2. April 2001

Schätze der Siebenbürgischen Bibliothek: Kalender und Almanache

In der Siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim gibt es rund 150 Kalender, z.T. Sammlungen über einen Zeitraum von fast 100 Jahren. Der älteste vorhandene Kalender in der Gundelsheimer Sammlung ist Der neue und alte Almanach aus dem Jahre 1653, ein Hermannstädter Druck, der somit fast 350 Jahre alt ist. In einer Zeit, wo es kaum Zeitungen, Illustrierte, keinen Rundfunk, Fernsehen und sonstige technische Medien gab, waren die Kalender und Almanache die wichtigsten Medien ihrer Zeit. Sie hatten den Anspruch, die Enzyklopädie des kleinen Mannes zu sein.
Was ist eigentlich ein Kalender? Die Beantwortung dieser einfachen Kinderfrage bringt einen unter Umständen in arge Verlegenheit. Natürlich weiß jedermann, was ein Kalender ist. Ein Blick zum nächstgelegenen Wandkalender gibt erste Hinweise. Verzeichnet sind zumindest das Jahr, die Monate, Wochentage, manchmal auch noch der Stand des Mondes, der Sonnenauf- und -untergang, der Beginn der Jahreszeiten. Religiöse und staatliche Feiertage sind hervorgehoben und werden von den Werktagen geschieden. In Kalender werden Schulferien, Urlaubszeiten, Geburtstage und Geschäftstermine eingetragen.
Ein Kalender oder Almanach ist also zunächst ein Zeitplanungsinstrument. Man kann voraussehen und -berechnen, wie bestimme Feier- oder Werktage fallen und für bestimmte Tage etwas planen. Die Einteilung des Jahres in zwölf Monate und des Monats in 28 bis 31 Tage hat ihre Geschichte. Die Durchnumerierung der Monate haben wir von den Römern übernommen. Die numerische Kennzeichnung der Tage ist ein abstrakter Vorgang. In früheren Zeiten und rudimentär bis heute dominierten namentliche Bezeichnungen der Tage. Im christlichen Abendland waren es vielfach die Gedenktage der Heiligen und Märtyrer. Im katholischen und orthodoxen Umfeld ist dies noch sehr stark ausgeprägt und auch bei den Siebenbürger Sachen erstaunlich gut erhalten. Der Johannis-, Georgen-, Peter- und Paulstag und andere Heiligentage sind uns Sachsen noch bekannt und werden mit Festen und Feiern begangen. Ein Kind erhielt in Siebenbürgen häufig den Namen des Heiligen, dessen an seinem Geburtstag im Kalender gedacht wurde. Der Namenstag war in Siebenbürgen fast bis in die jüngste Zeit wichtiger als der Geburtstag. In der Regel feierte man nur Ersteren ausgiebig.
In dörflichen Gemeinschaften markierten bestimmte Tage den Beginn der Aussaat, der Ernte, der Einstellung und Entlohnung von Gesinde, den geeigneten Zeitpunkt, Haustiere begatten zu lassen oder vorausberechnete Geburtstermine von Mensch und Vieh einzutragen. In der sächsischen Demokratie fanden am Katharinentag die Zusammenkünfte der Delegierten der Sächsischen Nationsuniversität statt. Noch heute werden zahlreiche Bälle in der Nähe dieses Feiertages angesetzt.
Kalender zur Zeiteinteilung waren also in jedem bäuerlichen und städtischen Haushalt unabdingbar. Seit dem 17. Jahrhundert fanden auch kurze Prosaerzählungen in den sogenannten Volkskalendern Platz. Die Kalender avancierten neben Bibel und Gesangbuch zu den meistgelesenen Schriften. Häufig gab es darin auch Raum für eigene Aufzeichnungen. Übermäßig besorgt wurden sie nicht: Es umgab sie keine heilige Aura wie etwa die sakralen Schriften. So wurden sie nach Ablauf des jeweiligen Geltungszeitraumes selten aufbewahrt.
Daraus ergibt sich das Paradoxon, dass Kalender in großer Stückzahl gedruckt, aber kaum in nennenswerter Anzahl erhalten sind. Dies gilt vor allem für die Privathaushalte. Lediglich in Bibliotheken findet man diese Schätze der Alltagskultur. Sie dürfen leider wie andere Periodika nicht ausgeliehen werden, sondern können nur in der Bibliothek eingesehen bzw. kopiert werden, wenn keine Einschränkungen zum Schutze der Werke vorliegen. In Gundelsheim werden systematisch Kalender gesammelt, die in Siebenbürgen erschienen sind bzw. erscheinen und noch heute von zahlreichen siebenbürgisch-sächischen Vereinen in Deutschland, Österreich und Übersee herausgegeben werden.
In fast allen siebenbürgischen Haushalten hängt bis heute mindestens ein Namenstagskalender aber auch Foto- oder Künstlerkalender mit Ansichten aus der Heimat. In Rumänien erfreute sich in den 1970er und 1980er Jahren der Neue Weg Kalender großer Verbreitung. Seit nahezu fünfzig Jahren ist das vom Hilfskomitee herausgegebene Jahrbuch-Siebenbürgisch-Sächsischer Hauskalender sehr verbreitet. Neben heimatlicher Thematik - Brauchtum, Geographie, geschichtlichem und literarischem Inhalt (häufig auch Mundartdichtung) - findet man Kurzweiliges aus aller Welt, eine unübersehbare Vielfalt an Beiträgen. Immer sind sie für ein größeres Publikum geschrieben. Schon die Namen der Almanache und Kalender deuten dieses an. So hieß einer der bekanntesten der Sächsische Hausfreund, ein Kalender für Siebenbürger zur Unterhaltung und Belehrung.
