14. August 2002

Suche, es gibt noch Dümmere...

Spontane Marginalien zur Pisa-Studie / Seien wir ehrlich. Viele von uns Siebenbürgern hat die sogenannte Pisa-Studie, wodurch die geistige Beschränktheit in diesem Lande öffentlich gemacht wurde und somit allgemein zur Kenntnis genommen werden musste, nicht gerade überrascht.
Was überraschend kam, war eher die Tatsache, dass die Mehrheitsbevölkerung sich mit Fakten konfrontiert sah, die man sonst durch Arroganz und Überheblichkeit allemal vertuscht hatte. Durch die bekannte herablassende Art – z.B. Frage eines Lehrers an ein Aussiedlerkind am Münchner Willi-Graf-Gymnasium, 1990: „Gibt es in Siebenbürgen auch Straßen?“ –, und mit anmaßender Selbstherrlichkeit versuchte man immer wieder, „andere“ über die eigene Unwissenheit hinwegzutäuschen.

Das einstige „Volk der Dichter und Denker“, nach 1933 langsam zum Volk der Untertanen und Massenmenschen und leider auch der Dummen mutiert, besitzt heute laut Angaben der Weltbildungsorganisation Unesco die stattliche Anzahl von über 4 Millionen deutschen Analphabeten (Frankfurter Rundschau, 1.9.2001), 23 Prozent der 15-Jährigen „können keinen einfachen Text verstehend lesen“, d.h. sie lesen die Wörter, wissen aber dann nicht, was sie im Zusammenhang bedeuten, 42 Prozent dieser Jugendlichen lesen „nicht zum Vergnügen“, also nur, wenn sie aus irgendeinem Grund dazu gezwungen sind (Journalist, 7/2002) usw. usf.

Ich habe während meiner Feldforschungen und volkskundlichen Wanderungen, 1968-1989 – und dabei wurden von mir immerhin über 600 Rumäniendeutsche, d.h. Sachsen, Landler, Zipser, Sathmarschwaben u.a. befragt – einen einzigen Siebenbürger Sachsen angetroffen, der nicht lesen und schreiben konnte: Es war der Gemeindehirte von Gergeschdorf, Matthias Wagner, ein bescheidener, freundlicher Mann mit einem ausgezeichneten Gedächtnis, der spannend und intelligent erzählen konnte; er hatte die Dorfschule in der zweiten Volksschulklasse verlassen, weil er selbst sein Brot verdienen musste.

Als ich 1978 einmal mit Adalbert Millitz, dem Sekretär des „Landesrates der Werktätigen deutscher Nationalität“, in Bukarest ein Gespräch hatte und ihm von diesem siebenbürgischen Analphabeten erzählte, sagte er, es gäbe in Rumänien sogar zwölf deutsche Analphabeten, und einige Tage später nannte er mir am Telefon ihre Namen. Danach lernte ich noch den Forstbrigadier Rudolf Jachmannowsky in Oberwischau (Maramuresch) kennen, der keine Schule besucht hatte, doch ein geschätzter Facharbeiter und ein hervorragender Erzähler war; von ihm habe ich dann auch einen Text in eines meiner Bücher aufgenommen.

Wer einen Taschenrechner besitzt, kann nun selbst den Prozentsatz der rumäniendeutschen Analphabeten im Jahr 1978 ausrechnen; die damalige Gesamtzahl der rumäniendeutschen Einwohner betrug rund 370 000. Unter den Einwohnern Deutschlands gibt es heute, das wurde bereits berechnet, 5 Prozent statistisch erfasste Analphabeten, und um Missverständnissen vorzubeugen, sei auch gleich gesagt, dass es sich hier nicht etwa auch um „Ausländer“ handelt, denn die können ja in ihren Sprachen lesen und schreiben.

Über das Schulwesen der Siebenbürger Sachsen und die Schulordnung Johannes Honterus’ aus dem Jahr 1543 – als es bereits in etwa 120 sächsischen Ortschaften allgemeinen deutschen Schulunterricht gab, wobei der Unterricht sogar in Zeiten feindlicher Belagerung in der Kirchenburg fortgesetzt wurde –, darüber kann man in der einschlägigen Literatur nachlesen. Oder man kann nach Siebenbürgen fahren, um in den Kirchenburgen jene bescheidenen Räume zu besichtigen, in denen einst gelehrt und gelernt wurde, während die Eltern der Schüler von den Mauern herab sich gegen die Feinde wehren mussten.

