19. Oktober 2001

Sprachbilder in siebenbürgisch-sächsischer Mundart

Ein kennzeichnendes Merkmal der siebenbürgisch-sächsischen Mundart ist die Häufigkeit von Sprichwörtern, sprichwörtlichen Redensarten, bildhaften Vergleichen und anschaulichen, formelhaften Ausdrucksweisen in der Volkssprache. Sie machen diese Sprache lebendig, farbig und poetisch. Es lohnt sich also, ihnen nachzugehen, denn sie lassen auch Rückschlüsse zu auf die Wesensart der Sprecher, auf ihr kollektives Selbstverständnis, auf ihre Art, die Welt zu sehen und in ihrer Sprache auf sie zu reagieren.
Schon früh haben sich Volkskundler für die genannte Eigenschaft des siebenbürgisch-sächsischen Dialekts interessiert, haben ihn darauf hin untersucht und Beispiele gesammelt. So veröffentlichte Josef Haltrich (1822-1886) eine stattliche Sammlung solcher Sprachproben unter dem Titel "Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten, formelhafte Ausdrucksweisen, Interjektionen und Rätsel". Gleichzeitig regte er zu weiterem Sammeln an, indem er darauf hinwies, dass "gegenüber der unendlichen Fülle von Sprichwörtern, Rätseln, Umschreibungen und Vergleichungen, die unser Sächsisches besitzt, ...das, was (diese) Sammlung enthält, nur wie ein Tropfen aus dem Meer geschöpft" sei.
Später haben sich vor allem auch die Linguisten der Nösner Schule verdienstvoll um das Sammeln von Sprichwörtern und Wortwendungen bemüht, so Gustav Kisch ("Nösner Wörter und Wendungen", 1900) und sein Schüler Richard Huß ("Nordsiebenbürgische Sprichwörter", 1929). Wander hat in seiner Riesensammlung - er publizierte das größte deutsche Sprichwörterbuch - auch einige Sprichwörter aus dem Siebenbürgisch-Sächsischen aufgenommen. Das "Siebenbürgisch-sächsische Wörterbuch" (bislang bis zum Buchstaben M erschienen) enthält Sprachproben aus allen Bereichen, einschließlich Sprichwörter, doch verlieren sich diese im großen Sprachmaterial, das vom Wörterbuch erfasst wird. Es muss demnach mit Bedauern festgestellt werden, dass uns ein siebenbürgisch-sächsischer Sprichwörterlexikon, das gegebenenfalls auch sprichwörtliche Redensarten und Wortwendungen enthalten könnte, bislang fehlt.
Sprichwörter sind feste Satzkonstruktionen mit zumeist lehrhafter Tendenz, die als Mikrotext zitiert werden, zum Beispiel: De geat Getter säkt em äm Staul; Alt Scheiern brän um ärchsten; Ihr (Ehre) äs mie wä Bauflisch, awer Ihr uch Bauflisch schod net. Aus Sprichwörtern können sich phraseologische Wendungen entwickeln: Se hun noch näkest gedielt, denn: Bäm Dielen dielt em zeklich de Frängdscheft; Än de Weden sätzen, denn: Wie än de Weden sätzt, kaun leicht Flure schneden.
Sprichwörtliche Redensarten sind keine Sätze, sondern Wortgruppen, bildliche Wendungen, wobei es heute oft nicht leicht ist, das Bild richtig zu erklären, sodass das Bildhafte häufig eine volksetymologisch neue Deutung erhält. Die lehrhafte Tendenz des Sprichworts fehlt. Beispiele: Krin äm Hift oder äm Brode loan (von Brodem, nicht von Broden).
Sprichwörter und Redensarten werden in Sammlungen nach unterschiedlichen Gesichtspunkten klassifiziert. So ist beispielsweise eine Anordnung nach sprachwissenschaftlichen Kriterien möglich. Nach inhaltlichen Kriterien werden sie meist alphabetisch aneinandergereiht, wobei ein Stichwort in der betreffenden Konstruktion ausschlaggebend ist. Haltrich ordnete seine Sammlung nach 30 mehr oder wenige willkürlichen Themenkreisen so: 1. Groß und klein; 2. Nase und Augen; 3. Schön und hässlich etc. bis 29: Vom Schlafen; 30. Vermischtes.
