19. August 2003

National oder europäisch? Debatte um "Zentrum gegen Vertreibungen"

Um das in Berlin geplante "Zentrum gegen Vertreibungen" ist eine heftige Debatte entbrannt. Der Bund der Vertriebenen gründete im Jahr 2000 eine Stiftung mit dem Ziel, eine Gedenkstätte in Berlin zu errichten. Sie soll die Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg ebenso dokumentieren wie die Vertreibung anderer Völker im 20. Jahrhundert. Von der Konzeption her ist es ein europäisches Projekt, was Gegner des BdV jedoch in Frage stellen.
Die Fronten im Streit um das geplante ?Zentrum gegen Vertreibungen? verlaufen quer durch die Sozialdemokratische Partei. Bundesinnenminister Otto Schily und Peter Glotz argumentieren an der Seite des Bundes der Vertriebenen (BdV). Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Markus Meckel sind gegen das Projekt. Meckel ist stellvertretender außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und hat einen Aufruf gegen das Berliner Zentrums gegen Vertreibungen gestartet. Er schrieb am 14. Juli 2003: "Die Gestaltung eines solchen Zentrums als vorwiegend nationales Projekt, wie es in Deutschland die Stiftung der Heimatvertriebenen plant, ruft das Misstrauen der Nachbarn hervor und kann nicht im gemeinsamen Interesse unserer Länder sein." Dem Aufruf hatten sich Schriftsteller aus Polen, Tschechien und Deutschland angeschlossen.

Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, hat das Projekt in Berlin verteidigt. In einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten sagte die CDU-Politikerin, die Einrichtung solle kein Pranger sein, an den sich unsere Nachbarländer gestellt fühlen, sondern ein Ort der Mahnung und Versöhnung. Nach ihrer Auffassung komme das Zentrum nicht zu spät: "Wir haben einen weißen Fleck, der weder historisch noch mental aufgearbeitet ist." Es bestehe in der Bevölkerung ein erheblicher Aufklärungsbedarf. Die Stiftung habe zu Recht bei der Vertreibung der Deutschen nicht nur das Kapitel Flucht, Vertreibung und Herkunft eingeplant. ?Ein wichtiger Teil ist auch der Wille, deutlich zu machen, wie sich Deutschland durch den Zuzug von zwölfeinhalb Millionen Menschen und vier Millionen Spätaussiedler verändert hat. Im Grunde ist aus Vertriebenen und Nichtvertriebenen ein neues Volk entstanden. Dem wollen wir auf die Spur kommen?, erklärte Steinbach.

Deshalb soll das Zentrum auch an die Herkunftsländer der Vertriebenen und Aussiedler sowie deren erfolgreiche Eingliederung in den Kommunen verdeutlichen. Die Stiftung konnte mittlerweile 400 Städte und Gemeinden als Paten und Sponsoren gewinnen. Im Zentrum sollte auch die Stadt Dinkelsbühl angemessen vertreten sein, die sich vorbildlich für die Siebenbürger Sachsen einsetze, erklärte die BdV-Präsidentin Erika Steinbach beim diesjährigen Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl.

Der SPD-Politiker und Medienwissenschaftler Peter Glotz, der zusammen mit Erika Steinbach der Stiftung ?Zentrum gegen Vertreibungen? vorsteht, widersprach Befürchtungen, das Projekt solle ?eine Art Gegenveranstaltung zum Holocaust-Mahnmal? werden. ?Man muss wirklich sehen, der Holocaust auf der einen und die Vertreibung auf der anderen Seite sind unterschiedliche Formen von mörderischer Gewaltanwendung. Und deswegen kann man das eine nicht auf die Ebene des anderen heben.?

Der Tagesspiegel in Berlin kommentierte: ?Nun sind die Vertriebenen endlich nicht mehr in der rechten Ecke. Ihnen das Zentrum zu verweigern, hieße, sie erneut zurückzustoßen. Wie also müsste es aussehen, damit wir es brauchen können? Es sollte den Schmerz der Alten lindern, die unwissenden Jüngeren ansprechen und die Nachbarn nicht verstören. Und sein Bau sollte sich nicht durch endlose Debatten oder internationale Absprachen verzögern.?

Dass das Vorhaben gute Aussichten hat, in Berlin realisiert zu werden, beweist die 60-jährige BdV-Präsidentin durch ihre Fähigkeit, ausgleichend und integrierend zu wirken. Erika Steinbach wurde am 25. Juli 1943 in Rahmel in Westpreußen geboren und lebt heute in Frankfurt am Main. Von Beruf Musikerin (Geigerin), Diplomverwaltungswirtin und Informatikerin, ist sie seit 1990 Bundestagsabgeordnete der CDU und seit 2000 Mitglied des CDU-Bundesvorstandes. 1998 wurde sie zur Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, eines überparteilichen Verbands mit mehr als zwei Millionen Mitgliedern, gewählt. Steinbach fühlt sich als Anwältin sowohl der deutschen Heimatvertriebenen als auch der Spätaussiedler. Für ihre hervorragenden Verdienste um ?die Belange der Siebenbürger Sachsen und die Vermittlung ost- und südostdeutscher Kultur in der bundesdeutschen und europäischen Öffentlichkeit? wurde Steinbach zu Pfingsten 2003 mit dem Goldenen Ehrenwappen der siebenbürgischen Landsmannschaft gewürdigt.

Der Publizist Ralph Giordano, der die Nazi-Zeit im Untergrund überlebte, begründete in einem Spiegel-Interview, warum er für einen neuen Blick auf den Bund der Vertriebenen ist und weshalb er das geplante "Zentrum gegen Vertreibungen" mitträgt. Es habe in der Vergangenheit bei den Vertriebenenverbänden ?eine ganz einseitige Klage über deutsches Leid ohne erkennbaren Zusammenhang zu dem von Deutschen verursachten Leid davor? gegeben. In Telefonaten und persönlichen Begegnungen mit Frau Steinbach habe er sich jedoch überzeugt, dass sich etwas im BdV geändert habe. Frau Steinbach habe immer wieder erklärt, auch schriftlich, dass weder die Vertreter der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" noch die Mitglieder der Jury des "Franz-Werfel-Menschenrechtspreises" die Einmaligkeit des Holocaust bestreiten. Diese deutlichen Worte aus dem Munde eines Vertriebenenvorsitzenden habe es vor der Amtszeit von Frau Steinbach nicht gegeben, erklärte Giordano.

Siegbert Bruss

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