1. Oktober 2003

Interview mit dem renommierten Fotografen Dr. Georg Gerster

Seine Flugbilder auf Plakaten und Wandkalendern der SWISSAIR prägten über zwei Jahrzehnte den optischen Auftritt der Fluggesellschaft. Er ist regelmäßiger Mitarbeiter von international renommierten Zeitungen und Fachzeitschriften. Größere Bildessays findet man in allen bekannten Magazinen dieser Welt: Der freie Publizist und Flugfotograf Dr. Georg Gerster (75), gebürtig aus Winterthur (Schweiz) und wohnhaft in Zumikon/Zürich, lieferte auch faszinierende Luftbildaufnahmen für den Band „Siebenbürgen im Flug“, erschienen in der Edition Wort und Welt, München (1997). Mit dem prominenten Flugfotografen sprach Robert Sonnleitner.
Herr Gerster, Sie gelten als einer der weltweit führenden Spezialisten auf dem Gebiet der Luftbildfotografie. Wie kamen Sie zu diesem Traumjob?
Erstens weiß ich nicht, ob das ein Traumjob ist – wenn ich an die Warterei auf kleinen Flugplätzen denke, an die unsäglich frühen Tagwachen und die tausend Enttäuschungen, wenn der geplante Frühflug dann doch ins Wasser fällt, weil der Pilot sich nicht einfindet, der Schlüssel zum Hangar fehlt oder das Wetter am Einsatzort nicht mitspielt. Und zweitens bin ich nicht zu dem Job gekommen – der Job kam zu mir.

Hervorragendes Team: Martin Rill (links) und Georg Gerster.
Hervorragendes Team: Martin Rill (links) und Georg Gerster.

Es heißt, Sie hätten die Luftaufnahme zum Flugbild entwickelt. Von wem haben Sie dieses “Handwerk“ erlernt?
Das Wort „Luftaufnahme“ war mir stets ein Gräuel. Wer nimmt denn da Luft auf? „Flugaufnahme“ war mir immer lieber. Aber wenn man diese perfektioniert, auch ästhetisch, verdient sie eben die Auszeichnung, Flugbild genannt zu werden. - Handwerk? Fliegen ist eine Schule des Sehens. Und man lernt darin nie aus.

Sie haben einmal geschrieben: „Höhe verschafft Übersicht, und Übersicht erleichtert Einsicht, und Einsicht erzeugt – vielleicht – Rücksicht.“ Was wollen Sie mit Ihren Flugbildern beim Betrachter bewirken?

Auf eine Botschaft erhebe ich keinen Anspruch. Aber ich möchte sensibilisieren. Schon das Aufzeigen von Schönheit kann Wirkung haben. Eines meiner Flugbilder rettete ein afrikanisches Dorf. Und rettete eine US-amerikanische Farm vor dem Untergang durch Erosion des Oberbodens. Und aus einem Universitätsspital, das eine Serie großformatiger Gerster-Flugbilder zeigt, rief mich einmal ein Patient nach einer Amputation an: Er habe im Rollstuhl stundenlang vor diesen Bildern meditiert und dabei seinen Lebensmut und Lebenswillen zurückbekommen. Was kann sich ein unverbesserlicher Luftikus Schöneres wünschen?

Mit Ihrer „Sehweise“ haben Sie Schule gemacht und auch viele Nachahmer auf den Plan gerufen. Ärgert Sie das?

Plumpe Plagiate – ja. Aber machen kann man da nichts. Ich tröste mich jeweils bei dem Gedanken, dass Plagiate die ehrlichste Form der Schmeichelei sind.

In Ihrem Vorwort zum Bildband „Siebenbürgen im Flug“ von Georg Gerster und Martin Rill schrieben Sie: „Diese von der Bundesrepublik geförderte Inventur einer ganzen Region ist eine Pioniertat; für eine so ehrgeizige Bestandsaufnahme (…) gibt es europaweit kein zweites Beispiel.“ Was war für Sie das Besondere an diesem Projekt?

Es ist immer verlockend, an einem Vorhaben beteiligt zu sein, das keine Eintagsfliege ist, sondern auf Dauer angelegt ist. Und das war hier der Fall. Den letzten Band dieser monumentalen Bestandsaufnahme werde ich sicher nicht mehr erleben. Andererseits haben Martin Rill und ich von vornherein einen „Klavierauszug“ geplant, der die Siebenbürger mit ihrem Siedlungserbe konfrontieren würde. Meine Begeisterung für die Arbeit wurde noch durch viele Begegnungen mit sympathischen und besonderen Menschen am Boden angefacht.

Dieser Bildband fasziniert inzwischen zahlreiche Menschen. Diese umfassende Darstellung sämtlicher Wehrkirchen und Kirchenburgen ist eines der wertvollsten Bücher der letzten Jahre geworden. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?
Unverschämterweise ja.