In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, Sprichwörter und Redensarten nach zehn verallgemeinernden Kriterien zu erfassen. Sie dienen der inhaltlichen Charakterisierung der Sprichwörter und Redensarten. Die Kategorien überlappen sich und lassen sich nur didaktisch trennen. So ist beispielsweise das Bildhafte des Ausdrucks, hier eine gesonderte Kategorie, tatsächlich für alle oder die meisten Gruppen kennzeichnend, ebenfalls der Spaß und der Humor etc.
Sämtliche Sprichwörter und Redensarten, die hier als Beispiele angeführt werden, wurden in Schäßburg gesammelt, wo sie vor wenigen Jahren noch in Umlauf waren.
Beispiel- oder Gleichheitsredewendungen (Häufigkeit des Vergleichs und der Hyperbel): Trefen, wä de blaingt Kroh den Staken - zufällig; wä en gebot Mäsch - pudelnass; wä en Feferkett - intelligent, munter, spritzig; lachen, wä wonn der Däpner ämstälpt - gezwungen lachen; nogien wä en Heltner Deach - nachlassen, Erwartungen in abnehmendem Maße erfüllen; Kängder wä de Orjelfluren - Kinder in allen Größen; hiesch wä en Bireschoaßelt - hässlich wie eine Vogelscheuche; wä wonn em Arbes ken de Wand schmeißt - tauben Ohren predigen, vergebliches Bemühen.
Auf dörflich-bäuerliche Lebensweise bezogene Anschauungsbilder in Sprichwörtern und Wendungen: Emestrem äm Kukuruz erämtapeln - sich in eine Beziehung einmischen; zarieden wä em kranken Roß - beharrlich zureden; bäs det Gras wiest, äs der Hoast krepiert - späte Maßnahme; zesummenhalden wä der Schwengsmäst - zusammenhalten wie Pech und Schwefel; mät Lijen fittern - minderwertiges Futter verfüttern; net vun der Keah gebässen senj - nicht verrückt sein; um Aingd platscht de Gießel - das dicke Ende kommt zuletzt.
Spaß und Humor in Redensarten: Af Ziehnespätzkern änt Bat gohn - vorsichtig, nachdem man Palukes gegessen hat, der nicht "vorhält"; en Flur mät er Hink - erstunken und erlogen; den Maiskern zem Backe machen - weinen; än de dannerich Kiel kun - sich verschlucken und husten; e set wä en Schliddendießelt - mürrisch dreinschauen; e kitt mer noch eangder det Klarinett - jemandem den Trauermarsch blasen; mer seng jo uch net Mästtuppes - wohlgeboren; dat sich de Giesen froareißen, dat de Wärre mazen - falsch singen.
Lehrhaftigkeit in Sprichwörtern und Wendungen: Hut er Lengdächer statt Diren? - wenn man die Türe nicht schließt; Mäschen eangder der Kapp - Gruß ohne die Kopfbedeckung abzunehmen; de Kripes um Seangtoch hosten hieren - übergescheit; em dinkt, e hat Burchert (Tollkirschen) gesofen - wie nicht normal; di sal mer nemmi iwer den Dirpel strurkeln - er soll mir nicht mehr ins Haus kommen.
Bildhaftigkeit, Anschaulichkeit, eigentlich für alle Redensarten und Sprichwörter kennzeichnend, die durchwegs konkret und nicht begrifflich-abstrakt sind: wä der Kradder äm Porl - munter und kerngesund; aft Hemelz gohn - Selbstmorddrohung; af der Bank loan - aufgebahrt sein; no dem Ren breocht em niche Mankel - verspätete Maßnahme; Elend, spann de Gieß un - blanke Armut.
Varianten hochdeutscher idiomatischer Wendungen: Deankel wä än er Bäffelkeah - dunkel wie in einer Kuh; der Heangd scheißt äng af den däcksten Tuppes - der Teufel scheißt stets auf den großen Haufen; Rotz aft Back schmieren - jemandem Honig/Brei um den Bart/ums Maul schmieren; de Voaltcher vun eangden rechen - sich die Radieschen von unten ansehen.
Lehnredewendungen aus anderen siebenbürgischen Sprachen: Et äs niche Kirchendir - kein Unschuldslamm (aus dem Rumänischen); mät Firzen gälft em nichen Oar - aus nichts wird nichts (aus dem Ungarischen); en pustig Hift - verrückt (aus dem Ungarischen/Rumänischen); kaptschulich machen - Verrückt machen (aus dem Rumänischen).