Viele von uns haben, nach ihrer Ankunft in Deutschland, wenigstens einmal die enttäuschende Erfahrung gemacht, dass eingeborene Bundesbürger oft noch nie etwas von Siebenbürgen oder den Siebenbürger Sachsen gehört hatten. Angesichts dieses totalen Unwissens über eine alte Kulturlandschaft am Rande der Karpaten standen wir dann meistens ein wenig hilflos da und meinten, Siebenbürgen sei wahrscheinlich so „unbedeutend“, dass „die allwissenden Bundesdeutschen“ es bisher einfach nicht wahrgenommen haben.

Doch diese Vermutung erwies sich sehr bald als falsch, weil man irgendwann feststellen konnte, dass viele Deutsche auch keine Ahnung haben, wer z.B. Rainer Maria Rilke war, oder Robert Musil, Hermann Hesse, Franz Werfel, ganz zu schweigen von Walther von der Vogelweide, oder, um in Bayern zu bleiben, vom Wessobrunner Gebet, einem der bedeutendsten althochdeutschen Texte aus dem 9. Jahrhundert. Und wir haben es ja selbst erlebt, wie die drittklügste Gymnasialschülerin Deutschlands in einer Fernsehsendung sagte, die Hauptstadt Ungarns sei Sofia. Als ich das einem ungarischen Freund erzählte, meinte er: „Jetzt kannst du dir vorstellen, wie klug erst die andern sind...“ Wer außerdem die Sendungen mit Günther Jauch regelmäßig verfolgt hat, musste immer wieder staunen: Einmal wurde Rostock mit Wladiwostok verwechselt, ein andersmal war die Lärche kein Kiefergewächs sondern ein Vogel (die Lerche) usw. Und auch die Dummheit wurde belohnt.

Vor einiger Zeit zitierte ich in einem Kreis von politisch Tätigen einen Ausspruch von Kaiser Franz Joseph, der als Monarch immerhin über 60 Jahre lang in einem riesigen europäischen Reich geherrscht hatte. Es gab allgemeine Verwunderung und man fragte mich: „Heißt der ‚Kaiser Franz’ auch Josef?“ Man kannte nur den „Kaiser Franz“ Beckenbauer, doch den hatte ich nicht gemeint, und ich hätte ihn auch niemals zitiert.

Kurt Nussbächer, ein Mann, der gern humorvolle Anekdoten erzählte und sich im Laufe der Jahre viel Wissen angeeignet hatte, fuhr einmal im D-Zug von Köln nach München. Irgendwann stieg ein Fahrgast zu, und die beiden kamen ins Gespräch. Es war ein deutscher Geschichtslehrer, etwa vierzig Jahre alt, ein Studienrat, der dem siebenbürgischen Aussiedler gegenüber saß und sich sehr wunderte, als er zum erstenmal von den Siebenbürger Sachsen hörte. Kurt Nussbächer, der aus einer alten Kronstädter Bürgerfamilie stammte, tat nun das, was wahrscheinlich jeder von uns getan hätte: Er versuchte, dem deutschen Geschichtslehrer möglichst viel über die Heimat und Kultur seines Volkes zu erzählen, er begann mit der Einwanderung im 12. Jahrhundert und schloss dann mit den Deportationen, Januar 1945, und den Folgen der beiden totalitären Regime, vor und nach 1945. Als der Geschichtslehrer irgendwann ausstieg und sich verabschiedete, sagte er zu Nussbächer: „Sie haben ja sehr schön und interessant erzählt, aber für mich sind Sie doch nur ein Rumäne, der gut deutsch spricht.“ Er hatte nichts begriffen.

Nussbächer war noch gut davongekommen, könnte man sagen, denn ein anderer Siebenbürger, der selbst im Lehramt tätig ist, bekam einmal von seinen politisch grüngefärbten Kollegen richtig Schelte. Man sagte ihm, dass die Siebenbürger Sachsen in den 850 Jahren doch „genug Zeit hatten, um sich in die rumänische Gesellschaft zu integrieren; dann wäre ihnen auch die Aussiedlung erspart geblieben“. Und zum Thema Zigeuner musste er von einem Kollegen, der vorher Rumänien bereist hatte, hören, dass die sächsischen Häuser und Höfe, nach der Deportation ihrer Besitzer „zur Aufbauartbeit“ in die Sowjetunion, „jahrelang von den Roma verwaltet und dann selbstlos den Deutschen wieder zurückgegeben wurden“.

Nun, das Thema Schulwesen, Lehrer und Allgemeinbildung in Deutschland ist schillernd und lang, man kann darüber Tage und Wochen diskutieren, man könnte zwischendurch Ferien machen, und es wäre immer noch kein Ende in Sicht.

