18. Mai 2005

Hans-Peter Kemper: Mitbauen am geeinten Europa

In seiner Rede beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl hat der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hans-Peter Kemper (MdB), die besondere, historisch geprägte Rolle der Siebenbürger Sachsen als Brückenbauer, als Vermittler zwischen Deutschland und den so genannten alten EU-Ländern einerseits sowie Rumänien andererseits in einem zusammenwachsenden Europa gewürdigt. Seinen Arbeitsschwerpunkt sieht Kemper vor allem in einer verbesserten Aussiedlerintegration in Deutschland. Lesen Sie im Folgenden die Rede im Wortlaut.
Ich freue mich, den Heimattag der Siebenbürger Sachsen heute mit Ihnen begehen zu dürfen. Ich darf Ihnen die Grüße unseres Bundesinnenministers Otto Schily übermitteln, der ein guter Freund der Siebenbürger Sachsen ist. Und als ich im November vergangenen Jahres dieses Amt angetreten hatte, hat er mich fast wöchentlich gefragt: "Bist du schon bei den Siebenbürger Sachsen gewesen? Bist du schon in Hermannstadt gewesen?" - Nach Hermannstadt fahre ich in wenigen Wochen, bei den Siebenbürger Sachsen bin ich heute. Und ich muss sagen, ich fühle mich sehr wohl bei Ihnen. Wir haben gestern beeindruckende Erlebnisse hier gehabt. Wir haben bis tief in die Nacht sehr gute Gespräche geführt.

Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Hans-Peter Kemper, währen seiner Ansprache in Dinkelsbühl. Foto: Josef Balazs
Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Hans-Peter Kemper, während seiner Ansprache in Dinkelsbühl. Foto: Josef Balazs
"Tiefen überstehen - Brücken bauen" - Unter dieses Motto haben Sie Ihre heutige Veranstaltung gestellt. Ich glaube, im Hinblick auf ein zusammenwachsendes Europa, im Hinblick auf die gewaltigen Veränderungen, die wir zurzeit in der Welt erleben, hätte das Motto nicht treffender sein können. Bei diesem zusammenwachsenden Europa spielen die Siebenbürger Sachsen eine große Rolle.

Der Name Siebenbürger Sachsen ist heute wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt und er ist positiv besetzt. Er steht für viele positive Merkmale: für die Kultivierung geprägter Landschaften in 850 Jahren, für Zeugnisse von gesamteuropäischer Geschichte und Kultur, für in ihrer Art einmalige Baudenkmäler, die zum Teil bereits ins Welterbe der UNESCO aufgenommen sind. Die faszinierende Altstadt von Hermannstadt ist auf gutem Wege. Man kann also fast von einer gewissen Renaissance der siebenbürgischen Kulturtradition sprechen, die Ihnen und uns gemeinsam so am Herzen liegt! Hermannstadt ist das kulturelle Zentrum Siebenbürgens und wird zusammen mit Luxemburg im Jahre 2007 europäische Kulturhauptstadt 2007 sein. Das sind Brücken, von denen wir uns in Europa noch mehr wünschen! Mit Spannung und auch mit Freude sehe ich deswegen meinem Antrittsbesuch in Hermannstadt entgegen. Die Bundesregierung sieht sich in der Verantwortung für die Bewahrung der siebenbürgisch-sächsischen Kultur. Sie misst dieser Aufgabe eine besondere Bedeutung zu.

"Tiefen überstehen - Brücken Bauen" - Erlebtes und Erlittenes miteinander zum Positiven wenden, wie das funktioniert, das haben Sie, liebe Siebenbürger Sachsen, in der Vergangenheit und bis heute uns eindrucksvoll vorgelebt! In diesem Jahr jährt sich das Ende des 2. Weltkriegs zum 60. Mal. Ein verbrecherisches Regime hatte bar jeder Vernunft einen Krieg angezettelt und damit schwere Schuld auf uns geladen. Dieser Krieg brachte Elend über ganz Europa. Das bittere Ende dieses Krieges brachte ungezählte Lebenskatastrophen für einzelne Menschen, aber auch für ganze Volksgruppen mit sich. Flucht und Vertreibung, Bombennächte, letzte Schlachten, Qualen, Tod, Hunger: Bilder des Grauens, die sich bis heute für immer in die Seele der Erlebnisgeneration eingebrannt haben. Für viele, die wie ich den Krieg nicht mehr bewusst miterlebt haben und für jüngere Menschen kaum nachvollziehbar.

