22. Oktober 2003

Harald Zimmermann: "Herkunft und Zukunft der Siebenbürger Sachsen"

Anlässlich der feierlichen Eröffnung der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2003 am 4. Oktober in Speyer hielt der Historiker Prof. Dr. mult. Harald Zimmermann einen viel beachteten Festvortrag, der im Folgenden ungekürzt widergegeben wird.
Hetzeldorf liegt mitten in Siebenbürgen, nur 16 Kilometer von Mediasch entfernt, - und dass Mediasch mitten in Siebenbürgen liegt, sagt schon der Name. Hetzeldorf heißt villa Ezzelini angeblich nach seinem Gründer, einem gewissen Ezzelo oder Hezelo. Die Hezeliniden waren ein im Mittelalter berühmtes deutsches Adelsgeschlecht mit reichem Besitz besonders in den Rheinlanden; zwei von ihnen waren Pfalzgrafen, einer wurde Herzog und einen Hezelo hat es eben nach Ungarn oder gar nach Siebenbürgen verschlagen. Das war im Jahre 1148. Zu Weihnachten vorher hatte ein großer Reichstag in Speyer getagt: Aus allen Gegenden des Heiligen Römischen Reiches war man dorthin gekommen, auch aus Frankreich, und nach einer mitreißenden Predigt des Abtes Bernhard von Clairvaux erklärte sich Kaiser Konrad III. bereit zu einem Kreuzzug ins Heilige Land, nach Palästina. Der französische König Ludwig VII. folgte ihm und viele Tausende Ritter schlossen sich an und zogen zuerst durch Ungarn und dann weiter über Byzanz in den heiligen Krieg. Einer von ihnen, des Kaisers Stiefbruder, Bischof Otto von Freising, hat darüber geschrieben und er nannte Ungarn "ein Paradies Gottes". Ob dem Sohn des österreichischen Markgrafen die Donauebene so gut gefallen hat oder die ungarische Puszta? Ich glaube fast: Er hat einen Umweg über Siebenbürgen gemacht, denn wer wollte bezweifeln, dass Siebenbürgen ein Paradies Gottes war und ist und immer bleiben wird, Siebenbürgen, das "Land der Fülle und der Kraft"? Niemand kann das bezweifeln! Und dann wundert man sich auch nicht, wenn man in der zeitgenössischen Chronik des Klosters Klosterrath bei Aachen zum Jahre 1148 liest, dass ein gewisser Hezelo von Rucelenfelt und Merkstein gleich bei Aachen alle seine Güter dem Kloster verkauft hat, weil er beschlossen hatte, nach Ungarn zu übersiedeln: quidam Hezelo profectus in Ungariam ... Man glaubt, dass er der Gründer von Hetzeldorf in Siebenbürgen gewesen sein könnte, und hat schon immer vermutet, dass die Kreuzzüge etwas mit der Einwanderung der Siebenbürger Sachsen zu tun hatten, sie veranlasst habe.

Von Terroristen und Kreuzrittern

Harald Zimmermann während seiner brillanten Rede in Speyer. Foto: Christian Schoger
Harald Zimmermann während seiner brillanten Rede in Speyer. Foto: Christian Schoger
Erst jüngst ist in Hermannstadt ein Buch von Horst Klusch erschienen, der die ersten Siebenbürger Sachsen für versprengte Kreuzfahrer während des Durchzuges der Heere durch die Balkanländer hält. Das lässt sich zwar nicht beweisen, aber die historischen Zusammenhänge zwischen der deutschen Ostsiedlung und den Kreuzzügen sind vielfach und unleugbar. Ich hatte im Laufe der Jahre oft meinen Studenten in meinen Vorlesungem über die Kreuzzüge berichtet, immer mit einem schlechten Gewissen und mit Schuldgefühlen, denn diese "heiligen Kriege" waren nicht gerade ein Ruhmesblatt der Christenheit. Seit diesem Frühjahr sehe ich das etwas anders. Faktum ist, dass die Straßen im Heiligen Land höchst unsicher waren, die Straßen zu den christlichen Pilgerstätten, nach Jerusalem, nach Bethlehem nach Nazareth, unsicher von Räuberbanden, die man heute Terroristen nennen würde. Nicht abzustreiten ist, dass sich an der Grenze des Heiligen Landes eine Gruppe islamitischer Fundamentalisten niedergelassen hatte und binnen weniger Stunden mitten unter christlichen Menschen sein und Attentate ausüben konnten; man nannte sie Assassinen nach ihrem Gründer Hassan und erzählte sich, dass sie durch Haschischrauchen zu jeder Schandtat, zu jedem Meuchelmord fähig gemacht wurden, weswegen noch heute der Mörder französisch assassin heißt. Unleugbar und eine historische Tatsache ist es auch, dass genau drei Jahre vor jenem Speyrer Reichstag, zu Weihnachten 1144, ein Emir aus Mossul mit Edessa einen Teil des christlichen Königreiches Jerusalem zurückerobert hatte und das übrige bedrohte. Da musste man etwas dagegen tun, das konnte man sich nicht gefallen lassen. So dachte der Papst und seine Prediger, auch wenn sie manche Nachrichten aus dem Orient um des Effektes willen aufgebauscht hatten, so dachten die Franzosen und die Deutschen und später auch die Engländer, - und einen amerikanischen Präsidenten gab es noch nicht.

