16. September 2002

Zuzug von Aussiedlern erheblich erschwert

Das neue Zuwanderungsgesetz (Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern), das am 20. Juni 2002 von Bundespräsident Johannes Rau unterzeichnet wurde, tritt zum 1. Januar 2003 in Kraft. Die Auswirkungen auf das Bundesvertriebenengesetz, insbesondere soweit Deutsche aus Rumänien betroffen sind, werden von Rechtsanwalt Dr. Johann Schmidt, dem Bundesrechtsreferenten der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland (LAG und BVFG), kommentiert. Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich bezüglich des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, der durch das neue Gesetz für Deutsche aus Rumänien ausgehöhlt wird.
Vorab einige Worte zum Gesetzgebungsverfahren: Das derzeit gültige Gesetz wird (voraussichtlich) am 1. Januar 2003 in Kraft treten. Das Zustandekommen des Gesetzes (Abstimmungsverhalten des Landes Brandenburg im Bundesrat) wird von den unionsgeführten Bundesländer beanstandet. Sie beabsichtigen daher, den diesbezüglichen Vorgangs durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Eine inhaltliche Überprüfung sei allerdings nicht geplant.

Im Falle eines Regierungswechsels nach den Wahlen vom 22. September 2002 haben die Unionsparteien Veränderungen des Zuwanderungsgesetzes angekündigt. Nachdem das Gesetz derzeit jedoch gültig ist, beziehen sich die folgenden Ausführungen selbstverständlich auf den Text des jetzigen Zuwanderungsgesetzes.

Konkrete Änderungen des BVFG durch das Zuwanderungsgesetz:


- Paragraph 4 Abs. 3 Satz 2 BVFG erhält eine neue Fassung. Danach erwerben nichtdeutsche Ehegatten oder Abkömmlinge von Spätaussiedlern, die nach Paragraph 27 Abs. 1 Satz 2 in den Aufnahmebescheid einbezogen worden sind, die Rechtsstellung als Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes mit ihrer Aufnahme im Geltungsbereich des Gesetzes, somit mit Zuzug, sofern die Einbeziehung nicht unwirksam geworden ist.

- Gemäß Paragraph 6 Abs. 2 Satz 1 in der Neufassung muss der Spätaussiedlerbewerber von mindestens einem deutschen Elternteil (deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger) abstammen. Die Abstammung von der Generation der Großeltern reicht somit nicht mehr aus.

- Paragraph 9 Abs. 1 betrifft Änderungen zur Integrationsförderung. Tatsächlich sieht die Neuregelung Kürzungen der diesbezüglichen Leistungen vor. Diese kritisiert im übrigen auch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen in einer Pressemitteilung vom 30.08.2002.

- Von der Änderung der Integrationsförderung sind Deutsche aus Rumänien jedoch kaum betroffen, nachdem im Regelfall nicht nur ausreichende sondern gute deutsche Sprachkenntnisse vorhanden waren und wohl auch bei den jetzt noch Zuzugswilligen grundsätzlich vorhanden sind.

- Die Integrationsförderung obliegt zuständigkeitsmäßig nunmehr dem neu geschaffenen Bundesamt für die Migration und Flüchtlinge.

- Gem. Paragraph 9 Abs. 2 können Spätaussiedler eine einmalige Überbrückungshilfe des Bundes und einen Ausgleich für Kosten der Aussiedlung erhalten.

- Eine wesentliche (verfahrensmäßige) Neuregelung bringt Paragraph 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG mit sich. Hiernach ist nunmehr ausschließlich das Bundesverwaltungsamt zuständig für die Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung. Bis zu der Neuregelung erteilte das Bundesverwaltungsamt – nach Beteiligung des jeweiligen Bundeslandes im so genannten Zustimmungsverfahren – den Aufnahmebescheid. Die Bundesländer führten dann ein (gewissermaßen nochmaliges) Spätaussiedleranerkennungsverfahren durch.

- Die Neuregelung ist sicherlich zu begrüßen. Dadurch ist gewährleistet, dass definitiv einheitliche Entscheidungen ergehen. Bislang sind sehr viele Fälle vorgekommen, in denen Zuzugswillige zwar die Aufnahmebescheide erhalten haben, im eigentlichen Anerkennungsverfahren jedoch von den Ländern dann letztendlich abgelehnt worden sind.