Krieg und Elend haben Sie, liebe Mitbürger, zusammen mit den anderen Rumäniendeutschen erlebt und erlitten! Mit dem Frontwechsel Rumäniens im August 1944 hatte sich die Lage der rumäniendeutschen Volksgruppe dramatisch verändert. Noch 1943 von reichsdeutscher Seite zur SS und zur Wehrmacht einberufen, kämpften sie plötzlich auf der Seite des Feindes. Das hatte böse Folgen: Plötzlich galten die Rumäniendeutschen als Hitleranhänger. Es folgten Repressalien mit Internierungen. Die amtliche Registrierung aller Rumäniendeutschen bis hin zur Deportation von 70 000 Rumäniendeutschen, darunter über 30 000 Siebenbürger Sachsen. Beeindruckend ist die Schilderung einer Zeitzeugin: So war ich in die Hauptstraße gekommen. Dort standen etwa 20 Autobusse; ich lief zu Freunden, keiner wusste, was es zu bedeuten hatte. Alle waren aber zutiefst erschrocken. In der Nacht begannen die Aushebungen. ...... Sie läuteten wie wild und schlugen mit den Gewehrkolben an die Tür. Lassen Sie mich nochmals aus dem Bericht einer Zeitzeugin zitieren: Das äußere, leicht rekonstruierbare Bild war dieses: Ein langer Zug von Viehwagen, jeder dieser vergitterten, verschlossenen Wagen aber gestopft voll von 40 bis 60 jungen Menschen - welch eine zersprengende Fülle von Gedanken und Empfindungen!

Grauenvolle Bilder, Geräusche, Gerüche, die man wohl niemals abschütteln kann.
Über 3 000 Siebenbürger Sachsen überlebten die Zeit in den Arbeitslagern nicht. Von den Übrigen wurden die letzten erst nach fünf Jahren freigelassen. Zuhause fanden sie eine grundlegend veränderte Situation vor. Enteignungen und Sozialisierung hatten ihnen die Lebensgrundlage entzogen, führte zur Entwurzelung. Viele Rumäniendeutsche kehrten ihrer Heimat den Rücken und reisten nach Deutschland aus. In Siebenbürgen leben heute nur noch ca. 15 000 Siebenbürger Sachsen gegenüber ca. 300 000 vor dem 2. Weltkrieg.

"Tiefen überstehen, Brücken bauen". Nach dem Erleben der tragischen Schicksalsschläge, der Tiefen, haben Sie sich in Ihrer Landsmannschaft hier in Deutschland zusammengefunden und sich gegenseitig nach Kräften beigestanden. Unter ausdrücklichem Verzicht auf Vergeltung und Aufrechnung bauen Sie Brücken nach Rumänien. Sie wirken am Aufbau eines freien, geeinten Europa mit. Hierfür gebührt Ihnen unser aller Dank!

Flucht, Vertreibung, Auswanderung und Integration: Sie kennen das alles nur zu gut! Als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten sehe ich meinen Arbeitsschwerpunkt vor allem in der Verbesserung und Beschleunigung der Integration der Spätaussiedler-Familien in Deutschland. Lassen Sie mich betonen: Deutschland ist integrationsfähig! Seit den 50er Jahren wurden etwa 4,5 Millionen Aussiedler in Deutschland aufgenommen. Davon 430 000 aus Rumänien, fast die Hälfte aus Siebenbürgen. Als Bundestagsabgeordneter in Ihrem Patenland Nordrhein-Westfalen bin ich natürlich stolz auf diese Erfolgsgeschichte: Die Integration von rund 15 000 Siebenbürger Sachsen im Oberbergischen Kreis - ich denke da an die Siebenbürger-Sachsen-Siedlung Drabenderhöhe in der Stadt Wiehl, wo rund 3 500 Menschen wohnen, die aus 190 Orten in Siebenbürgen stammen - zeigt, wie es funktioniert, wie man zusammenleben kann, wie man die landsmannschaftliche Identität beibehalten kann, ohne sich abzuschotten.

Das klappt nicht bei allen so. Sie wissen, dass es bei den russlanddeutschen Aussiedlern erhebliche Schwierigkeiten gibt. Dieser Erkenntnis sind wir im Zuwanderungsgesetz gefolgt. Wir haben das Zuwanderungsgesetz geändert. Es steht unter dem Motto "Fördern und Fordern". Wir bieten den Aussiedlern Sprachkurse an, erstmals auch den Familienangehörigen. Wir erwarten allerdings, dass die Menschen, die zu uns kommen wollen, auch die deutsche Sprache in den Herkunftsländern erlernen. Die kostenlosen Angebote sind da. Wir hoffen, dass viele davon Gebrauch machen. Wer von den Aussiedlern den deutschen Pass haben möchte, von dem kann auch unsere Gesellschaft im Vorfeld gewisse Vorleistungen verlangen. Der Bund kann immer nur die Erstintegration bieten. Integration vollzieht sich dort, wo die Menschen leben, also auf der kommunalen Ebene. Deshalb können Orte eine große Rolle im Leben von Zugewanderten spielen. Auch die Stadt Dinkelsbühl ist für die Siebenbürger Sachsen so ein Ort. Hier leben viele Siebenbürger Sachsen. Hier findet seit 54 Jahren alljährlich der Heimattag der Siebenbürger Sachsen statt und, wie ich höre, gibt es hier sogar eine Siebenbürgenstraße. Auch das Sozialwerk der Siebenbürger Sachsen wurde 1986 in Dinkelsbühl ins Leben gerufen.