Trotzdem, mir gefallen besser als die Kreuzritter im Orient, selbst wenn sie sich zu Ritterorden zusammengeschlossen hatten und hehre Ziele verfolgten, unsere Sachsen in Siebenbürgen. Und während sich der römisch-deutsche Kaiser und der französische König 1148 vor Damaskus eine verheerende Niederlage holten und frustriert heimkehrten, ist 1148 Hezelo von Aachen nach Ungarn gezogen und vielleicht - man kann es ja nicht beweisen - nach Hetzeldorf mitten in Siebenbürgen.

Hetzeldorf hat nach den Bildern zu schließen eine sehenswerte Kirchenburg mit hohem Turm und einem Wehrgang unter der Turmhaube, auch einen unterirdischen Fluchtgang aus der dreischiffigen gotischen Kirche, wenn das aufwendige gotische Stufenportal nicht mehr benutzt werden konnte, das man in seiner Pracht mit dem Portal im Dom der Haupt- und Hermannstadt verglichen hat. Dabei war Hetzeldorf nur ein Dorf mit maximal anderthalb Tausend Einwohnern, unter ihnen heute wohl nur mehr eine Handvoll Sachsen; - die evangelische Pfarrstelle wurde jedenfalls vor zehn Jahren, 1993, aufgelassen. Die Ritterburg in Hetzeldorf ist seit langem zerstört, und wie Hezelos Burg im Ritzerfeld bei Merkstein nördlich von Aachen ausgesehen hat, weiß heute auch niemand mehr.

Zevenbergen im flämischen Westen

Dass die Siebenbürger Sachsen aus der Aachener Gegend und aus den Rheinlanden stammen sollen, ursprünglich, und trotzdem Sachsen heißen, braucht niemanden zu irritieren. Man erklärt den Namen unter anderem auch damit, dass eine große Gruppe von ihnen nicht über die ungarische Tiefebene und den Mieresch aufwärts nach Siebenbürgen gekommen seien, sondern die Nordroute über die Karpaten genommen hatten, aus Sachsen, nachdem sie vorher als Kreuzfahrer tapfer gegen die heidnischen Slawen an der Odergrenze gekämpft hatten. Andere Siebenbürger Sachsen wurden bekanntlich zunächst als Flandrenses bezeichnet und werden Flamen gewesen sein, von deren großem Engagement in der Ostkolonisation man weiß. Weit im Westen der flämischen Lande gibt es ein Zevenbergen. Wieder andere Siebenbürger Sachsen nannte man in den Urkunden Latini und identifiziert sie mit belgischen Wallonen, denen die diversen Wallendörfer in Siebenbürgen ihre Entstehung verdanken.

Schon vor circa einem Jahrhundert hat man die noch erhaltenen Messbücher aus katholischer Zeit in Siebenbürgen historisch untersucht und dabei herausgefunden, dass ihr Heiligenkalender etwa dem der großen Kölner Erzdiözese entspricht, also durch Pfarrer nach Siebenbürgen gebracht worden war, die von dorther stammten. Und zu Köln gehörte nicht nur Aachen im Westen, sondern auch das Städtchen Hameln im Osten, von wo bekanntlich ein Rattenfänger die Kinder nach Siebenbürgen entführt haben soll, wie man siebenbürgischen Kindern gerne nicht nur als Märchen erzählt.

