23. Mai 2006

Bedeutendster Literaturpreis an Oskar Pastior

Der siebenbürgische Dichter Oskar Pastior erhält den diesjährigen Georg-Büchner-Preis. Wie die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung am 14. Mai mitteilte, habe der Lyriker ein „Oeuvre von größter Radikalität und Formenvielfalt“ geschaffen. Der Georg-Büchner-Preis gilt als die bedeutendste Auszeichnung für deutschsprachige Literatur.
Für sein literarisches Schaffen hat der gebürtige Hermannstädter Oskar Pastior bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten, u. a. auch den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis (1998), den Peter-Huchel-Preis (2001) sowie den Erich-Fried-Preis (2002). Im Jahr 2001 verlieh ihm die „Lucian-Blaga“-Universität in Hermannstadt die Ehrendoktorwürde. Der Büchner-Preis wurde ihm auf der Frühjahrstagung der Darmstädter Akademie in Kopenhagen zugesprochen. „Pastior erzeugt aus Buchstaben und Lauten, anmutig und witzig, immer neue poetische Welten“, heißt es in der Urteilsbegründung der Jury, die den diesjährigen Preisträger als „methodischen Magier der Sprache“ bezeichnet. Der mit 40 000 Euro dotierte Büchner-Preis wird auf der Herbsttagung der Deutschen Akademie am 21. Oktober 2006 in Darmstadt verliehen.

Die freudige Nachricht erreichte Pastior in Kopenhagen, wo er - als langjähriges Mitglied der Darmstädter Akademie - bei dem im Rahmen der Frühjahrstagung veranstalteten deutsch-dänischen Dichterfest las, neben anderen Autoren wie Herta Müller, Inger Christensen, Durs Grünbein und Robert Schindel. Akademiepräsident Klaus Reichert habe ihn im Hotelzimmer telefonisch von seiner Auszeichnung in Kenntnis gesetzt und damit total überrascht, schilderte Pastior im Gespräch mit der Siebenbürgischen Zeitung seine erste Reaktion: „Ich hab' erst mal ein paar Tränchen verdrückt und dann ganz banal Freude empfunden. Und dann gab es ein bisschen Champagner.“. Später Lorbeer. Im kommenden Jahr wird Pastior 80 Jahre – den Büchner-Preis nimmt er als 80. Preisträger entgegen. Unter all seinen Vorgängern, eine Galerie erlesener Schriftstellergrößen wie Günter Grass, Elias Canetti, Max Frisch, Martin Walser, Friedrich Dürrenmatt, Paul Celan oder Elfriede Jelinek, stehen ihm die Lyriker Ernst Jandl und Friederike Mayröcker besonders nahe.
Oskar Pastior, hier in seinem Arbeitszimmer in Berlin, erhält den diesjährigen Georg-Büchner-Preis. Foto: Privat
Oskar Pastior, hier in seinem Arbeitszimmer in Berlin, erhält den diesjährigen Georg-Büchner-Preis. Foto: Privat


Wohl nie zuvor stand ein siebenbürgischer Schriftsteller derart im Fokus der Medienberichterstattung. Es rauschte gewaltig im Blätterwald, was angesichts des überragenden Renommees des Georg-Büchner-Preises nicht verwundert. Nur am Rande bemerkt, beweisen manche Kritiker hinsichtlich der Nationalität des Preisträgers durchaus Variantenreichtum, wenn sie Pastior mal als rumäniendeutschen, dann als deutsch-rumänischen oder, wie der Wiener Kurier, gar als „rumänischstämmigen deutschen Schriftsteller“ bezeichnen.

Dessen ungeachtet findet die Entscheidung der Jury in der deutschsprachigen Presse breiteste Zustimmung. Kritisiert wird allenfalls der Zeitpunkt. Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) kommt diese Auszeichnung reichlich spät. Schon vor einem Vierteljahrhundert hätte die Jury den seinerzeitigen avantgardistischen Lyriker für seine anarchische Sprachspielkunst ehren sollen. Ansonsten Elogen auf Pastiors Meisterschaft, auf den „Wortschatzmagier“ (FAZ), den „Meister der experimentellen Gegenwartsdichtung“ (Die Berliner Literaturkritik), den „Vater der literarischen Performance“ (Berliner Morgenpost), den „Meister der Verwandlung, ein König auf kleinem Raum“ (Süddeutsche Zeitung). Zu Superlativen griff die Welt: „Oskar Pastior ist unter den Dichtern der Moderne derjenige mit dem ausgeprägtesten Klangbewusstsein und dem intelligentesten Humor“. Schließlich würdigte die taz Pastior als „Prototypus des minutiös harkenden, gezielt aussäenden Gärtners“, der „den Sprachkörper befühlt und bepflanzt, beschneidet und begießt“; er sei „ein fähiger Züchter, der es bravourös versteht, seine Aufzucht magisch hochzupäppeln.“