- Gemäß Paragraph 15 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 ist eine so genannte Höherstufung von Ehegatten und Abkömmlingen von Spätaussiedlern nicht mehr möglich, wenn diese keinen Aufnahmebescheid beantragt haben oder die Erteilung bestands- oder rechtskräftig abgelehnt wurde, d.h. die Höherstufung ist nur noch eingeschränkt möglich.

- Die ParagraphParagraph 22 bis 24 werden aufgehoben. Dadurch werden die Vertriebenenbeiräte abgeschafft. Diese Vorschrift ist sicherlich zu bedauern. Insbesondere die Vertriebenenverbände haben in vielen Jahrzehnten wertvolle Arbeit geleistet, die allen Beteiligten zugute kam. Kritisch sei allerdings angemerkt, dass – und dies auch bereits zu Zeiten der Regierung Kohl – die Vertriebenenverbände bei der Umsetzung der Gesetze nicht bzw. nicht mehr in der geeigneten Art und Weise gehört bzw. beteiligt wurden, so dass die Abschaffung dem „Ist-Zustand“ entspricht.

- Eine Einbeziehung des nichtdeutschen Ehegatten oder des Abkömmlings eines Spätaussiedlers (Bezugsperson) erfolgt nach neuem Recht (Paragraph 27 Abs. 1 Satz 2 bis 4) nur noch, wenn dies von der Bezugsperson ausdrücklich beantragt wird, die Bezugsperson ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache besitzt und in ihrer Person keine Ausschlussgründe im Sinne des Paragraph 5 (insbesondere herausgehobene politische oder berufliche Stellung) vorliegen. Die Einbeziehung von minderjährigen Abkömmlingen in den Aufnahmebescheid ist nur gemeinsam mit der Einbeziehung der Eltern oder des sorgeberechtigten Elternteils zulässig.

- Die Einbeziehung in den Aufnahmebescheid wird insbesondere dann unwirksam, wenn die Ehe aufgelöst wird, bevor beide Ehegatten die Aussiedlungsgebiete verlassen haben, oder die Bezugsperson verstirbt, bevor die einbezogenen Personen Aufnahme im Sinne des Paragraph 4 Abs. 3 Satz 2 gefunden haben.

- Obige Veränderungen führen dazu, dass das Bundesverwaltungsamt nicht mehr von Amts wegen – wie teilweise bislang geschehen – Anträge umdeutet. Vielmehr sollten Abkömmlinge, die einen eigenen Aufnahmeantrag stellen, durch die Bezugsperson Hilfsanträge auf Einbeziehung stellen. Paragraph 27 Abs. 1 Satz 3 hat zur Folge, dass eine Einbeziehung von minderjährigen Abkömmlingen in den Aufnahmebescheid der Großeltern ohne Einbeziehung der Eltern nicht mehr möglich ist. Nicht vorhandene oder zu geringe Kenntnisse der deutschen Sprache bei den Eltern (Bezugsperson) sind somit ein Hinderungsgrund dafür, dass Enkel, die z.B. von der Großelterngeneration erzogen wurden, einbezogen werden können.

- Merkwürdigerweise enthält das neue Gesetz im Wesentlichen keine Übergangsvorschriften. Es wird zwar lediglich ein Paragraph 100 Abs. b eingefügt, der klarstellt, dass Personen, die bis zum 01.01.2003 in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Bundes registriert und von dem Bundesverwaltungsamt auf die Länder verteilt worden sind, Anträge auf Ausstellung von Spätaussiedlerbescheinigungen – wie bislang – bei den zuständigen Länderbehörden beantragen müssen.

Fazit

Sowohl der Bund als auch die Länder haben in den letzten Jahren, insbesondere seit Änderung des Bundesvertriebenengesetzes in der Fassung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 31.12.1992 eine restriktive Aufnahmepraxis gehandhabt. Insofern kann die Änderung durch das Zuwanderungsgesetz bei objektiver Betrachtungsweise als folgerichtige Umsetzung der Praxis der Exekutive durch die Legislative bezeichnet werden.

Für den russlanddeutschen Personenkreis bringt es wesentliche Verschärfungen, insbesondere was die Beherrschung der deutschen Sprache anbelangt, mit sich. Selbstverständlich ist die Sprache für eine gelungene Integration wichtig. Die Abwägung der Anforderung des neuen Gesetzes insbesondere unter Berücksichtigung des Kriegsfolgenschicksals ist jedoch nach Einschätzung des Unterfertigenden zu Lasten der Zuzugswilligen ausgefallen. Dadurch werden mit Sicherheit Großfamilien getrennt, soweit nicht bereits die gesamte Familie die Chance genutzt hat bislang zuzuziehen.

