13. Juni 2004

Kurt Franchy: Frieden stiften für ein erfülltes Leben

Bei der Gedenkveranstaltung des diesjährigen Heimattages, die am Mahnmal der Siebenbürger Sachsen im „Lindendom“ der Alten Promenade von Dinkelsbühl stattfand, hielt der Vorsitzende des Hilfskomitees, Pfarrer i.R. Kurt Franchy, die feierliche Ansprache. Aus den Fehlern der Geschichte lernend, seien wir aufgerufen, Frieden zu stiften und ein erfülltes Leben in dieser Welt zu ermöglichen.
Der Pfingstsonntag 2004 geht zu Ende. Viele Menschen haben die Gelegenheit genutzt, sich mit Verwandten, Bekannten oder Freunden zu treffen. Der Heimattag ist der alljährlich wiederkehrende Festtag, an dem wir alte Freundschaften- und Bekanntschaften auffrischen, neue Verbindungen knüpfen und von dem Gemeinschaftsgefühl, das wir erfahren haben, gestärkt in den sachlichen Alltag zurückkehren. Doch bevor wir uns wieder den Pflichten zuwenden, gehen wir unter dem Geläute der Heimatglocke, vom Trommelwirbel der Dinkelsbühler Knaben begleitet, und im Schein ungezählter Fackeln in diesen stillen Hain.




Rede von Pfarrer i.R. Kurt Franchy an der Gedenkstätte in Dinkelsbühl. Foto: Günther Melzer
Rede von Pfarrer i.R. Kurt Franchy an der Gedenkstätte in Dinkelsbühl. Foto: Günther Melzer


Je näher wir der Stätte kommen, an der uns der Hauch des Todes umgibt, um so näher treten uns die Menschen, die wir aus unserem Lebenskreis entlassen mussten. Da ersteht vor unserem geistigen Auge der verstorbene, der von seinen Leiden erlöste Bruder, die greise von den Lasten eines langen Lebens gebeugte Mutter, oder das unvollendete Leben eines jungen Menschen.

Ihr Tod hat uns aus dem Trott des Alltags oder aus den Freuden unbeschwerten Seins gerissen. Ihr Sterben, ihr Verschwundensein aus unserem Leben bewegt uns zutiefst. Und wenn wir an dieser Stelle angekommen sind, erhebt sich vor unseren Augen ein Mahnmal. Dunkel, klobig und nüchtern steht es vor uns. Blumengebinde und Kränze liegen davor und die verwittere Schrift lässt nur ahnen, was sie uns zuruft:

Gedenke der deutschen Söhne und Töchter Siebenbürgens, die in zwei Weltkriegen und schweren Nachkriegsjahren ihr Leben ließen.

In der Tat, sie ließen ihr Leben, Im Süden - Hinter Stacheldraht, Im Osten - In der Heimat, Im Norden, Im Westen - Auf der Flucht. Sie ließen ihr Leben, denn man nahm es ihnen gewaltsam. Man nahm es ihnen gegen ihren Willen, man nahm es ihnen, weil sie aus irregeleiteter Euphorie meinten einem hehren Ziel zu dienen, man nahm es ihnen aus Willkür, aus Hass und grausamen Rachegelüsten. Man nahm ihnen das Leben, weil sie ihr im Schweiß erworbenes Eigentum verteidigten. Man nahm ihnen das Leben, weil sie mit ihrem schwachen Körper wiederaufbauen mussten, was andere zerstört hatten. Man nahm ihnen das Leben, weil man ihnen keine Zeit ließ, den rettenden Weg in geschützte Räume zu suchen. Man nahm ihnen ihr Leben, ohne ihnen die Chance zu geben, eine bessere, gerechtere und friedlichere Welt zu bauen. Wenn wir an dieser Stelle angekommen sind, müssen wir uns vor den Toten, denen so unendlich viel Unrecht widerfahren ist verneigen. Man nahm ihnen das Kostbarste, das Leben.