Vor nunmehr 20 Jahren, 1985, wurde eine offizielle Partnerschaft zwischen der Stadt Dinkelsbühl und der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen besiegelt. Dieses 20-jährige Jubiläum ist neben dem Gedenken an die Deportation das andere, das uneingeschränkt erfreuliche Schwerpunktthema des heutigen Tages. Wir gratulieren ganz herzlich zu diesem 20-jährigen Jubiläum! Seit 2001 gibt es auch offizielle freundschaftliche Beziehungen zur Stadt Schäßburg in Siebenbürgen. Das ist ein weiteres Bindeglied zwischen Dinkelsbühl und den Siebenbürger Sachsen. Ich möchte den Bürgern von Dinkelsbühl und der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen zu dieser lebendigen Partnerschaft von Herzen Glück wünschen und für die Zukunft eine erfolgreiche Fortführung!

Rumänien gehört zu den Erstunterzeichnern des Rahmenabkommens des Europarates zum Schutze nationaler Minderheiten. Rumänien betreibt eine konstruktive Minderheitenpolitik. Dieses Abkommen ist in Rumänien seit dem 1. Februar in Kraft und bietet der deutschen Minderheit aktive Gestaltungsmöglichkeiten in der Politik des Landes auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene. Das Demokratische Forum hat diese Chancen erfolgreich genutzt, wie sich im vergangenen Jahr bei den Kommunalwahlen gezeigt hat, wo vor allem mit überwältigender Mehrheit Bürgermeister Klaus Johannis wieder gewählt worden ist. Die Bundesregierung hat die deutsche Minderheit in Rumänien seit der politischen Wende 1989 mit erheblichen Mitteln gefördert. Rückblickend kann man sagen, es war gut angelegt. Wir werden einen Beitrag zur Existenzsicherung und zum Fortbestand der Minderheiten in Rumänien leisten. Beispielhaft sei nur das Friedrich-Teutsch-Haus in Hermannstadt genannt, oder die Übernachtungs- und Begegnungsstätten im Lehrerfortbildungszentrum in Mediasch. Wir werden in diesem Jahr dieses Projekt zum Abschluss bringen. Ich bin sicher, dass diese Projekte, die ich gerade genannt habe, weitere Brücken zwischen den beiden Ländern schlagen werden.

Am 25. April wurde in Luxemburg der Vertrag über den Beitritt Rumäniens zur EU im Jahre 2007 feierlich unterzeichnet. Mögen auch viele Unions-Bürger diesem Beitritt Rumäniens noch skeptisch gegenüber stehen: Wir müssen für Akzeptanz sorgen, wir müssen dafür sorgen, dass Rumänien in der Schiene des Europäischen Integrationsprozesses bleibt. Ich hoffe zuversichtlich, dass Rumänien die Voraussetzungen des Beitritts erfüllen wird.

Für Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Siebenbürger Sachsen hier in Deutschland und Österreich, und für die deutschen Minderheiten in Rumänien wird der EU-Beitritt Rumäniens in jedem Fall eine weitere Chance des gegenseitigen Austausches und der Vermittlung zwischen Deutschland und den alten EU-Ländern einerseits und Rumänien andererseits sein. Brücken bauen, der zweite Teil Ihres diesjährigen Mottos, wird noch gefragter sein als bisher.

Bischof Klein hat heute Morgen in einer bemerkenswerten Predigt die verschiedenen Möglichkeiten der Brückenschläge erwähnt. Ein Brückenschlag ist mir besonders in Erinnerung geblieben, jener zwischen den Herzen der Menschen. Und wenn wir diese Brückenschläge zwischen den Herzen der Menschen hinbekommen, sind wir auf einem guten Weg, dann ist mir um unsere Zukunft in Europa nicht bange. Ich wünsche Ihnen an diesem heutigen Tag schöne Stunden, den Siebenbürger Sachsen, uns allen viel Erfolg und eine friedliche Zukunft miteinander in Europa!

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