25. Mai 2005

Wege bauen in eine würdigere Zukunft

Sechzig Jahre nach Kriegsende und Verschleppung solle die Gedenkstunde in Dinkelsbühl dazu genutzt werden, um "die Erinnerung an die Toten mit dem festen Willen zu verbinden, Wege und Brücken in eine würdigere Zukunft zu bauen". Dies erklärte der Vorsitzende der Landesgruppe Hamburg/Schleswig-Holstein, Helmut Beer, am Pfingstsonntag, dem 15. Mai, an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl.
Das Motto des diesjährigen Heimattags, "Tiefen überstehen - Brücken bauen", sei aus dem tiefsten Geiste der Geschichte der Siebenbürger Sachsen heraus gewählt. Das Leitwort spreche eine Weisheit aus, die uns Siebenbürger Sachsen auch in Zukunft beseelen und begleiten soll. Die Rede Beers wird hier vollinhaltlich veröffentlicht:

Helmut Beer an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl. Foto: Günther Melzer
Helmut Beer an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl. Foto: Günther Melzer
Weitab der Felder und Fluren, der Bastionen und Wehrburgen der angestammten Heimat stehen wir hier an dieser Gedenkstätte. Weitab des Landes, das wir geprägt haben, das uns geprägt hat, weitab des Landes, dem wir einen Namen gaben und das uns den Namen gab.

Das, was für uns, den älteren Generationen der Siebenbürger Sachsen einst ein lebendiger Begriff war, liegt hinter uns: das Land der Burgen und Wehrkirchen mit den Basteien und Türmen. Sie gehörten zu den unverrückbaren Selbstverständlichkeiten unseres Alltags.

Zwei verheerende Weltkriege aber vernichteten in den Seelen der meisten von uns, das, was sich mit ihrem Anblick verknüpfte: das Gefühl, im Zeichen der Burgen und Bastionen eine sichere Heimat zu haben. Wir verließen diese Heimat, weil uns die Existenzgrundlagen genommen wurden, sie gingen für immer verloren. Der erste Weltkrieg erschütterte sie, der zweite zerbrach sie.

Ungezählte Tote aus unserem Kreis erinnern uns an Grausamkeit, Unmenschlichkeit, Demütigungen und Missachtung des Lebens:
"Gedenke der deutschen Söhne und Töchter Siebenbürgens,
die in zwei Weltkriegen und schweren Nachkriegsjahren ihr Leben ließen,
im Norden, Osten, Süden, Westen,
hinter Stacheldraht, auf der Flucht, in der Heimat."
So lautet die Inschrift dieser Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen hier in Dinkelsbühl, vor der wir Jahr für Jahr zu Pfingsten stehen, um derer zu gedenken, die Opfer dieser zwei Weltkriege und deren schweren Nachkriegsjahren wurden. Die Wunden, die uns ihr Verlust beibrachte, vernarbten. Aber sie blieben in jedem von uns deutlich spürbar. Und in den Augenblicken, da wir uns dessen bewusst werden, erstehen vor uns die Bilder von Krieg, Gefangenschaft, Zwangsverschleppung, Kerker, Not und Elend.

Die Tiefen, in die wir Siebenbürger Sachsen, wie auch viele Völker Europas im vergangenen Jahrhundert hinabsteigen mussten, rissen nicht nur Lücken in unsere Reihen, sie lenkten und bestimmten darüber hinaus auch unser Denken und Fühlen. Zur Trauer gesellte sich manchmal auch Hass, in die leidvolle Erinnerung mischte sich Zorn.

Sechzig Jahre nach Kriegsende und Deportation gilt es mehr denn je, mit freiem Blick, frei von Rachegefühlen und unbelasteten Gedanken zu betrachten, was hinter uns, und was vor uns liegt. Die Steine und Inschrift dieser Gedenkstätte ermahnen uns in vielfacher Weise dazu.

Wer sich vor Augen hält, dass seit Beendigung des zweiten Weltkriegs auf unserem Erdball rund zweihundert weitere Kriege, dazu bestialische Völkermorde und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt und verübt wurden und immer noch verübt werden, der kann angesichts der menschlichen Unbelehrbarkeit verzweifeln. In den Tiefen seines Lebens sehnt sich der Mensch nach Licht, Ausblick und Freiheit; sobald er sich ihrer erfreut, scheint er die Bedrohung durch den abermaligen Absturz zu vergessen.

Welchen Sinn jedoch kann eine Gedenkstunde wie diese hier haben, wenn nicht den, die Erinnerung an die Toten mit dem festen Willen zu verbinden, Wege und Brücken in eine würdigere Zukunft zu bauen?

In alle Welt zerstreut, leben heute Angehörige der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen. Auch zu ihnen sollen die Brücken führen, von denen im Motto unseres diesjährigen Heimattags die Rede ist. An dieser Stätte gehen unsere Gedanken zugleich über die ethnischen und nationalen Schranken hinweg. Das heißt, wir wünschen uns aus der Erkenntnis durchlittener Tiefen heraus den Brückenschlag zu allen Menschen guten Willens, gleichviel, welche Sprache sie sprechen.
Jahrhundertelang haben wir Siebenbürger Sachsen in einer Landschaft gegenseitiger Duldung und Akzeptanz gelebt. Unsere Burgen und Wehrkirchen waren niemals Festungen der Aggressivität, sondern ausnahmslos Festungen der Verteidigung. Aus unserem tiefsten geschichtlichen Verständnis heraus ist uns der Begriff des Brückenschlags und Vermittler zu sein wertvoll und vertraut.

In den vergangenen Jahrhunderten waren wir sehr oft Vermittler zwischen den mitwohnenden Nationen und haben uns immer für Toleranz und Verständigung eingesetzt. Und das sollen und wollen wir auch weiterhin tun, hier in der neuen Heimat, in unserem Mutterland, wohin wir zurückgekehrt sind.

Auseinandergerissen und in alle Winde zerstreut, gilt es heute umso mehr Vermittler zu sein und Brücken zu schlagen. Wenn es ein Vermächtnis gibt, das wir aus Siebenbürgen hierher mitgebracht haben, dann ist es die Erfahrung, dass wir höher als alles Gegeneinander das menschliche Miteinander bewerten und veranschlagen.

In diesem Sinne sind auch die 20 Jahre Partnerschaft mit der Stadt Dinkelsbühl, die wir in diesem Jahr feiern, ein Beispiel des unentwegten Brückenschlags zwischen den Siebenbürger Sachsen und den Menschen dieser schönen mittelalterlichen Stadt an der Wörnitz, der ehemals freien Reichsstadt Dinkelsbühl, die mit so mancher Stadt oder Ortschaft unserer alten Heimat große Ähnlichkeit aufweist.

"Tiefen überstehen - Brücken bauen."

Das Motto dieses Heimattags ist aus dem tiefsten Geiste der Geschichte der Siebenbürger Sachsen heraus gewählt. Sechzig Jahre nach Kriegsende und Verschleppung, spricht das diesjährige Motto des Heimattages eine Weisheit aus, die uns Siebenbürger Sachsen auch in Zukunft beseelen und begleiten soll. Gott helfe uns dabei.

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