Aber wenn wir schon bei Geschichten sind: Da gibt es doch auch die Story von jenem siebenbürgischen Handwerksburschen, der auf seiner Gesellenwanderung, auf seiner Walz bis nach Luxemburg gekommen war und dort gefragt wurde, wie lange er denn schon von hier weg sei, weil er nicht mehr ganz richtig letzelbergisch reden könne. "Circa 700 Jahre", soll er gesagt haben, damals im 19. Jahrhundert, als die Handwerksgesellen noch eine Zeitlang in der Fremde lernen mussten. Die Zeitangabe ist heute überholt, und wenn sie nicht wahr ist, die Geschichte, dann ist sie gut erfunden. Das muss gewesen sein, nachdem sich die siebenbürgisch-sächsischen Mundartforscher zu betätigen begannen, also vor circa 150 Jahren.

Angefangen hat das durchaus touristisch mit dem Besuch eines Luxemburgers in Bistritz und Umgebung 1768: Franz Xaver Feller, Professor der oberungarischen Universität Tyrnau, der darüber staunte, nicht nur, dass man mit den Leuten dort deutsch reden konnte, sondern dass diese Sachsen Tonfall umd Aussprache haben, "wie wir", nämlich in Luxemburg. Viele Siebenbürger Sachsen haben umgekehrt bei Besuchen in Luxemburg die Probe aufs Exempel gemacht, auch meine Mutter zum Beispiel, und wenn die Luxemburger auch etwas weniger emphatisch die Sprachverwandtschaft feiern, hat es doch immerhin nach dem Zweiten Weltkrieg eine luxemburgische Initiative gegeben, siebenbürgische Flüchtlinge vor allem aus dem Nösnerland um Bistritz in ihre alte Heimat, nach Luxemburg, zu bringen. Und heute gibt es in Hermannstadt am Kleinen Ring ein "Luxemburg-Haus" als Kulturinstitut des Großherzogtums, das zum Beispiel auch das in Arbeit befindliche siebenbürgisch-sächsische Wörterbuch aufnehmen soll samt den in vielen Jahrzehnten gesammelten, sicher Millionen zählenden Zetteln mit Mundartbelegen.

Siebenbürgen ist in der Reformationszeit ein Land nicht nur der Toleranz, sondern der religiösen Freiheit geworden, das erste solche Land in Europa. "Siebenbürgen, Land der Duldung, jedes Glaubens sichrer Hort ...", so singt man in der siebenbürgischen Hymne, die voll Bewunderung ein Besucher aus Preußen gedichtet hat. Und weil das so war, dass man dort in Siebenbürgen Zuflucht finden konnte, strömten viele in dieses wunderbare Land, die anderswo nicht geduldet wurden: Das waren im 15. Jahrhundert Hussiten aus Böhmen und um 1600 Täufer aus Tirol, die so genannten Hutterischen Brüder; da kamen Anfang des 18. Jahrhunderts die so genannten Salpeterer aus dem südlichen Baden, aus dem Hauensteiner Land im Breisgau: Das waren Revoluzzer gegen die Klosterherrschaft von St. Blasien im Schwarzwald und die österreichische Regierung war froh, sie nach Siebenbürgen und ins Banat abschieben zu können; in der Mitte des 18. Jahrhunderts übersiedelten aus wirtschaftlichen Gründen rund 500 Hanauer und Durlacher aus Nordbaden nach Mühlbach und Umgebung; und weil die Habsburger stockkatholisch waren, aber immerhin tüchtige Leute nicht ins Ausland vertreiben wollten, brachten sie vor allem aus dem oberösterreichischen "Landl" die evangelischen Landler nach Siebenbürgen, wo man sowieso (leider Gottes) Protestanten dulden musste, und es gibt von diesen Österreichern noch einige in Neppendorf und in Großau und in Großpold; Pfarrer Stephan Ludwig Roth hat vor 130 Jahren in Württemberg neue Siedler für Siebenbürgen geworben; preußische Kriegsgefangene hat man möglichst weit weggebracht von den Grenzen in den sieben Jahren des Siebenjährigen Krieges, eben nach Siebenbürgen, und manche sind dort geblieben, z. B. aus Wittstock in Brandenburg: Der derzeitige Vertreter der Deutschen Fraktion im rumänischen Parlament heißt nicht nur Wittstock, er stammt auch letztlich aus Wittstock.

Alles eine Frage der Zeit?