Nachweislich ortsgebundene Redensarten (hier von Schäßburg): Zem af de Schil schäcken - etwas für missraten halten (man pflegte z.B. einen missratenen Kuchen den Schülern auf den Schulberg zu schicken); Schkobaten gohn - Maifest feiern (von scopa = Besen; Schüler sammelten früher Reisig für Besen zum Kehren der Schule); Törle gohn - schwänzen, durch das Törletor zwischen Fleischer- und Kürschnertor entwischen; alt wä de Keakel; wonn de Keakel afenzea flesst; ken Hermestadt fähren - in die Irrenanstalt nach Hermannstadt führen; wä wonn der Schaaser iwer de Bach pespert - laut. Um diese Ausdrücke zu verstehen, ist auch die Kenntnis entsprechender örtlicher Anekdoten nötig.
Drastische, derbe Redewendungen: de Laft buserieren - fruchtlose Beschäftigung; de Dir ken den Orsch schlon - hinausschmeißen; sich en Reat af den Orsch knäppen - sich ein ständiges Ärgernis schaffen; af den Furz gepost - eine schwache Basis.
Zitatenredewendungen (aus Märchen, Anekdoten, Schwänken, schriftlicher oder mündlicher Überlieferung - sie setzen die Kenntnis der literarischen Vorbilder voraus): mät Fäderwäsch uch Hanklichbrat - mit einem Feigenblatt bekleidet (nach dem siebenbürgisch-sächsischen Volksmärchen, in dem irrtümlich die alte Kleidung fortgeworfen wird, bevor es neue Kleider gibt); räckt, ihr Däpcher - gewaltsam Platz schaffen (ebenfalls in einem sächsischen Volksmärchen wird das gesamte irdene Geschirr zornig zerschlagen, weil es dem kleinen Töpfchen keinen Platz machen will); dat hat der Midi glech gehiert - man hört sofort, was man hören will (in einer Zigeunergeschichte stellt sich der Midi bei der Musterung taub, wird aber vom Arzt entlarvt, indem dieser eine Münze fallen lässt, nach der sich der Simulant sofort bückt); det Hoppla-Schatzi äs verbä - die Zeit der liebevollen Zärtlichkeit ist vorbei (Ein junger Ehemann fragt seine Frau, die sich an einem Stein stößt, mitfühlend: Hoppla, Schatzi, host tea der wih gedon? Einige Jahre später heißt es dann bei einem ähnlichen Zwischenfall: Hos tea niche Uchen äm Hift? Hiev de Fess!); mir Apel - eingebildete Zugehörigkeit (Äpfel und Pferdeäpfel schwimmen einträchtig flussabwärts. Auf die Frage, was die Pferdeäüfel da zu suchen haben, erfolgt die selbstbewusste Antwort: Mir Apel schwämmen mät. Im Hochdeutschen: "Wir Äpfel kommen von Straßburg, sagte der Rossdreck, als er auf dem Rhein dahergeschwommen kam." Oder: "Heute haben wir schön gespielt, sagte der Balgtreter zum Organisten.")
Sprichwörter und Redensarten gehören zu unserem kulturellen Erbe. Sie legen Zeugnis ab über Volkswitz und Volksmentalität und sind ein Stück Volkspoesie. Sie sollten nicht als "unmodern", überholt, veraltet betrachtet werden. Auch heute sind sie aussagekräftiger als kurzlebige Modeausdrücke. Publizierte Sammlungen von Sprichwörtern und Wendungen tragen zur Bewahrung dieses Sprachguts bei, sind aber beileibe keine "Lehrbücher", d.h. die bildhafte Sprache lernt man nicht aus einem Buch, sondern aus der lebendigen mündlichen Sprache des Alltags. Oder fehlen heute die dazu notwendigen Voraussetzungen, weil die ursprünglichen siebenbürgisch-sächsischen Sprachgemeinschaften nicht mehr bestehen?

Walter Roth


(gedruckte Ausgabe. Siebenbürgische Zeitung, Folge 16 vom 165. Oktober 2001, Seite 11)

Veranstaltungstipp: 19. Oktober, 18.00 Uhr, Haus des Deutschen Ostens: Mundartdichterlesung mit Maria Gierlich-Gräf, Stefan Hann, Doris Hutter, Hilde Juchum, Oswald Kessler, Richard Sonnleitner; musikalische Umrahmung: Peter Szaunig (Klavier). Anschrift und Verkehrsanbindung: Haus des Deutschen Ostens, München, Am Lilienberg 5, S-Bahn-Haltestelle "Rosenheimer Platz".

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