Immerhin vermutet der Gesetzgeber das pauschale Kriegsfolgeschicksal für Russlanddeutsche weiterhin, anders als bei den Deutschen aus Rumänien, die weiterhin (seit 1993) eine konkrete persönliche Benachteiligung oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen wegen des deutschen Volkstums glaubhaft machen müssen. Wie den Lesern dieser Zeitung bekannt ist, wurde durch das Kriegsfolgebereinigungsgesetz vom 31.12.1992 insbesondere für Zuzugswillige aus Rumänien in Paragraph 4 Abs. 2 BVFG die vorerwähnte Benachteiligung als glaubhaft zu machendes Tatbestandsmerkmal eingeführt. Bis zum 3. März 1998 (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts Berlin) wurde die so genannte persönliche Vereinsamung im Heimatgebiet als Benachteiligung bzw. Nachwirkung früherer Benachteiligung anerkannt.

Trotz mehrfacher Forderungen – auch unseres Verbandes – die Benachteiligung im Falle konkret nachzuweisender persönlicher volkstumsmäßiger Vereinsamung im neuen Gesetzeswortlaut aufzunehmen, erfolgte keine Berücksichtigung. Dies bedeutet im Klartext: Russlanddeutsche werden im Wesentlichen an den Sprachanforderungen scheitern, so dass es auf die (begünstigende) Vermutung des pauschalen Kriegsfolgeschicksals leider nicht mehr ankommen wird. Rumäniendeutsche haben zwar grundsätzlich keinerlei Schwierigkeiten beim Nachweis familiär erworbener ausreichender deutscher Sprachkenntnisse. Sie scheitern jedoch seit dem 3. März 1998 überwiegend an dem Nachweis der Benachteiligungsvoraussetzungen im Sinne des Paragraph 4 Abs. 2 BVFG. Eine solche Praxis der Behörden und letztendlich auch Umsetzung durch den Gesetzgeber erscheint bedenklich.

Art. 116 des Grundgesetzes regelt, dass Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelungen u.a. derjenige ist, der als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling hier Aufnahme gefunden hat. Insbesondere kann, was durch das Bundesvertriebenengesetz in allen Fassungen, somit auch derjenigen des Zuwanderungsgesetzes erfolgt ist, durch einfaches Gesetz die Aufnahme und sonstige Details geregelt werden. Der Grundgedanke des Art. 116 muss jedoch gewahrt werden. Ergebnis: Bei einer so einschränkenden Auslegung des Benachteiligungsbegriffes durch die jetzige Praxis und keine Änderung durch das Zuwanderungsgesetz ist daran zu denken, dass Art. 116 Abs. 1 für die Rumäniendeutschen ausgehöhlt wird, die Vorschrift somit leer läuft und daher das Bundesvertriebenengesetz in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes diesbezüglich verfassungsrechtlich bedenklich erscheint. Freilich kann diese Feststellung letztendlich lediglich das Bundesverfassungsgericht treffen.

Ein kleiner „Tipp“ am Rande: Nachdem, wie oben ausgeführt, das neue Zuwanderungsgesetz keine klaren Übergangsvorschriften beinhaltet, ist zwar davon auszugehen, dass sämtliche erteilte Aufnahme- bzw. Einbeziehungsbescheide, da begünstigende Verwaltungsakte, grundsätzlich nur unter gesetzlich ganz bestimmt normierten Voraussetzungen widerrufen werden dürfen (vgl. Paragraph 49 VwVfG).

Da jedoch nicht abzusehen ist, wie das ab dem 1. Januar 2003 zuständige Bundesverwaltungsamt diesbezüglich verfahren wird und auch welche Änderungen des Zuwanderungsgesetzes im Falle eines Parteienwechsels auf Regierungsebene eventuell vorgenommen werden, empfiehlt es sich für Zuzugswillige, die bereits im Besitz von Aufnahme- bzw. Einbeziehungsbescheiden sind, noch vor dem 1. Januar 2003 einen Zuzug in Erwägung zu ziehen.

RA Johann Schmidt


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 14 vom 15. September 2002, Seite 1 und 4)

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