Liebe Landsleute! Ich muss Sie enttäuschen, wenn Sie sich stolz einen 850-jährigen Siebenbürger Sachsen nennen, wie ich; vielleicht sind Sie es gar nicht, wie ich wohl auch nicht ganz. Und wenn Sie im Atlas suchen, wo unsere Heimat liegt, die eigentliche Heimat, wenn nicht in Siebenbürgen, also die Urheimat, die ursprüngliche Heimat, dann ist das vielleicht gar nicht so weit weg von dort, woher Sie heute hergekommen sind nach Speyer, in eine der Hauptstädte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation: Jedenfalls liegt sie, liegt das Herkunftsland der Siebenbürger Sachsen zwischen Baden und Brandenburg und Belgien, zwischen Luxemburg und dem österreichischen Landl, in Flandern und am Rhein, wie unser Reformator Johannes Honterus schon 1532 auf seine Siebenbürgen-Karte schrieb: "Vom Rhein und Sachsen ich gemein / bin aufgewachsen in groß Schein ...".

Wie alt die ältesten Siebenbürger Sachsen maximal sein können? Ich hab darüber nachgedacht und eine kleine Abhandlung geschrieben schon vor rund 10 Jahren. Der Ungarnkönig Geisa II. soll die ersten ins Land gerufen haben; so steht es in unserem Großen Freibrief, im Andreanum von 1224, und ist ganz unbezweifelbar sicher. Das wäre also vor 850 Jahren zur Zeit der Stauferkaiser Konrad III. und Friedrich Barbarossa. Aber wenn den deutschen Kreuzfahrern damals auch Ungarn als ein "Paradies Gottes" erschien, die Ungarn waren nicht ganz so begeistert über die vielen Ritter, die durch ihr Land zogen und es zertrampelten mit den Hufen ihrer Pferde und trotzdem freundlich verköstigt und wie ein Gast gepflegt werden wollten. Es gab - man weiß es - politische Spannungen und immer wieder auch Raufereien oder gar blutigen Krieg in jener Zeit. Kaiser Konrad ist lieber über Italien nach Deutschland heimgekehrt vom Kreuzzug, nicht durch Ungarn, Friedrich Barbarossa freilich quer durch Ungarn, und wenig später meldet ein byzantinischer Chronist, dass es auch Sachsen im ungarischen Heere gäbe: Es könnten Ritter aus Rotbarts Gefolge gewesen sein. Das war 1152, und 1158 revanchierte sich der Ungarnkönig für diese deutschen Mitkämpfer mit einer Eskadron wilder ungarischer Reiter als Hilfstrupp im langen Krieg des Kaisers gegen die ungehorsamen Lombarden. Vielleicht war es damals, dass ungarische Werber nach Deutschland kamen und bis an den Rhein, nach Köln und Aachen, nach Luxemburg und Flandern, so zwischen 1152 und 1158. Das wäre also vor 845 Jahren gewesen und vor 855 Jahren seit dem Aufbruch des Hezelo von Ritzerfeld und Merkstein 1148.

Man bleibt leider auf Spekulationen angewiesen, denn von einer Völkerwanderung, von einer Massenbewegung, die den damaligen Medien aufgefallen wäre, kann nicht die Rede sein. Man hat nachgerechnet, dass der erste Trupp, die erste Siedlerwelle höchstens 500 Familien, also etwa 2500 Personen umfasst habe; und sehr wahrscheinlich gab es mehrere kleinere Trecks aus verschiedenen Gegenden und zu verschiedenen Aufbruchszeiten. Das fiel keinem Chronisten auf. Als man aber vor 12 Jahren "800 Jahre Kirche der Deutschen in Siebenbürgen" feierte, hat ein Festredner seine Hörer in Birthälm getröstet, dass wie damals aus etwa 2500 etwa 250 000 werden könnten. Es war und ist nur die Frage: wo?