Solch ein fantastisches Werk schafft nur ein eingearbeitetes Team zwischen Pilot und Fotograf. Hatten Sie einen erfahrenen Hubschrauberpiloten?
In der Tat. Für das Gelingen waren aber der Einsatz, die Geländekenntnis und das allgemeine Wissen Martin Rills entscheidend.

Inzwischen wurden einige siebenbürgische Ortschaften mit ihren Kirchenburgen in die Unesco-Weltkulturerbeliste aufgenommen. Auch Ihr persönlicher Erfolg?

Sicher wird der Bildband viele Menschen für dieses einzigartige Kulturerbe und die Notwendigkeit seiner Erhaltung sensibilisieren. Zu der Auszeichnung einiger Kirchenburgen durch die Unesco hat er vermutlich direkt nichts beigetragen. Aber zweifellos belegt er die Richtigkeit dieser Auszeichnung.

Sie haben schon viele Länder und Kontinente aus der Luft fotografiert. Welchen Stellenwert haben die Bilder aus Siebenbürgen?

Sie gehören zu einem Lebensabschnitt, den ich nicht missen möchte. Ich war ja eine Weile der „Nubien-Gerster“, im Zusammenhang mit der durch den Bau des Hochdamms von Assuan entstandenen Notsituation, später aufgrund meiner Beschäftigung mit den Felskirchen im amharischen Hochland der „Äthiopien-Gerster“. Ich habe nichts dagegen, für eine Weile der „Siebenbürgen-Gerster“ zu sein.

Stadtpfarrkirche Mühlbach. Flugaufnahme von Georg Gerster.
Stadtpfarrkirche Mühlbach. Flugaufnahme von Georg Gerster.

Worin besteht nach Ihrer Ansicht die Einzigartigkeit der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen?
Es ist ein bemerkenswert dichtes Ensemble von stolzer Wehrarchitektur, eingebettet in Dorfgemeinschaften von hohem Rang, eine einzigartige europäische Landschaft.

Sie sind jetzt 75, haben alles erreicht, sind berühmt, reich, leben wunderbar. Warum in Gottes Namen müssen Sie immer weiter arbeiten?
Berühmt, na ja. Manche würden sagen, berüchtigt. Ich habe mich in viele Dinge eingemischt, die mich nichts angingen. Reich? Gerade so, dass ich auch ein Projekt finanzieren kann, für das sich im Augenblick kein Sponsor oder Auftraggeber findet. Ja, ich lebe wunderbar, weil ich noch arbeiten kann. Und ich werde es weiterhin tun, solange es Spaß macht.

Vielen Dank für das anregende Gespräch.

Ausstellung in Essen: Flugbilder von Georg Gerster

Eine Sonderausstellung mit Flugaufnahmen von Georg Gerster zeigt gegenwärtig das Ruhrlandmuseum in Essen. Noch bis zum 29. Februar 2004 sind unter dem Titel "Flug in die Vergangenheit. Archäologische Stätten in Flugbildern von Georg Gerster" über 260 Farbfotografien zu sehen, die der renommierte Fotograf in den letzten 40 Jahren an archäologischen Stätten in 50 Ländern in Afrika, Asien, Australien, Nord- und Lateinamerika sowie Europa vom Flugzeug aus realisiert hat. Im Zentrum der umfangreichen Werkschau stehen Aufnahmen von Abu Simbel in Nubien, deren Versetzung in den 1960er Jahren Georg Gerster Schritt für Schritt dokumentiert hat. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags, 10-18 Uhr, freitags 10-24 Uhr, montags geschlossen. Eintrittspreise: Erwachsene: 5 Euro, Ermäßigungen: 3,50 Euro, Familienkarten zu 10,50 Euro (2 Erwachsene und Kinder) bzw. 5,50 Euro (1 Erwachsener und Kinder). Ruhrlandmuseum Essen, Goethestraße 41, 45128 Essen, Infos: (02 01) 8 84 52 00, Fax: (02 01) 8 84 51 38, E-Mail: info@ruhrlandmuseum.essen.de. Zur Ausstellung erscheint ein 400 Seiten starker Katalog mit 256 Farbbildern und zehn Schwarzweißabbildungen im Schirmer/Mosel Verlag, München, der auch im Buchhandel erhältlich ist.

Das Buch G. Gerster und M. Rill „Siebenbürgen im Flug“, Edition Wort und Welt, München 1996, Großformat, 276 Seiten, 65,50 Euro, ISBN 3-932413-008, kann beim Buchversand Südost, Seebergsteige 4, 74235 Erlenbach, Fax: (0 71 32) 9 51 16 13, bestellt werden.

„Siebenbürgen im Flug“ online bestellen »

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 15 vom 30. September 2003, Seite 5)

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.