28. Juni 2001

Wer nutzt die Siebenbürgische Bibliothek?

Zunehmend wenden sich Studenten geistes- oder sozialwissenschaftlicher Fächer, besonders Geschichts- oder Literaturwissenschaftler, mit oder ohne biographischen Wurzeln in Siebenbürgen, sächsischen Themen zu. Dieser Prozess ist gleichermaßen bei Studenten und Doktoranden aus Deutschland, Ungarn und Rumänien zu beobachten.
Vereinzelt stoßen aber auch Nachwuchswissenschaftler aus Österreich, Frankreich, Belgien, Luxemburg, den USA, Kanada und anderen Ländern hinzu. Und sogar in Australien gibt es einen Junghistoriker, dessen Schwerpunkt die siebenbürgisch-sächsische Geschichte ist.
Bei der Erklärung dieses Phänomens dürften mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Für die Personen mit „Wurzeln“ in Siebenbürgen sind die Sprach- und Milieukenntnisse von großem Vorteil und erleichtern einen Zugang zum Thema. Sie sind neugierig, eine gelernte Theorie empirisch zu überprüfen oder mit neuen Methoden auf einem bislang unbeackerten Gebiet zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Die Wahl und Entdeckung eines Forschungsthemas sind oft auf außerwissenschaftliche Gründe zurückzuführen, die aber durchaus legitim sind. Die Arbeiten dieses Personenkreises sind sehr wertvoll und bringen neue Einsichten und Ergebnisse über Siebenbürgen. Oftmals sehen sie bisherige „Tatbestände“ in neuem Licht, brechen mit manchem liebgewordenem Mythos und wirken manchmal „umstürzlerisch“. Auch hier gilt es, dass jede Generation die Geschichte von neuem schreiben muss. In Rumänien hat sich die Wissenschaft nach der „Wende“ leider nur teilweise aus dem Korsett ideologischer Bevormundung gelöst. Insbesondere die jüngere Wissenschaftlergeneration, die durch Stipendien im westlichen Ausland studieren konnte, sucht Anschluss an Themen und Methoden in der „scientific community“. Dieses ermöglicht z. T. eine Hinwendung zu neuen Themen und Fragestellungen. So gibt es Forscher, die sich mit ehemals „heiklen“ Themen, wie der Deportation der Rumäniendeutschen befassen.
Der zweite Personenkreis, ohne „Wurzeln“, wurde zwar meist zufällig auf das Thema Siebenbürgen aufmerksam, ließ sich aber davon faszinieren, so dass er gefesselt und gebannt nicht mehr davon lassen kann. Die neuen Medien, die Präsentation und Recherche im Internet, die Kommunikation über E-Mail, tragen auch hier zur Internationalisierung bei. Die Unbefangenheit, die kritische Distanz und möglicherweise ganz anderen Sichtweisen dieser Forscher sind ebenfalls sehr wertvoll. Damit die (siebenbürgische) Wissenschaft nicht zu einem „selbstreferentielle System“ verkommt (so der Vorwurf Berliner Ministerialbeamter im BKM), in dem die Bücher nur vom gleichen Personenkreis geschrieben, gelesen und rezensiert werden, ist die Präsenz dieser „außenstehenden“ Wissenschaftler sehr wichtig. Sie vermeiden ein „inzestuöses“ wissenschaftliches Milieu, das nur aus Freund- und Feindschaften lebt und hermetisch abgeriegelt ist. Sie etablieren von der Forschung anerkannte Standards, wie Theoriebildung, Terminologie, Diskurs.
Bei ihren Recherchen stoßen beide Gruppen über kurz oder lang auf das Siebenbürgen-Institut in Gundelsheim, mit der Siebenbürgischen Bibliothek und dem Archiv. Hier finden sie vielfach das, was sie suchen, in konzentrierter Form vor. Kürzlich machte eine Doktorandin aus Rumänien die erfreute Feststellug, dass sie für ihre Arbeit in drei Wochen so viel Material in Gundelsheim vorfindet, wie sie es in drei Jahren an ihrer Universität nicht zusammenbekommen könnte, obwohl das Forschungsthema eher vermuten ließe, dass die reicheren Bestände dazu vor Ort wären. Auch zehn Jahre nach der Wende seien die Bibliotheken in Rumänien nicht benutzerfreundlicher geworden. Viele in die „Giftschränke“ verbannte Bücher, sogenannte „fonduri secrete“, seien wegen des allgemeinen Durcheinanders sowie der fehlenden Mittel und Motivation des Personals noch immer nicht zugänglich und moderten an unbekannten Orten oder in dunklen Kellern vor sich hin. Es sei eine Frage der Zeit, bis sich diese (nicht kleinen) Bestände zu Staub verwandeln würden. Zwar sei es eine „revolutionäre Errungenschaft“, dass es im Land und in den Bibliotheken zahlreiche Kopierer gäbe, aber auf deren Funktionieren könnte man sich nicht immer verlassen. Nicht zu vergessen sei, dass die Bibliotheken in Rumänien über ein halbes Jahrhundert kaum im westlichen Ausland erschienene Literatur angekauft haben, dass also riesige Lücken klaffen. Sie gehe davon aus, dass dieser trostlose Zustand noch geraume Zeit andauern werde, sagte die Doktorandin.
An Siebenbürgen interessierte Nachwuchswissenschaftler können in den Gästezimmern des Instituts-Gebäudes zu einem sehr günstigen Preis wohnen. Vielfach wird versucht, für ihren Aufenthalt ein kleines Reisestipendium durch das Institut für Auslandsbeziehungen zu bekommen. Die Arbeitsmöglichkeiten sind gut. Es gibt eine kompetente Beratung durch qualifiziertes Bibliothekspersonal, Hinweise auf weiterführende Literatur, Kontakte und Referenzen zu anderen Archiven und Beständen. Die Bücher sind weitgehend frei zugänglich, Kopierer vorhanden. Anfragen zu den Beständen und Forschungsaufenthalten können an das Siebenbürgen-Institut, Schloss Horneck, 74831 Gundelsheim, Telefon: (0 62 69) 42 15 10 oder 42 15 15 gerichtet werden.

Gustav Binder

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