Was sie weggelockt hatte von daheim, damals vor 850 Jahren und später, auch darüber gibt es manche Forschungen und viele Spekulationen: Überflutungen in Flandern an der Küste und sonst an Flussufern, Missernten durch schlechte Witterung, Verwüstungen durch Kriege und Fehden, z. B. zwischen dem Erzbischof von Trier und dem Grafen von Luxemburg. Aber das alles überzeugt nicht voll und ganz. Ich finde die Erklärung im Großen Andreanischen Freibrief von 1224, mit dem der König bestätigte, was sein Großvater Geisa II. den Siedlern versprochen hatte. Das Diplom heißt nicht nur Freibrief, es ist auch ein Freibrief. Sein Tenor ist Freiheit: freie Wahl der Pfarrer und Richter etc. etc. Nicht weniger als 11 Mal kommt das Wort frei in dem nur 21 Zeilen langen Urkundentext vor, und schon in der dritten Zeile heißt das sechste Wort: libertas (Freiheit). Freiheit begann damals in Deutschland rar zu werden, Mangelware, jedenfalls außerhalb der freien Städte. "Stadtluft macht frei!", aber es gab zu wenig davon.

Ein Vivat der Freiheit!

Freiheit lockte damals im Mittelalter, und noch lange, Kolonisten aus Deutschland in den Osten, auch nach Siebenbürgen. Freiheit lockte vor einem Dutzend Jahren und auch davor in den Westen, nach Deutschland. Freiheit: Das klingt nicht nur gut, es ist auch gut und vor allem historisch wahr. Für die Barbarossa-Zeit müssen Sie sich vielleicht auf den Historiker verlassen; für die Ceauçescu-Diktatur und davor gibt es noch genug Zeitzeugen unter uns. Es wäre nicht verkehrt, auch in Europa eine Freiheitsstatue aufzurichten, vielleicht nicht gerade in Hetzeldorf oder in Ritzerfeld, denn wer kennt schon Hetzeldorf bei Mediasch mitten in Siebenbürgen oder Ritzerfeld bei Aachen dicht an der deutschen Grenze; aber vielleicht ein Denkmal in der Tracht der Siebenbürger Sachsen oder sonst der vielen Millionen Deutschen, die in den letzten 60 Jahren in ein freies Deutschland heimgekehrt sind. - Ich habe es schon oft erzählt, was ich vor 30 Jahren bei der Landung meines aus Rumänien kommenden Flugzeuges, voll von Spätaussiedlern, in Frankfurt von einem kleinen Siebenbürger Knaben zu seiner Mutter habe sagen hören: "Mekter, mer senj in Detschlond!" Und das klang wie die Erfüllung aller Träume.

Vermutlich wird es nirgendwo ein solches Denkmal geben, weder in Berlin noch sonstwo, weder für die Vertriebenen noch für die Verfolgten, noch für die Verschleppten und in vielerlei Hinsicht Vergewaltigten, noch für die Vermissten und Gefallenen, weder für die Geflohenen noch für die Gebliebenen in ihrer Treue zur Heimat selbst durch schwerste Zeiten der Geschichte, auch nicht für die Bürger und Bauern, die Siebenbürgen zu einem"Land der Fülle und der Kraft" gemacht haben. So muss anderes als Denkmal fungieren: letztlich wir selbst.

Längst sind allenthalben Kirchen und Kirchenburgen zu Museen geworden, bei deren Besichtigung man Eintritt zahlen muss, wie ins Brukenthal-Museum in Hermannstadt, bekanntlich eines der ältesten öffentlichen Museen in der Habsburger Monarchie. Sein Stifter, der Baron Brukenthal, Gouverneur des Großfürstentums Siebenbürgen für Kaiserin und Kaiser ist vor 200 Jahren (1803) gestorben und wird in diesem Jahre eigentlich viel zu wenig gefeiert. Aber an den Siebenbürger Sachsen wird es liegen, egal wo sie jetzt wohnen in der weiten Welt, dass ihre Gesprächspartner nicht so reagieren: Hermannstadt??? Sie meinen wohl Sibiu! Siebenbürger Sachsen?? Ach ja, das sind jene stämmigen Rumänen, die angeblich Deutsche sein sollen: Deutschstämmige! Und dass es bei ihnen in Siebenbürgen so viele Burgen gibt, ist schon recht merkwürdig; wozu hat denn der Dracula die alle gebraucht damals, als die Daker gegen die Römer sich wehren mussten? Ich fürchte, das ist unsere Zukunft.