Als nach unserer Aussiedlung am 1. Mai 1990 mein Sohn in ein bekanntes Münchener Gymnasium kam, wurde sein erster Schulaufsatz mit einer Eins benotet; und eine Eins bekam er auch in... Religion. Er, der von einigen Mitschülern öfters als „Scheißrumäne“ beschimpft wurde, verfügte über bessere deutsche Sprachkenntnisse als die meisten Schülern. Er kam aus einer kommunistischen Diktatur in ein katholisches Land, und selbst sein Wissen im Fachbereich Religion war etwas fundierter, als jenes der Mitschüler. Und dabei hatte er „nur“ zeitweilig den Unterricht bei Stadtpfarrer Günther Ambrosi besucht – die halboffiziellen Religionsstunden, die von den staatlichen Behörden stillschweigend toleriert wurden. Die Schule aber, die mein Sohn bis zur Aussiedlung besucht hatte, war das Bukarester „Industrielyzeum Nr. 34 mit deutscher Unterrichtssprache“.

Im Jahr 1993 unternahmen wir eine Reise nach Israel und fuhren dort mit einem Mietwagen durchs Land. Mit dabei war ein bayerischer Freund meines Sohnes, Ralf R., ein netter und aufgeweckter Junge, seine Mutter ist eine bekannte Architektin. In der Ruine der Synagoge von Kapernaum, einem historischen Ort am Nordwestufer des Sees Genezareth, erzählte ich einiges über den kleinen aufsässigen Wanderrabbi namens Jesus und sein vielfältiges Wirken. Dabei musste ich sehr bald feststellen, dass Boris, der ein Jahr vorher konfirmiert worden war, weder das evangelische Glaubensbekenntnis kannte, noch etwas Genaueres über diesen Jesus wusste. Ich fragte ihn, was sie im Konfirmantenunterricht so gelernt hatten. Er sagte, man habe sehr viel über die Dritte Welt, über zwischenmenschliche Toleranz, auch Homosexuellen gegenüber, Ausländerfeindlichkeit und -freundlichkeit diskutiert, und wenn man sein eigenes Geld verdient, müsse man dann Kirchensteuer zahlen, mehr sei da nicht gewesen.

Als ich vor bald dreißig Jahren nach einer Tagung in Deutschland den Literaturhistoriker Prof. Alexander Ritter in Itzehoe besuchte, sagte er über die Verhältnisse an deutschen Universitäten: „Sie haben ja keine Ahnung, was für Heinis da habilitiert haben und Professoren sind“. Ich wusste damals nicht, worum es eigentlich ging, doch als ich dann 1994 an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität im Fach Europäische Ethnologie promovierte, hatte ich in der freien Wildbahn so manches schon erlebt. Da gab es z.B. einen Professor für moderne Literatur, der beim Stichwort „Bukowina“ meinte, Elias Canetti, 1903 in Rustschuk geboren, stamme aus der Bukowina, „denn Rustschuk ist ja ukrainisch“. Als ich ihm sagte, Rustschuk liegt in Bulgarien, widersprach er mir heftig, und ich muss eingestehen, ich ließ mich in kein Streitgespräch ein, denn das hätte mir vielleicht bei einer Prüfung, wäre er mein Prüfer gewesen, geschadet. Der bekannte Professor meinte auch, Paul Celan sei Franzose gewesen, und so sprach er seinen Namen „Sselon“ aus, von Antschel hatte er nie etwas gehört, und er sagte, was mich besonders berührt hat, weil es die Heimatstadt eines Großvaters von mir ist, er sagte, Czernowitz sei eine „asiatische Stadt“ gewesen, „wo die slawischen und rumänischen Kulturen sich gegenseitig befruchtet haben“. Nun, ich glaube, ich schließe mit dieser „Befruchtung“ und lasse die anderen Missgeburten ruhen.

Im Sommer 1993 hatte ich ein Gespräch beim Eugen Diederichs Verlag, München. Zwei Jahre vorher war dort mein Band „Märchen der Rumäniendeutschen“ erschienen, und nun sollte ich einen Sagenband herausbringen. Der freundliche Verlagsleiter Thomas Kniffler machte mich mit einer neuen jungen Mitarbeiterin bekannt: „Unsere Expertin für Osteuropa und die Völker, die dort leben. Mit ihr werden Sie gut zusammenarbeiten.“ Die rothaarige und charmante Frau B. brachte mir eine Tasse Kaffe, wir saßen einander gegenüber, sie zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich zurück und sagte mit einem hübschen Lächeln: „Man weiß ja schon einiges über Siebenbürgen, Graf Dracula und so. Aber wie sind eigentlich diese Deutschen hingekommen? Kann es sein, dass sie nach dem letzten Weltkrieg hin deportiert wurden?“