In der Siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim gibt es rund 150 Kalender, z.T. Sammlungen über einen Zeitraum von fast 100 Jahren. So sind z.B. vom Bistritzer Kalender die Jahrgänge 1864-1940. vorhanden. Nicht allen Kalendern ist ein kontinuierliches Erscheinen, gar unter dem selben Namen, vergönnt gewesen. Es gibt den Zeitumständen geschuldete Brüche. Der älteste vorhandene Kalender in der Gundelsheimer Sammlung ist Der neue und alte Almanach aus dem Jahre 1653, ein Hermannstädter Druck, der somit fast 350 Jahre alt ist. In jeder sächsischen Stadt erschienen Kalender, die meisten in Kronstadt und Hermannstadt, und waren natürlich auch im Umland verbreitet. Viele der Volkskalender sind umfassende lokalgeschichtliche Nachschlagewerke für den Leser. Heimatliche Geschichte und Bildung haben darin einen großen Stellenwert, ebenso Anekdoten und Witze. Gute pädagogische und belehrende Literatur findet breiten Raum. In der Regel wird man aber auch über wichtige welt- und landesgeschichtliche Ereignisse informiert: Die wichtigsten geschichtlichen Jubiläen sind vermerkt. Häufig finden sich auch die allerhöchsten Amts- und Würdenträger sowie die Genealogie des Herrschergeschlechtes verzeichnet. Daneben enthalten die Kalender vielfach Adressverzeichnisse aller wichtigen lokalen Organisationen und Persönlichkeiten und sind sozusagen Telefon- und Branchenbücher im heutigen Sinne: Ärzte, Hebammen, Handwerker, Lehrer, Presbyter und noch viele andere Honoratioren und Bürger sind namentlich und mit Wohnsitz verzeichnet. In fast allen Kalendern werden nicht nur die deutschen, sondern auch die rumänischen und ungarischen Schulen, Bürger, Händler und Handwerker usw. aufgeführt, was auf enge wirtschaftliche Kontakte und ein gutes Zusammenleben der Nationalitäten hindeutet. Außer den evangelischen Namenstagen wurden auch die katholischen und orthodoxen Heiligen- und Feiertage verzeichnet. Kurios, dass es zwischen den Kronstädter und Hermannstädter (evangelischen) Namenstagen manchen Unterschied gab.
Daneben enthielten die Kalender - schon zur Postkutschen- und natürlich in der Eisenbahnzeit - auch exakte Fahrpläne und Tarife für den Nah- und Fernbereich ebenso für Brief- Paket-, Telegramm- und Personenbeförderung. Für Historiker und Hobbyforscher, etwa Genealogen, ist die Auswertung der Kalender eine reiche Fundgrube. Geschäftsanzeigen und Fahrpläne machen zudem das pulsierende wirtschaftliche Leben in den sächsischen Städten und dessen Anziehungskraft für das Umfeld deutlich.
Die Themenvielfalt der Kalender ist groß. In den landwirtschaftlichen Kalendern, z.B. Der Pflug, waren die Jahrmärkte, differenziert nach Schweinen, Schafen, Hornvieh, Pferden und sonstigen Waren, in einem Gebiet vom Banat bis in die Bukowina verzeichnet. Die Geschäftsanzeigen für landwirtschaftliche Maschinen und Pflüge und die redaktionellen Beiträge lassen auf den Stand der siebenbürgischen Landwirtschaft schließen. Daneben gab es die Kalender der lokalen Zeitungen als Jahresgaben für ihre Leser oder die Gaben verschiedener Gesellschaften, etwa des Hermannstädter Kinderschutzvereins.
Resümierend könnte man die Kalender als populäre Ratgeberliteratur bezeichnen. Dem Bauern wurden Ratschläge zur Düngung des Bodens, zur Veredelung von Obstsorten u.Ä. gegeben, der Hausfrau Tipps zur gesunden Ernährung, zu Kindererziehung und Hygiene. Für jeden in der Familie war etwas Interessantes dabei. In einer Zeit, wo es kaum Zeitungen, Illustrierte, keinen Rundfunk, Fernsehen und sonstige technische Medien gab, waren die Kalender und Almanache die wichtigsten Medien ihrer Zeit. Sie hatten den Anspruch, die Enzyklopädie des kleinen Mannes zu sein.

Gustav Binder


Die Öffnungszeiten der Siebenbürgischen Bibliothek sind Dienstag bis Freitag von 9-12 und 14-17 Uhr. Führungen sind auch an Wochenenden nach Voranmeldung und Terminbestätigung möglich.
Anschrift: Siebenbürgische Bibliothek, Schloss Horneck, D-74831 Gundelsheim/Neckar, Telefonnummer: (0 62 69) 42 15-10, 42 15-15 und 42 15-20, Fax: (0 62 69) 42 15-30, E-Mail: institut@sb-gun1.bib-bw.de.

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