In der bekannten Grußadresse der siebenbürgisch-sächsischen Jugend an die Deutsche Nationalversammlung in Frankfurt 1848 - der junge Bistritzer Gymnasialprofessor Heinrich Wittstock hatte sie gemeinsam mit Stephan Ludwig Roth formuliert - in dieser Adresse wird unterschieden zwischen Vaterland und Mutterland. Das Vaterland war Siebenbürgen, damals noch ein eigenes Kronland, ein Großfürstentum der Habsburger Monarchie. Das Mutterland war Deutschland, zu dem damals auch noch Österreich und auch noch das Großherzogtum Luxemburg gehörte. Den Abgeordneten in Frankfurt wurde gesagt: "Wir wollen sein und bleiben, was wir immer gewesen sind: ein ehrlich deutsches Volk und ehrlich treue Bürger des Staates, dem wir angehören. Eines verträgt sich sehr gut mit dem anderen, ja eines ist uns nur möglich bei dem anderen."

Ob das heute auch noch gilt.? Jedenfalls gibt es für Siebenbürger Sachsen Aufgaben im Mutterland und im Vaterland. - "Vaterland" und "Mutterland" hat jeweils einen eigenen Klang und löst andere Emotionen aus. Man kommt als Sohn oder Tochter anders zu seinem Vater als zu seiner Mutter; man braucht eine Mutter anders als einen Vater; man denkt und erinnert sich an seinen Vater anders als an seine Mutter. Es sollte jedem und jeder unter uns überlassen bleiben, was für ihn Heimat ist, und ist ja wohl auch eine Generationenfrage, ob er und sie Siebenbürgen als Vater- oder Mutterland sieht und dementsprechend Deutschland als Mutter- oder Vaterland. Aber nur in Nuancen ergibt sich daraus, was zu tun bleibt jetzt und in Zukunft hier und dort.

Auf Glauben und nationales Herkommen besinnen

In Siebenbürgen wird es nicht nur auf das Auffinden und das Propagieren von Objekten des Weltkulturerbes gehen: das Gesamt-Ensemble der Stadt Schäßburg, die Kirchenburg in Tartlau und in Wurmloch, die so genannte Schwarze Kirche in Kronstadt oder die Kirche in Mönchsdorf im Nösnerland, der Mediascher oder der Birthälmer Altar. Dazu gehört auch Hetzeldorf bei Mediasch mitten in Siebenbürgen oder Deutsch-Zepling bei Sächsisch Reen, und Deutsch-Pien und Deutsch-Budak und natürlich Deutsch-Weißkirch, aber vielleicht auch das aus Bayern besiedelte Baierdorf bei Bistritz oder das wohl von Brabantern begründete Borbant bei Weißenburg alias Alba Julia. Darf man auf Deutschbach an der Kokel und Sachsenhausen bei Agnetheln vergessen, wo gar schon seit zwei oder drei Jahrhunderten weder der deutsche noch der ungarische noch der rumänische Ortsnamen stimmt, also auch nicht "Valea Sasului" für Deutschbach und Szászház für Sachsenhausen? Keine Heimatortsgemeinde wird sich vielleicht hier zuständig fühlen können und jede überfordert sein, und auch unsere Landsmannschaft als Ganzes. Unsere siebenbürgisch-sächsische Geschichte ist nun aber so verlaufen, dass wir nicht bloß einer weiten Kulturwelt beruhigt ein Erbe ans Herz legen und anempfehlen können, sondern dass wir in diesem Mutter- oder Vaterland in einer Erbengemeinschaft stehen mit Ungarn und Rumänen. Konzivilität hat es de facto schon vor 1781 bei uns gegeben, bevor Kaiser Josef II. alle in gleicher Weise zu Untertanen gemacht hat, einheitlich. - Der Basler Kulturhistoriker Jakob Burckhardt hat vor circa 150 Jahren festgestellt, dass Kultur dort entstehe, wo Fremdes mit Fremdem sich begegne. Das gilt wohl auch in der "Schweiz des Ostens", wie man Siebenbürgen genannt hat mit seinen sieben Burgen in den sieben Stühlen, oder waren es acht oder zehn und mit dem Nösner- und dem Burzenland gar zwölf?

Dass sie wahrgenommen und gepflegt wird, diese Erbengemeinschaft, darf man guter Zuversicht sein. Man muss ja nur sehen, wie junge Leute in Siebenbürgen zu festlichen Gelegenheiten in Volkstanzgruppen stolz siebenbürgisch-sächsische Trachten tragen, ohne auch nur ein Wort sächsisch sprechen zu können. Hierzulande ist das vielleicht nicht anders. Aber beweisen uns nicht unsere Ethnologen, dass einst auch die siebenbürgisch-sächsische Tracht manches Detail aus rumänischer oder ungarischen Tradition übernommen hat?

