28. Februar 2003

Siebenbürger im neuen Haus der Geschichte

An der Stuttgarter Kulturmeile, dort wo sich die Staatsgalerie, das Große Schauspielhaus, die Musikhochschule und die Stadtbibliothek befinden, wurde am 13. Dezember 2002 das neue Haus der Geschichte des Landes Baden-Württemberg eröffnet. Mit der Einweihung des Museums durch Ministerpräsident Erwin Teufel wurden die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Gründung des Landes Baden-Württemberg abgeschlossen. Erfreulicherweise sind auch die Siebenbürger Sachsen als wichtige Bevölkerungsgruppe in den Städten und Gemeinden Baden-Württembergs im neuen Museum repräsentiert. Anhand persönlicher Lebensläufe und Schicksale wird auf die Aussiedler hingewiesen.
Eine entscheidende Rolle spielten die Vertriebenen und Aussiedler 1951, als es um die Volksabstimmung in den drei eigenständigen Südwestländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern über den Zusammenschluss zu einem einzigen Bundesland ging. Sie waren gleichsam das Zünglein an der Waage und gaben mit ihrem Votum den Ausschlag für die Gründung des Südweststaates. Ob diese Tatsache und der Beitrag der Vertriebenen zum Aufbau des Südweststaates im Haus der Geschichte entsprechend gewürdigt werden, sei dahingestellt. Ein wichtiger Beitrag der Siebenbürger Sachsen zur Bereicherung des baden-württembergischen Kulturlebens ist jedoch im Haus der Geschichte angeführt.

Die Vertriebenen und Aussiedler sind in dem neuen Gebäude u.a. durch eine Urzelntracht aus Agnetheln, durch Originaldokumente der Familie Bahmüller aus Agnetheln und durch eine Auswandererkiste der Familie Mrass aus Hermannstadt vertreten. Der Urahn von Brigitte Mrass, geborene Bahmüller, der Nagelschmied Johannes Bahmüller aus Plüderhausen im Remstal, war 1846 dem Ruf Stefan Ludwig Roths gefolgt und mit Ehefrau, neun Kindern und Schwiegereltern nach Siebenbürgen ausgewandert. Mit seiner Familie hatte er sich in Agnetheln niedergelassen und wurde zum Stammvater der siebenbürgischen Linie aller Bahmüllers (neben einer schwäbischen und einer amerikanischen Linie (siehe auch die Homepage www.familie-bahmueller.de). Einige der in allen Generationen kinderreichen Bahmüller-Nachkommen zogen später aus Agnetheln nach Kronstadt, Birthälm und in andere Ortschaften Siebenbürgens, um schließlich in den siebziger und achtziger Jahren, nun als Siebenbürger Sachsen, nach Deutschland zurückzukehren.

Wichtige Urkunden im Zusammenhang mit der Auswanderung der schwäbischen Familie Bahmüller im Jahre 1846 wurden von deren Nachkommen fast 150 Jahre lang in Siebenbürgen sorgfältig aufbewahrt und bei der Rückwanderung nach Deutschland mitgebracht. So befinden sich im Familienbesitz die Originale des Auswanderungspasses, der Entlassung aus der Staatsbürgerschaft des Königreiches Württemberg, der Meisterbrief von Johannes Bahmüller und einige Briefe aus den ersten Jahren. Harald Bahmüller aus Wolfschlugen stellte den Original-Auswanderungspass dem Haus der Geschichte Baden-Württembergs als Dauerleihgabe zur Verfügung.

Ebenfalls als Dauerleihgabe übergab Brigitte Mrass dem Museum eine Urzelnmaske mit Tuch. Die Mitarbeiter des Museums zeigten Interesse auch an einer Darstellung des Kulturgutes und der Integrationsfähigkeit der Siebenbürger Sachsen. Welch besseres Beispiel gibt es hierfür als den Brauch des Urzelnlaufens, der in Sachsenheim seit 1965 offiziell gepflegt wird und der inzwischen das württembergische Städtchen im ganzen Land bekannt gemacht hat. Das Urzelnlaufen ist zu einem Fest der Stadt geworden, das Interesse der schwäbischen Mitbürger steigt ständig und die Stadtverwaltung Sachsenheim unterstützt diesen wertvollen Brauch voll. Innerhalb der Landschaft Neckar-Alb der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte stellen die Brauchtumselemente und die Vorführungen der einzelnen Urzelnbräuche mit die wertvollsten Teile dar. Nun sind die siebenbürgisch-sächsischen Urzeln mit ihrem Brauchtum nicht nur im Museum der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte, dem „Narrenschopf Bad Dürrheim“, sondern auch im „Haus der Geschichte Baden-Württembergs“ in Stuttgart anzutreffen. Das sollte uns alle mit Stolz erfüllen! Da erhebt sich die Frage, wo man heute in Rumänien in einem Museum etwas über den Urzelnbrauch sehen und lesen kann? Gibt es in Rumänien Museen, die das anbieten? Vielleicht besteht da ein Nachholbedarf oder ein Tätigkeitsfeld für die Landsmannschaft bzw. für die Heimatortsgemeinschaft Agnetheln?

Zu der Dauerausstellung im Haus der Geschichte haben die Mitarbeiter auch einen Katalog mit 582 Seiten herausgebracht. In diesem sind die Urzelnmaske und der Auswanderungspass des Johannes Bahmüller abgebildet. Das Schicksal der Siebenbürger Sachsen nach dem Zweiten Weltkrieg wird anhand des Lebenslaufes von Brigitte Mrass und deren Mutter dargestellt und die Gründe, die zur Auswanderung der Siebenbürger Sachsen geführt haben, werden kurz angeführt.

Höher geschlagen haben die Herzen vieler Siebenbürger und insbesondere der Agnethler bei zwei Fernsehsendungen des Südwestrundfunks am 13. und 14. Dezember 2002, als über die Eröffnung des Hauses der Geschichte Baden-Württembergs berichtet wurde. Die Sendung stellte besondere Ereignisse aus den Lebensläufen von drei Personen aus Baden-Württemberg vor. Brigitte Mrass sprach über die Gründe für die Auswanderung aus Siebenbürgen waren, die Gegenstände in ihren Umzugskisten und ihre deutsche Kultur. Das Urzelnlaufen hätte einen hohen Stellenwert unter den Agnethlern daheim und nun hier in Baden-Württemberg: „Ein echter Agnethler muss Urzelnlaufen“. Im Film wurden Archivbilder vom Urzelnumzug 1979 in Agnetheln und Teile der Rede von Prof. Heinrich Oczko auf dem Marktplatz wiedergegeben. Die Schönheit des Harbachstädtchens mit seiner Kirchenburg war für den eingeweihten Betrachter erkennbar.

Der Fernsehfilm schloss mit den Worten von Gerhard Möhring aus Lörrach: “Es ist eine Ehre, im Haus der Geschichte Baden-Württembergs vertreten zu sein“. Der Satz bezieht sich auf einen Holzkoffer, den Möhring aus der russischen Kriegsgefangenschaft nach Hause mitgebracht hatte. Die Aussage trifft umso mehr auf die Siebenbürger Sachsen und die Urzelnmaske aus Agnetheln zu, die nun in Stuttgart ausgestellt ist.

A. Ms


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 3 vom 28. Februar 2003, Seite 4)

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