Wir verneigen uns vor ihnen, weil sie sterben mussten ohne für ihren Tod mit einem Lorbeer gekrönt zu werden. Sie waren Opfer, nicht Helden. Demut und Scham erfüllt uns, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Millionen junge Menschen, darunter auch die Blüte unseres sächsischen Volkssplitters, durch teuflisch besetzte Hirne, menschenverachtende Ideologien, aus Machtbestreben, Habgier und Hass in einen sinnlosen Tod getrieben wurden. Wir verneigen uns vor Gott, dem Gerechten, der das Leben gesegnet hat und der den Tod aus frevelhafter Hand nicht wollte. Das eherne Gesetz hat er aufgerichtet und zu dem Menschengeschlecht gesagt: DU SOLLST NICHT TÖTEN! Zwar sind Konflikte im Zusammenleben von Menschen und Völkern nicht auszuschließen, aber Gott hat uns Wege gezeigt, die zu Verständigung und Versöhnung führen. Gott hat uns, dem höchsten seiner Geschöpfe die Sprache gegeben, damit wir miteinander reden, bevor wir Fäuste ballen, bevor Gewalt unsere Herzen zum rasen bringt und wir wie von Sinnen tun, was niemals getan werden darf.

Weil wir seit eh und je Gottes Gebot missachtend auf unsere Kräfte gesetzt haben, müssen wir in tiefer Trauer an dieser Stelle den Tod derer beklagen, die hätten leben, für sich und ihre Mitmenschen Sinnvolles schaffen sollen.

Die Nacht senkt sich auf unsere alte Erde nieder. Während es Erfindergeist und Fleiß begabter Menschen ermöglicht hat, dass unsere Welt auch nachts in gleißend hellem Licht erstrahlt, breiten sich die Schatten des Todes nach wie vor über die Völker der Erde.

Geschundene und gefolterte Körper, von Schmerz verzerrte Gesichter, zum Himmel schreiende Verzweiflung von Müttern, heimatlos gewordene Kinder, leblose unter Schutt und Asche, verkohlte Menschen, zertrümmerte Häuser, überflutete oder verbrannte Erde lassen uns nicht zu Ruhe kommen. Wenn wir das täglich sehen und hören, können wir nicht einfach unberührt zur Tagesordnung übergehen, nicht an noch mehr Konsum und Unterhaltung denken. Das, was wir durch die Medien erleben, geschieht nicht in einem Science-Fiction-Film, nicht in einem geschauspielerten Krimi, es geschieht mitten in unserer überschaubar gewordenen Welt. Vor unserer Haustüre. Es geschieht, Gott sei es geklagt, an Stätten alter Kulturen und dort, wo einst ein Mann aus Nazareth die Arme im Tod zur Versöhnung über die Welt ausgebreitet hat. Dort, wo er ausrief: „Herr, vergibt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

So stehen wir heute hier, um uns zu fragen, was in unserer Macht, in unserem Wirkungsvermögen steht, damit solches Unrecht und Unheil nicht mehr geschehen kann. Gewiss sind wir zu gering, um die Geschicke der Welt zu steuern. Aber wir können sehr wohl als einzelne in unserem Lebensbereich unsere geistigen, religiösen und körperlichen Kräfte einsetzen, damit Gewalt nicht eskaliert, damit unter uns Vorurteile abgebaut werden, Missgunst, Misstrauen und Neid nicht das letzte Wort haben. Wenn wir die Botschaft des Versöhners Christus in Worte und Taten umsetzen, Frieden dort stiften und zu erhalten suchen, wo sich die Gelegenheit bietet, werden wir einen Beitrag leisten zu dem, was sich Menschen allenthalben erhoffen und ersehnen: Frieden und mehr Gerechtigkeit.

Jahr um Jahr kommen wir zu diesem Denkmal. Jahr um Jahr treten wir am Volkstrauertag an die Gräber von Tausenden unschuldig in den Tod getriebenen jungen Menschen. In Gottesdiensten beten wir um Frieden. Wann begreifen wir, dass unser Gott uns zum sinnvollen, helfenden, heilenden und beglückenden Leben geschaffen hat? Wann werden wir Versöhnung und Frieden von dem annehmen, der das Kreuz zum Zeichen des Sieges über den Tod errichtet hat?

Unser Gedenken an diesem Abend bleibt kein frommes Ritual, die Feierlichkeit keine Heuchelei, die Zeremonie nicht wirkungslos und das Gebet nicht Schall und bewegte Luft, wenn wir begreifen, dass Gott uns das Leben geschenkt hat, um miteinander diese Welt, in der es noch Vogelgezwitscher, Blumen und Liebe gibt, so zu gestalten, dass Frieden und erfülltes Leben möglich ist.

Pfarrer i.R. Kurt Franchy

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