Was antwortet man einer „Expertin für Osteuropa“ in einem elitären Verlag, der seit über hundert Jahren besteht, auf so eine Frage? Ich musste kurz an Kurt Nussbächer und seine Zugbekanntschaft denken, dann aber erwiderte ich: „Dracula hat mit den Siebenbürger Sachsen, oder mit den Rumäniendeutschen nichts zu tun! 1897 veröffentlichte der englische Schriftsteller Bram (Abraham) Stoker seinen Erfolgsroman über den Vampir ‚Dracula’. In meinem Märchenband gibt es ein Nachwort, wo man einiges über die Siebenbürger, die Banater und die anderen deutschen Bevölkerungsgruppen nachlesen kann.“ Die Lektorin war sichtlich erfreut, sie hatte nicht daran gedacht, das einzige Buch bei Diederichs, in dem von Rumäniendeutschen die Rede ist, vorher in die Hand zu nehmen.

Doch kehren wir trotzdem noch einmal kurz zum Hochschulwesen zurück. Denn diese Geschichte sollte hier noch erzählt werden.

Es war 1961, als ich in Bukarest Germanistik studierte. Da besuchte uns einmal eine Gruppe deutscher Studenten. Meine Studienkolleginnen und -kollegen dachten, bei dieser Gelegenheit etwas zu erfahren, was sie noch nicht wussten. Man hatte wenig Zugriff auf Bücher westlicher Schriftsteller. Ingmar Brantsch, damals ein junger Lyriker und Germanistik-Student, hatte mir Günter Grass’ soeben erschienene Novelle „Katz und Maus“ ausgeliehen, von Georg Hoprich bekam ich den Band „Die Vorzüge der Windhühner“. Man traf sich im Schillerhaus, in der Kneipe Bumbesti auf der Calea Rahovei oder im Cismigiupark, man las gemeinsam die frühen Gedichte von Ingeborg Bachmann und Paul Celan und versuchte, so gut es ging, sich über „die andere“ zeitgenössische Literatur zu informieren. Nun aber sollten uns jene besuchen, von denen man meinte, sie wüssten viel, jedenfalls viel mehr als wir, mussten sie doch nur die Hand ausstrecken, um an ein Buch von Grass, Bachmann, Enzensberger, Domin oder Artmann zu kommen.

Ich habe die Begegnung mit jenen Studenten, als auch unsere Lehrer Viktor Theiß, Hans Müller und Heinz Stanescu anwesend waren, nicht vergessen. Die deutschen Gäste hatten zwar ständig Meinungen und Standpunkte, die sie selbstsicher von sich gaben, sie versuchten auch immer wieder das Gespräch auf Mao und Che Guevara zu lenken, und von den beiden wussten nun wir viel zu wenig, doch die Bücher jener Autoren, über die gesprochen und geurteilt wurde, hatten nur wir gelesen, und wir lebten damals hinter dem „Eisernen Vorhang“. Das vielversprechende Treffen geriet langsam zur Farce, und ich höre jetzt noch Viktor Theiß einige Tage danach sagen: „Es waren eben ‚Linke’.“ „Und müssen ‚diese Linken’ nicht auch lesen, wenn sie studieren?“ fragte ich. „Anscheinend nicht,“ lautete die Antwort, kurz und bündig.

Was aber haben wir, trotz einengender Bestimmungen, schließlich doch alles lernen können und lernen dürfen – beim Studium in Bukarest, von unseren Hochschullehrern Bruno Colbert, Viktor Theiß, Sevilla Baer-Raducanu, Emilie Savin, Heinz Stanescu, um nur einige zu nennen. Und vorher noch von unseren Lehrern in Kronstadt – was waren das für bescheidene, kluge und wunderbare Menschen, nicht alle, aber doch die meisten. Ich will hier nur an unseren Naturkundelehrer Michael Jakobi erinnern, an den Zeichenlehrer Helfried Weiß, an die Deutschlehrerin Hiltraut Brantsch, an Prof. Rudolf David, der auch am Abendlyzeum „Sachsengeschichte“ unterrichtete. Und ich muss wieder einmal sagen, dass unser Schulwissen damals, in Rumänien, in der tiefsten kommunistischen Diktatur, weitaus vielfältiger, geordneter, systematischer, prägender und auch von bleibendem Bildungswert war, vergleicht man es mit dem, was hierzulande heute den Schülern geboten wird, Schüler, die obendrein auch noch „kein Bock“ zum Lernen und alle paar Monate Ferien haben.