Was hierzulande, was in Deutschland zu tun wäre, abgesehen davon dass Heimatortsgemeinschaften alte und junge Siebenbürger Sachsen nicht auf die alte Heimat vergessen lassen, was in Deutschland darüber hinaus zu tun wäre, und in Österreich und in Amerika natürlich auch, und überall, wo es Siebenbürger Sachsen gibt, was hier zu tun wäre: Ich fürchte, das ist mühseliger und schwieriger. Aber davon hängt unsere Zukunft mindestens ebenso sehr ab. Es geht ja letztlich darum, den Leuten am Rhein zwischen Speyer und Aachen, in Bayern und in Brandenburg, also im Süden und Norden, im Osten und Westen, in der angestammten Heimat begreiflich zu machen, dass unsere siebenbürgisch-sächsische Geschichte ein Teil auch der deutschen Geschichte ist und immer war, und dass die Siebenbürger Sachsen, die in den letzten Zeiten nach Deutschland übersiedelt sind, weil sie sich hier daheim und zugehörig gefühlt haben und fühlen, nicht gekommen sind, weil sie wieder einmal Lust hatten, ihre Staatsbürgerschaft zu wechseln, wie schon so oft in ihrer Geschichte. So redet man ja von ihnen, dass sie einst aus Deutschland weggezogen sind nach Transsilvanien - aber hinterwäldlerisch sind sie deshalb nicht geworden - sie wurden Ungarn, dann Österreicher, dann wieder Ungarn, dann deutschstämmige Rumänen, und wechseln anscheinend die Nationalität wie das Hemd.

Nein, nein! Nationalität ist nicht abhängig von einem bürokratischen Akt, von der Ausstellung eines Passes gegen Erlag der Stempelgebühren. Nationalität ist ein heiliger Bekenntnisakt. Er ist bei den Siebenbürger Sachsen durch die Jahrhunderte hindurch immer gleich und immer deutsch gewesen. Ihre Geschichte war und ist ein Teil der deutschen Geschichte, am Anfang, in der Mitte und jetzt. Schon damals, als sie auswanderten, hatte das seine Gründe in der Aussichtslosigkeit einer Existenz in Deutschland, in einer damals höchst ungünstigen Situation in deutschen Landen. Und jetzt kamen und kommen sie zurück nicht nur zu ihrem eigenen Nutzen, auch zum Nutzen deutscher Lande.

Es war gewiss kein Zufall, dass die siebenbürgisch-sächsische Nationsuniversität in der Reformationszeit 1550 beschloss, die sächsischen Kirchengemeinden nach deutschem, nach Wittenberger Beispiel zu reformieren: zur deutschen Kirche wollte man Kontakt halten. - Es ist vielleicht auch kein Zufall, dass der Schlesier Martin Opitz, den man den "Erneuerer", den "Vater der deutschen Dichtung" genannt hat, in jungen Jahren an der siebenbürgischen Akademie in Weißenburg gewirkt hat, denn vielleicht wäre er sonst nicht der geworden, der er geworden ist. Bekanntlich nannte er die Sachsen die Germanissimi Germani, was man nicht mit "die Deutschesten der Deutschen" übersetzen soll, sondern nur die erstaunte Feststellung ist, dass es lauter Deutsche sind.

Wo er sie gefunden hat, gibt es sie nicht mehr, nur weit davon weg, jedenfalls in größerer Zahl. Man feiert in diesem Jahr den Siebenbürger Sachsen, der es am weitesten gebracht hat, den vor 200 Jahren verstorbenen Baron Brukenthal, Gubernator der Kaiserin in Siebenbürgen. Ihr hat er wohl einmal geantwortet, was dann nicht nur sein Wahlspruch geworden ist: Fidem genusque servabo; man kann frei übersetzen: (meinem) Glauben und (nationalem) Herkommen werde (und will) ich (treu) dienen (und treu bleiben). Jedenfalls ist das futurisch formuliert, für die Zukunft. Der Wahlspruch kann auch in heutiger Zeit eine Weisung sein. Quousque tandem (wie lange noch?), fragt man lateinisch. Wenn ich das wüsste! Es wird von den Jüngsten unter uns abhängen, und sicher auch von uns Alten.

Harald Zimmermann


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 17 vom 31. Oktober 2003)

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