, die kostenpflichtig abgelehnt wurden, führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Folgendes aus:
„An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel, § 124 Abs. 2 Nr. l VwGO. Das Verwaltungsgericht ist in den angefochtenen Entscheidungen zutreffend davon ausgegangen, dass die Kinder von Frau ... einen Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung als Abkömmling haben, weil deren Mutter Spätaussiedler im Sinne von § 4 Abs. 2. § 6 BVFG ist. Die Kläger erfüllen zwar die Voraussetzung des § 4 Abs. 1 und Abs. 2 BVFG nicht (Anmerkung des Verfassers: Nach Auffassung der Gerichte war es diesen beiden Klägern nicht gelungen, die strengen Benachteiligungsvoraussetzungen nachzuweisen.), sie haben jedoch die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen. Die Argumentation in den Anträgen auf Zulassung der Berufung setzt sich inhaltlich nicht mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinander, sondern bezieht sich ausschließlich auf die Mutter der Kläger ... (so BayVGH, Beschluss vom 10.09.2001, Aktenzeichen: 24 ZB 00.663 und 664)."
In einem weiteren vergleichbaren Fall hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 11.09.2001, Aktenzeichen: 24 ZB 00.1409, ebenfalls im Falle einer Siebenbürger Sächsin, den Antrag des Freistaates Bayern auf Antrag der Zulassung der Berufung kostenpflichtig abgelehnt. Zum einen sind die Ausführungen sehr wichtig, weil das Gericht, obwohl die Klägerin in der Zwischenzeit (am 11.05.2000) verstorben ist, ein Rechtsschutzbedürfnis für die Entscheidung bejaht hat (der Freistaat Bayern vertritt in ähnlichen Fällen die Auffassung, die „Hauptsache habe sich erledigt") und darüber hinaus wichtige Hinweise zur Frage der Auslegung des Benachteiligungsparagraphen 4 Abs. 2 BVFG beinhalten. Hierzu wurde im Einzelnen Folgendes ausgeführt:
„Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat, für den trotz des Todes der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen ist, keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht gegeben sind. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass im Falle der Klägerin die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen von § 4 Abs. 2 BVFG glaubhaft gemacht sind. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin am 31.12.1992 bzw. auch noch danach Nachwirkungen früherer Benachteiligungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit unterlegen ist, ist nachvollziehbar. Die Klägerin wurde für einen Zeitraum von 3 ½ Jahren nach Russland zur Zwangsarbeit verschleppt. Für eine Beweisführung der behaupteten Tatsachen genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der behaupteten Tatsachen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 03.03.1998, Aktenzeichen: 9 C 3.97, Schenckendorff C 41.4.40). Der Vortrag der Klagepartei hinsichtlich der Verschleppung, der Zwangsarbeit und der gesundheitlichen Beeinträchtigung aufgrund dieser Zwangsarbeit ist in sich schlüssig und glaubhaft. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung auf Seite 9 im Einzelnen dargelegt, dass nach den fachärztlichen Gutachten die Klägerin eine allgemeine Gelenk- und Wirbelsäuleneinsteifung mit ausgeprägter Wirbelsäulenverbiegung und Buckelbildung hatte. Nach dem fachärztlichen Gutachten vom 28.02.2000 ist es denkbar, dass der Zustand der ausgeprägten der Wirbelsäulenverbiegung nicht zuletzt auf der Zwangsarbeit in der Sowjetunion beruht. Die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, dass sich eine Ursächlichkeit der Verhältnisse der Deportation für später auftretende Krankheitsbilder nach Jahrzehnten im nachhinein medizinisch nachweisbar regelmäßig nicht ermitteln lassen, ist einleuchtend. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass ein Nachweis der Ursächlichkeit vom Gesetz nicht gefordert wird, sondern bloße Glaubhaftmachung genügt. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten des vorliegenden Falles sind nicht erkennbar, so dass der geltend gemachte Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vorliegt. Im Übrigen genügt der Zulassungsantrag in diesem Punkt nicht dem Darlegungserfordernis des § 124 a Abs. l Satz 4 VwGO. Ebenso verhält es sich mit dem Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Im Zulassungsantrag wird nicht einmal eine grundsätzlich bedeutsam und damit klärungsbedürftig aufgeworfene Frage formuliert. Lediglich der Hinweis, dass sich Fälle vergleichbarer Art bayernweit häuften, genügt dem Darlegungserfordernis nicht. Es geht vielmehr immer um Einzelschicksale" (BayVGH, a.a.O.).
Zusammenfassung:
Obige Entscheidungen führen nicht nur zu einer Einzelfallgerechtigkeit, sondern zu der längst erwarteten Klarstellung. Wiederholt wurde auf die Fälle vorliegender Art hingewiesen, die für den betroffenen Personenkreis eine außergewöhnliche Härte darstellen. Die Bemühungen der Landsmannschaft, das Bayerische Staatsministerium zur Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, aufgrund der Richtigkeit dieser Argumentationsweise zu überzeugen, in diesen Fällen kein Rechtsmittel einzulegen oder eingelegte Rechtsmittel zurückzunehmen, haben bislang keinen Erfolg gehabt. Obwohl der Freistaat Bayern selbst ausgeführt hat, dass bayernweit sich vergleichbare Fälle häufen (siehe die Entscheidungsgründe des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes oben), wird in dem bereits zitierten Schreiben des Bayrischen Staatsministeriums vom 06.09.2001 ausgeführt: „Von einer 'Härtefallproblematik' ... kann - was die Anerkennung von Aufnahmebescheidsinhabem aus Rumänien als Spätaussiedler betrifft - im Freistaat Bayern keine Rede sein".
Diese Ausführungen sollen hier nicht näher kommentiert werden. Vielmehr bleibt für den betroffenen Personenkreis zu hoffen, dass die betroffenen Länder, insbesondere auch Bayern, im Aufnahmeverfahren nunmehr aufgrund obiger Entscheidungen die Zustimmung erteilen (für noch Zuzugswillige) und darüber hinaus ihren bisherigen Standpunkt überdenken, um weitere langwierige Gerichtsverfahren bzw. - entscheidungen zu vermeiden.

Dr. Johann Schmidt, Bundesrechtsreferent der Landsmannschaft


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 16 vom 15. Oktober 2001, Seite 4)

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.