In der Sendung Blaulicht (TV München) vom 21. Juli 2002, 20.15 Uhr, führte Moderator Robert Link die Zuschauer ins Rotlicht-Millieu der bayerischen Landeshauptstadt. Denn es gibt Ärger mit illegal eingereisten Mädchen aus Bulgarien, die ihre Liebesdienste ausgerechnet in einem Wohnviertel anbieten und nicht in jenen dafür bestimmten Straßen. Die Freier dieser dunkelhaarigen Schönen aber sind, so Link, meist türkische Männer und Mitbürger. Dazu äußerte sich dann der Polizeisprecher der Landeshauptstadt bzw. der Sprecher des Kreisverwaltungsreferates und erklärte den Zuschauern unter anderem, dass es zwischen den Straßenmädchen und den Türken „keine Verständigungsschwierigkeiten“ gäbe, „weil die Sprachen Bulgarisch und Türkisch sehr ähnlich sind“.

Irgendwann hatte ich begonnen, die öffentliche Dummheit in Deutschland zu archivieren, Aussprüche von Politikern, von sogenannten Promis und auch Zeitungszitate zu sammeln. Nach einigen Jahren erkannte ich die Aussichtslosigkeit dieses Vorhabens: Wer würde schließlich die real existierende Unwissenheit in diesem Lande gern hören? Kaum jemand. Trotzdem will ich hier noch zwei Belege aus meinem Fundus wiedergeben. In einem ausführlichen Bericht über den Bildhauer Ingo Glass konnte man in der Süddeutschen Zeitung (4./5.7.1998) lesen, dass „die im Osten entspringende und im Westen mündende Donau“ den „Lebensweg“ des Künstlers „symbolisiert“. Dabei fließt die Donau nicht etwa durchs ferne Siebenbürgen, von dem man ja nichts gehört hat, weil es so „unbedeutend“ ist, sondern die Donau fließt auch durch Bayern, und da sollte man selbst bei der Süddeutschen wissen, woher sie kommt und wo sie mündet. Doch es wird noch lustiger, denn Glass’ berühmte Großplastik „Septenarius“, so die Süddeutsche, besteht aus „Türmen, die die Verbindung von Kommunismus und Demokratie symbolisieren“. Gregor Gysi lässt grüßen.

Ich will nun schließen, und da fällt mir noch ein, was der bekannte Religionswissenschaftler Romulus Vulcanescu 1987 gesagt hat: „Das Problem ist Folgendes: Die Dummen halten sich für die Klugen. Und diese Einstellung geben sie nicht ohne weiteres auf. Sie werden nie begreifen, dass sie die Dummen sind und nicht die Klugen. Man kann sich nur so trösten, indem man immer wieder wie in jenem Märchen sagt: ‚Suche, es gibt noch Dümmere...’“ Mein alter, weiser Freund Vulcanescu, der leider nicht mehr lebt, hatte aber damals Rumänien gemeint, und die selbstherrliche Nomenklatur jener Zeit.

Diese spontanen Randbemerkungen zu einem nicht ausdiskutierten Thema werden weder die Verhaltenweisen jener Fußball-Fans verändern, die mit dem Hitlergruß den „Endsieg gegen Brasilien“ prophezeien wollten, noch werden unsere Mitbürger plötzlich das Nachdenken proben, denn mittlerweile ist eines deutlich geworden: das geschriebene Wort bewirkt höchstens peinliche Diskussionen á la Walser, oder es ruft die unerkannten Möllemänner auf den Plan. Beides aber hilft uns nicht weiter, es sei denn wir würden uns selbst weiterhelfen, indem wir uns eines Tages wieder auf unsere Traditionen und ethischen Werte rückbesinnen. Dieser Versuch könnte sich tatsächlich lohnen.
„Kennen Sie übrigens die neue Deutsche Hymne?“ witzelte kürzlich ein Nachbar: „Pisa, Pisa über alles...“ Ich muss gestehen, mir kam es nicht zu lachen. „Armes Deutschland,“ schrieb ein anonymer Autor in der Neuen Kronstädter Zeitung. Doch noch mehr bedauere ich unsere Kinder und Kindeskinder, die hier heranwachsen und hier zur Schule gehen. Sie werden wohl kaum solche Lehrer haben, wie wir einst in Siebenbürgen hatten. Gehören sie dann aber eines Tages auch zu jenen „Klugen“, die nicht wissen, wo die Donau entspringt und wo Budapest liegt? Ich befürchte es – und es wäre fürchterlich.

Claus Stephani


(Siebenbürgische Zeitung, Folge 13 vom 15. August 2002, Seite 9)

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