Mag der Dichter selbst gegen manche dieser teilweise enthusiastischen Etikettierungen Einspruch erheben – der späte Lorbeer steht ihm ungeschmälert zu ob seines „höchst respektablen Lebenswerks“ (FAZ). Dem frühen Unstern über seinem Lebensweg zum Trotz.

„Die Sprache ist klüger“


1927 kam Oskar Pastior in Hermannstadt zur Welt. Der knapp 18-Jährige wurde 1945 als Angehöriger der deutschen Minderheit in die Ukraine (Donbass) zur Zwangsarbeit deportiert. Nach seiner Rückkehr 1949 schlug er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Ab 1955 studierte Pastior in Bukarest Germanistik, um anschließend als Rundfunkredakteur bei der deutschen Abteilung Inlandsendung des Rumänischen Rundfunks zu arbeiten. 1968 gelang ihm bei seiner ersten Westreise die Flucht nach Deutschland. Seit 1969 lebt Oskar Pastior, dessen Bruder Peter Pastior das Sozialwerk der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen leitet, als freier Schriftsteller in Berlin.

Oskar Pastior gilt als herausragender Repräsentant der experimentellen Lyrik. Seit seinem literarischen Debüt vor vierzig Jahren („Offene Worte“, 1965) ist ein umfangreiches literarisches Werk entstanden, das von bemerkenswerten Übersetzungen (Gellu Naum, Francesco Petrarca) flankiert wird. Wie nur bei wenigen Dichterkollegen verlangt Pastiors Kunst von ihrem Schöpfer selbst vorgetragen zu werden. Dieser begnadete Rhapsode, der im Reich der Wörter Sprachräume wortreich durchspringt, der mit einem Augenzwinkern den Schilderwald passiert; dieser in Gestik wie Mimik gleichermaßen ausdrucksstarke Vortragskünstler weiß all den ironischen Pointen, den unsichtbaren Fragezeichen eine Stimme zu verleihen. Manche seiner Gedichte, die aus Wirkungsgründen unbedingt laut zu lesen sind, nennt er „Hörichte“. Analog nannte ihn ein Kritiker einmal einen „Hörsteller“. Etikettierende Zuschreibungen sind ihm regelrecht verdächtig. Nein, er sei kein Nachfahre der Dadaisten, erklärt Pastior im Gespräch. „Ich sehe mich weder als Magier noch als Trapezkünstler und bin auch kein Sprachzertrümmerer.“ Im Gegenteil: „Die Sprache ist klüger als ich selbst.“ Es gehe ihm vielmehr um die Bewahrung der Sprache; und die Rechtschreibreform mache da einiges kaputt.

Seinen Erwartungshorizont steckte Oskar Pastior vor zehn Jahren in einem Interview ab, das der Germanist Stefan Sienerth mit dem Schriftsteller führte (veröffentlicht in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, 45. Jahrgang, 1996, Folge 4, S. 255 – 264): „Wichtig erscheint mir doch – auch im Hinblick auf das Alter – vor allem, ob ich schreibe was ich so schreibe, wie Sprache mich so schreibt, ob das nächste Buch erscheint, ob jemand was dran findet und es bespricht, ob man mich daraufhin zu einer Lesung einlädt, ob da vielleicht jemand ist, der in ein paar Jahren sagen wird, er habe dort und dort mich lesen hören …“ – Am nächsten Buch, einem autobiografischen Roman, schreibt Oskar Pastior gemeinsam mit der banat-schwäbischen Autorin Herta Müller seit drei Jahren. Es handelt von den Jahren in der Deportation und soll im kommenden Jahr anlässlich seines achtzigsten Geburtstags im Münchner Carl Hanser Verlag erscheinen. Mit großer Spannung sehen wir der Veröffentlichung und den Lesungen des Büchner-Preisträgers entgegen.

Christian Schoger


Schlagwörter: Ehrungen, Oskar Pastior

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